European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00046.25F.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Familienrecht (ohne Unterhalt), Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Obsorge für die drei minderjährigen Kinder kommt beiden Eltern gemeinsam zu. Zunächst lebte die gesamte Familie im Haus des Vaters im Sprengel des Bezirksgerichts Tulln.
[2] Die Mutter beantragte am 1. 12. 2024, den Hauptaufenthalt und die hauptsächliche Betreuung der Kinder in ihrem Haushalt einstweilig bzw endgültig festzulegen. Sie sei wegen eines gravierenden Zerwürfnisses zwischen den Elternteilen mit den Kindern Ende November 2024 in den Sprengel des Bezirksgerichts Donaustadt übersiedelt.
[3] Der Vater stellte seinerseits am 4. 12. 2024 einen Antrag auf alleinige Obsorge, vorläufiges Kontaktrecht und eine einstweilige Verfügung zur Verhinderung der Ausreise. Die Mutter habe die Kinder vereinbarungswidrig nach einer Betreuung über das Wochenende nicht zum Vater zurückgebracht und diesem erklärt, dass die Kinder – entgegen deren ausdrücklichen Willen – nun bei ihr in Wien leben würden. Er wisse nicht einmal, ob die von der Mutter angegebene Adresse stimme. Die Mutter könne wegen ihrer Berufstätigkeit die Pflege und Erziehung der Kinder nur mit Hilfe ihrer Herkunftsfamilie bewältigen. Dies lehne der Vater ab, weil der Vater der Mutter wegen Gewalt in der Familie bereits weggewiesen worden sei. Die Mutter plane außerdem gegen den Willen des Vaters eine Reise mit den Kindern nach Kambodscha, wo ein Teil ihrer Familie lebe. Es stehe daher zu befürchten, dass die Kinder dem Vater so endgültig entzogen würden.
[4] Über diese Anträge ist bisher noch nicht abgesprochen worden.
[5] Das Bezirksgericht Tulln übertrug mit Beschluss vom 3. 12. 2024 die Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Donaustadt, da alle drei Kinder nun in dessen Sprengel leben würden.
[6] Das Bezirksgericht Donaustadt lehnte die Übernahme der Zuständigkeit am 5. 12. 2024 ab, weil ein Aufenthalt der Kinder in seinem Sprengel noch nicht stabil sei.
[7] Das Bezirksgericht Tulln legte daraufhin den Akt dem beiden Gerichten übergeordneten Oberlandesgericht Wien vor. Dieses genehmigte die Übertragung der Zuständigkeit nicht, weil nicht abschätzbar sei, ob die Mutter mit ihrem Antrag durchdringen und die Kinder daher länger im Sprengel des Bezirksgerichts Donaustadt bleiben würden.
[8] Der Rekurs der Mutter ist auf die Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung gerichtet.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Rekursbeantwortung des Vaters beantragt, den Rekurs abzuweisen.
[10] 1. Das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung, ob eine Pflegschaftssache nach § 111 JN an ein anderes Gericht übertragen werden soll, ist das Kindeswohl (RS0046908). Sie ist also vorzunehmen, wenn es im Interesse des Kindes liegt und zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes erforderlich erscheint (RS0046929).
[11] In der Regel entspricht es den Interessen von Kindern, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt ihrer Lebensführung liegt (RS0047300). Die Übertragung ist nach der Rechtsprechung hingegen nicht zweckmäßig, wenn der Lebensmittelpunkt des Pflegebefohlenen (noch) nicht feststeht, sein Aufenthalt instabil und/oder seine künftige Lebenssituation unklar ist (RS0047300 [T30, T32]).
[12] 2. Bei gemeinsamer Obsorge kommt das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 160 ABGB beiden Eltern gemeinsam zu (vgl RS0134332). Die Mutter kann die Entscheidung, dass die Kinder fortan bei ihr in Wien leben sollen, also nicht allein treffen. Über ihren Antrag auf Festlegung eines Domizilwohnsitzes in Wien wurde ebenso wenig entschieden wie über den Antrag des Vaters auf Übertragung der alleinigen Obsorge.
[13] Der Senat teilt daher die Einschätzung des Oberlandesgerichts Wien, dass derzeit nicht von einem stabilen Aufenthalt der Minderjährigen im Sprengel des Bezirksgerichts Donaustadt ausgegangen werden kann.
[14] 3. Die von der Mutter ins Treffen geführten Entscheidungen 8 Nd 512/89, 5 Nc 103/02w, 8 Nc 4/04m weisen alle keine vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen auf.
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