OGH 7Ob10/25h

OGH7Ob10/25h22.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Malesich, Dr. Weber, Mag. Fitz und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Lippitsch.Hammerschlag Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei A*‑AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Oktober 2024, GZ 6 R 35/24x‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 22. Jänner 2024, GZ 204 C 312/23y‑14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00010.25H.0422.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR USt)bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung 2018 (ARB 2018) zugrunde.

[2] Sie lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung von reinen Vermögensschäden – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

[...]

Artikel 5

Wer ist versichert und unter welchen Voraussetzungen können mitversicherte Personen Deckungsansprüche geltend machen?

1. Versichert sind der Versicherungsnehmer und die in den Besonderen Bedingungen jeweils genannten mitversicherten Personen.

[...]

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags‑Rechtschutz

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat‑ und/oder Betriebsbereich.

1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?

Versicherungsschutz haben

1.1 im Privatbereich

der Versicherungsnehmer und seine Familienangehörigen (Artikel 5.1.)

[...]

2. Was ist versichert?

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus

2.1.1 [...]

2.1.2 schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen“

[3] Mit Mietvertrag vom 1. 10. 2018 mietete die Klägerin eine Wohnung, die siezeitweise mit ihren zwei Söhnen bewohnte. Im Juni 2021 zog die Klägerin in eine andere Wohnung. Ihre Söhne verblieben in der Wohnung und schlossen danach einen neuen Mietvertrag mit demselben Vermieter. Anlässlich dieses Mietvertrags beließ die Klägerin die von ihr 2018 bereits erlegte Barkaution von 2.400 EUR weiterhin beim Vermieter zugunsten ihrer Söhne. Ende Jänner 2023 wurde der Mitvertrag mit den Söhnen aufgelöst. Die Kaution wurde vom Vermieter wegen behaupteter Beschädigungen großteils einbehalten.

[4] Die Söhne der Klägerin sind im gegenständlichen Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht mitversichert.

[5] Die Klägerin begehrte gestützt auf Art 23 ARB 2018 Deckung für die Rückforderung des ihrer Ansicht nach vom Vermieter ihrer Söhne zu Unrecht einbehaltenen Kautionsbetrags. Sie brachte dazu vor, sie habe anlässlich des Abschlusses des Mietvertrags ihres früheren Vermieters mit ihren Söhnen mit diesem Vermieter durch das Belassen ihrer Barkaution als Drittpfandbestellerin einen Pfandbestellungsvertrag abgeschlossen. Nunmehr sei der Mietvertrag ihrer Söhne beendet worden. Der Vermieter verweigere aber – großteils zu Unrecht – die Rückzahlung des Kautionsbetrags an sie, weshalb ihr ein Rückforderungsanspruch zustehe, für den die Beklagte Deckung zu gewähren habe.

[6] Die Beklagte wandte – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – ein, die Klägerin mache tatsächlich einen allfälligen Anspruch ihrer Söhne auf Rückzahlung der Kaution aus dem Mietvertrag geltend, was an deren mangelnder Mitversicherung scheitere; ein solcher Anspruch könne auch nicht in den Deckungsschutz des Art 23 ARB 2018 fallen, weil es sich um keinen Vertrag über eine bewegliche Sache handle.

[7] Das Erstgericht gab der Deckungsklage statt. Eine grundsätzliche Eignung des Vorbringens der Klägerin für ihren Prozessstandpunkt sei gegeben. Nach deren Vorbringen sei von einem Versicherungsschutz nach Art 23 ARB 2018 für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen auszugehen. Hinsichtlich der zu erwartenden Erfolgsaussichten sei kein strenger Maßstab anzulegen; ein Ergebnis im Haftpflichtprozess sei im Deckungsprozess nicht vorwegzunehmen.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Erlag oder das „Liegenlassen“ einer Barkaution für nachfolgende Mietverhältnisse von Dritten „schuldrechtliche Verträge des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen“ im Sinn des Art 23.2.1.2. ARB 2018 darstellen würden.

[9] Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahin, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin begehrt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] Die Beklagte steht in ihrer Revision weiterhin auf dem Standpunkt, es handle sich bei der von der Klägerin beabsichtigten Rechtsverfolgung um einen vertraglichen Anspruch, der keine bewegliche Sache betreffe und deshalb nicht unter den allgemeinen Vertragsrechtsschutz falle.

[13] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] 2. Die Beklagte weist in ihrer Revision zu Recht darauf hin, dass den Versicherungsnehmer für das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach der allgemeinen Risikobeschreibung die Beweislast trifft und er damit die anspruchsbegründende Voraussetzung des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen muss (vgl RS0043563; RS0080003). Der Versicherungsfall besteht in der vorliegenden Konstellation gemäß Art 2.3. ARB 2018 imtatsächlichen oder behaupteten Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften, den die Klägerin– von der Beklagten unbestritten – in der unberechtigten Einbehaltung von Teilen der Kaution durch den Vermieter ihrer Söhne erblickt. Die Frage, ob die Klägerin mit ihrem ehemaligen Vermieter tatsächlich einen Pfandbestellungsvertrag abgeschlossen hat, ist demgegenüber in dem zu deckenden Verfahren unter Beweis zu stellen. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses dieses Prozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RS0081927).

[15] 3. Die Klägerin stützt den von ihr beanspruchten Versicherungsschutz auf den Rechtschutzbaustein des Art 23 ARB 2018 „Allgemeiner Vertrags‑Rechtschutz“, aufgrund dieses von ihr mit ihrem vormaligen Vermieter abgeschlossenen Pfandbestellungsvertrags für die zu erlegende Kaution ihrer Söhne.

[16] 3.1. Im Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz sind – soweit hier von Interesse – Ansprüche aus schuldrechtlichen Verträgen „über bewegliche Sachen“ gedeckt. Voraussetzung ist, dass der Vertrag im weitesten Sinn eine bewegliche Sache „betrifft“ (RS0008869). Bewegliche Sachen sind Gegenstände, die ohne Verletzung ihrer Substanz von einer Stelle zur anderen versetzt werden können (§ 293 erster Halbsatz ABGB). Dazu zählen in der Regel auch Rechte (§ 298 ABGB), die grundsätzlich als beweglich gelten, selbst dann, wenn sie verbüchert sind. Unbeweglich sind sie dann, wenn sie mit dem Besitz einer unbeweglichen Sache verbunden sind oder vom Gesetz für unbeweglich erklärt werden (Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung2 74). Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Sinn etwa die Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Bürgen als im Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz grundsätzlich deckungspflichtig angesehen (vgl 7 Ob 17/13w mwN).

[17] 3.2. Die Vereinbarung in einem Mietvertrag, wonach der Mieter zu Gunsten des Vermieters eine Kaution zu erlegen hat, enthält eine Pfandbestellung für künftige Forderungen (8 Ob 126/10b mwN). Wird der Empfänger durch Vermengung erhaltenen Bargelds Eigentümer des Kautionsbetrags, liegt ein unregelmäßiges Pfandrecht vor. Der Pfandbesteller hat kein dingliches Recht, sondern nur den schuldrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung (RS0010942; RS0011282 [T6]). Der Kautionsempfänger hat die Möglichkeit, seine zukünftigen, vereinbarungsgemäß zu sichernden Forderungen aus dem Mietvertrag mit dem Rückforderungsanspruch des Kautionsgebers zu kompensieren (RS0011288).

[18] 3.3. Der Klägerin, die hier als Drittpfandbestellerin aufgetreten sein soll, stünde im Rahmen des Pfandbestellungsvertrags sowohl ein Rechnungslegungsanspruch (vgl RS0032321), als auch ein schuldrechtlicher Rückforderungsanspruch hinsichtlich der nicht mit zu sichernden Forderungen aus dem Mietvertrag kompensierten Kautionsbeträge zu. Ansprüche aus dem behaupteten Pfandbestellungsvertrag mit der Klägerin als Dritter betreffen im Sinn des Art 23 1.2.1.2. ARB 2018 die von ihr erlegte („liegengelassene“) Barkaution und damit eine bewegliche Sache.

[19] 4. Die Beklagte führt für ihre gegenteilige Ansicht die Entscheidungen zu 7 Ob 97/17s und 7 Ob 131/22y ins Treffen.

[20] 4.1. Die erste Entscheidung betraf einen zwischen dem Kläger als Treugeber und seinem Treuhänder abgeschlossenen Vertrag, der den Auftrag an den Treuhänder beinhaltete, Liegenschaften aus der zur Verfügung gestellten Treuhandvaluta auf Namen des Treuhänders zu kaufen und die Verpflichtung, diese anschließend auf Verlangen des Klägers zu einem symbolischen Kaufpreis im Vertragsweg zu übereignen. Der Oberste Gerichtshof sah ein solches gerade auf den Erwerb des Eigentums an Liegenschaften durch den Versicherten gerichtetes Vertragsverhältnis – aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers – als keinen schuldrechtlichen Vertrag „über“ eine bewegliche Sache an.

[21] 4.2. Die zweite Entscheidung betraf einen Vertrag über die Anmietung eines Ferienhauses ohne Vereinbarung irgendwelcher Zusatzleistungen. Dort kam der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass ein Vertrag ausschließlich über ein Nutzungsrecht an einer unbeweglichen Sache im Sinn des Art 23 2.1.2. ARB 2018 diese unbewegliche Sache „betrifft“.

[22] 4.3. Beides ist mit der hier vorliegenden Konstellation deshalb nicht vergleichbar, weil der Vertrag der Klägerin die Überlassung von Bargeld zur Sicherung allenfalls zukünftig entstehender Forderungen betrifft, und damit ausschließlich bewegliche Sachen. Im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz gedeckt sind auch Vertragsstreitigkeiten, in denen zwar ein sachlicher Bezug zu einer unbeweglichen Sache vorliegt, diese – wie hier – aber nicht Hauptgegenstand des Rechtsverhältnisses der Vertragspartner ist (Kronsteiner/Lafenthaler,Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARB 1994], 209), weshalb lediglich der Zusammenhang des behaupteten Pfandbestellungsvertrags der Klägerin mit dem Mietvertrag ihrer Söhne – der eine unbewegliche Sache betrifft – zu keinem anderen Ergebnis führt.

[23] 5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[24] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte