OGH 10Ob25/25m

OGH10Ob25/25m24.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. B*, und 2. A*, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz‑Jonas‑Platz 12), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. November 2024, GZ 45 R 496/24k‑26, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 2. August 2024, GZ 16 Pu 19/24a‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00025.25M.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts lautet:

„1. Dem minderjährigen B*, und der minderjährigen A*, wird vom 1. Jänner 2024 bis 31. Dezember 2028 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss in Höhe von 305 EUR (B*) und 270 EUR (A*), höchstens jedoch in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß § 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, § 108f ASVG gewährt.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von insgesamt 575 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Dem Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge an den Kinder- und Jugendhilfeträger als gesetzlichen Vertreter des Kindes zu zahlen, ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukommt.

5. Der Kinder- und Jugendhilfeträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeiträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.

6. Die Mutter der Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

 

Begründung:

[1] Mit Unterhaltsvereinbarung gemäß § 210 Abs 2 ABGB vom 21. September 2023 verpflichtete sich der Vater, B* einen monatlichen Unterhalt von 305 EUR und A* einen monatlichen Unterhalt von 270 EUR zu leisten.

[2] Die beiden in Österreich geborenen Kinder sind nach der Aktenlage Staatsbürger der Russischen Föderation.

[3] Die 1996 geborene Mutter der Kinder ist ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation und im Jahr 2003 mit ihren Eltern nach Österreich eingereist. Ihr wurde mit Bescheid vom 23. Mai 2005 der Status einer Asylberechtigten als Familienangehörige ihrer Mutter zuerkannt. Diese leitete ihren Asylstatus ihrerseits von ihrem Gatten (bzw Vater der Mutter der Kinder) ab.

[4] Mit Bescheiden vom 18. Jänner 2017 (B*) und 23. Juli 2018 (A*) wurde den Kindern ebenfalls der Status des Asylberechtigten als Familienangehörige (ihrer Mutter) zuerkannt.

[5] Am 31. Jänner 2024 begehrten die Kinder Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG. Darin trugen sie zunächst vor, dass sie Konventionsflüchtlinge seien und aufgrund der nach wie vor sehr gefährlichen Lage in Tschetschenien nicht in ihre Heimat zurückkehren könnten. Zudem brachten sie vor, der Vater habe den laufenden Unterhalt nach Eintritt der Vollstreckbarkeit der beiden Unterhaltstitel nicht zur Gänze geleistet. Dem Antrag waren die jeweiligen Asylbescheide, die Unterhaltsvereinbarungen sowie ein Exekutionsantrag nach § 295 EO vom 31. Jänner 2024 angeschlossen.

[6] Das Erstgericht wies die Anträge ab. Sämtliche Familienangehörigen leiteten ihre Flüchtlingseigenschaft vom (mütterlichen) Großvater der Kinder ab, der jedoch angegeben habe, in Russland nie wegen seiner Religion, der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder seiner Rasse verfolgt worden zu sein. Persönliche die Kinder selbst treffende Fluchtgründe lägen nicht vor.

[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach ausführlicher Darstellung der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs führte es aus, dass die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren zwar Indizwirkung habe, die Gerichte im Vorschussverfahren aber nicht binde. Diese Frage sei von den Gerichten vielmehr selbständig als Vorfrage zu prüfen. Hier könnten die Kinder ihre Flüchtlingseigenschaft nicht vom Großvater ableiten, zumal dieser selbst angegeben habe, in Tschetschenien nicht verfolgt worden zu sein. Sie selbst treffende konkrete Fluchtgründe hätten die Kinder nicht behauptet und ergäben sich auch nicht aus den von ihnen ins Treffen geführten Berichten zur Entwicklung der Lage in Tschetschenien. Der Status als subsidiär Schutzberechtigte komme den Kindern mangels stichhältiger Anhaltspunkte dafür, dass sie in Tschetschenien dem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wären, ebenfalls nicht zu.

[8] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof zuletzt offen gelassen habe, ob die selbständige Prüfung der Flüchtlingseigenschaft durch die Gerichte auch dann zu erfolgen habe, wenn dem Betroffenen der Asylstatus (im Verwaltungsverfahren) zuerkannt worden sei.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich der – unbeantwortet gebliebene – Revisionsrekurs der Kinder mit dem Antrag, ihnen Unterhaltsvorschüsse zu gewähren.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen von der zwischenzeitig ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweichen. Er ist aus diesem Grund auch berechtigt.

[11] 1. Im Revisionsrekurs verweisen die Kinder unter anderem darauf, dass ihnen der Status als Asylberechtigte zuerkannt worden sei, weshalb sie schon deshalb Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse hätten.

[12] Damit sind sie auch im Recht.

[13] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zu 10 Ob 3/25a vom 11. Februar 2025 unter Hinweis auf Matti (Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Unterhaltsvorschussverfahren, in Bauer/Baumgartl, 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – altbewährt? [2021] 85) ausgesprochen, dass § 2 Abs 1 UVG dahin richtlinienkonform auszulegen ist, dass Personen, denen der Status eines Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt wurde, solange österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, solange ihnen dieser Status nicht wieder (rechtskräftig) aberkannt wurde. Ob der Status als Asylberechtigter aufgrund eigener Fluchtgründe oder „nur“ im Familienverfahren nach § 34 Abs 2 AsylG 2005 zuerkannt wurde, ist dabei nicht von Bedeutung (Rz 31 und 32).

[14] 2.1. Der Oberste Gerichtshof begründete dies mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status‑RL). Denn diese knüpft in ihrem Art 29 Abs 1 nicht an die materielle Flüchtlingseigenschaft, sondern „lediglich“ an den Zuerkennungsakt an, der nichts über das Vorliegen der materiellen Flüchtlingseigenschaft oder darüber etwas aussagt, ob die Beziehungen zu dem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen wie jenen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Flüchtlingsabkommen abgebrochen sind (10 Ob 3/25a Rz 30).

[15] 2.2. Das bedeutet, dass Personen, denen (aus welchem Grund auch immer) der Status eines Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt wurde, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben. Erst wenn das nicht oder nicht mehr zutrifft, ist das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft – im Sinn der bisherigen Rechtsprechung – selbständig als Vorfrage zu prüfen (10 Ob 3/25a Rz 33).

[16] 3. Daraus folgt, dass die Kinder, denen jeweils der – nach der Aktenlage weiterhin aufrechte – Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse scheitert somit weder daran, dass sie keine österreichischen Staatsbürger oder staatenlos sind, noch daran, dass sich aus dem Akteninhalt keine konkreten sie selbst oder jene Personen, von denen sie ihre Flüchtlingseigenschaft ableiten, betreffende Fluchtgründe ergeben.

[17] 4. Nach dem aktenkundigen Sachverhalt (§ 11 Abs 2 UVG) liegen die Voraussetzungen für die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse vor. Mit Ausnahme der mangelnden Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 UVG wurden von den Parteien auch keine Einwände gegen die Gewährung der beantragten Unterhaltsvorschüsse vorgetragen.

[18] Dem Revisionsrekurs der Kinder ist daher Folge zu geben und ihren Vorschussanträgen stattzugeben.

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