European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00107.24Z.0411.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.696,10 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist Polizist und hatte erstmals im Jahr 2011 im Rahmen einer Amtshandlung Kontakt mit dem Beklagten. Nach einem neuerlichen (dienstlichen) Kontaktversuch im Jahr 2018 wurde der Kläger für den Beklagten laut den Ergebnissen des gegen diesen geführten Strafverfahrens zu einem „Todfeind“. Nach den dortigen Urteilsfeststellungen wollte der Beklagte den Kläger im Wege der Telekommunikation bzw unter Verwendung eines Computersystems in einer Weise, die geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, strafbarer Handlungen gegen die Ehre bezichtigen und dies für eine größere Zahl von Menschen für eine längere Zeit wahrnehmbar machen. Der Beklagte verübte diese strafbaren Handlungen gegen den Kläger vorsätzlich und fortgesetzt innerhalb eines ein Jahr übersteigenden Zeitraums. Dabei hielt er es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass der Kläger durch seine Handlungen an der Gesundheit geschädigt wird und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Gesundheitsschädigung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung erleidet, wie sie beim Kläger auch (ua) diagnostiziert wurde.
[2] Der Beklagte leidet allerdings an einer paranoiden Schizophrenie und kombinierten Persönlichkeitsstörung. Er hat die strafbaren Handlungen in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand, beruhend auf einer geistigen bzw seelischen Abartigkeit höheren Grades, begangen. Er war im Tatzeitraum aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage, das Unrecht seiner Handlung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln; seine Steuerungsfähigkeit war aufgehoben.
[3] Im Strafverfahren wurde daraufhin (rechtskräftig) ausgesprochen, dass der Beklagte unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit, die auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruht (nämlich einer paranoiden Schizophrenie, FC ICD‑10, F20, mit kombinierter Persönlichkeitsstörung, FC ICD‑10, F60, sowie in einem Zustand nach Polytoxikomanie, FC ICD‑10, F19), im Zeitraum von Ende September 2020 bis Mai 2022 Taten begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, a) als Vergehen der fortdauernden Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems nach § 107c Abs 1 Z 1, Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB und b) als Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB zuzurechnen wären.
[4] Der Kläger begehrt mit seiner Klage vom Beklagten Schmerzengeld, Behandlungs‑ und pauschale Unkosten, Ersatz für krankheitsbedingt entgangene Nebengebühren sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden aus den der Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen. Der Beklagte hafte ungeachtet seiner fehlenden Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitraum aus deliktischem Schadenersatz gemäß § 1307 ABGB, weil er sich aus eigenem Verschulden in diesen Zustand versetzt habe. Zum einen habe er seit vielen Jahren Alkohol und Drogen (va Cannabis) missbraucht, und zum anderen habe er die ihm verschriebenen Medikamente eigenmächtig abgesetzt.
[5] Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, weil er im Tatzeitraum nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. § 1307 ABGB sei nicht anwendbar, weil die kausale Psychose nicht als „Sinnesverwirrung“ im Sinne dieser Bestimmung verstanden werden könne und er diese auch nicht schuldhaft herbeigeführt habe.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab und stützte sich dabei vorrangig auf eine historische Interpretation des § 1307 ABGB. Diese Bestimmung habe in der Stammfassung des ABGB aus dem Jahre 1811 (JGS Nr 946/1811) gelautet: „Wenn sich aber jemand aus eigenem Verschulden in einen vorübergehenden Zustand der Sinnesverwirrung versetzt hat; so ist auch der in demselben verursachte Schaden seinem Verschulden zuzuschreiben. [...]“. Der historische Gesetzgeber habe unter dem „Zustand der Sinnesverwirrung“ einen vorübergehenden Rauschzustand verstanden; nach Zeiller (Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie [1813], S 731) beziehe sich diese Bestimmung auf „einen Menschen, der in einer, obgleich nicht beabsichtigten, aber doch immer willkürlichen Berauschung, oder in dem Ausbruche einer Leidenschaft, dem er hätte vorbeugen können, einen Schaden verursacht hat“.Hingegen seien „Personen, welche [aufgrund] eines außerordentlichen (bleibenden, nicht kurz vorübergehenden) Seelenzustandes wegen die Folgen ihrer Handlungen nicht beurteilen können“ dem Schutz der Gesetze unterstellt und sollten nicht für von ihnen verursachte Schäden haften (Zeiller aaO S 118).
[7] Das Wort „vorübergehend“ in § 1307 ABGB sei zwar durch die 3. Teilnovelle zum ABGB im Jahr 1916 (RGBl Nr 69/1916) entfallen, aber bloß versehentlich. Damit hätte die Bestimmung lediglich um die Haftung für Schäden, die während eines schuldhaft herbeigeführten Notstands verursacht wurden, erweitert werden sollen.
[8] Rechtsprechung und Lehre würden § 1307 ABGB dementsprechend nur auf Fälle anwenden, in denen Schäden während eines vorübergehenden Rauschzustands durch übermäßigen Alkohol‑ oder Drogengenuss verursacht worden seien.
[9] Der Beklagte habe die haftungsbegründenden Handlungen aber nicht in einem vorübergehenden Rauschzustand, sondern in einem länger andauernden Krankheitszustand verursacht. Damit sei irrelevant, ob die Krankheit durch Drogen‑ und Alkoholkonsum oder durch Absetzen der verschriebenen Medikamente (mit‑)ausgelöst worden sei.
[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sei schon fraglich, ob eine psychische Erkrankung überhaupt schuldhaft herbeigeführt werden könne. § 1307 ABGB umfasse aber keinesfalls einen derartigen Dauerzustand.
[11] Die Ansicht des Erstgerichts zur Absicht des historischen Gesetzgebers sei zutreffend. Aus den Materialien zur 3. Teilnovelle des ABGB ergebe sich kein Hinweis, dass der Gesetzgeber die in der Stammfassung von 1811 zugrunde gelegte Bedeutung der Sinnesverwirrung ändern hätte wollen. Der „Bericht der Kommission für Justizgegenstände über die Gesetzesvorlage betreffend die Änderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches“ (78 d B z d sten Protokollen des Herrenhauses – XXI. Session 1912) halte dazu fest: „Eine nahezu selbstverständliche Ausnahme von der milderen Beurteilung der Rechtsfolgen der Notstandshandlung bildet der Fall des selbstverschuldeten Notstandes [...]. Sie findet ihren Platz in § 1307 ABGB, wo der Entwurf [...] die entsprechende Einschaltung macht.“ (Schey, III. Teilnovelle mit Materialien, 1916, S 388).
[12] Für die Wortinterpretation verwies das Berufungsgericht auf den Duden, laut dem „Sinnesverwirrung“ eine „[vorübergehende] geistige Behinderung“ sei. § 1307 ABGB stelle zudem darauf ab, dass sich jemand in diesen Zustand „versetze“, was dahin zu verstehen sei, dass sich der Schädiger (schuldhaft) in einen nicht dauerhaften, von seinem üblichen Zustand abweichenden Geisteszustand bringe, und in diesem die schädigenden Handlungen setze.
[13] Schließlich sei die vom Kläger gewünschte weite Auslegung auch nicht mit der Wertung des Gesetzgebers in Einklang zu bringen, wonach eine Haftung grundsätzlich Zurechnungsfähigkeit voraussetze.
[14] Auch wenn nach der Rechtsprechung schon die abstrakt gefährliche (schuldhafte) Versetzung in den Zustand der Sinnesverwirrung haftungsbegründend und eineVorhersehbarkeit der Schäden nicht erforderlich sei, müssedennoch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Versetzen in diesen Zustand und der rechtswidrigen und schadenskausalen Handlung bestehen. Der regelmäßige Alkohol‑ und Drogenmissbrauch des Klägers, der (nach den Klagsbehauptungen) zu seiner psychischen Krankheit geführt habe, unter deren Einfluss er später den Kläger geschädigt habe, führe sohin ebenso wenig zu einer Haftung nach § 1307 ABGB wie das Absetzen der Medikamente.
[15] Die Revision sei gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil die Frage, ob eine psychische Erkrankung des Schädigers unter den Zustand der Sinnesverwirrung gemäß § 1307 ABGB zu subsumieren sei, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe und vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet worden sei.
[16] Der Kläger begehrt mit seiner Revision, die angefochtene Entscheidung in eine Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise stellt er Aufhebungsanträge.
[17] Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[18] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
[19] 1. § 1307 ABGB in der (seit der 3. Teilnovelle des ABGB, RGBl Nr 69/1916) geltenden Fassung lautet:
„Wenn sich jemand aus eigenem Verschulden in einen Zustand der Sinnesverwirrung oder in einen Notstand versetzt hat, so ist auch der in demselben verursachte Schade seinem Verschulden zuzuschreiben. […]“.
[20] 2. § 1307 ABGB normiert nach einhelliger Ansicht eine Schadenersatzpflicht wegen Verschuldens (vgl 7 Ob 98/72 mwN). Rechtswidrigkeit und Verschulden setzen in diesem Fall schon an der – abstrakt gefährlichen – Versetzung in den Zustand der Sinnesverwirrung an (RS0027244; Koziol, Haftpflichtrecht I4 C/2/ Rz 16; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1307 Rz 4: „Einlassungsfahrlässigkeit“). Eine Vorhersehbarkeit der Folgen ist nicht erforderlich (RS0027244 [T2]).
[21] § 1307 ABGB wird daher in ständiger Rechtsprechung herangezogen, wenn jemand absichtlich oder schuldhaft den Zustand der Sinnesverwirrung durch übermäßigen Alkoholgenuss herbeiführt und in diesem Zustand einen Schaden zufügt (RS0027254). Weiters wird diese Bestimmung auch auf den Geschädigten angewendet, der in diesem Zustand den ihm zugefügten Schaden mitverursacht (RS0027280, RS0026843), insbesondereauf Betrunkene (vgl 8 Ob 22/21z mwN).
[22] Auch die Lehre versteht § 1307 ABGB im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Alkohol, Drogen und Medikamenten als Haftungsgrundlage für im Rauschzustand verursachte Schäden (vgl Koziol, Haftpflichtrecht I4 C/2/ Rz 16; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1307 Rz 2 ff; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.09 § 1307 Rz 1 ff; Karner in Bydlinski/Perner/Spitzer 7 § 1307 ABGB Rz 1; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1307 Rz 1 f).
[23] § 287 StGB stellt ebenfalls darauf ab, dass sich jemand, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, und „im Rausch“ eine strafbare Handlung begeht.
[24] 3.1 Die Vorinstanzen haben§ 1307 ABGB und insbesondere den Begriff „Zustand der Sinnesverwirrung“ bereits nach dem Wortlaut, systematisch im Zusammenhang, anhand der historischen Gesetzesmaterialien sowie nach dem Zweck der Regelung ausgelegt (zur Gesetzesauslegung s § 6 ABGB; RS0008896, RS0008787, RS0008836, RS0008776 uvm).
[25] Der Senat teilt deren Auslegungsergebnis, dass eine Haftung nach § 1307 ABGB im Zusammenhang mit der Konsumation von Alkohol (und anderen berauschenden Substanzen) lediglich Schädenerfasst, die in einem daraus folgenden Rauschzustand verursacht wurden. Hingegen bietet § 1307 ABGB keine Grundlage für eine Haftung für Handlungen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung gesetzt wurden, die aus einem (verschuldeten) Missbrauch von Rauschmitteln resultiert.
[26] 3.2 Der Kläger argumentiert in seiner Revision, dass § 1307 ABGB keine Einschränkung (mehr) auf einen bloß vorübergehenden Zustand enthalte, und nicht erklärlich sei, warum der Gesetzgeber nicht tätig geworden wäre, wenn es sich bei der Streichung tatsächlich um ein Versehen gehandelt hätte.
[27] Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass schon der Begriff „Zustand der Sinnesverwirrung“ als bloß vorübergehender Zustand verstanden werden kann, sodass der historische Gesetzgeber des Jahres 1916 durch die Streichung des Wortes „vorübergehend“ nur einen Pleonasmus beseitigt hätte.
[28] Ergänzend zur Argumentation der Vorinstanzen kann noch darauf verwiesen werden, dass auch der historische Gesetzgeber des § 21 ABGB idF VolljG (Bundesgesetz vom 14. Feber 1973, mit dem Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit und die Ehemündigkeit geändert werden, BGBl Nr 108/1973) „Sinnesverwirrte“ als – grundsätzlich ebenfalls schutzbedürftige – Personen in einem bloß vorübergehenden Zustand verstand, der die Handlungsfähigkeit ausschließt, und von Personen mit einem „dauernden Geistesgebrechen“ unterschied (s dazu den Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage zum Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit und die Ehemündigkeit geändert werden 645 BlgNR 13. GP S 2; Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 21 Rz 7).
[29] 3.3 Im Übrigen soll eine Person schon nach dem Wortlaut (aber auch dem Zweck) von § 1307 ABGB (nur) für jene Schäden haften, die sie in eben diesem Zustand verursacht hat, in den sie sich „versetzt“ hat.
[30] Der Beklagte mag sich nun durch die Konsumation von Alkohol und Drogen (jeweils) schuldhaft in einen Rausch und damit einen Zustand der Sinnesverwirrung versetzt haben, er hat in diesem Rauschzustand aber nicht die den Kläger schädigenden Handlungen gesetzt. Für den beim Kläger eingetretenen Schaden ist vielmehr die psychische Erkrankung des Beklagten kausal.
[31] Ungeachtet der Frage, ob sich eine Person überhaupt schuldhaft in den Zustand einer psychischen Erkrankung „versetzen“ kann, würde eine Vorverlagerung der Zurechnungsmomente zu einer Ausweitung der Haftung und damit einem Unterlaufen der Privilegierung schutzberechtigter Personen iSd § 21 ABGB führen.
[32] Gerade weil § 1307 ABGB keine Vorhersehbarkeit der Schäden verlangt, könnte es beim vom Kläger unterstellten Verständnis wegen eines (schuldhaften) Abusus zu einer Haftung für Schäden kommen, die mit der typischen Gefährlichkeit einer Berauschung überhaupt nichts zu tun haben, sondern allein Folge einer geistigen Erkrankung sind. Dies stünde aber auch mit der Adäquanztheorie in einem Spannungsverhältnis, laut der neben der Prüfung des tatsächlichen Kausalzusammenhangs Wertungen objektiver Art über die Zurechnung eines bestimmten Schadenserfolgs vorzunehmen sind, um die Verantwortung des Haftenden sinnvoll einzuschränken (vgl RS0022952, RS0022546).
[33] Diese Überlegungen stehen auch nicht in Widerspruch mit der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung 6 Ob 33/23f. Darin wurde zwar festgehalten, dass die Handlungsfähigkeit der dort (an einer anhaltenden wahnhaften Störung erkrankten) Beklagten keine Voraussetzung für deren Verurteilung zur Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre des Klägers ist. Eine Vollstreckung (nach § 355 EO) ist demnach aber nur bei schuldhaft gesetzten Verstößen gegen das Unterlassungsurteil möglich. Ist eine Impugantionsklage wegen behaupteter Schuldlosigkeit an der Zuwiderhandlung erfolgreich, ist auch nach dieser Entscheidung keine Strafe zu verhängen, sondern der Betreibende wird mit den Kosten des Impugnationsverfahrens belastet und hat keinen Anspruch auf Ersatz der Exekutionskosten.
[34] Soweit der Kläger schließlich mit einem unzureichenden Opferschutz argumentiert, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber entsprechende Billigkeitserwägungen in § 1310 ABGB einfließen hat lassen. Diese Bestimmung ist auch bei unverschuldeter Sinnesverwirrung anwendbar (vgl Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1307 Rz 5 mwN). Ein Vorbringen zu einem der dort genannten Fälle wurde jedoch nicht erstattet.
[35] 4. Letztlich kann ebenso wenig der (in der Revision weder inhaltlich noch zeitlich näher konkretisierte) Vorwurf des eigenmächtigen Absetzens von Medikamenten, das zu einem „Wiederaufflammen der psychotischen Zustände“ geführt haben soll, zu einer Haftung nach § 1307 ABGB führen.
[36] Die Revision geht insofern selbst davon aus, dass der Beklagte – dauerhaft – an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Nach den Ergebnissen des Strafverfahrens resultiert die Gesundheitsschädigung des Klägers auch nicht aus einem singulären psychotischen Schub beim Beklagten, der zu einem Angriff geführt hätte, sondern aus einem (ein Jahr übersteigenden) Dauerzustand, sodass es insoweit am Tatbestandselement der vorübergehenden Sinnesverwirrung mangelt.
[37] Wie eingangs dargelegt knüpfen Rechtswidrigkeit und Verschulden im Rahmen des § 1307 ABGB zudem an das (schuldhafte) Versetzen in einen Zustand der Sinnesverwirrung an, etwa eine Berauschung, sohin grundsätzlich ein aktives Tun. Die unterlassene Einnahme von Medikamenten, die eine dauernde psychische Grunderkrankung bzw deren Symptome verstärkt, kann dem aber wertungsmäßig nicht gleichgehalten werden.
[38] Selbst wenn man auch einen akuten, aber länger andauernden psychotischen Schub als Anwendungsfall des § 1307 ABGB verstehen würde, lässt die Revision schließlich offen, inwiefern das (in der Revision zeitlich nicht konkretisierte) Absetzen von Medikamenten dem Beklagten objektiv sowie subjektiv im Sinne eines Verschuldens vorgeworfen werden könnte. Zum einen kann schon nicht unterstellt werden, dass die Einnahme von Psychopharmaka in der konkreten Situation objektiv geboten war, zumal kein allgemeines Rechtsgebot besteht, um die Verhinderung von Schäden bemüht zu sein (vgl RS0022458 [T3]). Zum anderen werden die subjektiven Fähigkeiten gemäß § 1297 ABGB nur bei einer Person vermutet, „welche den Verstandesgebrauch besitzt“; dem, der gewöhnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, ist das subjektive Verschulden nachzuweisen (vgl Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1294 Rz 21, § 1310 Rz 11).
[39] 5. Im Ergebnis kommt eine Haftung des Beklagten nach § 1307 ABGB schon ausgehend vom Klagsvorbringen nicht in Betracht, sodass auch keine sekundären Feststellungsmängel vorliegen und die Klagsabweisung zu bestätigen war.
[40] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.
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