OGH 12Os29/25v

OGH12Os29/25v2.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. April 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Haslwanter LL.M., Dr. Sadoghi und Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Vogel in der Strafsache gegen * H* wegen Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 319 Hv 70/24g des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Jugendgeschworenengericht vom 17. Oktober 2024, GZ 319 Hv 70/24g-149.6, und weiterer Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, des Angeklagten und seines gesetzlichen Vertreters zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00029.25V.0402.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Jugendstrafsachen

 

Spruch:

 

Im Verfahren des Landesgerichts Korneuburg als Jugendgeschworenengericht, AZ 319 Hv 70/24g, verletzt

I./ die Fassung der Hauptfragen 1./ bis 32./ und 39./ bis 43./ durch den Schwurgerichtshof § 312 Abs 1 StPO und

II./ das auf dem Wahrspruch zu diesen Fragen beruhende Urteil vom 17. Oktober 2024

1./ in den Schuldsprüchen I./ und III./ § 278b Abs 2 und Abs 3 StGB,

2./ in den Schuldsprüchen II./ und IV./ § 278a StGB und

3./ im Schuldspruch VII./ § 283 Abs 1 und Abs 2 StGB.

Der Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen 1./ bis 32./ und 39./ bis 43./, der im Übrigen unberührt bleibt, und das darauf beruhende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen I./ bis IV./ und VII./ sowie demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) ebenso aufgehoben wie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg als Jugendgeschworenengericht verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit rechtskräftigem, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Jugendgeschworenengericht vom 17. Oktober 2024, GZ 319 Hv 70/24g-149.6, wurde * H* der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I./ und III./), der Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II./ und IV./), der Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 VerbotsG (V./), der Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 2 StGB (VII./), der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (VIII./ und IX./) und des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB (XI./) schuldig erkannt. Mit unter einem gefassten Beschluss widerrief das Landesgericht Korneuburg die mit Urteil dieses Gerichts zu AZ 312 Hv 43/22g gewährte bedingte Strafnachsicht.

[2] Danach hat er – soweit hier von Bedeutung –

I./ sich von 18. März 2023 bis 14. Oktober 2023 in M* und an anderen Orten als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer „terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB), nämlich der in der UN-Sanktionsliste aufscheinenden Terrororganisation IS‑Islamic State“ (in der Folge: „IS“), auf sonstige Weise in dem Wissen beteiligt, durch seine Beteiligung diese terroristische Vereinigung oder deren strafbare Handlungen zu fördern, indem er die im Urteil im Einzelnen beschriebenen Bilder und Videos (I./A./ bis I./AA./) über seine Accounts in den sozialen Netzwerken TikTok und Instagram veröffentlichte, zwei Videos einer Selbstdarstellung unterlegt mit einem „Nasheed“ (Lobgesang) des IS an eine andere Person versendete (I./AB./) und ein Video von sich erstellte, in dem er sich mit erhobenem „Tauhid-Finger“ zur Schau stellt (I./AC./);

II./ sich von 18. März 2023 bis 14. Oktober 2023 in M* und an anderen Orten durch die unter (richtig:) I./ angeführten Handlungen an der aus jedenfalls mehr als zehn Mitgliedern bestehenden Gruppierung „IS‑Islamic State (IS), sohin an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung“ einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kräfte die Zerstörung des syrischen und irakischen Staats betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet oder vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet, durch all diese Straftaten eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge, insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaues, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt, in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch diese Vereinigung unter anderem in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels fördert;

III./ sich zumindest am 18. Oktober 2023 als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer „terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB), nämlich der Terrororganisation Hamas, die darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird“, auf sonstige Weise in dem Wissen beteiligt, durch seine Beteiligung diese terroristische Vereinigung oder deren strafbare Handlungen zu fördern, indem er mit dem Ziel, hierdurch Propaganda für die Hamas zu betreiben und diese terroristische Vereinigung und ihre Mitglieder psychisch zu unterstützen, „und zwar dadurch, dass er“ eine Bild- und Video-Datei mit Bezug zur Hamas auf seinem Smartphone erstellte, speicherte, veränderte und auf verschiedenen Social-Media-Accounts veröffentlichte bzw über diese Accounts an andere Personen verteilte, „indem er“ am 18. Oktober 2023 auf der Plattform Instagram über seinen Account „muwahid.02“ „eine bildliche Darstellung eines Bodycam-Videos“, welches einen Hamas-Terroristen beim Stürmen einer jüdischen bzw israelischen Siedlung zeigt, mit dem darauffolgenden Schriftzug „Glaube nicht, dass diejenigen, die auf dem Weg Allahs getötet wurden, tot sind“, „wobei der Hamas-Terrorist getötet wurde“, veröffentlichte;

IV./ sich am 18. Oktober 2023 in M* und an anderen Orten durch die unter (richtig:) III./ angeführten Handlungen an der aus jedenfalls mehr als zehn Mitgliedern bestehenden Gruppierung „Hamas, sohin an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung“ einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, indem sie zumindest seit 7. Oktober 2023 unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kräfte die Zerstörung des israelischen Staats betreibt, „da“ diese bei einem Terrorangriff die israelische Sperranlage um den Gazastreifen überwanden und etwa 1.200 Menschen töteten, sich „dabei“ unter anderem durch illegale Transfers und Geldwäsche finanzieren, durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang anstreben und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge in Israel einschüchtern, in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch diese Vereinigung in ihrem Ziel, den Staat Israel zu vernichten und einen radikal-islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels fördert;

VII./ „auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird“, zu Gewalt gegen eine der im Urteil beschriebenen, in § 283 Abs 1 Z 1 StGB aufgelisteten Gruppen aufgefordert, zu Hass gegen sie aufgestachelt und mit der Absicht, die Menschenwürde „einer dieser Gruppen“ zu verletzen, diese auf eine Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, indem er vom 26. Februar 2022 bis zum 10. Oktober 2023 von ihm erstellte, gespeicherte und veränderte im Urteil näher beschriebene Bild- und Video- Dateien über seinen Account bei Instagram veröffentlichte und über WhatsApp an Gruppen und unbekannte Personen versendete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Fragestellung an die Geschworenen sowie das Urteil vom 17. Oktober 2024 (ON 149.6) in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[4] Vorauszuschicken ist, dass im geschworenengerichtlichen Verfahren der im Urteil wiederzugebende (§ 342 dritter Satz StPO) Wahrspruch – also die Antwort der Geschworenen auf die an sie gestellten Fragen – das tatsächliche Korrelat zur Subsumtion nach § 260 Abs 1 Z 2 (iVm § 302 Abs 1) StPO darstellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613; RIS-Justiz RS0101469).

[5] Der Wahrspruch bildet dann eine geeignete Urteilsbasis, wenn die an die Geschworenen gerichteten Fragen die Rückführung der zu beurteilenden Rechtsbegriffe auf den (entscheidenden) Sachverhalt aus sich selbst heraus ermöglichen. In den Fragen an die Geschworenen sind daher die konkreten Tatumstände, welche die gesetzlichen Merkmale verwirklichen, anzuführen; gegebenenfalls bedarf es auch einer (sachverhaltsmäßigen) Auflösung vom Tatbestand verwendeter, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe (vgl RIS‑Justiz RS0100780, RS0119082; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616 und § 345 Rz 28; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 19 und 21).

[6] Die Notorietät einer Tatsache entbindet zwar von einem darauf bezogenen Beweisverfahren (und außerhalb des geschworenengerichtlichen Verfahrens, in dem ohnehin keine Begründungspflicht besteht, von einer darüber hinausgehenden Begründung), nicht jedoch von deren Feststellung (RIS-Justiz RS0098570 [insbesondere T20]; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 463).

[7] Die Pflicht zu anklagekonformen Hauptfragen beinhaltet im Übrigen keineswegs eine solche zu deren unkritischer Übernahme aus dem Anklagesatz (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) ohne Ergänzung um für die vom Ankläger angestrebte Subsumtion erforderliche Sachverhaltselemente (RIS‑Justiz RS0123131; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 47 ff).

[8] 1./ Gegenständlich ist in den Hauptfragen 1./ bis 29./ und 31./ (in Richtung Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB) sowie im dazu ergangenen (diese Fragen bejahenden) Wahrspruch der Geschworenen die gebotene sachverhaltsmäßige Auflösung des vom Tatbestand verwendeten, in § 278b Abs 3 StGB definierten Begriffs „terroristische Vereinigung“ unterblieben. Darunter ist ein auf zumindest mehrere Wochen angelegter Zusammenschluss von wenigstens drei Personen zum Zweck der Ausführung einer oder mehrerer terroristischer Straftaten (§ 278c StGB) oder des Betreibens von Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) zu verstehen (Plöchl in WK² StGB § 278b Rz 7). Konkrete Tatsachen zur Beurteilung dieser Voraussetzungen enthält der im Wesentlichen auf die Bezeichnung des Eigennamens der Vereinigungen „IS-Islamic State“ (vgl RIS-Justiz RS0120637 [insbesondere T4]) und „Hamas“ beschränkte – lediglich durch den Hinweis auf das Aufscheinen des IS in der UN-Sanktionsliste (zur diesbezüglichen Irrelevanz vgl aber RIS-Justiz RS0130634) bzw durch Wiedergabe der verba legalia (vgl aber RIS‑Justiz RS0100686 [insbesondere T10]) zur terroristischen Ausrichtung der Hamas ergänzte – Wahrspruch nicht.

[9] Wiederholte Beitragshandlungen (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 StGB) des Täters an derselben terroristischen Vereinigung sind als tatbestandliche Handlungseinheit anzusehen und in einer Frage zusammenzufassen, wenn sie – was zu I./ schon aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs indiziert ist – von einem kontinuierlichen „Mitwirkungsvorsatz“ getragen wurden (vgl RIS-Justiz RS0124166 [T1]; Sadoghi, SbgK § 278b Rz 151 f; Plöchl in WK² StGB § 278b Rz 17 und § 278 Rz 71; vgl auch Lässig, WK-StPO § 312 Rz 16 und Ratz, WK-StPO § 345 Rz 37). Demnach wäre betreffend Anklagefaktum A./I./ in Richtung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nur eine Hauptfrage und nicht 29 solcher Schuldfragen zu stellen gewesen (zur Fragestellung bei tatbestandlicher Handlungseinheit jüngst 12 Os 31/23k).

[10] Die Fassung der Hauptfragen 1./ bis 29./ und 31./ durch den Schwurgerichtshof verletzt daher § 312 Abs 1 StPO. Die auf dem Wahrspruch der Geschworenen zu diesen Fragen beruhenden Schuldsprüche I./ und III./ verstoßen gegen § 278b Abs 2 und Abs 3 StGB.

[11] 2./ In den Hauptfragen 30./ und 32./ (in Richtung Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB) und im dazu ergangenen Wahrspruch fehlt eine Beschreibung des eine unternehmensähnliche Verbindung kennzeichnenden Organisationsgrades (arbeitsteiliges Vorgehen, hierarchischer Aufbau, Vorhandensein einer gewissen Infrastruktur [vgl Plöchl in WK² StGB § 278a Rz 6; RIS-Justiz RS0095824]). Das Anführen des Eigennamens der Organisationen („IS‑Islamic State“ und „Hamas“) vermag dieses Defizit auch hier nicht zu beseitigen. Überdies lassen Fragen und Wahrspruch die im Tatbestand des § 278a StGB enthaltene Wortfolge „als Mitglied“ vermissen.

[12] Damit verletzen die Hauptfragen 30./ und 32./ durch den Schwurgerichtshof § 312 Abs 1 StPO und die auf dem Wahrspruch der Geschworenen zu diesen Fragen beruhenden Schuldsprüche II./ und IV./ § 278a StGB.

[13] 3./ Den Grundtatbestand des § 283 Abs 1 StGB verwirklicht, wer die in § 283 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StGB beschriebenen Taten öffentlich auf eine Weise begeht, dass es vielen Menschen zugänglich wird. Öffentliche Begehung setzt voraus, dass die Tathandlung unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann (§ 69 StGB; Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 14). Unter dem Begriff „viele Menschen“ ist keine bestimmte Anzahl zu verstehen, als Richtwert können 30 Personen angenommen werden (RIS‑Justiz RS0131087). Zugänglich wurde die Handlung, wenn die konkrete Gefahr bestanden hat, dass sie viele Menschen erreicht; das tatsächliche Erreichen ist hingegen nicht erforderlich (vgl Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 15).

[14] Die tatbestandsessentielle Publizität wird bei einer allgemein zugänglichen Homepage sowie bei Forenbeiträgen in Online-Medien (im Regelfall) als gegeben angesehen. Bei Diskussionsforen im Internet, insbesondere bei geschlossenen Gruppen, passwortgeschützten Newsgroups oder gesperrten Foren hängt es davon ab, ob der konkrete Empfängerkreis den geforderten Richtwert erreicht. Ebenso kommt es bei E-Mails oder Nachrichten im Wege von „Social Media“ (zB WhatsApp) darauf an, ob die Versendung an entsprechend viele Empfänger erfolgt ist (Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 16).

[15] § 283 Abs 2 StGB normiert eine Qualifikation für den Fall der Begehung einer Tat nach § 283 Abs 1 StGB in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise, wodurch die in § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Handlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden. Eine „breite Öffentlichkeit“ ist nur bei einer den größeren Personenkreis erheblich überschreitenden Vielzahl von Menschen – etwa 150 Personen – gegeben (Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari StGB14 § 283 Rz 7).

[16] Dass die Taten in einer solchen höher qualifizierten Öffentlichkeit begangen worden seien, ist dem Wahrspruch zu den Hauptfragen 39./ bis 43./ nicht zu entnehmen. Jedoch auch der zu diesen Fragen festgestellte Sachverhalt, wonach der Verurteilte „öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird“, handelte, erschöpft sich in einem unsubstantiierten Gebrauch der verba legalia ohne gebotenen Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090). Alleine aus der Beschreibung der Veröffentlichung auf der Plattform „Instagram“ (Hauptfragen 39./ bis 42./) ist nichts zu gewinnen, weil die Zugänglichkeit der Beiträge (auf einzelne Personen oder Gruppen) auch eingeschränkt worden sein kann. Gleiches gilt für die konstatierte Versendung von Bildern per WhatsApp „an Gruppen und nicht mehr feststellbare Personen“ (Hauptfrage 43./).

[17] Die Fassung der Hauptfragen 39./ bis 43./ durch den Schwurgerichtshof verletzt daher § 312 Abs 1 StPO, korrespondierend dazu verstößt der auf dem Wahrspruch der Geschworenen zu diesen Fragen beruhende Schuldspruch VII./ gegen § 283 Abs 1 und Abs 2 StGB.

[18] Da ein aus den aufgezeigten Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung die im Spruch ersichtliche konkrete Wirkung zu verleihen (§ 292 letzter Satz StPO).

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