European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00070.25Z.0430.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Der Antrag auf Unterbrechung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C‑440/23 wird abgewiesen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Beklagte hat ihren Sitz auf Malta. Sie verfügt über keine nationale Glücksspiellizenz in Österreich, bietet aber hier auf einer von ihr betriebenen Website Online‑Glücksspiele an. Die Klägerin beteiligte sich daran und erlitt im Zeitraum Juni 2020 bis Oktober 2023 Verluste in Höhe des Klagebetrags.
[2] Die Vorinstanzen gaben der von der Klägerin auf die Unwirksamkeit der Glücksspielverträge gestützten Klage auf Rückersatz statt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist nicht zulässig:
[4] 1. Die behauptete mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden (RS0043371).
[5] 2.1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur an Hand des konkreten Vorbringens im Einzelfall geprüft werden, weshalb in der Regel – vom hier nicht vorliegenden Fall auffallender Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vorliegt (RS0037780; RS0042828; RS0116144).
[6] 2.2. Wenngleich grundsätzlich jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein muss (vgl RS0031014 [T29]), sieht es die ständige Rechtsprechung in Fällen, in denen sich ein Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammensetzt, die während eines längeren Zeitraums aufgelaufen sind, als Überspannung des Gebots einer Präzisierung des Vorbringens an, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern (RS0037907). Nicht nur ein einheitlicher Anspruch (vgl dazu RS0037907 [T9]), sondern auch gleichartige Ansprüche können zu einem einheitlichen Begehren zusammengefasst werden, sodass etwa bei Geldleistungsansprüchen nur mehr die Gesamtsumme im Klagebegehren aufscheint (RS0037907 [T1, T22]). Setzt sich ein Anspruch aus zahlreichen Einzelforderungen zusammen, kommt es (auch) auf die Zumutbarkeit einer Aufgliederung an. Gegebenenfalls reicht ein Verweis auf dazu vorgelegte Urkunden aus; die einzelnen Positionen und die ihnen zugeordneten Beträge müssen dann nicht auch in der Klageerzählung ziffernmäßig angeführt werden (1 Ob 97/21b; vgl RS0037907 [T14, T15, T23]; vgl zu Wett- bzw Glücksspielverlusten 4 Ob 232/23f; 4 Ob 199/16t).
[7] 2.3. Das Berufungsgericht war der Auffassung, die Konkretisierung des Anspruchs nach den im Zeitraum des wiederholten Spielgeschehens insgesamt erfolgten Ein- und Auszahlungen sowie dem dadurch erlittenen Gesamtverlust sei hinreichend schlüssig. Die Aufschlüsselung jedes einzelnen klagsgegenständlichen Glücksspiels durch die Klägerin sei im vorliegenden Fall nicht erforderlich, ein Verweis auf die diesbezüglich vorgelegten Urkunden reiche aus. Damit hält sich das Berufungsgericht im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung.
[8] 3. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online-Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt (konkret § 52 Abs 5 GSpG), kommt es daher nicht an (jüngst etwa 6 Ob 19/25z; 7 Ob 150/24w).
[9] 4. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0025607 [T1]). Es wurde bereits mehrmals vom Obersten Gerichtshof erläutert, dass der Verbotszweck die Rückabwicklung erfordert, wenn sich das Verbot – wie hier – gegen den Leistungsaustausch an sich wendet und es den Schutz der Spieler bewirken soll (jüngst 6 Ob 77/23a). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass Spieler ihre verlorenen Einsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückverlangen können (RS0134152). Dies gilt im Hinblick auf die Zielsetzung des Glücksspielgesetzes nach gefestigter Rechtsprechung auch dann, wenn der Leistende in Kenntnis der Nichtschuld ist und ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt war (2 Ob 198/24t; 6 Ob 77/23a), sodass das Argument der Revision, die Rückforderung erfolge wider Treu und Glauben, scheitert.
[10] Soweit die Revision meint, die Verweigerung eines Rückforderungsanspruchs würde dem Spielerschutz besser gerecht, weil die Spieler sonst einerseits die Einsätze zurückverlangen, aber andererseits auf die Auszahlung von Gewinnen vertrauen könnten, lässt sie die mit dem Glücksspielgesetz ebenso verfolgten ordnungspolitischen und fiskalischen Zwecke außer Acht, die eine absolute Nichtigkeit und beiderseitige Rückforderbarkeit erfordern (2 Ob 194/24d; 2 Ob 198/24t).
[11] 5. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl etwa 6 Ob 157/24t; 7 Ob 16/25s). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
[12] 6. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl die Hinweise in 5 Ob 30/21d). Entgegen der Darstellung der Revision ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH C‑920/19 , Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Der Senat sieht daher keinen Anlass, dem von der Beklagten angeregten Vorabentscheidungsersuchen näher zu treten (vgl 7 Ob 135/24i; 6 Ob 19/25z).
[13] 7. Der behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen.
[14] 8. Einer Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C‑440/23 bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – im Hinblick auf die Entscheidungen des EuGH C‑390/12 , C‑79/17 und C‑545/18 bereits geklärt erscheinen (vgl etwa 8 Ob 31/24b; 6 Ob 19/25s; 7 Ob 16/25s).
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