OGH 10Ob3/25a

OGH10Ob3/25a11.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl, Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. S*, 2. D*, 3. C*, und 4. S*, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Rechtsvertretung Bezirk 10, 1100 Wien, Alfred-Adler-Straße 12), wegen Unterhaltsvorschuss hinsichtlich der Minderjährigen D*, C* und S*, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen D*, C* und S*, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. November 2024, GZ 48 R 236/24x, 48 R 237/24v, 48 R 238/24s‑102, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Favoriten vom 18. Juni 2024, GZ 34 Pu 51/13h‑94, 95 und 96, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00003.25A.0211.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Unionsrecht, Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Beschlüsse des Erstgerichts zu lauten haben:

I. D*, 34 Pu 51/13h‑94:

„1. Dem Kind wird vom 1. November 2023 bis 31. Oktober 2028 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 160 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß § 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, § 108 f ASVG gewährt.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 160 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Dem Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger als gesetzlichen Vertreter des Kindes zu zahlen, ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukommt.

5. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeiträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.

6. Die Mutter des Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

II. C*, 34 Pu 51/13h‑95:

„1. Dem Kind wird vom 1. November 2023 bis 31. Oktober 2028 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 180 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß § 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, § 108f ASVG gewährt.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 180 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Dem Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger als gesetzlichen Vertreter des Kindes zu zahlen, ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukommt.

5. Der Kinder- und Jugendhilfeträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeiträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.

6. Die Mutter des Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

III. S*, 34 Pu 51/13h‑96:

„1. Dem Kind wird vom 1. November 2023 bis 31. Oktober 2028 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 160 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß § 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, § 108f ASVG gewährt.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 160 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Dem Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger als gesetzlichen Vertreter des Kindes zu zahlen, ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukommt.

5. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeiträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.

6. Die Mutter des Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

 

Begründung:

[1] Der Vater der Minderjährigen ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Favoriten vom 17. August 2023 (34 Pu 51/13h‑49) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 160 EUR gegenüber D*, von 180 EUR gegenüber C* und 160 EUR gegenüber S* verpflichtet.

[2] Die Minderjährigen D*, C* und S* (idF nur die Minderjährigen) sind nach der Aktenlage weder österreichische Staatsbürger noch staatenlos. Die 1995 geborene Mutter ist Staatsangehörige der Russischen Föderation. Im Jahr 2003 war sie mit ihrer Mutter aus Russland nach Österreich eingereist. Ihr wurde mit Bescheid vom 20. Oktober 2003 der Status einer Asylberechtigten als Familienangehörige ihrer Mutter zuerkannt. Mit Bescheiden vom 27. Oktober 2016 (C*), 17. Mai 2018 (S*) und 22. April 2022 (D*) wurde den Kindern jeweils ebenfalls der Status des Asylberechtigten als Familienangehörige ihrer Mutter zuerkannt und festgestellt, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[3] Am 30. November 2023 stellten die Minder-jährigen Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG (ON 54, 55 und 56).

[4] Das Erstgericht bewilligte diese Anträge im ersten Rechtsgang (ON 58, 59 und 60), wogegen der Bund am 19. Dezember 2023 Rekurs erhob (ON 63).

[5] Am 31. Jänner 2024 stellten die Minderjährigen neuerlich Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG mit ergänzendem Vorbringen. Für den Fall, dass der Rekurs des Bundes rechtskräftig abgewiesen werde und die gänzliche Innehaltung zur Gänze aufgehoben werden könne, sollten diese Anträge „als zurückgezogen“ gelten (ON 77, 78 und 79).

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes Folge, hob die angefochtenen Beschlüsse auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung – der Prüfung konkreter, personenbezogener Fluchtgründe – auf (ON 80).

[7] Das Erstgericht wies die Anträge vom 30. November 2023 und vom 31. Jänner 2024 im zweiten Rechtsgang ab. „Festgestellt“ werde, dass „keine persönlichen Flüchtlingsgründe vorliegen“. Aus den im Akt erliegenden Asylbescheiden der Mutter und der Minderjährigen gehe hervor, dass keine eigenen Fluchtgründe angeführt worden seien, sondern sie sich lediglich auf Gründe von Familienangehörigen bezogen hätten.

[8] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Die Minderjährigen hätten keine Behauptungen und keine Beweisanbote zu ihren konkreten, persönlichen Fluchtgründen (bzw jenen der Eltern) aufgestellt. Es sei ihnen daher nicht gelungen, konkrete, personenbezogene Gründe für das Vorhandensein der Flüchtlingseigenschaft glaubhaft zu machen. Das gelte auch hinsichtlich des Status als subsidiär Schutzberechtigte.

[9] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil den Antragstellern Asylstatus zukomme und der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 24/23m offen gelassen habe, ob eine selbständige Prüfung der Zivilgerichte ausscheide, solange der Asylstatus verwaltungsrechtlich zuerkannt sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs der Minderjährigen, mit dem sie die Stattgabe der Vorschussanträge anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[12] 1. Gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 UVG haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse.

[13] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55, GFK) und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) österreichischen Staatsbürgern im Sinn des § 2 Abs 1 UVG gleichgestellt und haben daher ebenfalls Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse (10 Ob 3/23y Rz 8; 10 Ob 31/22i Rz 12 ua). Darüber hinaus kommt die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 9 Abs 3 IPRG auch (nicht zwingend staatenlosen) Personen zu, deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen wie jenen nach der GFK und dem Flüchtlingsabkommen abgebrochen sind. Solcherart vergleichbare Gründe bejaht die Rechtsprechung bei subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005, sodass diese bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen ebenfalls Anspruch auf Vorschussgewährung haben (RS0126325; RS0110397 [T2]).

[14] 1.2. Die Einbeziehung von Asyl‑ und subsidiär Schutzberechtigten wird damit begründet, dass beiden das für den familienrechtlichen Bereich maßgebliche Personalstatut zukommt (vgl Art 12 Z 1 GFK) und ein enger Zusammenhang des Vorschussrechts mit dem Unterhaltsrecht besteht, was durch die ausdrückliche Einbeziehung der Staatenlosen in den Kreis der gemäß § 2 Abs 1 UVG Anspruchsberechtigten zum Ausdruck kommt (10 Ob 57/23i Rz 17, 21; 10 Ob 24/23m Rz 18, 23; Hueber, iFamZ 2018, 275; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 2 UVG Rz 14, 16 ua).

[15] 1.3. Bei Prüfung der Flüchtlingseigenschaft von Kindern, denen Asylstatus im Familienverfahren nach § 34 Abs 2 AsylG 2005 zuerkannt wurde, kommt es darauf an, ob entweder beim Kind oder bei einem Elternteil, von dem es seine Flüchtlingseigenschaft ableitet, konkrete Fluchtgründe vorliegen (10 Ob 3/23y Rz 10; 10 Ob 18/22b Rz 17).

[16] 1.4. Im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist die Flüchtlingseigenschaft nach der Rechtsprechung selbständig als Vorfrage zu prüfen (RS0110397; RS0037183). Das folgt aus dem Umstand, dass sie nicht vom Vorliegen der (bloß deklarativen) Feststellung durch eine Behörde abhängig ist, sondern sich unmittelbar aus Art 1 A Z 2 der GFK ergibt (RS0110397 [T13]). Asylbescheide und die damit verbundene Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren (§ 3 Abs 5 AsylG 2005) entfalten in Verfahren nach dem UVG somit keine Bindungswirkung, sondern haben für die Vorfragenbeurteilung nur Indizwirkung (10 Ob 3/23y Rz 9).

[17] 2. Im vorliegenden Fall haben die Minderjährigen zwar ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Sie sind aber nicht österreichische Staatsbürger oder staatenlos. Ein Unterhaltsvorschussanspruch würde nach der zitierten Rechtsprechung aber bestehen, wenn – worauf sie sich im Revisionsrekurs zutreffend stützen – bei der Mutter, von der sie ihre Flüchtlingseigenschaft ableiten, konkrete Fluchtgründe vorlägen oder sie als subsidiär Schutzberechtigte im Sinn des § 8 AsylG anzusehen wären.

[18] 2.1. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lassen eine Beurteilung, ob eine dieser Voraussetzungen vorliegen, allerdings nicht zu. Die in der Begründung enthaltene „Feststellung“, dass keine persönlichen Fluchtgründe vorlägen, gibt keinen Hinweis darauf, welche konkreten, von den Minderjährigen als persönliche Fluchtgründe (der Mutter) behaupteten Tatsachen als nicht bestehend festgestellt werden sollen. Die Schlussfolgerung, ob aufgrund bestimmter Tatsachen personenbezogene Fluchtgründe vorliegen, stellt vielmehr eine rechtliche Beurteilung dar, die nicht Gegenstand einer Tatsachenfeststellung sein kann. Mit der Frage, ob den Minderjährigen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zukommt, setzte sich das Erstgericht überdies gar nicht auseinander und traf dazu daher auch keine Feststellungen.

[19] 2.2. Diese sekundären Feststellungsmängel wurden vom Rekursgericht nicht aufgegriffen. Den Minderjährigen ist darin zuzustimmen, dass sie – entgegen der Beurteilung des Rekursgerichts – zur Flüchtlingseigenschaft ihrer Mutter und zu ihrem Status als subsidiär Schutzberechtigte ausreichendes Tatsachenvorbringen erstatteten. Im Antrag sowie in den mit der Mutter aufgenommenen Protokollen wurden konkrete Umstände (politische Zurechnung, Herkunft und Abstammung, „Familienhaftung“, Eigenschaft der Mutter als geschiedene Frau, westliche Orientierung der Familie) vorgebracht, die sich auf die Mutter und die Minderjährigen bezogen und ihre Eigenschaft als Flüchtlinge oder als subsidiär Schutzbedürftige begründen könnten.

[20] 2.3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen wären daher zum Nachholen von Feststellungen zu diesen Umständen aufzuheben. Der Revisionsrekurs der Minderjährigen zeigt somit eine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage auf. Da das Rechtsmittelgericht, wenn es überhaupt in der Rechtsfrage angerufen ist, die materiell‑rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen hat (RS0043352 [insb T39]), ist im vorliegenden Fall jedoch aufzugreifen, dass es auf diese Feststellungen im vorliegenden Fall nicht ankommt, weil den Minderjährigen ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss schon aufgrund der rechtskräftig erfolgten Zuerkennung des Flüchtlingsstatus zukommt.

[21] 3. Die zitierte Rechtsprechung, nach der die Flüchtlingseigenschaft unabhängig von der bescheidmäßigen Zuerkennung des Flüchtlingsstatus selbständig zu prüfen sei, stieß in der Literatur auf Kritik. Matti (Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Unterhaltsvorschussverfahren, in Bauer/Baumgartl, 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – altbewährt? [2021] 85 [91 ff, insb 102 f]) lehnt eine selbständige Prüfung der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft ab. Für Personen, denen internationaler Schutzstatus im Sinn der Status‑RL zuerkannt worden sei, folge die Anspruchsberechtigung nicht aus dem Personalstatut, sondern aus der Einordnung des Unterhaltsvorschusses als „notwendige Sozialhilfe“ im Sinn des Art 29 Abs 1 Status‑RL, sodass eine selbständige Prüfung durch die Zivilgerichte ausscheide, solange der Status (verwaltungsrechtlich) zuerkannt sei. Eine selbständige materielle Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf das Personalstatut sei nur vorzunehmen, soweit der internationale Schutzstatus nicht zuerkannt oder aberkannt worden sei.

[22] Diese Literatur – mit der sich der Oberste Gerichtshof bislang nicht auseinandersetzen musste (vgl offenlassend 10 Ob 24/23m Rz 34 f) – gibt Anlass für eine neuerliche Beurteilung der zitierten Rechtsprechung.

[23] 3.1. Die auf Grundlage des Art 78 AEUV erlassene Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes („Status‑RL“; Abl L 2011/337, 9, berichtigt mit Abl L 2017/167, 58) verfolgt das Ziel, einerseits zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird (ErwGr 12 Status‑RL). Zweck der Status‑RL ist es, Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen, die Anspruch auf subsidiären Schutz haben, sowie für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes festzulegen (Art 1 Status‑RL). Der Begriff „internationaler Schutz“ bezeichnet dabei die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus (Art 2 lit a Status‑RL) und „Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde“ eine Person, der die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde (Art 2 lit b Status‑RL).

[24] 3.2. Der Inhalt des internationalen Schutzes wird in Kapitel VII der Status‑RL festgelegt, in Bezug auf Sozialhilfeleistungen in Art 29 Status‑RL. Nach Art 29 Abs 1 Status‑RL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Abweichend davon können Mitgliedstaaten die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, nach Art 29 Abs 2 Status‑RL auf Kernleistungen beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren.

[25] Art 29 Abs 1 Status‑RL garantiert somit einen diskriminierungsfreien Anspruch auf „notwendige Sozialhilfe“. Bei der Auslegung dieses Begriffs ist Erwägungsgrund 45 heranzuziehen. Danach ist es insbesondere zur Vermeidung sozialer Härtefälle angezeigt, Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung in Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

[26] Die Status‑RL sieht daher eine Gleichstellung mit Inländern bei „Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung von Lebensunterhalt“ vor. Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich um eine solche Leistung.

[27] 3.3. Der EuGH hat Unterhaltsvorschüsse in den Rechtssachen Offermanns (C‑85/99 ), Humer (C‑255/99 ) und Effing (C‑302/02 ) als Leistung der sozialen Sicherheit, konkret als Familienleistung im Sinn des damals geltenden Art 4 Abs 1 lit h VO (EWG) 1408/71 qualifiziert (vgl 10 Ob 107/08w vom 17. März 2009 ErwGr 2.). Zwar nimmt Art 1 lit z der aktuell in Geltung stehenden VO (EG) 883/2004 (iVm mit deren ErwGr 36 und Anhang I) Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG von der Sozialrechtskoordinierung aus. Das ändert aber nichts daran, dass nach der völlig herrschenden Auffassung Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG eine „soziale Vergünstigung“ im Sinn des europäischen Primär‑ und Sekundärrechts sind (10 Ob 15/12x ErwGr 3.6; 10 Ob 60/12i ErwGr 4.; Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 1 VO 883/2004 Rz 77; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1 UVG Rz 17, 20 ua).

[28] Auch die MassenzustromRL sieht in Art 13 Abs 2 vor, dass die Mitgliedstaaten Vertriebenen unter anderem die „notwendige Hilfe in Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ erhalten, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen. Der Oberste Gerichtshof leitete aus der zitierten Rechtsprechung des EuGH jüngst ab, dass Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG zumindest das Erfordernis der in Art 13 Abs 2 MassenzustromRL genannten „Sozialleistungen“ erfüllen und konnte daher offen lassen, ob unter dem Begriff der „Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts“ auch gesetzliche Unterhaltspflichten substituierende Zahlungen wie jene nach dem UVG zu verstehen sind (10 Ob 42/24k ErwGr 4.3.).

[29] 3.4. Die Wendung „notwendige Sozialhilfe“ in Art 29 Abs 1 Status‑RL erfasst nach dem Erwägungsgrund 45 Status‑RL Unterstützung in Form von „Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“. Daraus ist auch für die Status‑RL abzuleiten, dass Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG (jedenfalls) Sozialleistungen darstellen und folglich als „notwendige Sozialhilfe“ im Sinn des Art 29 Abs 1 Status‑RL anzusehen sind (so auch Matti in Bauer/Baumgartl 102, wenngleich er den Unterhaltsvorschuss als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinn des Erwägungsgrunds 45 Status‑RL einordnet).

[30] 3.5. Wie Matti (in Bauer/Baumgartl 102 f) zutreffend aufzeigt, knüpft Art 29 Abs 1 Status‑RL nicht an das materielle Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft, sondern nach seinem eindeutigen Wortlaut auf den Zuerkennungsakt an (arg: Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist). Dass mit dieser Zuerkennung eine bestimmte Rechtsstellung (hier nach Art 29 Abs 1 Status‑RL) verbunden ist, sagt freilich nichts über das materielle Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft oder darüber aus, ob die Beziehungen zu dem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen wie jenen nach der GFK und dem Flüchtlingsabkommen abgebrochen sind. Über diese Umstände wird nicht konstitutiv abgesprochen, sodass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einen deklaratorischen Akt darstellt (Erwägungsgrund 21 Status‑RL).

[31] 3.6. Die unionsrechtlichen Vorgaben, ein Mindestniveau von Leistungen zu bieten und ohne Diskriminierung angemessene Unterstützung zu gewähren, gebieten es somit, § 2 Abs 1 UVG dahin richtlinienkonform auszulegen (vgl RS0075866; RS0111214 ua), dass Personen, denen der Status eines Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt wurde, österreichischen Staatsbürgern (wie Flüchtlingen) gleichzustellen (Matti in Bauer/Baumgartl 102). Ob dies gleichermaßen auch für Personen gilt, denen der subsidäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Sozialhilfe gemäß Art 29 Abs 2 Status‑RL auf „Kernleistungen“ beschränken können, ist hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht zu prüfen.

[32] 3.7. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erfolgt mit Bescheid. Diese Zuerkennung ist so lange maßgeblich, als der zuerkannte Status nicht mit Bescheid (rechtskräftig) aberkannt wurde (§ 7 AsylG; Art 14 Status‑RL). Die Statuszuerkennung ist – solange keine Aberkennung erfolgte – als solche zu beachten; aus welchen näheren Gründen der Status des Asylberechtigten gewährt wurde, ist lediglich Gegenstand der Begründung, die für sich auch keine Bindungswirkung entfaltet (VwGH Ra 2017/01/0418 Rz 21). Eine Prüfung, aus welchen Gründen die Zuerkennung erfolgte oder ob diese Gründe die Statuszuerkennung rechtfertigen, hat nicht stattzufinden, weil für die von Art 29 Abs 1 Status‑RL geforderte Gleichstellung (nur) der Tatsache der Statuszuerkennung selbst Bedeutung zukommt. Dies gilt auch in Fällen, in denen die Zuerkennung dieses Status im Familienverfahren nach § 34 Abs 2 AsylG erfolgte, zumal das AsylG beim Status des Asylberechtigten nicht danach differenziert, ob dieser aufgrund eigener Fluchtgründe oder nur „abgeleitet“ im Familienverfahren nach § 34 Abs 2 AsylG zuerkannt wurde (VwGH Ra 2022/20/0191 Rz 12; Ra 2022/20/0195 Rz 14; Ra 2019/19/0059 Rz 20; Ra 2017/01/0418 Rz 17). Daran ändert auch eine allfällige Bezugnahme auf § 34 Abs 2 AsylG im Spruch des Zuerkennungsbescheids nichts, weil eine solche unbeachtlich ist (VwGH Ra 2017/01/0418 Rz 18).

3.8. Zusammenfassend lässt sich daher folgender Rechtssatz formulieren:

[33] Wem der Status eines Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt wurde, ist den in § 2 Abs 1 UVG genannten Anspruchsberechtigten gleichgestellt und hat daher ungeachtet der für die Zuerkennung herangezogenen Gründe bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss. Trifft dies nicht (mehr) zu, ist das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft selbständig als Vorfrage zu prüfen.

[34] 4. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Minderjährigen, denen jeweils der – nach der Aktenlage weiterhin aufrechte – Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse scheitert somit nicht daran, dass sie weder österreichische Staatsbürger noch staatenlos sind. Dem Akt und dem Vorbringen der Parteien lassen sich auch sonst keine Umstände entnehmen, die der Gewährung entgegen stehen. Der Revisionsrekurs erweist sich daher insgesamt als berechtigt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte