OGH 8Ob142/24a

OGH8Ob142/24a25.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen F* F*, vertreten durch Dr. Dieter Klien, Rechtsanwalt in Hohenems, über den Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 11. Juni 2024, GZ 2 R 134/24g‑50, mit dem der Rekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 26. März 2024, GZ 45 P 93/24z‑44, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00142.24A.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird in Ansehung des Einstellungsantrags nicht Folge gegeben.

Im Übrigen wird der angefochtene Beschluss aufgehoben, die Rechtssache wird an das Rekursgericht zurückverwiesen und diesem wird aufgetragen, über den Rekurs des Betroffenen gegen die Abweisung des Antrags auf Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.

 

Begründung:

[1] Nachdem bereits zuvor ein Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Betroffenen anhängig und wegen dessen Abwesenheit wieder eingestellt worden war, teilte das Erstgericht dem Betroffenen bei dessen persönlicher Vorsprache am 2. 8. 2023 mit, dass neuerlich ein Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters eingeleitet werde. Mit Beschluss vom 18. 8. 2023 bestellte es die Rechtsanwältin Dr. E* zur einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreterin für den Wirkungsbereich der Verwaltung des Liegenschaftsvermögens; in diesem Umfang verfügte es einen Genehmigungsvorbehalt. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

[2] Mit Schriftsatz vom 13. 2. 2024 beantragte der Betroffene die Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin sowie die Einstellung des eingeleiteten Verfahrens zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Er leide unter keiner psychischen Krankheit und könne seine eigenen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils erledigen. Es sei auch keine konkrete Angelegenheit zu besorgen. Die Annahme, er könnte eine Liegenschaft verkaufen, sei rein spekulativ.

[3] Das Erstgericht wies die Anträge nach Durchführung einer Erstanhörung ab. Die ärztlichen Unterlagen des Landeskrankenhauses Rankweil vom März 2022 würden durch die im Zuge eines Verwaltungsverfahrens erstellten medizinischen Unterlagen nicht völlig entkräftet, zumal nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine bipolare Störung innerhalb „dieses Zeitraums“ ohne ärztliche Behandlung zur Gänze verschwinde. Diesbezüglich bedürfe es – auch in Anbetracht des gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Betroffenen – jedenfalls der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Aufgrund der eigenen Wahrnehmung des zuvor zuständigen Richters, dass ein Verkaufsschild auf dem Grundstück des Betroffenen aufgestellt gewesen sei, liege nicht bloß eine vage Vermutung vor, dass allfällig ein Liegenschaftsverkauf anstehe. Um einen Schutz vor einem ungünstigen Verkauf einzurichten, bedürfe der Beschluss vom 18. 8. 2023 keiner Abänderung oder Aufhebung.

[4] Die dagegen vom Betroffenen und von seinen Angehörigen erhobenen Rekurse wies das Rekursgericht zurück. Während eines laufenden Bestellungsverfahrens gestellte Anträge auf Einstellung seien nicht zu behandeln. Der dennoch ergangene Beschluss auf Abweisung des Einstellungsantrags und des Antrags auf Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin sei als bloße verfahrensleitende Verfügung zu werten, mit der das Erstgericht zum Ausdruck gebracht habe, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für die Einstellung derzeit nicht vorlägen. Eine neuerliche Prüfung der Situation werde dadurch nicht gehindert. Durch die Abweisung des Einstellungsantrags werde nicht in die Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen, sondern die Fortsetzung des Verfahrens verfügt. Daher sei der Beschluss nicht selbständig anfechtbar. Im Übrigen bedürfe es gerade dann, wenn für und gegen eine die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigende psychische Erkrankung sprechende Umstände zu berücksichtigen seien, im Interesse des Betroffenen einer Abklärung durch Einholung eines Gutachtens. Die im Einstellungsantrag angeregte grundbücherliche Einverleibung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots zugunsten der Kinder des Betroffenen sei kein weniger invasives Mittel. Wenn der Betroffene behaupte, er habe das Verkaufsschild nur aufgestellt, um den Verkaufswert zu ermitteln, stelle dies keine geeignete und unbedenkliche Vorgangsweise dar. Das Erstgericht werde daher zunächst das Sachverständigengutachten einzuholen und danach in der Sache selbst zu entscheiden haben.

[5] Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht zur Frage für zulässig, ob ein Beschluss auf Abweisung eines Antrags auf Einstellung des rechtskräftig eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung einer Erwachsenenvertretung und Enthebung der einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreterin während eines laufenden Bestellungsverfahrens selbständig anfechtbar sei.

[6] Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Betroffene erkennbar die Abänderung im Sinne der Einstellung des Verfahrens und der Enthebung der einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreterin.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist auch teilweise im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses berechtigt.

[8] 1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Zurückweisung des Rekurses der Angehörigen des Betroffenen nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist, zumal die Rekursentscheidung den Angehörigen nach dem Akteninhalt noch nicht zugestellt wurde.

[9] 2.1. Das Verfahren nach den §§ 117 ff AußStrG zielt auf eine Entscheidung, ob es zu einer Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (§ 123 AußStrG) oder zu einer Einstellung des Verfahrens (§ 122 AußStrG) kommt (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 122 Rz 1).

[10] 2.2. Beim Antrag des Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens handelt es sich demnach nicht um ein auf eine (vorläufige) Entscheidung einer verfahrensrechtlichen Frage gerichtetes Begehren, sondern vielmehr um dessen Sachantrag.

[11] 2.3. Soweit im Schrifttum (Traar et al, Erwachsenenschutzrecht2 § 122 AußStrG Rz 5) gestützt auf eine Entscheidung des Landesgerichts Linz (EF 166.087) die Rechtsauffassung vertreten wird, dass während eines laufenden Bestellungsverfahrens nach (rechtskräftiger) Verfahrenseinleitung gestellte Anträge auf Einstellung des Verfahrens nicht zu behandeln seien, ist dies insofern zutreffend, als eine von der Sachentscheidung verschiedene Beschlussfassung über solche Anträge nicht vorgesehen ist. Vielmehr wird mit der Entscheidung in der Sache über solche Anträge erkannt. Dabei bedarf es ebenfalls keines gesonderten Ausspruchs darüber, ob dem Einstellungsantrag stattgegeben oder dieser Antrag abgewiesen werde; vielmehr ist entweder bloß auszusprechen, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 122 AußStrG), oder es ist – ohne explizite Abweisung des Antrags – die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters iSd § 123 AußStrG zu beschließen.

[12] 3.1. Ein Einstellungsantrag des Betroffenen kann aber auch die Behauptung implizieren, dass die Erwachsenenschutzsache spruchreif ist. In diesem Sinne hat das Erstgericht – insbesondere aufgrund der Erstanhörung – den Antrag offenkundig dahin aufgefasst, dass von weiteren Beweisaufnahmen Abstand zu nehmen und sofort im Sinne der Einstellung zu entscheiden sei.

[13] 3.2. Der Beschluss des Erstgerichts kann deshalb nicht dahin verstanden werden, dass es den Sachantrag auf Einstellung des Verfahrens endgültig abgewiesen hätte. Abgesehen davon, dass eine derartige Entscheidung im Gesetz jedenfalls nicht vorgesehen wäre, ergibt sich insbesondere aus der Begründung des Beschlusses, dass das Erstgericht vor der Entscheidung in der Sache die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten hat.

[14] 3.3. Das Rekursgericht hat den erstgerichtlichen Beschluss daher zutreffend im Sinne eines Ausspruchs gedeutet, dass die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens bloß derzeit nicht vorlagen und das Verfahren fortzusetzen sei.

[15] 4.1. Verfahrensleitende Beschlüsse sind nach § 45 zweiter Satz AußStrG deshalb nicht selbständig anfechtbar, weil sie nicht in die Rechtsstellung der Parteien eingreifen (RS0129692 [T2]; RS0006327 [T5, T22]). Anfechtbar sind demnach nur solche Gerichtsakte, die eine Anordnungs- oder Regelungsabsicht enthalten und auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtet sind, daher nicht etwa bloße Ankündigungen, Belehrungen oder Mitteilungen, die noch nicht in die Rechtsstellung des Adressaten eingreifen (RS0006327 [T18]). Auch Beschlüsse, mit denen das Gericht die Entscheidung über gestellte Anträge bis zum Abschluss der Erhebungen vorbehält, sind unanfechtbar (RS0006111; RS0006327 [T22]).

[16] 4.2. Einem solchen Vorbehalt einer späteren Entscheidung ist der gegenständliche Beschluss gleichzuhalten, der lediglich ausspricht, dass die Erwachsenenschutzsache noch nicht spruchreif und das Verfahren daher fortzusetzen ist. Ein Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen ist damit nicht verbunden, weil eine Einstellung des Verfahrens weiterhin jederzeit (vgl § 122 Abs 1 AußStrG) möglich ist, sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass das Verfahren in diesem Sinne spruchreif ist.

[17] 4.3. In der Abweisung des Einstellungsantrags hat das Rekursgericht daher zu Recht einen verfahrensleitenden Beschluss erblickt, der gemäß § 45 zweiter Satz AußStrG unanfechtbar ist. Demgemäß ist dem Obersten Gerichtshof ein Eingehen auf die inhaltlichen Argumente der Vorinstanzen (vgl RS0008542 [T1]; RS0008526; RS0013479) ebenso verwehrt wie auf die Frage, ob ein solcher Beschluss erforderlich oder auch nur zulässig war. Die zurückweisende Entscheidung des Rekursgerichts ist in diesem Umfang zu bestätigen.

[18] 5.1. Der erstinstanzliche Beschluss enthält allerdings noch einen weiteren Ausspruch, nämlich über die Abweisung des Antrags des Betroffenen auf Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin.

[19] 5.2. Ein solcher Antrag ist auf die Beendigung der einstweiligen Erwachsenenvertretung iSd § 246 Abs 3 Z 3 ABGB iVm § 120 Abs 3 zweiter Satz AußStrG gerichtet (Traar et al, Erwachsenenschutzrecht2 § 120 AußStrG Rz 35; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2§ 120 Rz 35). Da der einstweilige Erwachsenenvertreter auch bereits vor dem Abschluss des Verfahrens enthoben werden kann, etwa weil keine weiteren dringlichen Angelegenheiten mehr zu besorgen sind (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2§ 120 Rz 35), ist dieser Antrag unabhängig vom Einstellungsantrag des Betroffenen zu prüfen.

[20] 6.1. Mit der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters ist ein Eingriff in die materiell-rechtliche Rechtsstellung des Betroffenen verbunden, sodass seine Rekurslegitimation einhellig bejaht wird (vgl RS0117006; RS0133168; 5 Ob 224/21h; Traar et al, Erwachsenenschutzrecht2 § 120 AußStrG Rz 35; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2§ 120 Rz 21; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 120 Rz 9). Für die Abweisung eines Antrags auf Enthebung des einstweiligen Erwachsenenvertreters kann nichts anderes gelten.

[21] 6.2. Dementsprechend ist in der vom Erstgericht vorgenommenen Abweisung des Antrags kein bloß verfahrensleitender Beschluss zu erblicken. Die auf § 45 zweiter Satz AußStrG gegründete Zurückweisung des Rekurses des Betroffenen erweist sich daher insofern als unzutreffend.

[22] 7.1. Hat das Rekursgericht einen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, anlässlich der Entscheidung über diesen – seiner Ansicht nach verfehlten – Zurückweisungsbeschluss gleich in der Sache selbst zu erkennen. Dies gilt auch im Außerstreitverfahren (RS0007037 [insb T17]). Nimmt das Gericht jedoch eine Sachprüfung vor, obgleich es zunächst seine Entscheidungsbefugnis verneint, so ist ein solcher Beschluss als Sachentscheidung anzusehen; der formale Teil ist dann unbeachtlich (RS0044232). Der Oberste Gerichtshof ist in einem solchen Fall befugt, den Revisionsrekurs in der Sache zu prüfen (RS0007037 [T10]).

[23] 7.2. Anders als zum Einstellungsantrag hat das Rekursgericht zum Antrag auf Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin keine hilfsweise Sachprüfung vorgenommen. Deshalb hat es hier dabei zu bleiben, dass dem Obersten Gerichtshof bei Zurückweisung eines Rekurses durch das Rekursgericht eine Sachentscheidung verwehrt ist (RS0007037; vgl auch 8 Ob 54/24k [Rz 16]).

[24] 7.3. Soweit das Rekursgericht den Rekurs gegen die Abweisung des Antrags auf Enthebung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin zurückgewiesen hat, erweist sich deshalb eine Aufhebung in die zweite Instanz als unumgänglich.

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