OGH 10Ob10/25f

OGH10Ob10/25f24.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Dr. Steger sowie Dr. Annerl und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* e.U., *, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1.) Ing. F*, 2.) Verlassenschaft nach M*, zH a) dem erblichen Sohn M*, b) dem erblichen Sohn Dipl.‑Ing. T*, c) dem erblichen Sohn J*, d) dem erblichen Sohn Ing. L* und e) der erblichen Tochter U*, 3.) W*, 4.) B* GmbH, *, 5.) E*, 6.) O* GmbH, *, und 7.) M*, wegen 447.132,84 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 22. Jänner 2025, GZ 7 R 18/25i‑7, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 31. Dezember 2024, GZ 11 C 847/24t‑2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00010.25F.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage gegen die zweit- bis siebentbeklagte Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die der klagenden Partei erwachsenen Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozesskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt von den sieben beklagten Parteien die Zahlung von 437.132,84 EUR sA zur ungeteilten Hand. Er habe in der im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Betriebshalle 4 eine Möbeltischlerei betrieben. Beim Vollbrand vom 13. 1. 2023, der von der Betriebshalle 1 auf derselben Liegenschaft ausgegangen sei, sei sein Unternehmensinventar in der Betriebshalle 4 zur Gänze zerstört worden, wofür er Ersatz in Klagshöhe begehre. Er habe vom Erstbeklagten in der Betriebshalle 4 Flächen angemietet. Dieser habe ua wegen mangelhafter Elektroinstallationen seine Vertragspflichten verletzt und hafte daher für den Schaden. Die Zweitbeklagte sei die Eigentümerin der Liegenschaft mit den Betriebshallen, der zwischen Erstbeklagtem und Zweitbeklagter hinsichtlich der Liegenschaft abgeschlossene Nutzungsvertrag entfalte Schutzwirkungen zugunsten des Klägers, weshalb auch die Zweitbeklagte hafte. Der Drittbeklagte habe die Elektroinstallation in der Betriebshalle 1 grob mangelhaft errichtet, wodurch der Brand ausgelöst worden sei. Der Drittbeklagte habe sein Unternehmen in die viertbeklagte GmbH eingebracht, die gemäß §§ 38 ff UGB hafte. Der Fünftbeklagtehabe die weiteren Elektroinstallationen in der Betriebshalle 1 mangelhaft hergestellt, was den Brand mitverursacht habe. Die Sechstbeklagte sei Mieterin der Betriebshalle 1, von der der Vollbrand ausgegangen sei. Sie habe Schmierstoffe und Mineralöl ohne behördliche Genehmigung neben leicht entflammbaren Gegenständen eingelagert und dadurch einen Verstoß gegen die Verordnung über brennbare Flüssigkeiten begangen, weshalb auch sie hafte. Der Siebentbeklagte sei der handels- und gewerberechtliche Geschäftsführer der Sechstbeklagten. Als Verantwortlicher für die brandschutztechnischen Mängel hafte auch er für den Schaden des Klägers.

[2] Die Zuständigkeit des Erstgerichts stütze sich auf den Gerichtsstand der Schadenszufügung sowie hinsichtlich des Erstbeklagten auf § 49 Abs 1 Z 5 JN und dessen (allgemeinen) Gerichtsstand. Alle Beklagten hafteten zur ungeteilten Hand und seien Streitgenossen im Sinn des § 11 ZPO.

[3] Die erst- bis fünftbeklagten Parteien haben ihren allgemeinen Gerichtsstand im Sprengel des Erstgerichts, die sechst- und siebentbeklagte Partei nicht.

[4] Das Erstgericht wies die Klage gegen die zweit- bis siebentbeklagte Partei wegen sachlicher Unzuständigkeit a limine zurück. Der Kläger berufe sich auf ein Bestandverhältnis mit dem Erstbeklagten, weshalb gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN (Eigenzuständigkeit) die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts (als Bezirksgericht) gegeben sei. Hinsichtlich der zweit- bis siebentbeklagten Partei berufe sich der Kläger hingegen nicht auf ein Bestandverhältnis. Der Gerichtsstand nach § 93 JN sei nicht anwendbar, weil aufgrund des Klagsvorbringens sämtliche Parteien weder miteinander in Rechtsgemeinschaft stünden noch aus demselben Grund oder gar solidarisch verpflichtet seien (§ 11 Z 1 ZPO). Aufgrund der Höhe des Streitwerts sei für diese das Landesgericht sachlich zuständig.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Es liege eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, diese setze anders als die materielle Streitgenossenschaft voraus, dass das angerufene Gericht für alle Streitgenossen sowohl sachlich als auch örtlich zuständig sei.

[6] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers, mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen (ersatzlos) aufzuheben und dem Erstgericht die Führung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise wird die Überweisung gemäß § 230a ZPO an das übergeordnete Landesgericht beantragt.

[7] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO), weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurswerber bringt vor, die Ansprüche beruhten auf einem einheitlichen Schadensereignis und einem gleichartigen Sachverhalt. Die beklagten Parteien hafteten zwar aufgrund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen, dies allerdings solidarisch, sie seien daher als Streitgenossen iSd § 93 Abs 1 JN anzusehen.

[9] Diese Argumentation trifft zu.

[10] 1. Die Klage wurde der zweit- bis siebentklagenden Partei noch nicht zugestellt, weshalb das (Revisions‑)Rekursverfahren gegen die a-limine-Zurückweisung der Klage gegenüber diesen Parteien einseitig ist (§ 521a Abs 1 iVm Abs 2 ZPO; 10 ObS 5/24v Rz 11 mwN).

[11] 2. Nach § 93 Abs 1 JN können mehrere Personen, welche ihren allgemeinen Gerichtsstand vor verschiedenen Gerichten haben, als Streitgenossen, sofern nicht für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist, vor jedem inländischen Gerichte geklagt werden, bei welchem einer der Streitgenossen oder, wenn sich unter ihnen Haupt- und Nebenverpflichtete befinden, einer der Hauptverpflichteten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, es sei denn, dass das Gericht auch durch Vereinbarung der Parteien nicht zuständig gemacht werden kann.

[12] 3. Hier sind alle Voraussetzungen für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 Abs 1 JN erfüllt:

[13] 3.1. Bei Zugrundelegung der Klagsangaben haften alle Beklagten zur ungeteilten Hand (§ 1302 Satz 2 ABGB). Dies reicht – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen – sowohl nach dem Wortlaut des § 11 Z 1 ZPO als auch nach ständiger Rechtsprechung für eine materielle Streitgenossenschaft nach dieser Gesetzesbestimmung und somit für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 Abs 1 JN aus (RS0107710 [T2]).

[14] 3.2. Die Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand (teilweise) vor verschiedenen Gerichten.

[15] 3.3. Es besteht zwar in § 83 Abs 1 JN ein besonderer Gerichtsstand für den Erstbeklagten (Bestandstreitigkeit; vgl RS0046572), dieser ist aber kein gemeinschaftlicher (vgl RS0117202), weil er nicht für die zweit- bis siebentbeklagte Partei besteht (vgl Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 93 JN Rz 2 mwN).

[16] 3.4. Das Erfordernis, dass zumindest ein Beklagter vor dem Erstgericht seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, ist ebenso erfüllt.

[17] 3.5. Schließlich kann das Erstgericht (als Bezirksgericht) für die zweit- bis siebentbeklagte Partei durch Vereinbarung zuständig gemacht werden (§ 104 Abs 2 JN; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 104 JN Rz 18; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 93 JN Rz 7).

[18] 4.1. Diese Beurteilung ergibt sich implizit auch aus der Entscheidung 6 Ob 10/11f: Dort betrug der Streitwert 31.805,61 EUR, sodass an sich für beide Beklagten die Wertzuständigkeit des Landesgerichts gegeben gewesen wäre (§ 49 Abs 1 JN). Die Klage war jedoch aufgrund des mit der erstbeklagten Partei behaupteten Bestandvertrags gemäß § 83 JN beim Bezirksgericht, in dem das Bestandobjekt gelegen war, wo aber keine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand hatte, eingebracht worden.

[19] 4.2. Der Oberste Gerichtshof billigte die Klagszurückweisung gegen die Zweitbeklagte durch die Vorinstanzen, weil diese mit der Klägerin in keinem Bestandverhältnis stehe und vor dem angerufenen Erstgericht auch nicht ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Er führte weiter aus, dass eine gemeinsame Einklagung gemäß § 93 JN am allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten möglich gewesen wäre (RS0126585). Damit kann aber (ungeachtet des Streitwerts) wegen der Vorschrift des § 104 Abs 2 Satz 2 iVm § 49 Abs 1 Z 5 JN nur ein Bezirksgericht gemeint sein.

[20] 4.3. Der Unterschied zum vorliegenden Fall lag in 6 Ob 10/11f darin, dass dort das angerufene Erstgericht für keinen der Beklagten das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands war, was hier aber nicht zutrifft.

[21] 5. Soweit sich aus Ob I 331/25 SZ 7/149 Anderes ergibt, wird diese Rechtsprechung nicht aufrecht erhalten (ablehnend auch Simotta in Fasching/Konecny 3 § 93 JN Rz 7; vgl auch OLG Graz RZ 1938, 21).

[22] 6. Der von den Vorinstanzen angenommene Grund für die Zurückweisung der Klage gegenüber der zweit- bis siebentbeklagten Partei liegt somit nicht vor.

[23] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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