European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00115.24F.0328.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein aufrechter Stromliefervertrag für die Wohnadresse des Klägers in L* (Niederösterreich), und zwar seit 1. 10. 2022 im Rahmen der Grundversorgung. Diesem Vertrag liegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Strom (AGB Strom) der Beklagten zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
„8. Änderungen von Entgelten
8.1. V* ist zu Änderungen der vertraglich vereinbarten Entgelte von Kund:innen, die Verbraucher:innen im Sinne des KSchG oder Kleinunternehmer:innen (§ 7 Abs 1 Z 33 ElWOG 2010) sind, ausschließlich gemäß den nachstehenden wörtlich angeführten gesetzlichen Bestimmungen des § 80 Abs 2, 2a und 2b ElWOG 2010 berechtigt. V* ist verpflichtet, sich bei Entgeltänderungen gegenüber Verbraucher:innen im Sinne des KSchG und Kleinunternehmer:innen an diese gesetzlichen Bestimmungen zu halten.
8.2. § 80 Abs 2 ElWOG 2010 lautet wörtlich: Änderungen der Geschäftsbedingungen und der vertraglich vereinbarten Entgelte sind dem Kunden schriftlich in einem persönlich an ihn gerichteten Schreiben oder auf dessen Wunsch elektronisch mitzuteilen. In diesem Schreiben sind die Änderungen der Allgemeinen Bedingungen nachvollziehbar wiederzugeben. Gleichzeitig ist der Kunde darauf hinzuweisen, dass er berechtigt ist, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären.
8.3. § 80 Abs 2a ElWOG 2010 lautet wörtlich: Änderungen der vertraglich vereinbarten Entgelte von Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmern mit unbefristeten Verträgen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen. Bei Änderung oder Wegfall des Umstands für eine Entgelterhöhung hat eine entsprechende Entgeltsenkung zu erfolgen. Verbraucher und Kleinunternehmer müssen über Anlass, Voraussetzung, Umfang und erstmalige Wirksamkeit der Entgeltänderungen auf transparente und verständliche Weise mindestens ein Monat vor erstmaliger Wirksamkeit der Änderungen schriftlich in einem persönlich an sie gerichteten Informationsschreiben oder auf ihren Wunsch elektronisch informiert werden. Gleichzeitig sind Verbraucher und Kleinunternehmer darauf hinzuweisen, dass sie berechtigt sind, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären. Versorger haben dabei von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellte Musterformulierungen zu verwenden.
8.4. § 80 Abs 2b ElWOG 2010 lautet wörtlich: Im Falle einer Kündigung gemäß Abs. 2 oder 2a endet das Vertragsverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen bzw. Entgelten mit dem nach einer Frist von drei Monaten folgenden Monatsletzten ab Wirksamkeit der Änderungen, sofern der Kunde bzw. Verbraucher oder Kleinunternehmer nicht zu einem früheren Zeitpunkt einen neuen Lieferanten (Versorger) namhaft macht und von diesem beliefert wird. Der Versorger hat Verbraucher in einem gesonderten Schreiben über das Recht der Inanspruchnahme der Grundversorgung gemäß § 77 transparent und verständlich aufzuklären, wobei in diesem auch die Kontaktdaten der Anlauf‑ und Beratungsstellen gemäß § 82 Abs. 7 sowie der Schlichtungsstelle der Regulierungsbehörde anzuführen sind. Für das Schreiben sind von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellte Musterformulierungen zu verwenden.
8.5. Entgeltänderungen gemäß Punkt 8 können gegenüber Verbraucher:innen im Sinne des KSchG frühestens nach Ablauf von 2 Monaten ab Vertragsabschluss erfolgen. Eine Entgeltänderung ist ausgeschlossen, solange eine Preisgarantie vereinbart ist.
8.6. Gegenüber Kund:innen, die keine Verbraucher:innen im Sinne des KSchG oder Kleinunternehmer:innen (§ 7 Abs 1 Z 33 ElWOG 2010) sind, ist V* berechtigt, die Entgelte nach Maßgabe der Punkte 8.1 bis 8.4 sinngemäß anzupassen.
[…]
15. Grundversorgung
Diese AGB gelten auch für Kund:innen, die die Grundversorgung in Anspruch nehmen. Im Übrigen gelten für die Grundversorgung die jeweiligen landesgesetzlichen Bestimmungen.“
[2] Mit E‑Mail vom 19. 1. 2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass mit erstmaliger Wirkung zum 1. 3. 2023 der im Rahmen der Grundversorgung verrechnete Tarif von 15,59 Cent/kWh auf 28,68 Cent/kWh, somit um 83,96 % angehoben werde, wobei die Nachricht auszugsweise folgenden Inhalt aufwies:
„Ihr Preis wird aus folgendem Anlass bzw aufgrund folgender Umstände geändert:
Sie werden von der V* AG zum allgemeinen Tarif für die Grundversorgung gemäß § 77 Elektrizitätswirtschafts‑ und ‑organisationsgesetz (ElWOG 2010) beliefert. Mit Wirksamkeit zum 01.03.2023 erhöht V* aufgrund der stark gestiegenen Großhandelspreise und der damit einhergehenden gestiegenen Beschaffungskosten die Energiepreise für End‑Kund:innen, die von V* beliefert werden. Der allgemeine Tarif der Grundversorgung wird von V* gemäß den anwendbaren gesetzlichen Vorgaben berechnet. Die Preiserhöhung bei Bestand‑Kund:innen führt zu einer Anpassung des allgemeinen Tarifs der Grundversorgung. Diese Anpassung ist Anlass für die oben angeführte Erhöhung Ihres Grundversorgungs‑Tarifs.
Die Preisänderung richtet sich nach der gesetzlichen Bestimmung des § 80 Abs 2a ElWOG 2010, und muss daher in einem angemessenen Verhältnis zu den eben genannten Umständen bzw Anlässen stehen.
Die Preiserhöhung entspricht den anwendbaren gesetzlichen Vorgaben zur Berechnung des allgemeinen Grundversorgungs-Tarifs.“
[3] Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit dieser Anhebung des allgemeinen Tarifs für die Grundversorgung mit elektrischer Energie. Eine transparente Information über Anlass, Voraussetzung und Umfang der Preiserhöhung liege nicht vor. Die Anhebung der Tarife gegenüber Bestandskunden, die im Übrigen selbst (aus näher genannten Gründen) unwirksam sei, rechtfertige keine Anhebung des Grundversorgungstarifs, zumal lediglich eine Tarifobergrenze, aber keine gesetzlichen Vorgaben zur Anpassung dieses Tarifs bestünden. Die Bestimmung des § 80 Abs 2a ElWOG 2010, die bei gegenteiliger Auslegung verfassungs- und unionsrechtswidrig wäre, enthalte kein gesetzliches Recht zur einseitigen Preisanpassung, sondern setze eine diesbezügliche vertragliche Vereinbarung voraus. Die Beklagte habe sich in den AGB kein solches Recht vorbehalten, hilfsweise verstoße die diesbezügliche Regelung gegen § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG.
[4] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die Tarifanhebung entspreche den Vorgaben des § 80 Abs 2a ElWOG 2010, der ein den Regeln des KSchG vorgehendes gesetzliches Preisanpassungsrecht enthalte. Der Grundversorgungstarif sei gesetzlich an die „Normalkundentarife“ iSd § 77 Abs 2 ElWOG 2010 gebunden und unterliege daher regelmäßigen Schwankungen. Die in ihren AGB getroffene vertragliche Regelung sei weder gröblich benachteiligend noch intransparent.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Klagsstattgebung ab. Die in Punkt 8.1. der AGB vereinbarte Ermächtigung der Beklagten zur Änderung der vertraglichen Entgelte sei völlig unbestimmt und uneingeschränkt. Der zitierte § 80 Abs 2a ElWOG 2010 lege ebenfalls keine Parameter für die Entgeltänderungen fest, sondern bestimme insofern nur, dass Änderungen in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderungen maßgebenden Umstand stehen müssten. Durch das der Beklagten eingeräumte Recht zur Änderung der Preise ohne jegliche Determinierung, unter welchen Umständen eine Änderung erfolgen könnte, werde die subjektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung zum Nachteil des Verbrauchers merklich gestört. Inhalt und Ausmaß der Änderungen blieben nach der Klausel völlig offen und dem alleinigen Willen der Beklagten im Hinblick auf Zeitpunkt, Umstände und Ausmaß überlassen, was die Regelung gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB und damit zur Gänze nichtig mache.
[7] Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Die Revision ließ es zu, weil zur Frage der Preisänderung gemäß § 80 Abs 2a ElWOG 2010 keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege und die Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.
[8] Die Beklagte strebt in ihrer Revision die Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens an. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[9] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
[11] 1.1. Nach § 77 Abs 1 ElWOG 2010 sind Stromhändler und sonstige Lieferanten, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden gehört, verpflichtet, zu ihren geltenden AGB und zu einem von ihnen veröffentlichten Tarif Verbraucher und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern. § 77 Abs 2 erster Satz ElWOG 2010 sieht dabei vor, dass der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl der Kunden des Versorgers, die Verbraucher sind, versorgt werden.
[12] Diese Grundsatzbestimmung iSd Art 12 B‑VG Abs 1 Z 2 B‑VG wurde in Niederösterreich durch § 45 Abs 4 bis 8 NÖ ElWG ausgeführt.
[13] 1.2. § 77 Abs 1 und Abs 2 erster Satz ElWOG 2010 konkretisieren das in Art 27 EBRL 2019 (Richtlinie [EU] 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU ) verankerte Recht aller Haushaltskunden (Verbraucher) auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen (VfGH G 1102/2023 ua). Der Anspruch auf Grundversorgung ist demnach von der Schutzbedürftigkeit des Kunden unabhängig (8 Ob 110/23v).
[14] 1.3. Bei der in § 77 Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 vorgesehenen Tarifobergrenze handelt es sich nicht um eine Preisregelung iSd Art 5 EBRL 2019, sondern um eine Konkretisierung des Rechts auf Grundversorgung zur Sicherstellung, dass diese zu diskriminierungsfreien Preisen erfolgt. Der Versorger entscheidet – insoweit allein unter der Vorgabe, dass dieser Tarif nicht höher sein darf als jener, zu dem der Versorger die größte Anzahl seiner Haushaltskunden beliefert – selbst über den Tarif (VfGH G 1102/2023 ua).
[15] 1.4. Weder das ElWOG 2010 noch das NÖ ElWG 2005 enthält eine gesetzliche Bestimmung, wonach der Grundversorgungstarif mit dem in § 77 Abs 2 erster Satz ElWOG 2010 und § 45 Abs 4 erster Satz NÖ ElWG als Tarifobergrenze festgelegten „Normalkundentarif“ schwanken, also sich im selben Ausmaß verändern sollte wie diese Bezugsgröße. Die in der Revision vertretene Rechtsauffassung in diesem Sinne stünde im Widerspruch dazu, dass bloß eine Tarifobergrenze und kein gesetzlich vorgegebener Tarif normiert ist, und ist daher unzutreffend.
[16] Vielmehr kommt beim Grundversorgungstarif in gleicher Weise wie bei anderen Tarifen § 80 Abs 2a ElWOG 2010 zur Anwendung, wo die Möglichkeit des Versorgers zur Anpassung seiner Tarife geregelt ist (VfGH G 1102/2023 ua).
[17] 2.1. Zu § 80 Abs 2 erster Satz ElWOG 2010 in der Stammfassung entsprach es gesicherter Rechtsprechung, dass diese Bestimmung kein einseitiges Recht zur Entgelt- und Vertragsänderung einräumte. Ein „Sonderprivatrecht im Energieversorgungssektor“ wurde verneint (3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i; 9 Ob 46/21m).
[18] 2.2. Durch die Novelle BGBl I 2022/7 entfiel der erste Satz des § 80 Abs 2 ElWOG 2010 und die derzeit geltenden Absätze 2a, 2b und 5 wurden in § 80 ElWOG 2010 eingefügt.
[19] 2.3. Zur Auslegung des am 15. 2. 2022 in Kraft getretenen § 80 Abs 2a ElWOG 2010 existiert Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur insofern, als geklärt ist, dass diese Bestimmung selbst dann nicht auf eine unbedingte ordentliche Kündigung anzuwenden ist, wenn damit ein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen verbunden wird (RS0134778). Zur Beantwortung der hier maßgeblichen Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG 2010 ein gesetzliches Preisänderungsrecht des Lieferanten normiert oder eine vertragliche Änderungsregel, etwa einen Änderungsvorbehalt in den AGB, voraussetzt, ist dieser Judikatur – entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung – nichts zu entnehmen (vgl weiters 3 Ob 90/22i; 3 Ob 26/24f).
[20] 3. Im Schrifttum ist umstritten, ob § 80 Abs 2a ElWOG 2010 ein gesetzliches Preisänderungsrecht normiert.
[21] 3.1. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien – diese bestehen im Wesentlichen aus einem Abänderungsantrag im Plenum des Nationalrats (AA‑217 BlgNR 27. GP , 7), in dessen Begründung wiederholt von einem gesetzlichen Preisänderungsrecht die Rede ist – wird dies von Hauenschild (Preisanpassungen bei Stromlieferungen – erste Überlegungen zum neuen § 80 ElWOG, ecolex 2022/123, 189), Oberndorfer (Zum neuen AGB‑ und Preisänderungsrecht der Stromlieferanten im ElWOG, wbl 2022, 545 [548]), C. Schneider (Der Strompreis und das Recht, wbl 2022/292, 373), Saria (ZTR 2022, 111 [Glosse zu 5 Ob 103/21i]; ZTR 2022, 171 [Glosse zu 9 Ob 46/21m]; ZTR 2022, 242 [Glosse zu 3 Ob 90/22i]) und Liewehr (Zur Rechtmäßigkeit von Preisänderungen in Energielieferverträgen, ecolex 2024/265, 482 [483]) bejaht. Der Gesetzgeber habe in bewusster Abkehr von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i) die Anwendung des KSchG ausschließen wollen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Zur Begründung verweisen die genannten Autoren auch darauf, dass sich die Formulierung und der Aufbau des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 an § 25 TKG 2003 (nunmehr: § 135 Abs 8 und 12 TKG 2021) orientiere, wo – von der Judikatur anerkannt (4 Ob 113/18y) – ebenfalls ein gesetzliches Preisanpassungsrecht normiert sei. Der in § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG 2010 enthaltene Hinweis auf die Geltung der Bestimmungen des ABGB könne auch beim Verständnis des Abs 2a leg cit als gesetzliches Preisänderungsrecht von Relevanz sein, wenn der Stromlieferant freiwillig – wie in den Gesetzesmaterialien erwähnt – „einzelne Elemente in den AGB konkretisiert“. Da dem Gesetz keine Differenzierung hinsichtlich der am Strommarkt verbreiteten Produktkategorien zu entnehmen sei, müsse dieses auch auf Stromlieferungsprodukte angewendet werden, denen monatliche oder noch kurzfristigere Preisbewegungen inhärent seien; die Anwendung von § 80 Abs 2a ElWOG 2010 auf solche Produkte sei aber absurd. Der Verfassungsgerichtshof (G 1102/2023 ua) gehe ebenfalls von einem gesetzlichen Preisänderungsrecht aus. Schließlich habe der EuGH (23. 10. 2014, verb Rs C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff) keine Bedenken gegen ein gesetzlich normiertes und durch Verordnung näher ausgestaltetes Preisänderungsrecht des Versorgers gehegt, sofern die vom Unionsrecht geforderte Information des Verbrauchers sichergestellt sei.
[22] 3.2. Dagegen vertreten Kemetmüller (Das neue Preisänderungsregime des ElWOG – Gesetzliches Preisänderungsrecht und Ausschluss des KSchG? VbR 2022/29, 52), Koch (Der Strompreis und das [Zivil‑]Recht, RdW 2022/435, 533) Kemetmüller/Brennsteiner (Vom Begriff der „Änderung der vertraglich vereinbarten Entgelte“ im Energierecht, VbR 2023/118, 165), Schopper (Weiterhin Rechtsunsicherheit bei Strompreiserhöhungen, VbR 2023/112, 157; Zivilrechtliche Fragen von Strompreiserhöhungen nach § 80 Abs 2a ElWOG, in Gitschthaler/Pierer/Zöchling‑Jud, FS Fischer‑Czermak [2024], 765) und Hahnenkamp (Die Preisfestsetzung im Energiesektor aus Sicht der Endkund*innen – Leistbarkeit in der Gewährleistungsverantwortung, ÖZW 2024, 19) die Auffassung, § 80 Abs 2a ElWOG 2010 lasse sich kein gesetzliches Preisänderungsrecht entnehmen. Die allfällige Absicht des historischen Gesetzgebers habe jedenfalls im beschlossenen Gesetzestext keine Entsprechung gefunden. Vielmehr normiere § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG 2010 ausdrücklich die Geltung des ABGB. Nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts bedürfe eine (nachträgliche) einseitige Preisfestlegung einer vertraglichen Grundlage. Daher werde kein gesetzliches Preisänderungsrecht begründet, sondern festgelegt, dass diesbezügliche Vertragsbestimmungen anstelle der Bestimmungen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG jenen nach § 80 Abs 2a ElWOG 2010 genügen müssten. Im Übrigen blieben jedoch das ABGB und das KSchG unberührt. Bei einer Auslegung als gesetzliches Preisänderungsrecht verbliebe dem Vorbehalt in § 80 Abs 5 zweiter Satz ElWOG 2010 kein Anwendungsbereich, weil gesetzliche Regelungen von Vornherein nicht am KSchG zu messen seien. § 25 TKG 2003 weise einen deutlich anderen Wortlaut auf und beruhe zudem auf gänzlich anderen unionsrechtlichen Grundlagen als § 80 ElWOG 2010. Weiters stehe Art 10 Abs 4 EBRL 2019, den § 80 Abs 2a ElWOG 2010 umsetze, im Kapitel III über „Stärkung und Schutz der Verbraucher“. Bei Annahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts wäre der Verbraucherschutz aber empfindlich geschwächt.
4. Der Senat hat erwogen:
[23] 4.1. § 80 ElWOG 2010 betrifft nach seiner Überschrift weiterhin „Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung mit elektrischer Energie“. Dem Gesetzestext des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 ist eine gesetzliche Ermächtigung des Versorgers, die Tarife für bestehende Verträge zu ändern, nicht zu entnehmen. Vielmehr legt der Wortlaut nahe, dass eine bereits auf anderer Grundlage, also insbesondere den AGB des Versorgers, bestehende Ermächtigung zur Preisänderung vorausgesetzt wird, für die gesetzliche Vorgaben normiert werden.
[24] Dies wird durch § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG 2010 bestätigt, wonach durch Abs 1 bis 4 leg cit die Bestimmungen des ABGB unberührt bleiben. Nach diesem kommt ein einseitiges Preisänderungsrecht im Rahmen eines aufrechten Vertrags aber nur bei einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung in Betracht (§ 1056 ABGB; vgl RS0020089; RS0020079; RS0019994).
[25] Aber auch der zweite Satz des § 80 Abs 5 ElWOG 2010, wonach die Bestimmungen des KSchG nur „vorbehaltlich des Abs 2a“ unberührt bleiben, spricht gegen die Auslegung des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts: Wäre ein solches nämlich normiert, wäre dieses als gesetzliche Regelung von Vornherein nicht an den Bestimmungen des KSchG zu messen, sodass der genannte Vorbehalt ins Leere ginge. Gesetze sind aber so auszulegen, dass sie einen Anwendungsbereich haben (RS0010053; RS0111143).
[26] 4.2. Auch wenn dies angesichts der Wortmeldungen im Plenum des Nationalrats (StProt 139, 27. GP 270 [„gesetzliche Vorgaben für Preisanpassungen“] und 273 [„erstmals ein Symmetriegebot“]) zum diesbezüglichen Abänderungsantrag (AA‑217 BlgNR 27. GP , 7; der in der Revision weiters zitierte Initiativantrag vom 21. 9. 2022 [IA 2773/A, 27. GP ] führte zu keiner Gesetzesänderung) fraglich ist, mag es sein, dass die Absicht des historischen Gesetzgebers der Novelle BGBl I 2022/7 dahin ging, ein gesetzliches Preisänderungsrecht einzuführen. Den Gesetzesmaterialien kann aber keine „Abkehr“ von der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i) entnommen werden, weil diese Rechtsprechung nicht einmal erwähnt wird. Auch eine Orientierung an § 25 TKG 2003 ist nicht erkennbar: Abgesehen davon, dass diese – in den Gesetzesmaterialien nicht genannte – Bestimmung bereits vor Einbringung des Abänderungsantrags zu § 80 ElWOG 2010 in der Sitzung des Nationalrats am 20. 1. 2022, nämlich mit Ablauf des 31. 10. 2021, außer Kraft getreten war, wies deren Wortlaut deutliche Unterschiede zur Regelung des § 80 Abs 2a und 5 ElWOG 2010 auf, dies insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zum ABGB.
[27] Wie dargestellt (ErwGr 4.1.), spiegelt sich ein Vorhaben, mit § 80 Abs 2a ElWOG ein gesetzliches Preisänderungsrecht zu normieren, jedenfalls nicht im Gesetzestext wider. Gesetzesmaterialien sind aber weder selbst Gesetz noch eine authentische Interpretation desselben (2 Ob 41/19x; 1 Ob 15/24y), sodass bei der Auslegung eines Gesetzes generell keine Bindung an die in den Gesetzesmaterialien geäußerte Ansicht besteht (RS0008799). Die historische Auslegung, die Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers anhand der Gesetzesmaterialien, bedarf besonderer Vorsicht, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen. Die Norm steht mit ihrem Wortlaut, mit ihrer Systematik und in ihrem Zusammenhang mit anderen Normen über der Meinung der Redaktoren (RS0008776 [insb T1, T3, T4, T6]; vgl RS0008800). Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet ist und nur in den Materialien steht, kann nicht durch Auslegung Geltung erlangen (RS0008799). Die – aufgrund der Genese der gesetzlichen Bestimmungen inhaltlich besonders dürftigen – Gesetzesmaterialien tragen eine Interpretation des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts nicht.
[28] 4.3. Es trifft zwar zu, dass die Anwendung der Fristen des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 bei Lieferverträgen, welche die Schwankungen der Großhandelspreise widerspiegeln (Spotmarkt‑Produkt oder andere Produkte mit automatischer Preisänderung), dann nicht sinnvoll ist, wenn kürzere als monatliche Anpassungsintervalle vorgesehen sind. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof zu § 125 Abs 2 GWG 2011 bereits entschieden, dass diese Bestimmung auf Preisänderungen im Rahmen eines Floating‑Tarifs – unabhängig davon, ob es sich um ein gesetzliches Preisänderungsrecht handelt oder eine vertragliche Änderungsregel vorausgesetzt wird – gar nicht anwendbar ist (3 Ob 26/24f). Folgt man dieser Entscheidung auch für § 80 Abs 2 und 2a ElWOG 2010, was insbesondere angesichts der Regelung des § 80 Abs 4a ElWOG 2010 naheliegend ist, so ist aus dem vom Unionsrecht anerkannten (Art 11 EBRL 2019) Bestehen von Floating‑Tarifen für die hier geprüfte Thematik nichts abzuleiten.
[29] 4.4. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 12. 3. 2024 (G 1102/2023 ua) lediglich auf das nach § 80 Abs 2a ElWOG 2010 bestehende Änderungsrecht hingewiesen. Der genannten Entscheidung ist jedoch keine Aussage zu entnehmen, ob es sich um ein gesetzliches Änderungsrecht handelt oder eine vertragliche Vereinbarung erforderlich ist.
[30] 4.5. Nach § 2 Z 1 ElWOG 2010 dient dieses Gesetz insbesondere der Umsetzung der EBRL 2009 (Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ), die die EBRL 2003 (Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG – Erklärungen zu Stilllegungen und Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen) ersetzte und ihrerseits durch die EBRL 2019 ersetzt wurde.
[31] Zur Judikatur des EuGH ist vorweg anzumerken, dass die Verbraucherschutzvorschriften der EBRL 2003 gleichlautend wie jene der zeitgleich ergangenen Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt (Art 3 Abs 3 und Anhang A GBRL 2003 [Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ]) waren, sodass Entscheidungen zur GBRL 2003 auch für die Auslegung der EBRL 2003 und damit der EBRL 2019 von Bedeutung sind (vgl EuGH 23. 10. 2014, verb Rs C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff).
[32] Zutreffend ist zwar, dass der EuGH keine Bedenken gegen ein gesetzliches Änderungsrecht hegte, sofern die – nunmehr aus Art 10 Abs 4 EBRL 2019 folgenden – Informationspflichten gegenüber dem Kunden eingehalten wurden (23. 10. 2014, verb Rs C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff;vgl weiters 2. 4. 2020, C‑765/18 , Stadtwerke Neuwied). Er betonte jedoch die besonderen Umstände der (deutschen) Ausgangsverfahren, in denen es jeweils um die Grundversorgung ging und die Vertragsbedingungen durch Verordnung festgelegt waren.
[33] Im Gegensatz dazu gilt § 80 Abs 2a ElWOG 2010 generell für Stromlieferverträge; die Anwendung auf den Grundversorgungstarif ergibt sich erst aus der gesetzlichen Anordnung in § 77 Abs 1 ElWOG 2010, wonach die Belieferung im Rahmen der Grundversorgung zu den AGB des Versorgers zu erfolgen hat.
[34] Einschlägig ist daher das Urteil des EuGH vom 21. 3. 2013, C‑92/11 , RWE Vertrieb AG,das als Grundsatz eine dem Versorger vertraglich eingeräumte Änderungsmöglichkeit voraussetzt. Nach dieser Entscheidung kommt die für den Fall der tatsächlichen Erhöhung der Tarife in der GBRL 2003 bestehende Informationspflicht zur aufgrund der KlauselRL bestehenden Verpflichtung hinzu, den Verbraucher vor Vertragsabschluss klar und verständlich über die grundlegenden Voraussetzungen der Ausübung eines solchen Rechts zur einseitigen Änderung zu informieren.
[35] Dass sich an dieser unionsrechtlichen Rechtslage durch die EBRL 2019 unzweifelhaft (RS0082949) nichts geändert hat, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sich Art 10 EBRL 2019 im Kapitel III über „Stärkung und Schutz der Verbraucher“ befindet und mit „Grundlegende vertragliche Rechte“ überschrieben ist. Geregelt sind daher Rechte der Endkunden, wobei Art 10 Abs 2 EBRL 2019 klarstellt, dass diese durch die nachfolgenden Absätze gegenüber der KlauselRL nur erweitert werden sollen, ohne die Anwendung der KlauselRL einzuschränken oder zu beeinträchtigen. Auch die Bestimmung des Art 10 Abs 4 EBRL 2019 normiert in diesem Sinne zusätzliche Rechte der Endkunden und kann nicht in dem Sinne gedeutet werden, dass sie – entgegen der soeben zitierten Entscheidung des EuGH – ein auf dem Gesetz selbst beruhendes Preisänderungsrecht des Versorgers vorgeben würde. Ein solches würde den Verbraucherschutz gerade nicht stärken, sondern empfindlich schwächen und damit den Zielen der Richtlinie (ErwGr 30 EBRL 2019) zuwider laufen. Unzweifelhaft normiert die EBRL 2019 auch sonst keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem Versorger im Rahmen der Grundversorgung ein auf dem Gesetz selbst beruhendes Preisänderungsrecht einzuräumen. Ob und unter welchen Umständen Derartiges (entsprechend der bisherigen Judikatur: EuGH 23. 10. 2014, verb Rs C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff;vgl weiters2. 4. 2020, C‑765/18 , Stadtwerke Neuwied) auch nach der EBRL 2019 noch zulässig wäre, ist nicht entscheidungsrelevant, weil das österreichische Recht kein gesetzliches Preisänderungsrecht normiert und damit jedenfalls im Einklang mit der EBRL 2019 steht.
[36] 4.6. § 80 Abs 2a ElWOG 2010 ist damit als Umsetzungsmaßnahme der in Art 10 Abs 4 EBRL 2019 normierten Informationspflichten anzusehen, die im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 21. 3. 2013, C‑92/11 , RWE Vertrieb AG, zu den Anforderungen hinzukommen, die die KlauselRL an die AGB des Versorgers stellt. Daneben sollten durch die Novelle BGBl I 2022/7 einzelne Bestimmungen des KSchG (vgl unten ErwGr 5.2.) durch eigenständige Regelungen ersetzt werden, die auch gegenüber Kleinunternehmern zur Anwendung gelangen. Die Ausführungen in der Revision, der Zweck der Novelle sei ohne Annahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts nicht erkennbar, ist demnach unzutreffend.
[37] 4.7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein vom ABGB abweichendes „Sonderprivatrecht im Energieversorgungssektor“ im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts weiterhin (vgl 3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i; 9 Ob 46/21m) nicht besteht. § 80 Abs 2a ElWOG 2010 setzt vielmehr einen vertraglichen Änderungsvorbehalt voraus.
[38] 5.1. Soweit die Revision argumentiert, bei der Regelung in Punkt 8. der AGB Strom der Beklagten handle es sich um die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungen, sodass die Klausel nicht der im § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle unterliege, ist darauf zu verweisen, dass diese Ausnahme möglichst eng zu verstehen ist und auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben soll (RS0016908). Der gegenständliche Vorbehalt eines einseitigen Rechts zur Änderung des im Vertrag ziffernmäßig festgelegten Tarifs fällt nicht unter diese Ausnahme (10 Ob 125/05p; 10 Ob 145/05d mwN).
[39] Die Klausel unterliegt daher nicht nur der Geltungskontrolle nach § 864a ABGB, sondern auch der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB.
[40] 5.2. Die Bestimmungen des KSchG werden aufgrund des Vorbehalts in § 80 Abs 5 ElWOG 2010 durch § 80 Abs 2a ElWOG 2010 nur insoweit ersetzt, als dort eine eigenständige Regelung getroffen wird. Dies ist jedenfalls in Bezug auf das Sachlichkeitsgebot und das (auch als Symmetriegebot bezeichnete) Zweiseitigkeitsgebot des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (zu dessen einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Preisänderungsklauseln vgl 10 Ob 23/24s mwN) der Fall, weiters im Hinblick auf Zeitpunkt, Form und Inhalt der Verständigung über die tatsächliche Ausübung des vertraglich vorbehaltenen Preisänderungsrechts. Keine Regelung enthält § 80 Abs 2a ElWOG 2010 aber insbesondere zum Transparenzgebot nach § 6 Abs 3 KSchG in Bezug auf den vertraglichen Änderungsvorbehalt (Kemetmüller, VbR 2022/29, 52 [54]). Die gegenständliche Klausel, die einen solchen vertraglichen Änderungsvorbehalt enthält, ist daher auch anhand des § 6 Abs 3 KSchG zu prüfen.
[41] 6.1. Der EuGH (21. 3. 2013, C‑92/11 , RWE Vertrieb AG) fordert für die Zulässigkeit eines einseitigen Preisänderungsrechts, dass schon in den AGB der Anlass für die Erhöhung des Entgelts und die Kriterien dafür klar und verständlich dargestellt sein müssen (vgl 3 Ob 139/19s). Er leitet dies insbesondere aus Art 3 und 5 KlauselRL ab, die in Österreich durch § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG umgesetzt wurden (8 Ob 105/20d mwN).
[42] 6.2. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0128865; insb [zu Stromlieferungsverträgen] 5 Ob 103/21i), wonach eine Klausel, die Änderungen des Vertrags über eine Zustimmungsfiktion nach Inhalt und Ausmaß unbeschränkt zulässt und nicht einmal ansatzweise irgendeine Beschränkung erkennen lässt, die den Verbraucher vor dem Eintritt unangemessener Nachteile schützen könnte, gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG verstößt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Klausel eine Änderung wesentlicher Pflichten der Parteien (Leistung und Gegenleistung) zu Gunsten des Verwenders der AGB in nahezu jede Richtung und in unbeschränktem Ausmaß zulässt. Aufgrund des aus dem Transparenzgebot abzuleitenden Vollständigkeitsgebots muss der Verbraucher von Anfang an auch über die Gründe und die maßgeblichen Indizes für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion informiert werden, andernfalls die Auswirkungen der Klausel für ihn unklar bleiben. Nur auf diese Weise kann dem Risiko der künftigen Passivität des Verbrauchers ausreichend Rechnung getragen werden. Die Parameter, die für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion eine Rolle spielen, müssen aus der Klausel selbst hervorgehen, damit diese dem Transparenzgebot entspricht (RS0132022).
[43] Eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB wird nach gesicherter Rechtsprechung dann angenommen, wenn die Klausel nicht einmal ansatzweise irgendeine Beschränkung erkennen lässt, die den Verbraucher vor dem Eintritt unangemessener Nachteile bei Änderungen des Vertrags mittels Zustimmungsfiktion schützen könnte. Dahinter steht, dass die vertragliche Zustimmungsfiktion in der Praxis trotz des formalen Widerspruchsrechts weitgehend auf eine einseitige Änderungsbefugnis des Unternehmers hinausläuft, weil sich Verbraucher erfahrungsgemäß mit Änderungsangeboten nicht auseinandersetzen, weswegen ihnen ein Schutzbedürfnis zuzubilligen ist (5 Ob 117/21y [Rz 80]; 10 Ob 60/17x [Pkt I.3.3]). Im Fall einer nicht näher konkretisierten und unbeschränkten Möglichkeit der Vertragsänderung mittels Erklärungsfiktion steht die dem Kunden zugedachte Rechtsposition im auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition desUnternehmens, zumal sie ihm ermöglicht, das Äquivalenzverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen über die Zustimmungsfiktion erheblich zu seinen Gunsten zu verschieben und die Position des Vertragspartners zu entwerten (8 Ob 58/14h [Pkt 2.8.]).
[44] 6.3. Da diese Judikatur zur Vereinbarung einer vertraglichen Zustimmungsfiktion mit § 6 Abs 3 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB gerade damit begründet wird, dass diese die Gefahr birgt, de facto ein einseitiges Änderungsrecht des Unternehmers zu begründen, ist sie erst recht auf eine Klausel zu übertragen, mit der ein solches Änderungsrecht unmittelbar eingeräumt wird.
[45] 7.1. Die Regelung in Punkt 8.1. iVm den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom der Beklagten konkretisiert nicht, welche Umstände als Anlass für die Preisänderung in Betracht kommen. Das wörtliche Zitat des § 80 Abs 2 bis 2b ElWOG 2010 in den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom kann daran nichts ändern, weil auch diese Bestimmungen selbst keine solchen Umstände definieren, sondern vielmehr eine diesbezügliche vertragliche Vereinbarung voraussetzen.
[46] 7.2. Die Klausel überlässt die Bestimmung des Anlasses einer Entgeltänderung der Entscheidung der Beklagten, wobei über das Zitat des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 in den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom nur die Einschränkung besteht, dass die Preisänderung in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen muss. Durch die nicht einmal ansatzweise beschränkte Wahl dieses Umstands räumt die Klausel der Beklagten deshalb die Möglichkeit ein, die subjektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung zum Nachteil des Verbrauchers zu verändern, indem sie etwa unsachliche Bezugspunkte wie „die geplante Erhöhung des Gewinns“ (vgl Oberndorfer, wbl 2022, 545 [552]) wählt. Die Klausel erweist sich demnach im Sinne der zuvor (ErwGr 6.1. und 6.2.) genannten Judikatur als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.
[47] 7.3. Da sie bei der Wahl des maßgeblichen Umstands keine Einschränkungen enthält, ist sie auch intransparent (§ 6 Abs 3 KSchG). Für den Verbraucher ist nicht erkennbar, aus welchem Anlass eine Preisänderung erfolgen kann.
[48] 8. Sowohl der Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB (iVm Art 3 KlauselRL) als auch jener gegen § 6 Abs 3 KSchG führen zur gänzlichen Unwirksamkeit der Klausel (RS0128735 [insb T2]; RS0122168).
[49] Wenn die Revision argumentiert, ein Preisänderungsrecht der Beklagten ergebe sich bei Nichtigkeit des Punktes 8.1. der AGB Strom aus deren Punkten 3.2. und 8.2. bis 8.6., ist dies nicht nachvollziehbar. Beim letzten Satz des Punktes 3.2. der AGB Strom handelt es sich um einen bloßen Verweis auf deren Punkt 8. Die Wiedergabe des Gesetzestextes in Punkt 8.2. bis 8.4. der AGB Strom kann für sich allein nicht als Vereinbarung eines Preisänderungsrechts gewertet werden. Punkt 8.5. der AGB Strom enthält lediglich hier nicht relevante Einschränkungen der in den Absätzen davor geregelten Änderungsmöglichkeit und Punkt 8.6. der AGB Strom ist im Verhältnis zum Kläger, einem Verbraucher, nicht anwendbar.
[50] Aufgrund dessen mangelt es für die Entgelterhöhung an der erforderlichen vertraglichen Grundlage, sodass dahingestellt bleiben kann, ob das Schreiben vom 19. 1. 2023 den Anforderungen des § 80 Abs 2a ElWOG 2010 (vgl dazu Schopper in FS Fischer‑Czermak [2024] 763 [777 f]; Oberndorfer, wbl 2022, 545 [549, 553]; BGH VIII ZR 199/20 NJOZ 2023, 886 Rz 18 ff mwN; VIII ZR 200/20 Rz 15; vgl weiters die Musterformulierungen der E‑Control für Informationen über Entgeltänderungen, https://www.e‑control.at/marktteilnehmer/strom/musterformulierungen [abgefragt am 14. 3. 2025]) entsprach und welche Rechtsfolgen aus einer allfälligen unzutreffenden Information abzuleiten sind (vgl EuGH 2. 4. 2020, C‑765/18 , Stadtwerke Neuwied; Oberndorfer, wbl 2022, 545 [553]; Schopper in Gitschthaler/Pierer/Zöchling-Jud, FS Fischer‑Czermak, 765 [781]).
[51] 9. Soweit die Beklagte die Befürchtung äußert, Grundversorgungskunden „ewig“ zu einem nicht marktkonformen und nicht kostendeckenden Tarif mit Strom beliefern zu müssen, ist ihr zu erwidern, dass es ihr freisteht, gesetzeskonforme AGB – auch im Wege des § 80 Abs 2 ElWOG 2010 – zu vereinbaren. Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken sind daher nicht zu teilen.
[52] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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