European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00040.25B.0328.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
II. Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für Gesundheitsschäden, die sie durch die Verwendung eines fehlerhaften Beatmungsgeräts im Zeitraum November 2019 bis September 2021 erlitten habe. Das Beatmungsgerät habe die Zweitbeklagte hergestellt, die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika habe. Die Erstbeklagte sei die Importeurin dieses Geräts, die Drittbeklagte Bevollmächtigte im Sinn der VO (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MP‑VO).
Rechtliche Beurteilung
[2] Die Vorinstanzen verneinten die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für das Verfahren gegen die Zweitbeklagte.
[3] I. 1. In ihremaußerordentlichen Revisionsrekurs zeigt dieKlägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf. Der Oberste Gerichtshof hat in ganz vergleichbar gelagerten Parallelverfahren bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Verneinung der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für die gegen die zweitbeklagte Herstellerin gerichteten Ansprüche nicht korrekturbedürftig ist (3 Ob 200/23t, 3 Ob 129/24b, 8 Ob 126/24y, 9 Ob 93/24b und jüngst 2 Ob 29/25s). Die zentralen Aussagen dieser Entscheidungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
[4] 2. Die behauptete örtliche und internationale Zuständigkeit für die gegen die zweitbeklagte Herstellerin gerichteten Ansprüche ist in Anwendung des § 27a Abs 1 JN iVm § 41 Abs 2 JN auf Basis der Angaben der Klägerin zu prüfen.
[5] 2.1. Die Klägerin wirft der Zweitbeklagten (zusammengefasst) die Unterlassung pflichtgemäßen Verhaltens – gestützt auf eine Produktbeobachtungspflicht sowie eine Vigilanzverpflichtung nach der RL 93/42/EWG über Medizinprodukte, nach dem Medizinproduktegesetz 1996 (MPG 1996), der MP‑VO und dem Medizinproduktegesetz 2021 (MPG 2021) – vor, wobei das haftungsauslösende Ereignis am Wohnort der Klägerineingetreten sei.
[6] 2.2. Bei Unterlassungen ist Handlungsort der Ort, an dem zu handeln gewesen wäre. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, für pflichtwidrige Unterlassungen der Zweitbeklagten in Österreich bestünde kein ausreichender Anknüpfungspunkt, ist nicht korrekturbedürftig (9 Ob 93/24b Rz 15 f).
[7] 2.3. Auch in Bezug auf die von der Klägerin behaupteten Verletzungen der Vigilanzverpflichtung der Zweitbeklagten ist ihrem Vorbringen zur örtlichen und internationalen Zuständigkeit kein schlüssiger Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die Zweitbeklagte diese (ihr als pflichtwidrig vorgehaltenen) unterlassenen Handlungen am Ort der Verwendung des Beatmungsgeräts (Wohnort der Klägerin) hätte setzen müssen.
[8] 2.3.1. Die umfangreiche Anforderungen an Medizinprodukte vorsehenden Vorschriften des MPG 1996, mit dem die bis 25. 5. 2021 in Geltung gestandene RL 93/42/EWG umgesetzt wurde, knüpfen an das erstmalige Inverkehrbringen in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an. Dieses erstmalige Inverkehrbringen war gemäß § 7 Abs 1 MPG 1996 – neben anderen Voraussetzungen – nur dann zulässig, wenn der dafür „Verantwortliche“ (der Hersteller, dessen Bevollmächtigter oder der Importeur – vgl § 2 Abs 12 MPG 1996) seinen Sitz in einer Vertragspartei des Abkommens über den EWR hatte. Sämtliche Vorschriften über die Verantwortlichkeit und Zusammenarbeit sowie Überprüfungs- und Meldepflichten (auch) betreffend die „post-market-surveillance“, die in Konformitätsbewertungsverfahren näher geregelt sind, richteten sich an denjenigen, der seinen Sitz im „Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ hatte. Eine unmittelbare Mitteilungs- oder Verständigungspflicht über „Zwischenfälle“ (Fehlfunktionen oder Mängel des Produkts, die geeignet sind, den Gesundheitszustand eines Patienten zu verschlechtern) an die Patienten lässt sich diesen Normen hingegen nicht entnehmen (9 Ob 93/24b Rz 18 mwN).
[9] 2.3.2. Dass (auch) die Zweitbeklagte als in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Herstellerin im Jahr 2015 nach dem damals anwendbaren MPG 1996 in das europaweit geltende Medizinprodukteüberwachungs- und ‑meldesystem derart eingebunden gewesen wäre (und Pflichten daraus verletzt hätte), dass sie eine am Wohnort der Klägerin zu erfüllende Verständigungspflicht unterlassen hätte, hat diese nicht behauptet. Anhaltspunkte dafür sind nicht erkennbar (9 Ob 93/24b Rz 19).
[10] 2.3.3. Die Zweitbeklagte ist von § 70 Abs 3 MPG 1996 nicht erfasst, weil sie als Herstellerin des Beatmungsgeräts dieses Medizinprodukt nicht im EWR erstmalig in Verkehr gebracht hat (9 Ob 93/24b Rz 20).
[11] 2.3.4. Zur seit dem 26. 5. 2021 geltenden MP‑VO ist die Ansicht der Vorinstanzen vertretbar, die Klägerin habe erstinstanzlich kein hinreichendes Vorbringen zu einer gerade in Österreich und im Sprengel des Erstgerichts begangenen Unterlassung erstattet. Insbesondere ist Art 10 Abs 12 MP‑VO auch im Fall eines Rückrufs keine Pflicht der Herstellerin zum unmittelbaren Tätigwerden an jedem einzelnen Einsatzort des Medizinprodukts zu entnehmen. Soweit die Klägerin erstmals im Rekurs eine unterlassene Verständigung des BASG als haftungsbegründend anführte, handelte es sich – wie schon das Rekursgericht anmerkte – um eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung (vgl 9 Ob 93/24b Rz 21 mwN).
[12] 2.3.5. Soweit die Klägerin im Revisionsrekurs (erstmals) auf das ProduktsicherheitsG 2004 (PSG 2004) Bezug nimmt, übersieht sie, dass dieses Gesetz gegenüber dem MPG 1996 und der MP‑VO nur subsidiär anwendbar ist (§ 2 PSG 2004 iVm Art 1 Abs 2 RL 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit). Darüber hinaus definiert es in § 3 Z 4 PSG 2004 als nach diesem Gesetz verpflichtete Hersteller nur diejenigen Produzenten, die ihren Sitz in der EU („Gemeinschaft“) haben. Bei einem Produzenten mit Sitz außerhalb der EU ist dessen Vertreter mit Sitz in der EU oder sonst der Importeur der „Hersteller“ und damit derjenige, den die Pflichten nach dem PSG 2004 treffen. Auf dieses Gesetz kann die Haftung der Zweitbeklagten daher ebenfalls nicht gestützt werden (8 Ob 126/24y Rz 20).
[13] 2.3.6. Es besteht kein Anlass, die Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union aufzugreifen. Die ersten vier der von der Klägerin in ihrem Revisionsrekurs formulierten Fragen laufen im Kern auf eine Auslegung der Bestimmung des Art 10 Abs 1 der RL 93/42/EWG hinaus, die in Österreich in § 70 MPG 1996 umgesetzt wurde. Da der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten bei der Umsetzungder erforderlichen Maßnahmen nach Erhalt von Informationen über Vorkommnisse nach dem Inverkehrbringen einen sehr großen Umsetzungsspielraum ließ, sieht der Senat in der nationalen Umsetzung des Art 10 Abs 1 RL 93/42/EWG keine Verletzung der Richtlinie. Die weitere Frage nach einem möglichen Verstoß gegen den Effizienzgrundsatz, wenn ein Mitgliedsstaat in der vorliegenden Konstellation die internationale Zuständigkeit verneint, bezieht sich nicht auf die hier anzuwendenden materiell-rechtlichen Bestimmungen (9 Ob 93/24b Rz 23 und 8 Ob 126/24y Rz 21).
[14] 3. Die Klägerin zeigt im Revisionsrekurs keine Gründe für ein Abgehen von dieser soeben zusammengefasst wiedergegebenen Rechtsprechung auf. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
[15] II. 1. Über den von der Klägerin gestellten Eventualantrag auf Ordination ist in der für die Behandlung des Rechtsmittels vorgesehenen Besetzung zu entscheiden (RS0124243).
[16] 2. Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln, so hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.
[17] 3. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN sind nach § 28 Abs 4 zweiter Satz JN vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen (RS0124087 [T3]). Diese Bestimmung soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RS0124087 [T4]).
[18] 4. Die Klägerin führt in ihrem Ordinationsantrag lediglich aus, die Rechtsverfolgung gegenüber der Zweitbeklagten sei „im Ausland unmöglich und unzumutbar“, weil keine Gerichtsstandsvereinbarung vorliege und auch „völkerrechtliche Bestimmungen“ fehlten. Es bestehe „das Risiko, dass das Erstgericht die inländische Gerichtsbarkeit verneint, weshalb auch dann die Voraussetzungen der mangelnden örtlichen Zuständigkeit des österreichischen Gerichts“ vorlägen. Damit zeigt die Klägerin aber nicht auf, aus welchen Gründen die Rechtsverfolgung gegen die Zweitbeklagte in den Vereinigten Staaten von Amerika für sie unmöglich oder unzumutbar sein sollte.
[19] 5. Der für den – aufgrund der unter einem erfolgten Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses bereits eingetretene – Fall der rechtskräftigen Verneinung der Zuständigkeit gestellte Ordinationsantrag war daher abzuweisen.
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