European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050NC00025.24G.0430.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin beabsichtigt, gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Zahlung von 229.584 EUR gerichtlich geltend zu machen.
[2] Die Antragstellerin leitet diesen Anspruch aus der Auflösung eines Vertragsverhältnisses ab. Sie betreibe ein Einzelunternehmen, welches Soundsysteme vertreibe und teilweise auch selbst entwickle und produziere. Sitz der Antragstellerin sei in Graz; allerdings habe sie in dem im Sprengel des Landesgerichts St. Pölten gelegenen Kirchberg ein Warenlager.
[3] Unternehmensgegenstand der Antragsgegnerin sei ebenfalls die Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb von Soundsystemen. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin seien lange Zeit in einer engen unternehmerischen Kooperation gestanden. Die Antragstellerin habe die Antragsgegnerin mit der Entwicklung verschiedener Produktbestandteile für neue Soundsysteme beauftragt; nach der Entwicklung und Testung dieser Produktteile hätte die Antragsgegnerin die Konstruktions‑ und Produktionspläne sowie Prototypen zur Antragstellerin bringen und in weiterer Folge die betreffenden Teile auf Abruf fertigen und an die Antragstellerin liefern sollen. Lieferadresse sei – wie generell in der Geschäftsbeziehung der Streitteile – das Lager der Antragstellerin in Kirchberg gewesen.
[4] Für die Entwicklung und Testung der Produktteile habe die Antragstellerin eine Vorauszahlung in Höhe von insgesamt 229.584 EUR geleistet. Trotz dieser Vorauszahlung habe die Antragsgegnerin ihre vereinbarten Leistungen nie erbracht und weder Konstruktions- und Produktionspläne übermittelt noch die Produktteile geliefert. Die Antragsgegnerin habe die entwickelten Produktteile offensichtlich in andere Soundsysteme verbaut und an Kunden verkauft. Aus diesen Gründen habe die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin den Rücktritt von den betreffenden Verträgen erklärt und – erfolglos – die Refundierung der Vorauszahlung verlangt.
[5] Zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin seien bereits zwei Gerichtsverfahren über von der Antragsgegnerin nicht bezahlte Rechnungen streitanhängig; ein Verfahren beim Landesgericht St. Pölten und eines beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz. Im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz wende die Antragsgegnerin die örtliche Unzuständigkeit ein; sie argumentiere, dass das Landesgericht St. Pölten zuständig sei.
[6] Am Landesgericht St. Pölten seizudemein Gerichtsverfahren zwischen der Antragstellerin und dem Geschäftsführer und Gesellschafter der Antragsgegnerin streitanhängig. In diesem Verfahren habe der Geschäftsführer der Antragsgegnerin und einer ihrer Geschäftspartner die Antragstellerin auf Feststellung des Bestands einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geklagt. Die Zuständigkeit des Landesgerichts St. Pölten sei in diesem Verfahren nicht strittig.
[7] Die Antragsgegnerin sowie ihr Geschäftsführer und Gesellschafter würden in sämtlichen angeführten Gerichtsverfahren durch dieselbe in Wien ansässige Rechtsanwaltskanzlei vertreten. Aus diesem Grund bestehe in gewisser Weise ein stillschweigender Konsens darüber, die Verfahren möglichst alle in Österreich zu führen.
[8] Weder die Antragstellerin noch die Antragsgegnerin hätten für die nur mündlich ausgehandelten Verträge anzuwendende AGB. Es bestehe daher weder eine Gerichtsstandsvereinbarung, noch liege ein urkundlicher Nachweis hinsichtlich eines vereinbarten Erfüllungsorts iSd § 88 JN vor.
[9] Die Antragstellerin beantragt gemäß § 28 JN für die Klageführung ein Landesgericht in Österreich als zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Bestimmung des Landesgerichts St. Pölten werde ausdrücklich angeregt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor.
[11] 1. Die Klägerin stützt ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 1 und Z 2 JN.
[12] 2. Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN setzt die – durch einen internationalen Rechtsakt begründete – internationale Zuständigkeit Österreichs und das Fehlen eines örtlich zuständigen Gerichts voraus (2 Nc 16/24m; RS0118239). Die internationale Zuständigkeit hat der Oberste Gerichtshof im Ordinationsverfahren mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung frei zu prüfen (2 Nc 16/24m; RS0046568 [T1]).
[13] Die Antragstellerin stützt die internationale Zuständigkeit Österreichs auf Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012. Im Fall der Anwendbarkeit dieses Gerichtsstands würde sich allerdings auch die internationale örtliche Zuständigkeit unmittelbar aus diesem Unionsrechtsakt ergeben, was aber einen Rückgriff auf das innerstaatliche Recht und auch eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN ausschließt (5 Nc 25/16w; 10 Nc 20/19a). Die Verpflichtung zur Ausübung der österreichischen Gerichtsbarkeit und folglich zur Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN könnte sich aus der EuGVVO 2012 vielmehr nur dann ergeben, wenn diese – anders als der Gerichtsstand nach Art 7 Abs 1 EuGVVO 2012 – nur die internationale, nicht aber auch die örtliche Zuständigkeit regelte (Garber in Fasching/Konecny 3 § 28 JN Rz 36).
[14] Hinweise für die unionsrechtliche Anordnung einer internationalen Zuständigkeit Österreichs und zugleich fehlender örtlicher Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 1 JN sind nicht gegeben.
[15] 3. Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN setzt voraus, dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Diese Voraussetzungen sind in streitigen bürgerlichen Rechtssachen vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen (§ 28 Abs 4 JN; RS0124087 [T3]).
[16] Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN soll dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und damit einen allgemeinen Klägergerichtsstand zu etablieren (RS0046322). Diese soll vielmehr Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RS0057221 [T4]; RS0124087 [T4]). Da es sich um eine Notkompetenz handelt, ist dabei eine strenge Prüfung geboten (RS0057221 [T5]).
[17] Das erforderliche Naheverhältnis zum Inland ist hier zu bejahen, zumal die Antragstellerin ihrenSitz im Inland hat. Die behauptete Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in Ungarnbegründet die Antragstellerin damit, dass sie gegen die Antragsgegnerin und einzelne für sie handelnde Personen bereits mehrere Verfahren in Österreich führe. Müsste sie mit diesem Verfahren nun in Ungarn prozessieren, so wäre die Zuziehung einer ungarischen Rechtsanwaltskanzlei in ein komplexes Verfahren mit mehreren Parallelprozessen und der damit einhergehenden Koordination erforderlich. Dies würde die ohnehin beträchtlichen Verfahrenskosten verdoppeln. Das Gleiche gelte für die Antragsgegnerin, weil auch diese in sämtlichen Verfahren von der gleichen österreichischen Rechtsanwaltskanzlei vertreten sei und nun eine solche mit Sitz in Ungarn heranziehen müsste.
[18] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das von der Antragstellerin ins Treffen geführte Kostenargument nur in Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen, zumal sich die Kostenfrage bei Distanzverfahren für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen stellt und dies zu Lasten des Antragstellers geht (RS0046420; RS0046148 [T12]; RS0046159 [T8]). Eine andere Sichtweise führte – vor dem Hintergrund, dass die Prozessführung im Ausland üblicherweise kostspieliger ist – zu der vom Gesetzgeber nicht intendierten Etablierung eines generellen Klägergerichtsstands (7 Nc 2/22m).
[19] Einen Ausnahmefall, in dem dieKostspieligkeit der Verfahrensführung im Ausland die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar machen (vgl RS0046148; RS0045159 [T4]) und daher eine Ordination rechtfertigen könnte, hat die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen zu dem Umstand, dass die Parteien des Rechtsstreits bereits mehrere andere Verfahren in Österreich führen, weder ausreichend behauptet noch bescheinigt; das schon deshalb nicht, weil kein so enger sachlicher Zusammenhang zwischen diesen Verfahren zu erkennen ist, der es für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig machte, dass die Antragstellerin und/oder die Antragsgegnerin in diesem Verfahren im Fall der Verfahrensführung in Ungarn neben einerRechtsanwaltskanzlei mit Sitz in Ungarn auch diein den in Österreich anhängigen Verfahren bereits vertretendenRechtsanwaltskanzleien zusätzlich beauftragen müsste.
[20] Auch die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN sind daher nicht gegeben.
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