European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00138.24S.0306.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Antragsteller war Mieter und die Antragsgegnerin Vermieterin einer Wohnung in Wien. Das zunächst auf fünf Jahre befristete und in der Folge um weitere vier Jahre verlängerte Mietverhältnis begann am 1. 10. 2013 und wurde mit 31. 5. 2021 beendet.
[2] Gegenstand des Verfahrens ist die Zulässigkeit des vereinbarten und vorgeschriebenen Hauptmietzinses für die vom Antragsteller gemietete Wohnung. Strittig ist nur mehr der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand, der an die Schlichtungsstelle gerichtete Antrag sei zufolge eines Vertretungsmangels gegenstandslos und die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung daher nunmehr – nach Abziehung des Verfahrens von der Schlichtungsstelle an das Gericht – iSd § 16 Abs 8 MRG verfristet.
[3] Das Erstgericht verneinte die Präklusion der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung und stellte den gesetzlich zulässigen Hauptmietzins zu den relevanten Stichtagen sowie dessen jeweilige Überschreitung fest.
[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[6] 1. Die Antragsgegnerin begründet ihren Einwand der Präklusion der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarungzusammengefasst damit, dass die dem Antrag an die Schlichtungsstelle beigelegte Vollmacht des den Antragsteller angeblich vertretenden Vereins – nicht verbesserte – Inhalts- und Formmängel aufgewiesen habe. Der Antrag sei daher vollmachtslos eingebracht worden und entfalte damit keine Rechtswirkung. Die Sanierung des im Schlichtungsstellenverfahren aufgetretenen Vollmachtsmangels mit Wirkung für das Schlichtungsstellenverfahren durch nachträgliche Genehmigung erst im gerichtlichen Verfahren komme – entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen – angesichts der sukzessiven Zuständigkeit und aufgrund verfassungsrechtlicher Grundsätze (Art 94 B‑VG) nicht in Betracht.
[7] 2. Der Einwand der Antragsgegnerin ist unrichtig und nicht berechtigt.
[8] 2.1. Besteht eine Schlichtungsstelle iSd § 39 Abs 1 MRG, ist ein Verfahren über einen Antrag nach § 37 Abs 1 MRG bei sonstiger Unzulässigkeit des (außerstreitigen) Rechtswegs dort einzuleiten. Dem Wesen der sukzessiven Kompetenz entsprechend können diese Verfahren erst dann bei Gericht anhängig gemacht werden, wenn vorher die Schlichtungsstelle (Gemeinde) mit der „Sache“ befasst war (RS0070782 [T1]). Die Vorschaltung der Schlichtungsstellen vor Befassung der Gerichte in außerstreitigen Mietrechtssachen gemäß § 39 MRG ist somit eine zwingende Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren bei sonstiger Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs (RS0116912 [T1]; RS0006307 [T8]).
[9] Wäre der das Verfahren bei der Schlichtungsstelle einleitende Antrag, wie die Antragsgegnerin ihrer Argumentation zugrunde legt, tatsächlich als „gegenstandslos“ zu betrachten, hätte dies daher die der Prüfung der materiell-rechtlichen Präklusion der Mietzinsüberprüfung vorgelagerte Konsequenz, dass der Rechtsweg unzulässig wäre. Die Anrufung des Gerichts nach § 40 Abs 2 MRG käme in diesem Sinn gar nicht in Betracht.
[10] Der Sache nach haben die Vorinstanzen daher die Wirksamkeit der Anrufung der Schlichtungsstelle und damit die Zulässigkeit des (außerstreitigen) Rechtswegs zwar übereinstimmend bejaht, der Geltendmachung und Wahrnehmung dieses Verfahrensmangels im Revisionsrekursverfahren stünde aber dennoch weder eine allfällige Rechtsmittelbeschränkung analog § 528 Abs 2 Z 2 ZPO oder § 519 ZPO, noch eine bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 JN entgegen (vgl 5 Ob 178/23x [Rz 55 f] mwN).
[11] 2.2. Nach dem gemäß § 39 Abs 3 MRG im Verfahren bei der Schlichtungsstelle anzuwendenden § 10 Abs 1 AVG sind die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter berechtigt, sich durch eigenberechtigte natürliche Personen oder bestimmte juristische Personen vertreten zu lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen.
[12] Die Nichtvorlage einer schriftlichen Vollmacht stellt gemäß § 10 Abs 2 AVG ein iSd § 13 Abs 3 AVG behebbares Formgebrechen dar (VwGH 2010/22/0093 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist für die Wirksamkeit einer durch einen Vertreter vorgenommenen fristgebundenen Verfahrenshandlung zwar das Vorliegen einer entsprechenden Bevollmächtigung durch den Vertretenen zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlung erforderlich. Es genügt aber, wenn ein zum Zeitpunkt der Vornahme der Verfahrenshandlung bestehendes (mündliches) Vollmachtsverhältnis erst nachträglich beurkundet wird (VwGH Ra 2024/02/0072 mwN).
[13] Nach § 10 Abs 4 AVG kann die Behörde von einer ausdrücklichen Vollmacht (das heißt vom urkundlichen Nachweis derselben) absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten. Der Funktionär einer beruflichen oder anderen Organisation kann sich somit dann auf diese Bestimmung berufen, wenn eine Vollmacht zur Vertretung entweder ihm selbst oder der Organisation, deren Funktionär er ist, erteilt worden ist (VwGH 2007/12/0080 mwN).
[14] Eine nähere, amtswegige Prüfung der Vertretungsbefugnis – insbesondere durch Erteilung eines Auftrags gemäß § 13 Abs 3 AVG zur Vorlage der Vollmachtsurkunde – ist nur dann erforderlich und zulässig, wenn konkrete Bedenken an der Richtigkeit des Vorbringens bestehen (VwGH Ra 2019/16/0064; VwGH 95/03/0221 [Rechtsanwalt oder Notar]). Fehlen Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis, braucht die Behörde zunächst keine Untersuchungen in der Richtung anzustellen, die auf einen Nachweis einer ausdrücklichen Vollmacht hinauslaufen würden, von der nach § 10 Abs 4 AVG gerade abgesehen werden kann (VwGH Ra 2021/03/0167; VwGH 2004/07/0172).
[15] Im vorliegenden Fall wurde der Antrag im Namen des Antragstellers durch einen Funktionär eines Vereins, dessen Funktionäre oder Angestellte als Interessenvertreter iSd § 37 Abs 3 Z 9 MRG im wohnrechlichen Außerstreitverfahren zur Vertretung von Parteien in allen Instanzen befugt sind, eingebracht. Dieser Funktionär hat sich ausdrücklich auf die erteilte Vollmacht berufen. Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis hatte die Schlichtungsstelle – bis zur Anrufung des Gerichts wegen Nichtentscheidung nach § 40 Abs 2 MRG durch die Antragsgegnerin hatte diese weder einen Verbesserungsauftrag erteilt noch eine Entscheidung getroffen – offenbar nicht; auch im gerichtlichen Verfahren sind solche nicht entstanden. Damit war dieser Funktionär als Vertreter des Antragstellers iSd § 10 Abs 1 und 4 AVG anzusehen und die Behörde grundsätzlich berechtigt, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auf die Vorlage einer Vollmacht iSd § 10 AVG zu verzichten (vgl 5 Ob 119/06w).
[16] 2.3. Gegen Entscheidungen der Schlichtungsstelle in der Sache ist – anders als in rein verfahrensrechtlichen Angelegenheiten – keine Beschwerde an das Verwaltungsgericht zulässig; stattdessen ist die Anrufung des Gerichts nach § 40 MRG vorgesehen (VfGH 12. 6. 2017, E404/2017). Dies gilt nicht nur für meritorische Entscheidungen, sondern auch für Fälle, in denen ein Antrag von der Schlichtungsstelle aus formellen Gründen zurückgewiesen wird (VwGH 88/01/0169 MietSlg 40.578).
[17] Durch die Anrufung der Schlichtungsstelle ist die zwingende Verfahrensvoraussetzung des § 39 Abs 1 MRG gewährleistet, weil es ausreicht, dass „die Sache vorher bei der Gemeinde anhängig gemacht worden ist“ (5 Ob 87/08t; RS0070055 [T7]). Selbst eine allfällige Mangelhaftigkeit oder sogar Nichtigkeit des Verfahrens oder der Entscheidung der Schlichtungsstelle wäre damit bedeutungslos, tritt doch durch die Anrufung des Gerichts die Entscheidung der Gemeinde jedenfalls außer Kraft (5 Ob 87/08t; RS0006307 [T13]; RS0070055 [T8]). Dass das bezogen auf das Verfahren der Schlichtungsstelle und/oder dessen Entscheidungen in rein verfahrensrechtlichen Angelegenheiten auch für die Abziehung des Antrags an das Gericht gemäß § 40 Abs 2 MRG zu gelten hat, ergibt sich aus einem zweifelsfreien Größenschluss (vgl VwGH 92/06/0199 MietSlg 44.577 [Prüfung der Zulässigkeit des Verfahrens außer Streitsachen]).
[18] 3. Die von der Revisionsrekurswerberin aufgeworfene Frage der nachträglichen Genehmigung der Vertretungshandlungen mit Wirkung für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle stellt sich aufgrund obiger Erwägungen nicht.
[19] Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
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