European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00059.24F.0326.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.902,63 EUR (darin 253,61 EUR an Umsatzsteuer und 381 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten beider Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zwischen dem mittlerweile verstorbenen G* S* (in der Folge: der Verstorbene), dessen Verlassenschaft als Klägerin einschreitet, und der Mutter des Beklagten kam es zum Geschlechtsverkehr. Die Mutter des Beklagten wurde in weiterer Folge schwanger und gebar am 15. 9. 1958 den Beklagten.
[2] Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten brachte namens des (hier) Beklagten beim Bezirksgericht St. Pölten zu AZ C 1002/58 Klage auf Feststellung der Vaterschaft und Leistung des Unterhalts gegen den Verstorbenen ein. Im Zuge des Verfahrens gab die Mutter des Beklagten an, es sei insgesamt viermal zu einem Geschlechtsverkehr zwischen dem Verstorbenen und ihr gekommen, und zwar am 12. 11. und 14. 11. 1957 sowie am 4. 1. und 22. 2. 1958. Sie räumte nach anfänglichem Leugnen ein, innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist von 17. 11. 1957 bis 19. 3. 1958 auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt zu haben. Der Verstorbene gestand zwar zu, am 12. und 14. 11. 1957 mit der Mutter des Beklagten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, bestritt aber, dass es danach zu weiteren geschlechtlichen Kontakten gekommen sei. Aufgrund der durchgeführten Untersuchung der Blutgruppen‑ und Faktorenverteilung konnte der Verstorbene als Vater des Beklagten nicht ausgeschlossen werden. Nach dem eingeholten weiteren medizinischen Sachverständigengutachten war mit 75%iger Wahrscheinlichkeit eine Zeugung zwischen dem 9. und 29. 12. 1957 anzunehmen, während eine Zeugung nach dem 23. 1. 1958 abzulehnen war. Eine Zeugung am 12. 11. oder 14. 11. 1957 wäre gerade noch nicht als „offenbar unmöglich“, jedoch als „höchst unwahrscheinlich“ zu bezeichnen (Wahrscheinlichkeit weniger als 1 %). Das Bezirksgericht St. Pölten nahm damals nicht als erwiesen an, dass der Beklagte vom Verstorbenen durch den Geschlechtsverkehr am 12. 11. oder 14. 11. 1957 gezeugt worden wäre. Auch die weiteren von der Mutter des Beklagten behaupteten geschlechtlichen Begegnungen zwischen ihr und dem Verstorbenen nahm das Bezirksgericht St. Pölten nicht als erwiesen an. Über Berufung des Beklagten stellte das Kreisgericht St. Pölten nach Beweiswiederholung fest, dass es auch am 4. 1. und 22. 2. 1958 zum Geschlechtsverkehr zwischen der Mutter des Beklagten und dem Verstorbenen gekommen war. Es ging davon aus, dass der Geschlechtsverkehr am 4. 1. 1958 zur Zeugung des Beklagten geführt hatte. Dem Verstorbenen sei es trotz des festgestellten Mehrverkehrs der Mutter während der Empfängniszeit nicht gelungen, die Vaterschaftsvermutung des § 163 ABGB aF zu widerlegen.
[3] In weiterer Folge erhob der Verstorbene eine Wiederaufnahmsklage. Da das Kind drei Jahre alt geworden sei, sei es nunmehr durch erbbiologische und daktyloskopische Untersuchung möglich, die Vaterschaft zu widerlegen. Die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde zwar bewilligt, jedoch mit Urteil des Kreisgerichts St. Pölten vom 6. 12. 1962, R 615/61, die Vaterschaft des Verstorbenen zum Beklagten neuerlich festgestellt. Die Abstammung war nach den Beweisergebnissen nicht auszuschließen, wenn auch die erbbiologischen Umstände nach dem im Prozess eingeholten anthropologisch/erbbiologischen Gutachten eher gegen eine solche sprachen. Daher war es dem Verstorbenen nicht gelungen, die Vermutung des § 163 ABGB aF zu widerlegen.
[4] Der Verstorbene zahlte in weiterer Folge Unterhalt bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Beklagten, nahm aber nie Kontakt zu diesem auf. Der Verstorbene war der Überzeugung, nicht der Vater des Beklagten zu sein und sah sich in dieser Überzeugung insbesondere durch das erbbiologisch‑anthropologische Gutachten im Verfahren R 615/61 des Kreisgerichts St. Pölten bestätigt (wenngleich es nicht ausgereicht hatte, die Abstammung zu widerlegen). Gegenüber seiner ehelichen Tochter gab er im Jahre 1986 an, nicht der Vater des Beklagten zu sein. Dies sei zwar in einem Urteil festgestellt worden, aber das sei aufgehoben worden. Er habe das Urteil abbezahlt. Er meinte damit allerdings lediglich das Erlöschen seiner Unterhaltsverpflichtung.
[5] Der Beklagte erfuhr von Verwandten vom im November 2021 erfolgten Ableben des Verstorbenen, berief sich im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung auf die festgestellte Vaterschaft und gab eine Erbantrittserklärung zur Hälfte des Nachlasses ab. Die eheliche Tochter des Verstorbenen, die eine Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass abgegeben hatte, hatte nicht damit gerechnet, dass jemand Anderer als sie erbrechtliche Ansprüche geltend machen würde, zumal der Verstorbene keine weiteren Nachkommen hinterließ, keine letztwillige Verfügung errichtet hatte und ihre Mutter vorverstorben war. Sie bat den Beklagten, gemeinsam ein DNA‑Gutachten einzuholen, um abzuklären, ob sie tatsächlich vom selben Vater abstammten. Dieses Gutachten vom 17. 3. 2022 ergab eine Wahrscheinlichkeit von 99,7 % für die Hypothese, dass die eheliche Tochter und der Beklagte von verschiedenen Vätern abstammen. Im Hinblick drauf bestritt sie die erbrechtlichen Ansprüche des Beklagten. Dessen Rechtsvertreter wandte ein, das Gutachten könnte ja auch bedeuten, dass zwar der Beklagte, nicht aber die eheliche Tochter vom Verstorbenen abstamme. Das daraufhin von der ehelichen Tochter eingeholte weitere DNA‑Gutachten vom 29. 6. 2022 ergab eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Verstorbenen zur ehelichen Tochter von 99,9992 %.
[6] Mit ihrer am 28. 7. 2022 eingebrachten Wiederaufnahmsklage begehrte die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Aufhebung des Urteils des Kreisgerichts St. Pölten vom 6. 12. 1962, R 615/61, sowie die Abweisung des Begehrens auf Feststellung der Vaterschaft des Verstorbenen zum Beklagten. Erst durch das DNA‑Gutachten vom 29. 6. 2022 habe ausreichende Gewissheit bestanden, dass der Beklagte nicht der Sohn des Verstorbenen sei. Eine derartige Analysemethode sei zum Zeitpunkt des letzten gerichtlichen Verfahrens noch nicht zur Verfügung gestanden. Aufgrund der nunmehr möglichen DNA‑Analyse sei die Klägerin in den Stand gesetzt worden, Beweismittel zu benützen, deren Benützung in den früheren Verfahren eine für sie bzw den Verstorbenen günstigere Entscheidung herbeizuführen geeignet gewesen wäre.
[7] Der Beklagtewendete ein, auch in den 70er‑ und 80er‑Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die DNA‑Tests einfacher geworden seien, habe der Verstorbene nicht neuerlich versucht, das Nichtvorliegen der Vaterschaft zum Beklagten feststellen zu lassen. Der Verstorbene hätte schon damals aktiv tätig werden müssen. Die Frist des § 534 ZPO sei daher nicht gewahrt.
[8] Das Berufungsgericht bewilligte die neuerliche Wiederaufnahme des Abstammungsverfahrens und hob das Berufungsurteil des Kreisgerichts St. Pölten vom 6. 12. 1962, R 615/61‑34, auf, ohne bereits eine Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren zu fällen. Es war der Auffassung, auf die bereits seit langem bestehende theoretische Verfügbarkeit von DNA‑Analysen als neue Methode, die Abstammung zu widerlegen, komme es gegenständlich nicht an. Sie sei nicht mit der fristauslösenden Verfügbarkeit eines Beweismittels im Prozess gleichzusetzen. Die Klagsfrist habe erst mit Erhalt des nach dem Tod des Erblassers eingeholten privaten DNA‑Gutachtens vom 29. 6. 2022 zu laufen begonnen, nach welchem die Vaterschaft des Verstorbenen als praktisch ausgeschlossen anzusehen sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die außerordentliche Revisiondes Beklagten ist zulässig, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf; sie ist auch berechtigt.
[10] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 2. Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt in Frage, wenn im Vorprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen (RS0040999).
[12] Baut ein später eingeholtes Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode auf, die zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt war, handelt es sich um ein neues Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (RS0044733 [T1]). Dass es sich bei der DNA‑Analyse um eine Erkenntnismethode handelt, die im Zeitraum des Vorverfahrens noch nicht verfügbar war, ist offenkundig. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass eine Benützung dieses Beweismittels im Vorprozess geeignet gewesen wäre, eine für den Kläger günstigere Entscheidung im Abstammungsverfahren herbeizuführen (vgl 8 Ob 74/14m [ErwGr 1.]; vgl 3 Ob 148/14g [ErwGr 3.1.]).
[13] 3.1. Die vierwöchige Notfrist für die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage (§ 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO) ist im Fall des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von dem Tag an zu berechnen, an dem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen. Bei Tod der Partei kommt es nicht auf die Kenntnis (erst) deren Rechtsnachfolger an; maßgeblich ist das Verstreichen der Klagefrist für den eigentlich zu einer Wiederaufnahme Berechtigten (1 Ob 121/16z [ErwGr 2.2.]; RS0123809).
[14] 3.2. Der Wiederaufnahmskläger muss die Beweismittel zunächst so weit kennen, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann, andererseits beginnt die Frist nicht erst mit Erlangen der Gewissheit, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung führen werden (RS0044635 [T6]).
[15] Aus dem Fehlen einer dem § 530 Abs 2 ZPO entsprechenden Bestimmung im Zusammenhang mit der auf Kenntnis und nicht auf Kennenkönnen abstellenden Vorschrift des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO folgt, dass der Wiederaufnahmskläger nicht verpflichtet ist, nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess weitere Nachforschungen schon bei Vorliegen vager, eine Wiederaufnahmsklage für sich nicht rechtfertigender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes anzustellen (8 Ob 74/14m [ErwGr 2.]; vgl 3 Ob 148/14g [ErwGr 3.2.]).
[16] Es handelt sich bei der (bloßen) Verfügbarkeit einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode wie der DNA‑Analyse um ein Beweismittel, das für sich allein keine Beurteilung der Eignung für eine Wiederaufnahmsklage zulässt. Solange der Wiederaufnahmskläger an seiner Vaterschaft zur Beklagten nicht ernstlich zweifelte, ist er regelmäßig nicht verpflichtet, nur aufgrund von Medienberichten über neuartige Testverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, um einer Verfristung der Klage zu entgehen (8 Ob 74/14m [ErwGr 4.f] unter Hinweis auf 8 Ob 65/10g [Rechtsunwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses vgl jüngst 1 Ob 18/25s]; vgl 3 Ob 148/14g).
[17] 3.3. Hier hat der Verstorbene jedoch seine Vaterschaft stets bestritten. Er bestritt im Vorprozess (dort in erster Instanz auch erfolgreich) auch den Geschlechtsverkehr mit der Mutter des Beklagten in der empfängniskritischen Zeit, während diese den Mehrverkehr zugestand. Er war überzeugt, nicht der Vater des Beklagten zu sein und strengte sogar bereits einmal – gestützt auf die mögliche Einholung eines Gutachtens aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnismethoden – eine Wiederaufnahmsklage gegen das für ihn nachteilige (erste) Berufungsurteilan. Nach den Ergebnissen dieser Methode war seine Vaterschaft auch unwahrscheinlich, wodurch er sich in seiner Überzeugung bestätigt sah. Die DNA‑Analyse ist als gegenüber den bis dahin bestandenen (und vom Erblasser auch ausgeschöpften) Möglichkeiten neue und in der Regel äußerst verlässliche Methode der Abstammungsfeststellung aufgrund medialer Verbreitung seit vielen Jahren allgemein bekannt (vgl 3 Ob 72/08x; 4 Ob 25/00f). Dass dies beim Verstorbenen nicht der Fall gewesen sein sollte, wurde von der Klägerin, die die Einhaltung der Klagsfrist glaubhaft zu machen hat (vgl 1 Ob 121/16z [ErwGr 2.1.]; 3 Ob 72/08x; RS0111662), nicht behauptet. Angesichts der erörterten Umstände konnte daher der Verstorbene bereits zu seinen Lebzeiten aus der Verfügbarkeit der neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode der DNA‑Analyse darauf schließen, dass das neue Beweismittel tatsächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Ausschluss seiner Vaterschaft und damit einem anderen, für ihn günstigeren Verfahrensergebnis führen würde. Er wäre daher imstande gewesen, eine Wiederaufnahmsklage samt einem Antrag auf Einholung eines DNA‑Gutachtens einzubringen.
[18] Dazu kommt, dass nach dem Sachverhalt der erbantrittserklärten ehelichen Tochter des Verstorbenen, deren Kenntnisse als (Mit‑)Erbin der klagenden Verlassenschaft zuzurechnen sind (vgl 1 Ob 121/16z [ErwGr 2.3.]; RS0044653), die Möglichkeit der DNA‑Analyse bekannt war. Unter der hier maßgeblichen weiteren Zugrundelegung der dargelegten Kenntnisse des Verstorbenen (vgl 1 Ob 121/16z [ErwGr 2.3.]) wäre damit spätestens seit dem Erheben erbrechtlicher Ansprüche durch den Beklagten im Verlassenschaftsverfahren von der Kenntnis der Klägerin von der Möglichkeit zur Widerlegung der Vaterschaft durch Einholung eines DNA‑Gutachtens auszugehen.
[19] 3.4. Die vierwöchige Klagefrist nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO war daher im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits verstrichen.
[20] 4. Die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage ist eine vom Gesetzgeber an eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpfte Ausnahme von der aus der Rechtskraft der Vorentscheidung abgeleiteten Einmaligkeitswirkung. Das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Wiederaufnahmsklage ist in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmen (RS0044527). Gemäß § 543 ZPO, der auch im Revisionsverfahren gilt (4 Ob 139/17w [ErwGr 8.]; RS0044527 [T5]), ist im Fall einer verspäteten Einbringung die Klage durch Beschluss zurückzuweisen, selbst wenn dies erst bei der mündlichen Verhandlung oder danach hervorkommt, also das Vorprüfungsstadium bereits verlassen wurde (10 ObS 66/16b; 1 Ob 270/98g).
[21] 5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Revision gebührt lediglich der einfache Einheitssatz (§ 23 Abs 1 RATG).
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