OGH 10ObS94/24g

OGH10ObS94/24g18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Z*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Juni 2024, GZ 7 Rs 5/24 w‑34, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Oktober 2023, GZ 42 Cgs 292/22m‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00094.24G.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Sozialrecht, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG.

[2] Der 1965 geborene Kläger ist kroatischer Staatsbürger. In Kroatien war er nach einer entsprechenden Ausbildung zunächst als Polizist tätig. In der Folge war er rund zweieinhalb Jahre Soldat im Kroatienkrieg und im Anschluss unselbständig beschäftigt.

[3] Seit 1. April 2001 ist er in Österreich aufhältig und hat bis zum Feststellungszeitpunkt (1. Oktober 2022) insgesamt 258 Versicherungsmonate nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworben.

[4] Der kroatische Versicherungsträger gab die in Kroatien erworbenen Versicherungszeiten mit 237 Monaten bekannt. Darin enthalten sind Versicherungszeiten von 178 Monaten aus der Erwerbstätigkeit und dem Kriegsdienst sowie – entsprechend den kroatischen Bestimmungen – weitere 59 Monate sogenannte „Sonderbonifikationen“, die sich aus der Aufwertung der Zeiten als Polizist mit dem Faktor 1,33 und der Zeiten als Soldat mit dem Faktor 2 ergeben.

[5] Vor Erreichen des Regelpensionsalters kann der Kläger nur unter Berücksichtigung der Sonderbonifikationen 540 Versicherungsmonate erwerben.

[6] Mit Bescheid vom 9. November 2022 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger (in Österreich) insgesamt 258 Versicherungsmonate erworben habe. Die Feststellung von Schwerarbeitszeiten lehnte sie ab, weil der Kläger die für den Anspruch auf eine Schwerarbeitspension erforderlichen 540 Versicherungsmonate nicht vor dem Anspruch auf die Alterspension erreichen könne.

[7] Mit seiner Klage bekämpft der Kläger die Aussprüche nach § 247 Abs 1 und Abs 2 ASVG und strebt die Feststellungen an, dass er bis zum 1. Oktober 2022 insgesamt 502 Versicherungsmonate erworben habe und seine in der Zeit von 29. April 2010 bis 25. Juni 2012 und von 1. Jänner 2022 bis 30. September 2022 erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien. Das kroatische Recht sehe vor, dass Versicherungszeiten als Mitglied der Polizei um den Faktor 1,33 und als Soldat im Kriegseinsatz um den Faktor 2 zu erhöhen seien. Dementsprechend habe der dafür zuständige kroatische Versicherungsträger festgestellt, dass er in Kroatien 237 Versicherungsmonate erworben habe. Diese Beurteilung sei für Österreich verbindlich, sodass nach Art 6 VO (EG) 883/2004 nicht nur die – den Kalendermonaten entsprechenden – 178 Monate seiner Erwerbstätigkeit und des Kriegsdienstes sondern überdies auch die aufgewerteten Zeiten zu berücksichtigen seien. Es sei daher (bis zum Erreichen des Regelpensionsalters der Erwerb von insgesamt 540 Versicherungsmonaten möglich und demgemäß auch) das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten zu prüfen.

[8] Die Beklagte hielt ihren im Bescheid vertretenen Standpunkt aufrecht. Schwerarbeitszeiten seien festzustellen, wenn aufgrund der bisher erworbenen Versicherungsmonate anzunehmen sei, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 APG vor Erreichen des Regelpensionsalters erfüllt werden könnten. Das sei hier aber nicht der Fall, weil die in Kroatien erworbenen Versicherungszeiten gemäß Art 6 VO (EG) 883/2004 iVm Art 12 DVO (EG) 987/2009 lediglich dann mit den in Österreich erworbenen Versicherungszeiten zusammenzurechnen seien, wenn keine zeitliche Überschneidung vorliege. Zudem seien nach den Art 12 Abs 2, Art 13 Abs 2 VO (EG) 987/2009 bei der Zusammenrechnung maximal zwölf Versicherungsmonate pro Jahr, also nicht mehr als der tatsächliche Kalenderzeitraum zu berücksichtigen. Auch nach Art 51 VO (EG) 883/2004 seien doppelt (dh für denselben Zeitraum) berücksichtigte Versicherungszeiten nur im wirklichen Ausmaß anzurechnen. Angesichts dessen könne der Kläger die Wartezeit bis zu dem für die Alterspension maßgeblichen Stichtag nicht mehr erfüllen, sodass die Voraussetzungen des § 247 Abs 2 ASVG nicht vorlägen.

[9] Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger bis zum Feststellungszeitpunkt 1. Oktober 2022 insgesamt 258 Versicherungsmonate nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworben habe (Spruchpunkt 1.). Die auf Feststellung des Erwerbs weiterer 244 Versicherungsmonate (Spruchpunkt 2.) und von Schwerarbeitsmonaten im begehrten Zeitraum (Spruchpunkt 3.) gerichteten Begehren wies es ab. Ob und in welchem Umfang Versicherungszeiten vorlägen, habe zwar jener Träger verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten zu entscheiden, unter dessen Recht die Zeiten zurückgelegt worden seien. Die mitgeteilten Zeiten seien daher vom leistungszuständigen Träger nach Art 6 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit Art 12 DVO 987/2009 zusammenzurechnen, ohne zu prüfen, ob sie nach dem Recht des mitteilenden Staats tatsächlich anspruchs‑ oder leistungswirksam seien. Das bedeute aber nicht, dass jeder Mitgliedstaat alle in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungszeiten stets berücksichtigen müsse. Hier scheide eine Berücksichtigung der Sonderbonifkationen aus, weil sie über das kalendarische Ausmaß hinausgingen und es sich daher um eine dem österreichischen Recht unbekannte Form bzw Qualität von Versicherungszeiten handle. Für die Prüfung der allgemeinen und besonderen Anspruchsvoraussetzungen seien sie daher nur mit dem tatsächlichen Kalenderzeitraum und nicht mit dem erhöhten Ausmaß zu berücksichtigen. Angesichts dessen könne der Kläger bis zum Erreichen des Regelpensionsalters die nach § 4 Abs 3 Z 1 APG notwendigen 540 Versicherungsmonate nicht mehr erwerben, sodass die Voraussetzung für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten nicht erfüllt und die Klage insoweit abzuweisen sei. Die begehrte Feststellung der ausländischen Versicherungszeiten als Versicherungszeiten sei in § 247 Abs 1 ASVG nicht vorgesehen, was zur Abweisung auch des darauf gerichteten Klagebegehrens führe. Lediglich die im außer Kraft getretenen Bescheid festgestellten Versicherungszeiten seien zu wiederholen.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verwies auf die von ihm als zutreffend erachtete Beurteilung des Erstgerichts und führte ergänzend aus, dass dem österreichischen (Pensions‑)Recht zwar sich zeitlich deckende Versicherungszeiten nicht unbekannt seien. Sie seien aber stets in Versicherungsmonate zusammenzufassen, was dazu führe, dass sie immer nur einfach gezählt würden (§ 231 Z 1b, § 232 ASVG). Darauf aufbauend sei dem Kläger zwar zuzustimmen, dass die vom kroatischen Träger mitgeteilten Versicherungszeiten nach Art 6 VO (EG) 883/2004 iVm Art 12, Art 13 DVO (EG) 987/2009 grundsätzlich verbindlich und zusammenzurechnen seien, ohne ihre „Wertigkeit“ zu hinterfragen. Die hier mitgeteilten Zeiten seien jedoch in Einheiten ausgedrückt, die von den in Österreich vorgesehenen abwichen. Sie seien daher nach Art 13 VO (EG) 987/2009 umzurechnen, wobei höchstens das Zeitausmaß berücksichtigt werden könne, das auch kalendarisch maximal möglich sei. Auch die Ansicht, bei den Sonderbonifikationen handle es sich um Zeiten aus einem Sondersystem, treffe nicht zu. Da weder ein vergleichbares inländisches Sondersystem bestehe, noch der Kläger in Österreich als Polizist oder Soldat tätig gewesen sei, könne sich Art 51 VO (EG) 883/2004 auch gar nicht zugunsten des Klägers auswirken. Sein Recht auf Freizügigkeit ändere an all dem nichts, weil die VO (EG) 883/2004 und die DVO (EG) 987/2009 keine Harmonisierung, sondern nur die Koordinierung der von den Mitgliedstaaten geschaffenen Systeme der sozialen Sicherheit bezweckten. Ein Anspruch, dass der Umzug in einen anderen Mitgliedstaat keinerlei Auswirkungen auf die Art oder das Niveau zustehender Leistungen habe, werde dadurch nicht begründet.

[11] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob auch sich zeitlich deckende (als Sonderbonifikation gewährte kroatische) Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat nach Art 6 VO (EG) 883/2004 zusammenzurechnen seien, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[12] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

[13] Die Beklagte begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

A. Zur Feststellung nach § 247 Abs 1 ASVG

[15] 1. Warum sich der Kläger durch die (den Bescheid wiederholende) Feststellung der in Österreich erworbenen 258 Versicherungsmonate beschwert erachtet (Spruchpunkt 1. des Ersturteils), ist nicht nachvollziehbar, zumal diese unstrittig sind. Mangels jeglicher Ausführungen dazu ist darauf nicht weiter einzugehen (vgl RS0043603; RS0043605).

[16] 2. Zu den kroatischen Versicherungszeiten hat das Erstgericht zutreffend erkannt, dass gemäß § 247 Abs 1 ASVG nur „die nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten“ festzustellen sind. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind damit immer nur „innerstaatliche Versicherungszeiten“ gemeint, auch wenn es sich bei den im Ausland erworbenen Versicherungszeiten (aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen oder des Unionsrechts) um in Österreich zu berücksichtigende Zeiten handelt (RS0084984 [T1]; Sonntag in Sonntag, ASVG15 § 247 Rz 1 ua). Damit soll sichergestellt werden, dass über die Feststellung und das Ausmaß ausländischer Versicherungszeiten ausschließlich der Träger des zuständigen Mitgliedstaats entscheidet (10 ObS 98/12b ua).

[17] Wenn es die Vorinstanzen daher ablehnen, die in Kroatien erworbenen Versicherungszeiten als weitere (insgesamt 244) Versicherungsmonate festzustellen und das darauf gerichtete (Teil‑)Begehren abweisen (Spruchpunkt 2. des Ersturteils), entspricht das der Rechtslage (vgl RS0085830 [T2]). Inhaltlich kommt der Kläger darauf in seiner Revision ohnedies nicht mehr zurück, sodass (auch) darauf nicht weiter einzugehen ist.

B. Zur Feststellung nach § 247 Abs 2 ASVG

[18] 1. Mit Blick auf das soeben Gesagte ist zunächst klarzustellen, dass die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte ausländische Versicherungszeiten erworben hat, im vorliegenden Kontext lediglich eine Vorfrage dafür darstellt, ob bis zum Erreichen des Regelpensionsalters die erforderliche Wartezeit erfüllt werden kann. Der Beurteilung dieser (Vor‑)Frage kommt daher keine konstitutive Wirkung (dazu Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 247 ASVG Rz 15) zu (vgl RS0042554; RS0039843 [T21]; RS0127052 [T1]; RS0041157 [T13, T15]). Ein Widerspruch mit der Rechtsprechung zu § 247 Abs 1 ASVG (oben A.2.) besteht demgemäß nicht.

[19] 2. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass im Anlassfall der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 eröffnet ist.

[20] 2.1. Um die materiell‑rechtliche Gleichstellung von Personen zu erreichen, die – wie der Kläger – ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen haben, regelt Art 6 VO (EG) 883/2004 die Berücksichtigung (Zusammenrechnung) unter anderem fremdmitgliedstaatlicher Versicherungszeiten, soweit die nach nationalem Recht anzurechnenden Versicherungszeiten für die Erfüllung der jeweiligen innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichen (10 ObS 109/14y ErwGr 2.2.3.). Der zuständige Träger hat dabei die fremden Zeiten so zu behandeln, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Maßgebend für die Art sowie das Ob und den Umfang der Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Zeiten ist das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaats, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt wurden. Der danach zuständige Träger entscheidet hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten, das heißt mit Tatbestandswirkung (RS0113189 [T1 bis T4]; 10 ObS 158/10y ErwGr 2. ua; vgl RS0113185).

[21] 2.2. Flankiert wird die Regelung des Art 6 VO (EG) 882/2004 durch Vorschriften über Sondersysteme (Art 51 VO [EG] 883/2004) sowie die Überschneidung und Umrechnung von Versicherungszeiten (Art 12 Abs 2 bis Abs 6 und Art 13 DVO [EG] 987/2009), die hier aber nicht zur Anwendung gelangen:

[22] 2.2.1. Nach Art 12 Abs 2 DVO (EG) 987/2009 sind die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten denjenigen Zeiten hinzuzurechnen, die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegt wurden, sofern sich diese Zeiten nicht überschneiden. Ein Fall der Überschneidung liegt demnach nur vor, wenn Zeiten mehrerer Mitgliedstaaten in dieser Weise aufeinandertreffen (vgl Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 12 DVO 987/2009 Rz 10; Schuler in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 6 VO [EG] 883/2004 Rz 10).

[23] 2.2.2. Eine Umrechnung nach der Regelung des Art 13 DVO (EG) 987/2009 hat hier nicht zu erfolgen, weil der kroatische Träger Versicherungszeiten im Ausmaß von 19 Jahren, neun Monaten und 25 Tagen mitgeteilt (Beilage ./4) und das Erstgericht Versicherungszeiten von insgesamt 237 (228 plus neun) Monaten festgestellt hat. Das bedeutet, dass die mitgeteilten 25 Tage – vom Kläger unbeanstandet – ohnehin nicht berücksichtigt wurden. Einer (weiteren) Umrechnung bedarf es mangels voneinander abweichender in‑ und ausländischer Einheiten daher nicht (mehr).

[24] 2.2.3. Auch Art 51 VO (EG) 883/2004 ist nicht einschlägig. Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass Art 51 Abs 1 VO (EG) 883/2004 schon deshalb nicht zur Anwendung kommt, weil der Kläger in Österreich keine Pension aus einem Sondersystem beantragt. Selbst wenn man der Ansicht des Klägers folgt, wonach die Sonderbonifikation aus einem kroatischen Sondersystem stammten, würde dies mangels eines vergleichbaren Sondersystems in Österreich nach Art 51 Abs 2 VO (EG) 883/2004 wiederum nur zur Berücksichtigung der kroatischen Sonderbonifikationen im (österreichischen) allgemeinen System führen (Kapuy in Spiegel, aaO, Art 51 VO [EG] 883/2004 Rz 3 ff).

[25] 3. Im Rahmen des allein maßgeblichen Art 6 VO (EG) 883/2004 ist zwar richtig, dass die Mitteilung eines Mitgliedstaats über Versicherungszeiten verbindlich ist (vgl EuGH C‑372/02 , Adnez‑Vega, Rz 36).

[26] 3.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH bleiben aber die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit festzulegen und auch zu verschärfen, sofern diese keine offene oder versteckte Diskriminierung von Arbeitnehmern der Union bewirken (EuGH C‑440/09 , Tomaszewska, Rn 24; EuGH C‑306/03 , Saldago Alonso, Rn 27; vgl auch EuGH C‑866/19 Rn 27). Dem System der Sozialrechtskoordinierung ist demnach immanent, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente unterschiedlich sind (EuGH C‑523/13 , Larcher, Rn 48 ua). Die Mitgliedstaaten sind daher berechtigt, nicht nur eine Wartezeit für die Eröffnung eines Anspruchs auf eine in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Rente vorzuschreiben, sondern auch die Art der Versicherungszeiten festzulegen, die dafür berücksichtigt werden können (EuGH C‑306/03 , Saldago Alonso, Rn 31). Das heißt, ausländische Zeiten werden zwar mit der Wirkung, dem Charakter und dem Umfang in die Berechnung übernommen, wie sie das ausländische Recht generiert (vgl Wunder in beck‑online.GK [Kasseler Kommentar] Art 6 VO 883/2004 Rz 9). Der zuständige Mitgliedstaat ist aber nicht gehindert, seine Leistungen nur von bestimmten Zeiten abhängig zu machen und für deren Berechnung auch nur diese zu berücksichtigen (vgl Leopold in BeckOK Sozialrecht, Art 6 VO [EG] 883/2004 Rz 10), was insofern auch dem Beschluss H6 der Verwaltungskommission vom 16. Dezember 2010 (Abl C 2011/C 45/04 [Anhang Bsp 2] – abgedruckt in Spiegel, aaO Anl 3) entspricht.

[27] 3.2. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend betont haben, sind dem österreichischem Recht „fiktive“ zusätzliche Versicherungsmonate, also Zeiten, die sich mit „tatsächlichen“ Versicherungsmonaten zeitlich decken, fremd. Zwar können einander überlappende Versicherungszeiten entstehen. Für die Feststellung der Leistungen aus der Pensionsversicherung werden diese durch das Zusammen-zufassen zu Versicherungsmonaten aber immer nur einfach gezählt (§§ 231, 232 ASVG; vgl RS0102492). Sie sind daher keine Zeiten, die in Österreich für die Erfüllung von Wartezeiten berücksichtigt werden. Obwohl die mitgeteilten kroatischen Sonderbonifikationen grundsätzlich auch in Österreich als Versicherungszeiten anzuerkennen sind, sind sie ihrer Art nach aber keine Versicherungszeiten, die für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 Abs 3 APG zusätzlich zu den für denselben Zeitraum bereits (unstrittig) anzurechnenden „tatsächlichen“ Zeiten heranzuziehen sind (so im Ergebnis auch Spiegel, aaO, Art 12 DVO [EG] 987/2009 Rz 11; Kapuy, aaO, Art 51 VO [EG] 883/2004 Rz 12; Schuler, aaO, Art 6 VO [EG] 883/2004 Rz 13 [vgl dagegen Rz 6]).

[28] 4. Zusammenfassend entspricht die Ansicht der Vorinstanzen, die „fiktiven“ kroatischen Versicherungsmonate, die durch Aufwertung „tatsächlicher“ Versicherungsmonate zusätzlich zu diesen generiert werden, seien für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 Abs 3 APG nicht zu berücksichtigen, der Rechtslage.

[29] 4.1. Entgegen der Ansicht des Klägers steht dem der Grundsatz, dass die Mitteilung des (Trägers des) zuständigen Mitgliedstaats nicht zu prüfen ist (oben B.2.1.), nicht entgegen. Denn dadurch wird nicht die Qualität oder das Ausmaß der kroatischen Versicherungszeiten anders als in der Mitteilung des kroatischen Trägers beurteilt, sondern der Prüfung, ob die Wartezeit des § 4 Abs 3 APG erfüllt ist, nur jene Zeiten zugrundegelegt, die die nach den innerstaatlichen Vorschriften festgelegten Voraussetzungen erfüllen.

[30] 4.2. Ebenso wenig steht das im Widerspruch mit dem Recht auf Freizügigkeit. Denn das bloß koordinierende Sozialrecht der Europäischen Union schafft kein einheitliches, harmonisiertes „Europäisches Sozialversicherungssystem“. Einem Erwerbstätigen ist durch Art 45 AEUV daher nicht garantiert, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder ihre Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist (EuGH C‑134/18 , Vester, Rn 32; 10 ObS 83/23p Rz 59; 10 ObS 96/19v ErwGr II.2. mwN ua).

[31] 5. Die darauf aufbauende Beurteilung der Vorinstanzen, die Voraussetzungen für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten lägen nicht vor, weil der Kläger die nach § 4 Abs 3 APG erforderliche Anzahl an Versicherungsmonaten bis zum Regelpensionsalter nicht mehr erwerben könne, bestreitet der Kläger nicht.

[32] Der Revision ist daher insgesamt nicht Folge zu geben.

[33] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO abhängt (RS0085871). Ein Kostenzuspruch kommt hier aber nicht in Betracht, weil aus der Aktenlage keine Angaben zu den Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen des Klägers ersichtlich sind, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten.

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