OGH 6Ob50/24g

OGH6Ob50/24g26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M* P*, geboren am *, vertreten durch Mag. Stephan Weiskopf und andere Rechtsanwälte in Landeck, gegen die beklagte Partei W* s.r.o., Reg.‑Nr. *, Slowakei, vertreten durch Dr. Johannes Wiesflecker, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2023, GZ 2 R 123/23m‑71, womit das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 31. Mai 2023, GZ 3 C 242/20v‑66, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00050.24G.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der in Österreich wohnhafte Kläger ist Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz in Österreich, die ein Bauunternehmen betreibt. Im Rahmen eines Bauvorhabens in Österreich beauftragte die GmbH die in der Slowakei ansässige Firma A* s.r.o. als Subunternehmerin für Innenausbau-Arbeiten. Die slowakische Subunternehmerin legte in der Folge an die GmbH Rechnung. Die GmbH bezahlte den Rechnungsbetrag nicht. Dies mit der Begründung, in den abgeschlossenen Verträgen sei vereinbart, dass die Abrechnung nach Aufmaßlisten zu erfolgen habe und derartige Aufmaßlisten nicht beigebracht worden seien.

[2] In der Folge erfolgten Betreibungsmaßnahmen durch ein von der slowakischen Subunternehmerin beauftragtes slowakisches Inkassounternehmen, welches unter anderem ankündigte, bei Nichtbezahlung der betriebenen Forderung den „wahren Sachverhalt“ in die „Schuldnerdatenbank“ www.betruger.at aufzunehmen. Auf der in deutscher Sprache verfassten Website www.betruger.at , auf welcher sich die Überschrift „Betrüger“ befand, wurden unter dem Punkt „Schuldnerliste“ mehrere Personen, darunter der Kläger persönlich, namentlich angeführt. Unter anderem wurde ausgeführt: „Herr [der Kläger] hat Ende Juli 2016 bei der Gesellschaft [die slowakische Subunternehmerin] Mitarbeiter für seine Firma [die GmbH] in Form von Personalleasing für ca 3 Monte bestellt. [Der Kläger] hat keine einzige Rechnung bezahlt und sich somit unberechtigt auf Kosten der Firma um 24.700,- EUR bereichert.“ Auf der Website wurden der Kläger, Mitarbeiter des Klägers und sein Fahrzeug einschließlich des amtlichen Kennzeichens abgebildet. Eine Zustimmung des Klägers hierzu lag nicht vor. Weiters war angeführt: „Falls solche 'Geschäftsleute' andere Leute, welche bei Gewinnerzielung behilflich sind auf diese Art und Weise behandeln, wie werden sich dann diese gegenüber Kunden verhalten, welche eine Reklamation geltend machen.“

[3] Die Beklagte ist Host‑Providerin, auf deren Servern die auf das slowakische Inkassounternehmen registrierte Website www.betruger.at gespeichert war. Mit E‑Mail vom 8. 6. 2020 wurde die Beklagte vom Klagevertreter namens des Klägers und der GmbH in englischer Sprache auf die nach Ansicht seiner Klienten widerrechtlichen Inhalte der Website www.betruger.at aufmerksam gemacht und aufgefordert, diese Website oder den widerrechtlichen Inhalt betreffend den Kläger von dieser Website zu löschen. Der E-Mail waren Screenshots der Website beigefügt. Die Beklagte antwortete, sie sei lediglich Hosting‑Provider und daher nicht für den Inhalt der Website verantwortlich. Sie könne den Inhalt der Website nur auf Basis einer gerichtlichen Entscheidung oder polizeilichen Anordnung entfernen oder blockieren.

[4] Der Inhalt der Website www.betruger.at war in Österreich zumindest bis zum Tag der Klagseinbringung (21. 7. 2020) abrufbar. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang am 11. 1. 2021 war die Website www.betruger.at nicht mehr aufrufbar.

[5] Der Kläger begehrte die Beklagte schuldig zu erkennen, es ab sofort zu unterlassen, auf der Website „www.betruger.at “ wörtliche und/oder sinngemäße Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten, er sei ein Betrüger; eventualiter es zu unterlassen, auf der genannten Website wörtliche und/oder sinngemäße Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten, er habe sich unberechtigt auf Kosten der A* s.r.o. bereichert. Zur Sicherung dieses Anspruchs beantragte er die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung. Er brachte vor, er sei auf der genannten Website durch das von der A* s.r.o. beauftragte Inkassounternehmen diffamiert und verleumdet, insbesondere als Betrüger dargestellt worden. Dadurch habe er zur Zahlung einer Forderung bewegt werden sollen, die aber unberechtigt sei. Es handle sich dabei auch um kreditschädigende Äußerungen im Sinne des § 1330 Abs 1 und 2 ABGB. Die Beklagte sei als Webhoster dieser Website und Dienstanbieter im Sinne des § 16 Abs 1 ECG seiner Aufforderung, die Website oder den ihn betreffenden widerrechtlichen Inhalt von dieser Website zu löschen, nicht nachgekommen. Die Beklagte hafte zumindest als Gehilfin dafür, dass der Kläger durch die unwahren, rufschädigenden Tatsachenbehauptungen in seinen Persönlichkeitsrechten und seinem Kredit beeinträchtigt werde. Selbst nach slowakischem Recht wäre insbesondere die Bezeichnung des Klägers als Betrüger rechtswidrig und bestünde gemäß § 6 Abs 5 des Gesetzes Nr 22/2004 der Gesetzessammlung über den elektronischen Geschäftsverkehr in der Slowakischen Republik (in der Folge: slowak E‑Commerce‑G) die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der Äußerungen.

[6] Die Beklagte wendete ein, aufgrund der Herkunftslandschranke des § 20 ECG komme slowakisches Recht zur Anwendung. Demnach sei sie nicht für den Medieninhalt verantwortlich, solange sie keine Kenntnis von rechtswidrigen Informationen habe und sich keiner Tatsachen oder Umstände bewusst sei, aus denen die rechtswidrige Information offensichtlich werde. Diese Offensichtlichkeit sei vom slowakischen Gesetzgeber dahingehend festgelegt worden, dass eine Anordnung durch ein Zivil- oder Strafgericht oder einen Staatsanwalt vorliegen müsse, damit ein Diensteanbieter legitimiert werde, aufgrund eines eventuell rechtswidrigen Inhalts die gesamte Website zu sperren. Auch habe keine leicht erkennbare offensichtliche Rechtswidrigkeit der Informationen auf der Website vorgelegen. Es sei lediglich behauptet worden, dass die Inhalte rechtswidrig wären, ohne aber auszuführen, welche Teile rechtswidrig seien und gegen welche konkreten rechtlichen Bestimmungen die Inhalte verstoßen könnten. Der Beklagten sei daher eine Überprüfung nicht möglich gewesen. Daher komme die Haftungsbefreiung gemäß § 6 Abs 5 slowak E‑Commerce‑G zur Anwendung. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung nachgekommen und habe infolge der offiziellen Anordnung durch ein Gericht in Form der vom Erstgericht erlassenen einstweiligen Verfügung die gegenständliche Domain unverzüglich gesperrt, wodurch der Inhalt nicht mehr aufrufbar und eine Wiederholungsgefahr weggefallen sei. Es sei überdies davon auszugehen, dass (auch) im slowakischen Recht die Haftungsbefreiungen des slowak E‑Commere‑G auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung fänden. Auch das slowak E‑Commerce‑G gewähre der Klägerin keine Anspruchs- bzw Haftungsgrundlagen. Nach slowakischem Recht könne die Beklagte für die auf der Website ihrer Kundin veröffentlichten Äußerungen nicht als mittelbare Störerin auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Selbst nach österreichischem Recht bestehe keine Haftungsgrundlage. Es obliege nicht der Beklagten, werkvertragliche Zivilrechtsstreitigkeiten von Bauunternehmern zu überprüfen bzw zu beurteilen. Der Kläger sei nicht als Betrüger bezeichnet, sondern bloß als Schuldner in einer Schuldnerliste geführt worden.

[7] Das Erstgericht erließ mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 23. 7. 2020 antragsgemäß die einstweilige Verfügung zur Sicherung des Hauptbegehrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des gegenständlichen Unterlassungsanspruchs. In der Folge wies es die Klagebegehren ab. Der Unterlassungsanspruch sei entsprechend der Rechtsansicht des Berufungsgerichts im vorhergehenden Rechtsgang (nur) nach den entsprechenden Bestimmungen des slowak E-Commerce-G zu beurteilen. Der Diensteanbieter hafte gemäß § 6 Abs 4 slowak E‑Commerce‑G nicht für übermittelte oder gespeicherte Informationen, wenn er keine Kenntnis von deren Rechtswidrigkeit habe. Gemäß § 6 Abs 5 leg cit sei er verpflichtet, rechtswidrige Informationen aus dem elektronischen Kommunikationsnetz zu entfernen oder zumindest den Zugang zu ihnen zu unterbinden, wenn er Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Information erlange. Nach Auskunft des slowakischen Wirtschaftsministeriums sei der Diensteanbieter daher nicht verpflichtet, den rechtswidrigen Inhalt zu entfernen, wenn er von der Rechtswidrigkeit des Inhalts aus einer E-Mail erfahre, ohne dass die Aufforderung weiter begründet werde und ohne dass er die Rechtswidrigkeit des Inhalts eindeutig beurteilen könne. Das Aufforderungsschreiben des Klägers habe lediglich eine grobe Information über die behaupteten rechtswidrigen Inhalte und Screenshots der deutschsprachigen Website enthalten. Aufgrund des E-Mails sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Inhalts der Website für die Beklagte nicht möglich gewesen. Daher sei es der Beklagten nicht vorzuwerfen, dass sie aufgrund der E-Mail keine Löschung oder Sperre vorgenommen habe, sie sei als Provider dazu nicht verpflichtet gewesen.

[8] Das Berufungsgerichtänderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es dem Hauptbegehren stattgab. In Anlehnung an die zwischenzeitig ergangene Entscheidung 6 Ob 166/22p war es der Auffassung, von den in der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (E‑Commerce Richtlinie [EC‑RL]) festgelegten Haftungs‑privilegien für Host‑Provider seien behördliche (bzw gerichtliche) Anordnungen zur Sperre des Zugangs oder zur Entfernung von Inhalten sowie nach dem jeweils anwendbaren Recht bestehende Unterlassungsansprüche ausgenommen. Zwar dürfe der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegen, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters – hier die Slowakei – geltende Sachrecht vorsehe („Herkunftslandprinzip“). Im vorliegenden Fall seien jedoch die Voraussetzungen gegeben, dass ein innerstaatliches Gericht gemäß § 22 Abs 1 und Abs 2 Z 2 ECG aufgrund einer Verletzung des Rufs und der Ehre zum Schutz der Würde eines Menschen vom Herkunftslandprinzip des § 20 Abs 1 ECG abweiche. Bei einer Gesamtbetrachtung der Website sei der Kläger nicht bloß in einer Schuldnerliste geführt, sondern als Betrüger dargestellt worden. Auch durch die Äußerung, er habe sich unberechtigt auf Kosten seiner Auftragnehmerin bereichert, sei eine Verletzung der Ehre des Klägers erfolgt. Die Beklagte, die insoweit die Beweislast treffe, habe zum Vorliegen eines diesbezüglichen Tatsachensubstrats weder Vorbringen noch Beweisanbote erstattet und es seien folglich auch keine Feststellungen getroffen worden. Dieser wertenden Kritik fehle somit die Basis eines konkreten und wahren Sachverhalts. Sie unterliege daher als Beschimpfung dem Tatbild des § 1330 Abs 1 ABGB. Eine ausreichende Abmahnung der Beklagten gemäß § 20 Abs 3 ABGB sei spätestens durch das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren erfolgt.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision über Antrag der Beklagten nachträglich zu, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, inwieweit auch nicht in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte fallende Ehrverletzungen ein Abgehen vom Herkunftslandprinzip rechtfertigen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf.Sie ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

[11] 1. Eine Abweichung des Berufungsgerichts von seiner in einem früheren Rechtsgang zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht ist kein Revisionsgrund, weil die Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof unabhängig von der Entscheidung des Berufungsgerichts zu lösen ist (RS0042181 [T10]; RS0042173 [T4, T5, T8]). Den Ausführungen zur Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO fehlt es schon aufgrund der aus rechtlichen Erwägungen erforderlichen Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen an Relevanz.

2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nach slowakischem Recht zu beurteilen:

[12] 2.1. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass der koordinierte Bereich nach Art 2 lit h sublit i EC‑RL bzw § 3 Z 8 ECG nach ständiger Rechtsprechung auch die (privat-)rechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter umfasst. Auch eine den Host‑Provider treffende Verpflichtung zur Unterlassung der Verbreitung von Persönlichkeitsrechte verletzenden Inhalten fällt in den koordinierten Bereich (4 Ob 191/23a [ErwGr 3.1. und 3.3.]; 6 Ob 166/22p [ErwGr 2.2.]; 6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.2.]).

[13] 2.2. Im koordinierten Bereich stellt Art 3 Abs 2 der EC‑RL – vorbehaltlich der dort genannten Ausnahmen – das grundsätzliche Verbot auf, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters – hier die Slowakei – geltende Sachrecht vorsieht („Herkunftslandprinzip“; EuGH 25. 10. 2011, verb Rs C-509/09 und C-161/10 , eDate Advertising ua, Rz 63–68).

[14] Nach § 20 Abs 1 ECG (in Umsetzung des Art 3 Abs 2 EC‑RL) richten sich daher im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8 ECG) die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats. Diese Bestimmung enthält für Eingriffe in das (allgemeine) Persönlichkeitsrecht eine Sachnormverweisung auf die materiellen Rechtsvorschriften des Niederlassungsstaats (6 Ob 221/23b [ErwGr 2.4.]).

[15] 2.3. Gemäß § 22 ECG (in Umsetzung des Art 3 Abs 4 der E-Commerce-RL) können Gerichte im Einzelfall zum Schutz taxativ genannter Rechtsgüter und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abweichend vom Herkunftslandprinzip Maßnahmen treffen. Diese Bestimmung ist als Ausnahmeregelung grundsätzlich eng auszulegen (6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.4. f]).

[16] 2.4. Unter die geschützten Rechtsgüter fällt auch der Schutz der Würde einzelner Menschen (§ 22 Abs 2 Z 2 ECG [entsprechend Art 3 Abs 4 lit a sublit i EC‑RL]). Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass eine Verletzung des Rufs und der Ehre eines Menschen von diesem Ausnahmetatbestand erfasst sein kann (6 Ob 166/22p [ErwGr 2.5.1. ff]; ErläutRV 817 BlgNR 21. GP  48 [zum ECG]; vgl 6 Ob 221/23b [ErwGr 2.4.]).

[17] 2.5. Die Voraussetzungen eines Schutzes der Menschenwürde sind insoweit zwar nicht engherzig zu prüfen (vgl 6 Ob 166/22p [ErwGr 2.5.1.]). Allerdings rechtfertigt nicht jede ehrenrührige oder kreditschädigende Äußerung bereits eine Abweichung vom Herkunftslandprinzip (vgl 6 Ob 221/23b [ErwGr 2.4.] zu behaupteten kreditschädigenden Äußerungen auf einer Online‑Bewertungsplattform). Für ein Abgehen davon ist Angesichts des Interesses am freien Dienstleistungsverkehr und der notwendigen Abwägung der Verhältnismäßigkeit ein ausreichender Schweregrad des Eingriffs erforderlich (vgl 6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.7. f] zum Ausnahmetatbestand des Schutzes der öffentlichen Ordnung). In diesem Zusammenhang wurde bereits ausgesprochen, dass Ehrverletzungen, die den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte betreffen (die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie) regelmäßig als ausreichend schwerer Eingriff anzusehen sind (6 Ob 166/22p [ErwGr 2.5.2.] = RS0134490; vgl auch Klicka, Der örtliche Wirkungsbereich gerichtlicher Löschungsanordnungen im Lichte der E des EuGH C-18/18 , Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland, MR 2019, 270 [273]).

[18] Ob die Voraussetzungen vorliegen, dass ein innerstaatliches Gericht gemäß § 22 Abs 1 und Abs 2 Z 2 ECG aufgrund einer Verletzung des Rufs und der Ehre eines Menschen zu dessen Schutz vom Herkunftslandprinzip des § 20 Abs 1 ECG zum Schutz der Würde abweicht, hängt jedoch immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (6 Ob 166/22p [ErwGr 2.5.2.]).

[19] 2.6. Im vorliegenden Fall wurde der Kläger unter der Überschrift „Betrüger“ in einer „Schuldnerliste“, die auch mehrere andere Personen enthielt, geführt und ihm vorgeworfen, er habe für sein Unternehmen Personal geleast und die Rechnung nicht bezahlt, wodurch er sich unberechtigt bereichert habe.

[20] Diese Äußerungen beziehen sich – entgegen der Ansicht der Revision – auf den Kläger als natürliche Person und nicht bloß auf „seine“ GmbH als Unternehmensträgerin. Sie betreffen den beruflichen Bereich des Klägers, greifen aber nicht in den Kernbereich seiner Persönlichkeitsrechte (Punkt 2.5.) ein. Im Vordergrund steht bei Gesamtbetrachtung der Äußerungen der Vorwurf, der Kläger habe von ihm beauftragte Leistungen unberechtigt nicht bezahlt. Mit diesen Äußerungen wurde eine Tatsachenbehauptung verbreitet und darüber hinaus ein Werturteil (vgl 6 Ob 32/24k [ErwGr 7.]; 6 Ob 32/21f [ErwGr 2.2. ff]) über die sittliche Qualität des Klägers gefällt. Bei inhaltlicher Unrichtigkeit oder Fehlen eines ausreichenden diesbezüglichen wahren Tatsachenkerns sind die Äußerungen zwar als ehrenbeleidigend und/oder kreditschädigend iSd § 1330 ABGB anzusehen. Sie erreichen aber nicht einen Schweregrad, der ein Abgehen vom Herkunftslandprinzip zum Schutz der Menschenwürde des Klägers als verhältnismäßig erscheinen lässt.

[21] 2.7. Unter die geschützten Rechtsgüter fällt auch der Schutz der öffentlichen Ordnung, wobei „Öffentliche Ordnung“ iSd § 22 Abs 2 Z 1 ECG (Art 3 Abs 4 lit a sublit i EC‑RL) nach den im Gesetz demonstrativ genannten Fällen etwa die Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten erfasst. Diese Ausnahmeregelung kann sich auch an Zivilgerichte richten (6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.5.]). Aus den strafrechtlichen Tatbeständen der Verleumdung (§ 297 StGB), der üblen Nachrede (§ 111 StGB) und der Beleidigung (§ 115 StGB), auf die der Kläger in seiner Berufung – allerdings bloß im Zusammenhang mit der behaupteten Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit der Äußerungen für die Beklagte – hinweist, ist aber schon aus nachstehenden Gründen nichts zu gewinnen:

[22] 2.7.1. Eine etwaige Verwirklichung des Delikts der Verleumdung nach § 297 StGB scheitert schon am Erfordernis, dass dem Kläger aufgrund der inkriminierten Äußerungen die Gefahr einer behördlichen Verfolgung drohen muss, eine solche also wahrscheinlich ist (Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB4 § 297 Rz 5). Dies wurde weder behauptet noch ist derartiges den Feststellungen zu entnehmen.

[23] 2.7.2. Zwar wurde bereits ausgesprochen, dass Privatanklagedelikte aus dem Tatbestand der „öffentlichen Ordnung“ iSd § 22 Abs 2 Z 1 ECG nicht von vornherein ausgenommen sind (6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.7.]). Allerdings wäre angesichts der auch diesbezüglich vorzunehmenden Abwägung im Einzelfall (dazu oben Punkt 2.5.) ein ausreichender Schweregrad des Eingriffs erforderlich. Die hier inkriminierten vereinzelten Äußerungen auf einer Website ließen aber, selbst wenn sie inhaltlich unrichtig wären und ungeachtet von Verjährungsfragen, bestenfalls eine äußerst geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung erkennen, die ein Abgehen vom Herkunftslandprinzip nicht rechtfertigen könnte (vgl zu § 152 StGB 6 Ob 180/21w [ErwGr 2.1.7. f]; vgl überdies zu den Voraussetzungen einer Inlandstat bei § 115 StGB Salimi in WK StGB² § 67 Rz 50 ff).

[24] 2.8. Damit besteht kein Anlass, vom Herkunftslandprinzip abzuweichen, weshalb slowakisches Recht als das Recht des Staates, in dem die beklagte Dienstleisterin ihren Sitz hat, anzuwenden ist.

[25] 2.9. Der in der Revision beantragten Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens zur – im Übrigen von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängigen – Frage, ob die hier zu beurteilenden Äußerungen die Anwendung der Ausnahmebestimmung des Art 3 Abs 4 lit a sublit i EC‑RL zum Schutz von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen rechtfertigt, war nicht näher zu treten, weil bei Anwendung slowakischen Rechts der beklagte Diensteanbieter im Sinne der erörterten Rechtsprechung des EuGH (vgl oben Punkt 2.2) ohnehin keinen strengeren Anforderungen unterworfen wird, als sie im Recht des Herkunftslands vorgesehen sind. Ein diesbezügliches Antragsrecht der Prozessparteien besteht im Übrigen nicht, weshalb der Antrag zurückzuweisen war (RS0058452).

3. Eine Entscheidung über den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist mangels ausreichender Erhebung der slowakischen Rechtslage noch nicht möglich:

[26] 3.1. Ist fremdes Recht maßgebend, ist es gemäß § 3 IPRG von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden (RS0113594; RS0026536). Es kommt in erster Linie auf die im Ursprungsland durch die herrschende (höchstgerichtliche) Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an. Wo diese keine eindeutige Antwort gibt, ist der herrschenden fremden Lehre zu folgen (RS0080958 [T2, T3]). Ist die Praxis im Ursprungsland nicht einhellig oder nicht einmal von einer Meinung deutlich dominiert, so sind subsidiär die herrschende (überwiegende) Lehrmeinung des betreffenden Staates und erst in letzter Linie der Gesetzeswortlaut im Lichte der Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze der betroffenen Rechtsordnung heranzuziehen (2 Ob 207/20k [ErwGr II.2.]; RS0109415).

[27] 3.2. Gegenständlich begehrt der Kläger (lediglich) die Unterlassung der Verbreitung bestimmter künftiger Äußerungen durch die Beklagte, die auf der Website ihrer Kundin veröffentlicht wurden. Es ist daher zu prüfen, ob ein solcher Anspruch nach slowakischem Recht gegenüber der beklagten Host‑Providerin besteht.

[28] 3.3. Das Erstgericht hat den Wortlaut der im Zeitpunkt des Verstoßes geltenden Bestimmung des § 6 slowak E‑Commerce‑G erhoben. Diese setzt die in der EC‑RL (bis zu deren teilweiser Aufhebung durch den Digital Services Act, VO [EU] 2022/2065) geregelten Haftungsbeschränkungen (auch) für Host‑Provider um, wonach Host‑Provider nicht für vom Dienstleistungsempfänger gespeicherte Informationen haften, wenn sie keine Kenntnis vom rechtswidrigen Inhalt der Informationen haben und (sobald sie diese Kenntnis erlangen) unverzüglich tätig werden, um den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Nach § 6 Abs 5 slowak E‑Commerce‑G ist überdies der Host‑Provider verpflichtet, bei Kenntniserlangung von der Rechtswidrigkeit der Information, diese zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu verhindern. Nach der vom Erstgericht eingeholten Auskunft des slowakischen Wirtschaftsministeriums, die sich allerdings nicht auf höchstgerichtliche Rechtsprechung oder die herrschende fremde Lehre (siehe oben Punkt 3.1.) stützt, soll es für die Entstehung dieser Verpflichtung erforderlich sein, dass dem Host‑Provider eine eindeutige Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Inhalts möglich ist. Ebenso regelt § 6 Abs 5 slowak E‑Commerce‑G, dass das Gericht den Diensteanbieter anweisen kann, die rechtswidrigen Informationen aus dem elektronischen Kommunikationsnetz zu entfernen, auch wenn er keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit hat.

[29] 3.4. Ob die Regelungen des § 6 des slowak E‑Commerce‑G auch für Unterlassungsansprüche galten, wurde bisher jedoch ebenso wenig erhoben wie die Frage, ob für solche (auch) andere Rechtsgrundlagen bestanden. Ebenso ob und gegebenenfalls in welcher Form sowie mit welchem Inhalt (auch) in diesen Fällen eine Aufforderung des Host‑Providers erforderlich war und ob eine solche nur außergerichtlich möglich war oder allenfalls durch die Klagsführung und/oder Vorbringen in einem Zivilprozess ersetzt werden konnte. Dazu kommt, dass auch die Frage, ob die in einer Aufforderung inkriminierten Inhalte rechtswidrig waren, nach slowakischem Recht zu beurteilen wäre. Offen blieb auch, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Zivilgericht auch ohne erfolgte Aufforderung der Beklagten durch den Kläger die Unterlassung der Verbreitung rechtswidriger Inhalte gegenüber einem Host‑Provider anordnen kann (vgl zu einer Entfernungsanordnung § 6 Abs 5 letzter Satz slowak E‑Commerce‑G).

[30] 3.5. Daher konnte das Klagebegehren nicht schon mangels ausreichender außergerichtlicher Aufforderung der Beklagten abgewiesen werden.

[31] 3.6. Es wird somit nach der noch zu erhebenden slowakischen Rechtslage zu beurteilen sein, ob die klagsgegenständlichen Äußerungen des Inkassounternehmens nach slowakischem Recht rechtswidrig waren und die beklagte Host‑Providerin diesbezüglich auf Unterlassung in Anspruch genommen werden konnte.

[32] Dabei wird auch zu erheben sein, ob sich die slowakische Rechtslage, insbesondere das slowak E‑Commerce‑G (vgl etwa die Änderungen des österreichischen ECG aus Anlass des Inkrafttretens des Digital Services Act, VO [EU] 2022/2065), mittlerweile geändert hat und gegebenenfalls ob und wie sich eine solche Änderung auf einen allfälligen Unterlassungsanspruch auswirkt (vgl zur österreichischen Rechtslage RS0123158 [insb T1, T2, T9]).

[33] 3.7. Die fehlende Ermittlung des fremden Rechts stellt einen Verfahrensmangel besonderer Art dar, der dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur amtswegigen Ermittlung des ausländischen Rechts bedingt (6 Ob 221/23b [ErwGr 2.5.]; RS0116580; RS0040045; 10 ObS 50/23k [Rz 24]). Wie sich der Richter die notwendigen Kenntnisse des fremden Rechts (samt dessen Anwendungspraxis [RS0113594]) verschafft, liegt in seinem Ermessen (RS0045163 [T11, T17]; RS0040189 [T8]; vgl zu den zulässigen Hilfsmitteln 7 Ob 154/21d [Rz 20]).

[34] 3.8. Auf die in 4 Ob 191/23a [ErwGr 4.1. f] geäußerten Bedenken hinsichtlich einer (weiteren) Geltung des Herkunftslandprinzips für konkrete behördliche Anordnungen im Hinblick auf eine Rechtsänderung durch die erst seit 17. 2. 2024 geltende und damit während des Rechtsmittelverfahrens in Kraft getretene VO (EU) 2022/2065 (Digital Services Act – DSA; zur gestaffelten Geltung siehe Art 92 f DSA) ist derzeit nicht näher einzugehen. Zwar ist eine Rechtsänderung bei einem in die Zukunft gerichteten Unterlassungstitel während des Rechtsmittelverfahrens nicht unbeachtlich, weil die Berechtigung des angestrebten Gebots auch am neuen Recht zu messen ist, zumal es seinem Wesen nach ein in der Zukunft liegendes Verhalten erfassen soll und nur dann erlassen werden bzw aufrecht bleiben kann, wenn das darin umschriebene Verhalten schon im Zeitpunkt des Verstoßes verboten war und nach neuer Rechtslage weiterhin verboten ist (vgl RS0008715 [T25]; RS0123158; 6 Ob 221/23b [ErwGr 2.5.]; 4 Ob 191/23a [ErwGr 4.2.]). Ob aber in Ansehung der Äußerungen, wie sie bei Schluss der Verhandlung am 16. 3. 2023 für den Zeitraum bis (jedenfalls) 21. 7. 2020 (Tag der Klagseinbringung) festgestellt sind, im ersten Schritt von einem damals rechtswidrig erfolgten Eingriff in ein Persönlichkeitsrecht des Klägers auszugehen ist, lässt sich mangels Feststellung des slowakischen Rechts noch nicht beurteilen.

[35] 4. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren das slowakische Recht zu ermitteln, dieses mit den Parteien zu erörtern und – falls erforderlich – die Sachverhaltsgrundlage zu ergänzen haben. In der Folge wird der behauptete Unterlassungsanspruch des Klägers auf Grundlage des slowakischen Rechts neuerlichen zu beurteilen sein.

[36] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte