OGH 15Os136/24z

OGH15Os136/24z26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Sadoghi und Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Brüggler LL.M., BSc in der Medienrechtssache des Antragstellers Ö* (Ö*) gegen den Antragsgegner Ös* (O*) wegen §§ 9 ff MedienG, AZ 112 Hv 117/23f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur und des Antragstellers in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00136.24Z.0326.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Medienrecht

 

Spruch:

Der Antragwird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Gegenstand des wegen §§ 9 ff MedienG gegen den Antragsgegner Ös* (O*) geführten Verfahrens AZ 112 Hv 117/23f des Landesgerichts für Strafsachen Wienwar das Begehren des Antragstellers Ö* (Ö*) auf Veröffentlichung folgender Gegendarstellung:

„GEGENDARSTELLUNG:

Der O* hat am 21. September 2023 in 'O* 2' in einem Beitrag der 'Zeit im Bild 2' die Tatsachenaussage verbreitet, dass 'Anfragen seitens des O*' beim Ö* (in der Folge: Ö*) 'unbeantwortet' geblieben seien. Diese Anfrage betreffe, so der O*, unter anderem eine Liegenschaft in Niederösterreich, die das Ö* im Jahr 2014 als größter Gläubiger aus einer Insolvenzmasse gekauft und 2020 weiterverkauft habe. Bei dieser Liegenschaft lasse, so der O* weiter, eine geringe Immobilienertragssteuer den Schluss zu, dass der Ertrag des Weiterverkaufs geringer als der vom Ö* laut Aussendung behauptete Betrag von EUR 1,2 Millionen sei.

Die erwähnte Tatsachenaussage ist unwahr. Der O* hat dem Ö* am 21. September 2023 nachmittags eine Anfrage zur erwähnten Liegenschaftstransaktion übermittelt. Der O* hat das Ö* in dieser Nachricht zunächst mit dem Vorhalt konfrontiert, warum gerade das Ö* und nicht 'jemand anderer' die Immobilie aus der Insolvenzmasse gekauft hätte. Zudem hat der O* das Ö* um Information ersucht, wie das Ö* den durch den Ankauf der Liegenschaft erwirtschafteten Betrag von EUR 1,2 Millionen errechne. Das Medienteam des Ö* hat beide Punkte dieser Anfrage noch am selben Tag – innerhalb der vom O* gesetzten Antwortfrist – beantwortet. Die Antwort des Ö* hat, soweit hier relevant, gelautet:

'(…)

1. Der Masseverwalter hat sich über einen längeren Zeitraum bemüht die Liegenschaft zu veräußern, was ihm nicht gelungen ist. (...)

2. Das Projekt hat einen Roherlös von knapp 1,2 Mio. ausgelöst. Das ist aber nicht die Bemessungsgrundlage für die Immobilienertragssteuer, weil darin bspw. auch Pachteinnahmen enthalten sind.'“

[2] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Jänner 2024, GZ 112 Hv 117/23f‑13, wies der Einzelrichter – soweit relevant – das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der Veröffentlichung der Gegendarstellung ab.

[3] Zum Bedeutungsinhalt des (im Urteil zur Gänze wiedergegebenen [US 3 f]) Beitrags stellte das Erstgericht fest, dass die „Seher aus dem Kreis der an Nachrichten und Berichterstattungen über das politische und kulturelle Leben interessierten Personen aus allen Bildungsschichten“ diesen so verstehen, „dass die Wahl des Vorstands des Antragstellers bevorstehe und im Vorfeld der Wahl Vorwürfe des schlechten Wirtschaftens gegen den Vorstand, insbesondere gegen den Generaldirektor Dr. * M* erhoben worden seien, welche die Ö*-Spitze jedoch vehement zurückweise“, es „um eine Crowdfunding Plattform gehe, deren sechsstellige Verluste der Antragsteller abgedeckt habe, obwohl er nur zu einem Drittel beteiligt gewesen sei“, „Anfragen des Antragsgegners […] unbeantwortet geblieben“ seien, „etwa auch jene zu einer Liegenschaft in Niederösterreich, die der Antragsteller im Jahr 2014 als größter Gläubiger aus einer Insolvenzmasse gekauft und im Jahr 2020 weiterverkauft habe“, der „Antragsteller behaupte, dadurch 1,2 Millionen Euro gerettet zu haben, allerdings lasse die geringe Immobilienertragssteuer den Schluss“ zu, „dass der Ertrag des Antragstellers nach Abzug aller Investitionen und Steuern deutlich geringer sei“ (US 4).

[4] Zum Sinngehalt von These und Antithese traf das Erstgericht folgende Feststellungen (US 6):

„Die These der begehrten Gegendarstellung versteht der Seher aus dem genannten Kreis an Medienkonsumenten so, dass der Antragsgegner in einem Beitrag der 'Zeit im Bild' vom 21. September 2023 verbreitet habe, dass das Ö* Anfragen des O*, unter anderem zu einer Liegenschaft in Niederösterreich, die das Ö* im Jahr 2014 als größter Gläubiger aus einer Insolvenzmasse gekauft und 2020 weiterverkauft habe und bei welcher eine geringe Immobilienertragssteuer den Schluss zulasse, dass der Ertrag des Weiterverkaufs geringer als der vom Ö* laut Aussendung behauptete Betrag von 1,2 Millionen sei, nicht beantwortet habe.

Die Antithese der beantragten Gegendarstellung verstehen die genannten Medienkonsumenten so, dass der O* am 21. September 2023 dem Ö* eine Anfrage zur erwähnten Liegenschaftstransaktion übermittelt und das Ö* damit konfrontiert habe, warum gerade das Ö* und nicht jemand anderer die Immobilie aus der Insolvenzmasse gekauft habe. Darüber hinaus habe der O* um Informationen ersucht, wie das Ö* den durch den Ankauf der Liegenschaft erwirtschafteten Betrag von 1,2 Millionen Euro errechne. Das Medienteam des Ö* habe beide Punkte der Anfrage noch dahingehend beantwortet, dass sich der Masseverwalter über einen längeren Zeitraum bemüht habe, die Liegenschaft zu veräußern, was ihm nicht gelungen sei und dass das Projekt einen Roherlös von knapp '11,2' Millionen Euro ausgelöst habe, welcher jedoch nicht die Bemessungsgrundlage für die Immobilienertragssteuer sei, da darin auch beispielsweise Pachteinnahmen enthalten seien.“

[5] Ferner hielt das Erstgericht wie folgt fest (US 6):

„Dabei bleibt für den Seher jedoch offen, welchen Masseverwalter die Antithese anspricht, welche Gründe für den fehlgeschlagenen Verkauf vorliegen, was unter 'längeren Zeitraum' und 'bemüht' zu verstehen ist, inwiefern dies den Antragsteller betrifft, welcher Bezug zum Erlös von 1,2 Millionen Euro besteht und ob die Verkaufsversuche Einfluss auf den Kaufpreis hatten. Überdies werden die Seher nicht hinreichend informiert, um nachvollziehen zu können, wie sich der Gewinn der Liegenschaftsverwertung errechnet, ob der in der These angeführte 'Ertrag' dem in der Antithese als 'Roherlös' bezeichnetem Begriff entspricht und ob das in der Antithese angeführte 'Projekt' lediglich den in der These geschilderten Liegenschaftsverkauf oder auch weitere Teilaspekte umfasst, wobei insbesondere auch offen bleibt, ob, und in welchem Umfang, neben den in der Antithese beispielhaft angeführten Pachteinnahmen noch weitere relevante Aspekte bestehen.“

[6] In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht die erforderliche Kontradiktion von These und Antithese und erblickte im Veröffentlichungsbegehren einen Verstoß gegen das Informationsgebot (US 9).

[7] Mit Urteil vom 10. Juli 2024, AZ 17 Bs 168/24s, gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Antragstellers dahin Folge, dass es das angefochtene Urteil aufhob und – soweit relevant – dem Antragsgegner die Veröffentlichung der begehrten Gegendarstellung auftrug.

[8] Dabei erachtete das Oberlandesgericht nach Verwerfung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld jene wegen Nichtigkeitnach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO für berechtigt, weil sich die Gegendarstellung als kontradiktorisch und informativ erweise und auch kein Verstoß gegen das Knappheitsgebot vorliege. Denn es bedürfe in der Antithese der konkreten Wiedergabe der entsprechenden Anfrage, die der Antragsgegner an den Antragsteller geschickt habe, und auch der darauf noch innerhalb der gesetzten Frist erfolgten Antwort, um der Behauptung der „Nichtbeantwortung“ von Anfragen ausreichend informativ entgegnen zu können; die weiteren Erwägungen beträfen die eingewendete Unwahrheit der Gegendarstellung, die in einem allenfalls fortgesetzten Verfahren zu klären sei. Demzufolge verneinte das Berufungsgericht – mit Ausnahme der im befristeten Verfahren bislang noch nicht geprüften Einrede der Unwahrheit nach § 11 Abs 1 Z 4 MedienG – das Vorliegen von Ausschlussgründen (US 9 ff).

[9] Gegen dieses Urteil richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte – eine Verletzung der Grundrechte auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK und auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK reklamierende Antrag des Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG.

Rechtliche Beurteilung

[10] Diesem kommt keine Berechtigung zu.

[11] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737).

[12] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substanziiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein, hat ein Antrag auf Erneuerung deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359, RS0122737 [T17]).

[13] Den dargestellten Erfordernissen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.

[14] Er behauptet zunächst eine Verletzung des Rechts auf angemessenes rechtliches Gehör nach Art 6 Abs 1 MRK.Denn das Berufungsgericht wäre, obwohl es keine Bedenken gegen die Richtigkeit der erstgerichtlichen Konstatierungen gehegt habe, von den Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Antithese abgewichen, indem es die Voraussetzungen des § 9 Abs 3 MedienG bejahte, ohne den Verfahrensbeteiligten in der Berufungsverhandlung die Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gegeben zu haben.

[15] Entgegen der Ansicht des Erneuerungswerbers nahm das Berufungsgericht jedoch auf Basis der erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen eine andere rechtliche Beurteilung der Voraussetzungen des § 9 Abs 3 MedienG vor. Solcherart wich es aber – anders als in der vom Erneuerungswerber ins Treffen geführten Entscheidung AZ 15 Os 66/21a, 93/21x – nicht vom erstinstanzlich festgestellten Bedeutungsinhalt von These und Antithese ab, sondern kam vielmehr anlässlich der Prüfung der Einhaltung der Erfordernisse des § 9 Abs 3 MedienG zu einer von jener vom Erstgericht abweichenden Beurteilung dieser Rechtsfrage (zur Einordnung der Kontradiktorietät als Rechtsfrage vgl RIS‑Justiz RS0119079 [T1]; zum damit untrennbar verbundenen Informationsgebot vgl Rami in WK2 MedienG § 9 Rz 21).

[16] Weshalb das Oberlandesgericht ungeachtet dessen Art 6 MRK verletzt haben sollte, legt der Erneuerungsantrag nicht substantiiert dar.

[17] Vom Schutz des Art 10 MRK im Bereich der Pressefreiheit (als Teil der Freiheit der Meinungsäußerung) umfasst ist auch die inhaltliche Gestaltungsfreiheit von Medien und damit deren Entscheidungsfreiheit, welche Informationen auf welche Weise veröffentlicht werden. Eine durch das Gericht (staatlich) aufgetragene Veröffentlichung nach (hier) § 9 MedienG greift daher in diese durch Art 10 Abs 1 MRK abgesicherte Gestaltungsfreiheit unmittelbar ein. Dieser grundrechtsinvasive Gerichtsauftrag ist zur Beurteilung seiner Rechtfertigung der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art 10 Abs 2 MRK zu unterziehen (RIS‑Justiz RS0123458).

[18] Grundsätzlich ist bei strafrechtlichen Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit besondere Zurückhaltung geboten und bei der Prüfung solcher Eingriffe in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit schon wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit ein strenger Maßstab anzulegen. Der – ganz allgemein im Interesse des guten Rufs und des Rechts auf Rehabilitation stehende – Anspruch nach (hier) § 9 MedienG ist dem Wesen nach jedoch zivilrechtlicher Natur iSv Art 6 Abs 1 MRK, sodass ein abgestufter Maßstab an die prüfende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs anzulegen ist. Schließlich ist ins Kalkül zu ziehen, dass der in Rede stehende Veröffentlichungsauftrag keine staatliche Sanktion ist, sondern ausschließlich ein maßvolles Gleichgewicht zwischen einer wahrheitswidrigen Primärveröffentlichung und anschließender medialer Rehabilitation des davon Betroffenen schaffen soll (RIS‑Justiz RS0123459 [insb T4]).

[19] Ausgehend von den (vom Erneuerungswerber nicht rechtsförmig in Frage gestellten) Sachverhaltsfeststellungen hat das Oberlandesgericht die Kontradiktorietät – auch unter Berücksichtigung des Knappheitsgebots (RIS‑Justiz RS0127376 [T2]) – zu Recht bejaht. Über den Einwand der Unwahrheit hat das Berufungsgericht zu Recht nicht abgesprochen (RIS‑Justiz RS0067378 [T2]).

[20] Weshalb die hier vom Gericht aufgetragene, gesetzlich vorgesehene und dem Kontradiktions- und Knappheitsgebot des § 9 Abs 3 MedienG entsprechende Gegendarstellung in ihrer konkreten Ausgestaltung den Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranke der Verhältnismäßigkeit überschritten haben soll, wird vom Erneuerungswerber nicht näher dargelegt.

[21] Der Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).

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