European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00141.24D.0526.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Die Parteienbezeichnung der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei wird richtiggestellt auf „Verlassenschaft nach der am * verstorbenen Dr. B* S*“.
II. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 2.355,90 EUR (darin 392,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Zu I.:
[1] Aufgrund des Ablebens der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei während des Revisionsrekursverfahrens am * ist deren Parteienbezeichnung gemäß § 235 Abs 5 ZPO auf ihre Verlassenschaft richtigzustellen (vgl RS0039666 [T20, T21]; RS0035686).
[2] Zur besseren Verständlichkeit wird die Verstorbene in der Folge weiter als Beklagte und die klagende und gefährdete Partei als Kläger bezeichnet.
Zu II.:
[3] Der Kläger ist spanischer Staatsangehöriger, die Beklagte war (bis zu ihrem Tod) österreichische Staatsangehörige. Die Parteien schlossen am 11. 9. 2009 vor dem Standesamt (Friedensgericht) der Gemeinde Santa Pola in Spanien die Ehe. Nachdem die Streitteile zunächst bis zum Jahr 2015 gemeinsam in einem Haus in Spanien gelebt hatten, übersiedelte zunächst die Beklagte im Jahr 2015 nach Österreich. Im Jahr 2016 folgte ihr der Kläger nach, die Parteien wohnten fortan gemeinsam im Sprengel des Erstgerichts. Der Kläger war bereits im Jahr 2020 zur Betreuung seines an Covid‑19 erkrankten Vaters nach Madrid gereist und ist seit „spätestens 2021“ wieder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Spanien wohnhaft.
[4] Mit der gegenständlichen, zwischenzeitig mehrfach modifizierten Klage vom 21. 4. 2021 begehrte der Kläger ehelichen Unterhalt.
[5] Die Ehe der Streitteile wurde aufgrund der Klage der hier beklagten Ehefrau vom 4. 2. 2022 mit Urteil des Gerichts erster Instanz Nr. 5 in Elche, Spanien, vom 14. 7. 2022 geschieden. Dabei wendete das Gericht Art 86 iVm Art 81 Abs 2 des spanischen Zivilgesetzbuchs (Codigo Civil) an, wonach die Scheidung auch auf Antrag nur eines Ehegatten ausgesprochen wird, wenn seit der Eheschließung drei Monate verstrichen sind. Einen Verschuldensausspruch enthält das Urteil nicht, ebenso wenig einen Ausspruch über einen Unterhaltsanspruch des hier klagenden Ehemanns gegen die Beklagte. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Mit richterlicher Verfügung vom 17. 1. 2024 erklärte der spanische Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) die außerordentliche Revision des Klägers für unzulässig, sodass das Urteil des Gerichts erster Instanz Nr. 5 in Elche vom 14. 7. 2022 über die Ehescheidung in Rechtskraft erwuchs.
[6] Zwischenzeitig hatte der Kläger seinerseits am 3. 6. 2022 beim Erstgericht eine Scheidungsklage gegen die Beklagte eingebracht. Das Verfahren wurde jedoch mit Beschluss des Erstgerichts vom 28. 11. 2022 bis zur rechtskräftigen Entscheidung im spanischen Ehescheidungsverfahren unterbrochen.
[7] Nach Rechtskraft des spanischen Scheidungsurteils änderte der Kläger mit Schriftsatz vom 10. 6. 2024 sein Klagebegehren der gegenständlichen Unterhaltsklage dahin, dass ab Februar 2024 nachehelicher Unterhalt in Höhe von 3.276 EUR monatlich sA begehrt werde, für Februar 2021 bis Jänner 2024 werde weiterhin ehelicher Unterhalt geltend gemacht. Zugleich beantragte er die nachträgliche Feststellung des alleinigen bzw überwiegenden Verschuldens der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe nach § 61 Abs 3 EheG. Österreichisches Unterhaltsrecht sei anzuwenden, weil die Ehe eine engere Verbindung zu Österreich aufweise als zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien. Die Beklagte, die während aufrechter Ehe über ein Einkommen (Entnahmen aus ihrem Vermögen) von monatlich 10.000 EUR verfügt habe, habe aufgrund des Scheidungsurteils ihre Unterhaltszahlungen eingestellt und bereits zuvor das von ihm bewohnte Haus in Spanien verkauft. Da er über keinerlei Einkommen und keinerlei Ersparnisse verfüge, setze sie ihn bewusst drohender Obdachlosigkeit aus, zumal er aufgrund seines Alters kaum Verdienstmöglichkeiten vorfinden würde; die ihm gehörende kleine Eigentumswohnung in Spanien werde von seinem Sohn gegen Übernahme der Betriebskosten bewohnt, der seinerseits ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung habe. Aufgrund dieser massiven Unterhaltsverletzung und aufgrund ihres lieblosen Verhaltens treffe die Beklagte das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe.
[8] Mit demselben Schriftsatz beantragte er gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO einstweiligen nachehelichen Unterhalt in Höhe von 3.276 EUR monatlich ab 1. 7. 2024.
[9] Die Beklagte beantragte die Abweisung des geänderten Klagebegehrens und des Provisorialantrags. Sie bestritt ihr Verschulden an der Zerrüttung der Ehe ebenso wie die Höhe des begehrten Unterhalts. Ihr Vermögen habe sich wesentlich reduziert und ihr Pensionseinkommen betrage nur rund 460 EUR monatlich. Der Kläger sei in der Lage, für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen und verfüge zumindest über Pensionsansprüche in Spanien, weiters dort auch über eine Eigentumswohnung, aus der er Mieteinkünfte lukrieren könnte. Außerdem lebe er in einer Lebensgemeinschaft.
[10] Die Vorinstanzen wiesen den Provisorialantrag ab. Gemäß Art 5 HUP 2007 sei österreichisches Recht anzuwenden. Bei einem ausländischen Scheidungsurteil, das keinen Verschuldensausspruch enthalte, könne ein solcher vor einem österreichischen Gericht mittels einer Ergänzungsklage nach § 61 Abs 3 EheG erwirkt werden. Da einzige Voraussetzung für eine Ehescheidung in Spanien sei, dass seit der Eheschließung mindestens drei Monate vergangen seien und damit weder eine Zerrüttung der Ehe noch eine häusliche Trennung vorausgesetzt werde, liege keine Scheidung aus einer dem § 55 Abs 3 EheG entsprechenden Norm vor. Da dies jedoch für den Ergänzungsantrag nach § 61 Abs 3 EheG gefordert werde, sei dieser nicht zulässig und ein Verschuldensausspruch nicht zu treffen. Der Kläger habe es im Übrigen selbst in der Hand gehabt, vor den spanischen Gerichten die Anwendung österreichischen Rechts und hilfsweise den Zuspruch einer Ausgleichsrente zu erwirken.
[11] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil zur erheblichen Frage, ob im Falle einer ausländischen Scheidung, die keine Zerrüttung der Ehe voraussetze, ein Ergänzungsantrag gemäß § 61 Abs 3 EheG zulässig sei, noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.
[12] Der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[13] 1. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt schon deshalb nicht vor, weil es sich bei den Ausführungen des Rekursgerichts zu den prozessualen Möglichkeiten des Klägers im spanischen Verfahren um rechtliche Erwägungen und nicht um Tatsachenfeststellungen handelt. Nur diese können aber Gegenstand einer Aktenwidrigkeit sein (RS0043276).
[14] 2. Das nach Art 21 Abs 1 Brüssel IIa‑VO und gegebenenfalls Art 17 Abs 1 EuUVO ex lege anzuerkennende Urteil des Gerichts erster Instanz Nr. 5 in Elche vom 14. 7. 2022 enthält keinen Ausspruch über die nacheheliche Unterhaltspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger; auch über eine „Ausgleichsrente“ wurde nicht abgesprochen. Dementsprechend steht die Rechtskraft dieses Urteils der Geltendmachung nachehelichen Unterhalts durch den Kläger und auch der Zulässigkeit des gegenständlichen Antrags nicht entgegen.
[15] 3. Gegenstand einer Provisorialmaßnahme nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist der einstweilige angemessene und nicht bloß der notwendige Unterhalt. Es handelt sich um eine besondere einstweilige Verfügung, die dem Berechtigten einen in der Regel endgültig zustehenden Unterhalt zuerkennt, wobei die materiell‑rechtlichen Grundlagen des Unterhaltsanspruchs im Haupt‑ und im Provisorialverfahren gleich sind (RS0127789).
[16] 4. Nach der allgemeinen Regel des Art 3 Abs 1 HUP 2007 ist für Unterhaltspflichten grundsätzlich das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, was hier zur Anwendung spanischen Rechts führen würde. Gemäß Art 5 HUP 2007 findet diese Regel allerdings dann keine Anwendung, wenn sich eine der Parteien dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates zur betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist.
[17] Wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmung und der vollständigen Verdrängung ist zu fordern, dass die engere Verbindung von einem Gewicht sein muss, dass es nachvollziehbar erscheint, von der Grundsatzanknüpfung an das Gläubigeraufenthaltsstatut abzuweichen; entscheidend ist allein die engere Verbindung zur Ehe der Parteien, dh nicht zu den Parteien oder zur behaupteten Unterhaltspflicht (RS0131702). Da Art 5 HUP 2007 von der Ehe der Parteien spricht, sind Umstände vor der Eheschließung und nach der Scheidung der Ehe unbeachtlich. Dies gilt auch bereits für solche, die eine Folge der Trennung der Parteien sind (3 Ob 104/17s mwN).
[18] Von besonderer, wenn auch nicht allein maßgeblicher oder unwiderleglicher Bedeutung ist der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt (während der Ehe), den die Ehegatten vor ihrer Trennung hatten, wird dieser von Art 5 HUP 2007 doch ausdrücklich erwähnt. Auch er wird allerdings lediglich beispielhaft genannt. Jedenfalls sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (RS0131702).
[19] Hier liegt der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers zumindest seit dem Jahr 2021 in Spanien. Auch die Eheschließung erfolgte in Spanien und die Parteien lebten die ersten Ehejahre dort. Allerdings übersiedelte die Beklagte im Jahr 2015 nach Österreich, der Beklagte folgte ihr 2016 nach. Sie lebten fortan im Sprengel des Erstgerichts, wobei dieser letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt auf Dauer angelegt war und zumindest vier Jahre angedauert hat. Auch wenn gewisse Vermögenswerte in Spanien verblieben, ist es doch unstrittig, dass sich das wesentliche eheliche Vermögen in Österreich befand, der Kläger seine Beschäftigung in Spanien endgültig aufgab und die Streitteile im Wesentlichen vom Stamm des Vermögens der Beklagten lebten.
[20] Wenn die Vorinstanzen angesichts dieser Umstände nach Art 5 HUP 2007 österreichisches Recht angewendet haben, ist dies jedenfalls vertretbar.
[21] 5. Wenn ein ausländisches Gericht die Ehe aus einer dem § 55 Abs 3 EheG entsprechenden Norm einer ausländischen Rechtsordnung ohne Verschuldensausspruch geschieden hat, besteht ein Rechtsschutzanspruch auf eine Entscheidung nach § 61 Abs 3 EheG. Auf Antrag ist daher das rechtskräftige Urteil eines anderen Staates (nachträglich) durch einen Verschuldensausspruch zu ergänzen (RS0057050), wobei eine solche Ergänzungsklage kollisionsrechtlich nach dem Unterhaltsstatut zu qualifizieren ist (RS0133411). Die Voraussetzungen für die Beurteilung eines Verschuldens im Sinn von § 61 Abs 3 EheG sind im Provisorialverfahren zur Erlangung eines einstweiligen Unterhalts zu bescheinigen (RS0133411 [T1]).
[22] 6. Die Bestimmung des § 61 Abs 3 EheG wurde in Verbindung mit § 69 Abs 2 EheG zur unterhaltsrechtlichen Sicherung jenes Ehegatten geschaffen, der sich der Scheidung nach § 55 Abs 2 EheG widersetzt und an der Ehe festhalten will, aber ungeachtet des Umstands, dass den klagenden Ehegatten das ausschließliche oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, geschieden wird (RS0056868 [T1]). Daher wurde bereits ausgesprochen, dass eine Verschuldenserörterung nach § 61 Abs 3 EheG dann nicht möglich ist, wenn beide Ehegatten ihr Scheidungsbegehren auf § 55 EheG stützten (8 Ob 573/82 [8 Ob 574/82] SZ 56/136; vgl auch 6 Ob 617/87 [6 Ob 618/87]; zur in der neueren Judikatur bejahten Streitanhängigkeit zwischen solchen Klagen vgl RS0123717).
[23] Im gegenständlichen Fall hat der Kläger selbst am 3. 6. 2022 beim Erstgericht eine Ehescheidungsklage eingebracht, sodass es ausgeschlossen ist, dass er an der Ehe festhalten wollte. Ob diese Klage auf § 49 oder § 55 EheG gestützt war (was nicht aktenkundig ist), ist dafür nicht relevant. Ein Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG und damit ein Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 2 EheG kommen deshalb von Vornherein nicht in Betracht (vgl 9 Ob 48/19b).
[24] Aus diesem Grund stellt sich die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht.
[25] 7. Die vom Rekursgericht vertretene Rechtsauffassung, wonach ausgehend vom fehlenden Anwendungsbereich des § 61 Abs 3 EheG der Provisionsantrag abzuweisen sei, zieht der Revisionsrekurs nicht in Zweifel. Selbst wenn der Anspruch des Klägers auf einstweiligen nachehelichen Unterhalt auf andere Anspruchsgrundlagen als § 69 Abs 2 iVm § 61 Abs 3 EheG gestützt werden könnte (und unterstellt, dass er dies in erster Instanz geltend gemacht hätte), sind diese selbstständig zu beurteilenden Rechtsfragen aufgrund der Unterlassung einer diesbezüglichen Rechtsrüge aus der ansonsten umfassenden Beurteilungspflicht des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden (RS0043352 [T35]).
[26] 8. Aus dem Ableben der Beklagten am * folgt, dass sich Unterhaltsansprüche des Klägers gegen deren Verlassenschaft für nach diesem Zeitpunkt liegende Zeiträume nur mehr auf § 78 EheG stützen könnten. Dass § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO auf derartige Ansprüche nicht anwendbar ist (1 Ob 678/79; RS0005872; vgl auch RS0005279), hat nicht die (teilweise) Zurückweisung des Antrags wegen prozessualer Unzulässigkeit zur Folge; vielmehr hat es bei der von den Vorinstanzen vorgenommenen Abweisung des (gesamten) Antrags zu bleiben (1 Ob 678/79; vgl auch 1 Ob 641/50).
[27] 9. Der Revisionsrekurs ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[28] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 EO iVm § 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Soweit der Ausspruch des Rekursgerichts als Kostenvorbehalt im Sinn des § 52 Abs 1 ZPO zu werten ist, steht dieser der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht entgegen (RS0129365 [T3]).
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