European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00110.24Y.0430.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin ist seit 15. Oktober 2018 Hauptmieterin einer Wohnung im 2. Wiener Gemeindebezirk. Die Antragsgegnerin ist die Vermieterin dieser Wohnung. Im unbefristeten schriftlichen Mietvertrag wurde die Wertsicherung des monatlichen Hauptmietzinses vereinbart.
[2] Das Rekursgericht bestätigte den Sachbeschluss des Erstgerichts, mit dem es die Anträge, festzustellen, in welchem Ausmaß die Mietzinsvereinbarung auch unter Berücksichtigung von Anhebungen das gesetzlich zulässige Zinsausmaß überschritten habe und daher unwirksam sei, welche Überschreitungsbeträge sich daraus ergeben, sowie weiters, die Antragsgegnerin zur Rückzahlung der festgestellten Überschreitungsbeträge zu verpflichten, abgewiesen hatte. Es ging wie dieses von der Berechtigung eines Lagezuschlags aus und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin, in dem sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG anspricht.
[4] 1. Gemäß § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG).
[5] 1.1. Ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RS0111204 [T2]). Dazu bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen).
[6] In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812).
[7] 1.2. Maßgeblich für die Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ sind unterschiedliche Faktoren und Standorteigenschaften, so etwa die Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs‑ und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Angebot, Sport‑ und Freizeitanlagen, Parks, Grünflächen und Gewässer (also die „Infrastruktur“ im weitesten Sinn; 5 Ob 100/21y Rz 30).
[8] 1.3. Die (Über‑)Durchschnittlichkeit der Lage ist dabei in einer Gesamtschau und unter Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen, weil die Lagequalität nur insgesamt erfasst werden kann. Den Gerichten ist bei der Beurteilung der Lagequalität ein gewisser Wertungs‑ und Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser nicht überschritten wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (5 Ob 143/21x Rz 9; 5 Ob 20/22k Rz 3).
[9] 1.4. Eine solche im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt dieAntragstellerin in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht auf:
[10] Die Liegenschaft liegt nicht in einem Gründerzeitviertel; sie befindet sich in der *straße und bildet eine Eckparzelle. Sie ist an den öffentlichen Verkehr durch die U‑Bahn, Straßenbahn und eine Autobuslinie angebunden, wobei sämtliche Einstiegsstellen lediglich etwas mehr als 100 m entfernt sind. In unmittelbarer Nähe befindet sich der Augarten, der größte Barockgarten Wiens. Das Erholungs‑ und Freizeitgebiet „Prater“ istmit der U‑Bahn in wenigen Minuten zu erreichen. Zum Stadtzentrum von Wien mit dem Stephansplatz gelangt man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in rund 15 Minuten. Die (Nah‑)Versorgung ist durch zahlreiche Lebensmittelgeschäfte und den Karmelitermarkt, eine Postfiliale und kulinarische Angebote, die medizinische Versorgung durch Apotheken und ein nahegelegenes Krankenhaus gewährleistet.
[11] Es trifft zu, dass für die Beurteilung der (Über‑)Durchschnittlichkeit vor allem einer innerstädtischen Lage auch der Umstand heranzuziehen ist, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren Lagen – eine besondere (Grün‑)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird (5 Ob 20/22k Rz 6; 5 Ob 27/23s Rz 4 mwN). Die Antragstellerin übergeht in ihrer Argumentation jedoch, dass das Rekursgericht die Belastung der Liegenschaft durch Straßen‑ und Straßenbahnlärm sowie die angespannte Parkplatzsituation in seine Gesamtbetrachtung einbezogen und gegen die zahlreichen Vorzüge der Lage, insbesondere die sehr gute Infrastruktur und Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel sowie die (unmittelbare) Nähe zum Augarten, Prater und Stadtzentrum abgewogen hat, und der von einer öffentlichen Stelle errichteten Lärmkarte, auf die sie sich beruft, nur eine gewisse Indizwirkung zukommt (vgl dazu 5 Ob 20/22k Rz 6). Indem sie die Vorzüge der Liegenschaftslage ausblendet und lediglich auf die aus ihrer Sicht nachteiligen Aspekte hinweist, kann sie daher nicht aufzeigen, dass das Rekursgericht – in der gebotenen Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika – den ihm bei der Beurteilung der Qualität der Lage (Wohnumgebung) grundsätzlich eingeräumten Wertungs‑ und Ermessensspielraum verlassen hätte.
[12] 2. Die Frage, ob und in welcher Höhe Abschläge bzw Zuschläge vom bzw zum Richtwertmietzins gerechtfertigt sind, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0117881 [T1]; RS0116132 [T2]). Die Auflistung und Bewertung einzelner Fakten kann dabei nur ein Kontrollinstrument sein; geboten ist auch insoweit eine Gesamtschau (RS0117881). Die Berechtigung eines Zuschlags stellt sich dabei als Rechtsfrage, für die das Sachverständigengutachten eine Grundlage in tatsächlicher Hinsicht bieten soll (vgl RS0111105).
[13] Das Rekursgericht hat seiner Beurteilung die vom Sachverständigen ermittelten Zuschläge zum Richtwertmietzins zugrunde gelegt. Die auf dem eingeholten Sachverständigengutachten beruhende Feststellung wäre einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nur dann zugänglich, wenn diese auf mit den Gesetzen der Logik oder der Erfahrung unvereinbaren Schlussfolgerungen beruhte (RS0043122 [T5]; RS0043517 [T3] ua). Dass das der Fall wäre, ist nicht zu erkennen. Mit ihrem Hinweis, das Ergebnis weiche von der Begutachtung im Schlichtungsstellenverfahren ab, zeigt die Antragstellerin daher kein Überschreiten des dem Rekursgericht bei der Ermittlung des zulässigen Richtwertmietzinses eingeräumten Ermessens und damit auch keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG auf. In dem zu 5 Ob 133/10k beurteilten Einzelfall wurde die Ansicht des dortigen Rekursgerichts, neben einem Zuschlag für den guten Zustand des Hauses nach Generalsanierung keine weiteren Ausstattungsmerkmale zu berücksichtigen, für nicht unvertretbar erachtet. Dass bei einem Erstbezug nach Generalsanierung weitere Ausstattungsmerkmale stets zu vernachlässigen wären, wie die Antragstellerin offenbar meint, kann daraus nicht abgeleitet werden.
[14] 3. Der Fachsenat hat in seiner Entscheidung zu 5 Ob 166/24h mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass Prüfgegenstand eines Verfahrens nach § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 16 Abs 8 und Abs 9 MRG nicht die Frage nach der (Un‑)Wirksamkeit einer Wertsicherungsvereinbarung nach allgemein zivilrechtlichen Kriterien an sich ist, sondern die Zulässigkeit des danach angehobenen Hauptmietzinses nach den zwingenden mietrechtlichen Vorgaben. Dabei hat der Außerstreitrichter als (Vor‑)Frage zwar zu prüfen, ob eine Wertsicherungsvereinbarung (iSd § 16 Abs 9 MRG) vorliegt. Als Hauptfrage ist für den Zinstermin (die Zinstermine), zu dem (denen) das (die) Erhöhungsbegehren wirksam wurde(n), zu klären, ob der erhöhte Hauptmietzins den zwingenden gesetzlichen Bestimmungen über die Mietzinsbildung entspricht. Einwendungen, die die (relative) Nichtigkeit einer solchen Vertragsbestimmung betreffen, steht die Unzulässigkeit des (außerstreitigen) Rechtswegs entgegen.
[15] Eine – wie hier vorliegende – Vereinbarung der Wertsicherung des Richtwertmietzinses unter Bezugnahme auf § 5 RichtWG ist ausreichend bestimmt (vgl 5 Ob 166/24h). Ob darüber hinaus ihr Zustandekommen oder Inhalt im Einzelfall den allgemein‑bürgerlichen Vorschriften entspricht, ist nicht in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 8 MRG zu klären.
[16] Die im Revisionsrekurs als erheblich relevierten Rechtsfragen, ob die im Mietvertrag aus Oktober 2018 enthaltene Wertsicherungsvereinbarung gegen § 6 Abs 1 Z 5 oder § 6 Abs 2 Z 4 KSchG bzw § 879 Abs 3 ABGB verstoße und ob darauf von Amts wegen Bedacht zu nehmen wäre, stellen sich daher nicht. Damit ist es auch ohne Relevanz, dass das Rekursgericht insoweit von einem Verstoß gegen das Neuerungsverbot ausging.
[17] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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