European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00022.25D.0325.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Konsumentenschutz und Produkthaftung, Unionsrecht
Spruch:
I. Der Antrag auf Unterbrechung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu C‑440/23 wird abgewiesen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Erstbeklagte bietet ohne Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht auf www.* Online‑Glücksspiele an. Der Kläger nahm von Österreich aus an diesen Online‑Glücksspielen teil und verlor im Zeitraum vom 23. 11. 2022 bis 4. 10. 2023 insgesamt 43.287 EUR.
[2] Die Vorinstanzen verpflichteten die Erstbeklagte zur Rückzahlung dieser Verluste.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Erstbeklagten zeigt keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[4] 1. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online‑Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt (konkret § 52 Abs 5 GSpG), kommt es daher nicht an. Gegenteiliges kann auch den Entscheidungen 5 Ob 506/96 und 10 Ob 2429/96w nicht entnommen werden (zuletzt etwa 2 Ob 194/24d Rz 6 mwN).
[5] 2. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (6 Ob 124/16b Pkt 5.; 2 Ob 138/22s Rz 29; 5 Ob 13/24h Rz 7; zuletzt etwa 2 Ob 198/24t Rz 7). Bereits mehrmals wurde vom Obersten Gerichtshof erläutert, dass der Verbotszweck die Rückabwicklung erfordert, wenn sich das Verbot – wie hier – gegen den Leistungsaustausch an sich wendet und es den Schutz der Spieler bewirken soll (6 Ob 77/23a Rz 5 mwN). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass Spieler ihre verlorenen Einsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückverlangen können (RS0134152). Dies gilt im Hinblick auf die Zielsetzung des GSpG nach gefestigter Rechtsprechung auch dann, wenn der Leistende in Kenntnis der Nichtschuld ist und ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt war (6 Ob 77/23a Rz 5 mwN), sodass das Argument der Revision, die Rückforderung erfolge wider Treu und Glauben, scheitert.
[6] Soweit die Revision meint, die Verweigerung eines Rückforderungsanspruchs würde dem Spielerschutz besser gerecht, weil die Spieler sonst einerseits die Einsätze zurückverlangen aber andererseits auf die Auszahlung von Gewinnen vertrauen könnten, lässt die mit dem GSpG ebenso verfolgten ordnungspolitischen und fiskalischen Zwecke außer Acht, die eine absolute Nichtigkeit und beiderseitige Rückforderbarkeit erfordern (8 Ob 21/24g Rz 26; 2 Ob 187/24z Rz 7).
[7] 3. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl nur 1 Ob 95/23m; 1 Ob 111/23i; 1 Ob 78/24p; 7 Ob 150/24w Rz 7; 6 Ob 157/24t Rz 8). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
[8] 4. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl die Hinweise in 5 Ob 30/21d). Entgegen der Darstellung der Revision ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH C‑920/19 , Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Der behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen. Der Senat sieht daher keinen Anlass, das von der Erstbeklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen zu stellen.
[9] 5. Einer Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C‑440/23 bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – im Hinblick auf die Entscheidungen des EuGH zu C‑390/12 , C‑79/17 und C‑545/18 bereits geklärt sind (vgl etwa 8 Ob 140/24g Rz 7).
[10] 6. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht wurde, vom Gericht zweiter Instanz aber verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (RS0042963 [T45]).
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