European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00123.24X.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf Krankengeld für einen Zeitraum von 26 oder 52 Wochen hat.
[2] Die 1959 geborene Klägerin zog im Jahr 2019 von Deutschland nach Österreich. In Österreich war sie zunächst von 19. November 2019 bis 29. November 2019 und dann wieder ab 3. Dezember 2019 unselbständig erwerbstätig. Seit 1. Oktober 2021 bezieht sie in Österreich eine Alterspension, die im Jahr 2022 45,79 EUR monatlich betrug.
[3] Am 31. März 2022 erlitt die Klägerin im Rahmen ihrer Berufstätigkeit eine Prellung des Knies und war deswegen arbeitsunfähig. Im Zeitraum von 28. Mai 2022 bis 15. August 2022 bezog sie Krankengeld und im Anschluss – infolge Beendigung des Dienstverhältnisses – von 16. August 2022 bis 25. August 2022 eine Urlaubsersatzleistung. Von 26. August 2022 bis 5. Dezember 2022 erhielt die Klägerin wieder Krankengeld. Seit 30. Jänner 2023 bezieht sie Sozialunterstützung.
[4] Mit Bescheid vom 24. November 2023 sprach die Beklagte aus, dass die Klägerin in der Zeit von 28. Mai 2022 bis 15. August 2022 sowie von 26. August 2022 bis zum Ende der Höchstanspruchsdauer am 5. Dezember 2022 Anspruch auf Krankengeld gehabt habe. Das Begehren, Krankengeld über diesen Zeitraum hinaus zu gewähren, wies sie ab.
[5] Das Erstgericht wies die auf Gewährung von Krankengeld in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit von 6. Dezember 2022 bis 5. Juni 2023 gerichtete Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob § 139 Abs 5 ASVG den Krankengeldanspruch im Fall des gleichzeitigen Bezugs einer Alterspension ausnahmslos auf 26 Wochen beschränke, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Darlegung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[8] 1. Gemäß § 139 Abs 1 ASVG besteht für ein und denselben Versicherungsfall ein Krankengeldanspruch bis zur Dauer von 26 Wochen (Satz 1). Wenn die anspruchsberechtigte Person – wie hier – innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Eintritt des Versicherungsfalls mindestens sechs Monate in der Krankenversicherung versichert war, verlängert sich diese Dauer – mit Ausnahme von Anspruchsberechtigten nach § 122 Abs 2 Z 2 und Z 3 ASVG – auf bis zu 52 Wochen (Satz 2).
[9] Nach § 139 Abs 5 ASVG wird die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld gemäß Abs 1 erster Satz durch das Entstehen eines Anspruchs auf Pension (unter anderem) aus dem Versicherungsfall des Alters nicht berührt.
[10] 2. Die Vorinstanzen haben sich sehr ausführlich mit der Entwicklung und dem sozialpolitischen Ziel dieser Regelung befasst.
[11] Sie sind zusammengefasst zum Ergebnis gelangt, dass in § 139 Abs 5 ASVG ausdrücklich (nur) Krankengeld nach § 139 Abs 1 Satz 1 ASVG genannt werde, woraus im Umkehrschluss folge, dass ein Pensionsbezug einen über die Dauer von 26 Wochen hinausgehenden Krankengeldbezug nach § 139 Abs 1 Satz 2 ASVG ausschließe. Dass anderes gewollt gewesen sei, ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien nicht. Vielmehr entspreche dieses Ergebnis der Rechtsprechung zur Verlängerung der Anspruchsdauer durch die Satzung auf bis zu 78 Wochen (§ 139 Abs 2 ASVG). Auch aus § 90 ASVG lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten. Hier gehe es nämlich nicht darum, ob die Klägerin neben dem Krankengeld auch die (ungeschmälerte) Pension beziehen könne – was eindeutig zu bejahen sei –, sondern allein darum, für welche Dauer sie Anspruch auf Krankengeld habe.
[12] 3. Mit diesen Überlegungen beschäftigt sich die Klägerin in ihrer Revision nicht. Sie beruft sich nur auf die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes und darauf, dass sie auf die Pensionsleistung angewiesen sei. Da der längere Krankengeldanspruch nach den Ausführungen der Vorinstanzen Bedürftigen zugutekommen solle, liege „durchaus eine planwidrige Lücke vor“. Denn ihr Pensionsanspruch sei so niedrig, dass er einem Teilpensionsanspruch gleiche und eine Bestreitung des täglichen Lebens unmöglich mache.
[13] 4. Damit vermag die Klägerin die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.
[14] Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass mit dem längeren Krankengeldanspruch die Versorgung jener Betroffenen sichergestellt werden solle, die darauf zur Deckung ihres Lebensunterhalts angewiesen seien. Sie haben aber darauf verwiesen, dass der Wortlaut des § 139 Abs 5 ASVG in dieser Hinsicht nur auf einen Pensionsanspruch und nicht dessen konkrete Höhe abstelle. Das beruht auf der (impliziten) Überlegung, dass dem Gesetz die typisierende Durchschnittsbetrachtung zugrunde liegt (RS0058455 [T3]), wonach ein Pensionsbezug im Regelfall zur Deckung der notwendigen Bedürfnisse ausreicht.
[15] Die Klägerin bestreitet nicht, dass sich diese Beurteilung auf den Wortlaut des § 139 Abs 5 ASVG stützen kann. Um deren Unrichtigkeit sowie die Notwendigkeit der von ihr (erkennbar) angestrebten teleologischen Reduktion(vgl RS0008979; hier: auf Pensionen, die zur Deckung der notwendigen Bedürfnisse ausreichen) aufzuzeigen, müsste sie daher darlegen, dass der Wortlaut insofern viel zu weit ist, als die der Bestimmung immanente Teleologie für eine (im Ermessen des zuständigen Trägers liegende) Prüfung der konkreten Bedürftigkeit des Betroffenen spricht. Dass der Gesetzeszweck klar in diese Richtung weist (RS0106113 [T3]; 10 ObS 25/24k Rz 32) und worauf sich diese Annahme stützen könnte, legt die Klägerin aber (überhaupt) nicht dar. Ihre Auffassung findet auch weder in den Gesetzesmaterialien eine Grundlage (ErläutRV 214 BlgNR 20. GP 43), noch sprechen systematische Erwägungen dafür: Zwar kennt das ASVG durchaus auch die Prüfung konkreter Bedarfslagen, vor allem im Zusammenhang mit Ansprüchen von Angehörigen (vgl § 88 Abs 2, § 142 Abs 2, § 219 ASVG). Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen wie etwa § 292 ASVG, der sich am konkreten Versorgungsbedarf orientiert (vgl VfGH G 165/08 = VfSlg 18.885 [ErwGr IV.3.4.]), ist die individuelle Bedürftigkeit grundsätzlich aber nicht das Schutzobjekt sozialversicherungsrechtlicher, sondern sozialhilferechtlicher Regelungen (vgl 10 ObS 89/93).
[16] 5. Mit ihrem im Ergebnis allein vorgetragenen Argument, ihre niedrige Pension ermögliche ihr kein würdiges Leben, weshalb ihr ein Krankengeldanspruch von 52 Wochen zustehe bzw zustehen müsse, macht die Klägerin daher keine für die Lösung des Falls präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend. Ihr Rechtsmittel ist daher ohne weitere Prüfung der Rechtsansicht der Vorinstanzen zurückzuweisen (RS0102059; RS0048272).
[17] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar kann ein Kostenzuspruch nach Billigkeit auch dann erfolgen, wenn das Berufungsgericht die ordentliche Revision zugelassen hat, der Oberste Gerichtshof diese jedoch mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 ZPO zurückweist (RS0085898 [T2]). Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden jedoch nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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