OGH 3Ob222/24d

OGH3Ob222/24d26.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Tramposch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 21.714,92 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 16. September 2024, GZ 14 R 73/24v‑14, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 26. März 2024, GZ 27 Cg 50/23a‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00222.24D.0226.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 21.714,92 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. April 2023 zu zahlen und die mit 5.459,44 EUR (hierin enthalten 730,54 EUR USt und 1.076,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 3.570,52 EUR (hierin enthalten 391,92 EUR USt und 1.219 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.220,40 EUR (hierin enthalten 282,40 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.“

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der in Deutschland ansässige Kläger ist einer von rund 36 Geschädigten in einem Betrugsfall, der über eine unter Verwendung der Identität des vermeintlichen Verkäufers betrügerisch aufgesetzte deutsche Internetseite erfolgt ist. Der Kläger hat über diese Internetseite Goldbarren um einen Betrag von 21.714,92 EUR gekauft, die Ware aber nie erhalten. Es war von Anfang an nicht Absicht der Täter, dem Kläger die Goldbarren zu übergeben. Der Kaufvertrag „ist nicht wirksam zustande gekommen bzw wurde aufgelöst“. Den Kaufpreis überwies der Kläger, wie von den Tätern vorgegeben, auf ein von J* (im Folgenden: Kontoinhaberin) im Auftrag eines der Täter eröffnetes österreichisches Bankkonto. Die Kontoinhaberin wurde von einem der Täter bestimmt, die den Opfern betrügerisch herausgelockten Geldbeträge auf weitere (ausländische) Konten weiterzuüberweisen. Am 25. März 2020 wurde auf dem Konto der Kontoinhaberin ein Betrag von 200.024,03 EUR sichergestellt, darunter der vom Kläger überwiesene Betrag.

[2] Die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau stellte das gegen die Kontoinhaberin wegen § 165 Abs 1 und 4 StGB geführte Strafverfahren gemäß § 190 Z 2 StPO ein, weil sie als „unwissendes Werkzeug der Täter“ benutzt wurde. Das Strafverfahren gegen unbekannte Täter wegen § 146, § 147 Abs 2 StGB und jenes gegen einen weiteren Verdächtigen wegen § 164 Abs 1 und 4 StGB wurde jeweils gemäß § 190 Abs 1 Z 1 StGB eingestellt. Die Täter konnten nicht gefasst werden.

[3] In der Hauptverhandlung vom 25. April 2022 erklärte das Landesgericht Krems an der Donau den sichergestellten Geldbetrag von 200.024,03 EUR gemäß § 20 Abs 1 StGB für verfallen. Die Kontoinhaberin war in diesem Verfallsverfahren als Haftungsbeteiligte geladen; der Kläger wurde dem Verfallsverfahren nicht beigezogen.

[4] Der Kläger begehrt den Betrag von 21.714,92 EUR sA, weil die Beklagte durch die Verfallsentscheidung insoweit unrechtmäßig bereichert sei. Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe des sichergestellten Geldes folge bereits aus § 371 ABGB. Als Opfer einer Straftat habe der Kläger Anspruch auf den für verfallen erklärten Gegenstand; er habe zumindest einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch gegen die Kontoinhaberin, aus dem dann der Anspruch nach § 444 Abs 2 StPO folge.

[5] Die Beklagte wendete insbesondere ein, § 444 Abs 2 StPO erfasse nur Personen, die entweder ein dingliches Recht an der für verfallen erklärten (und damit in das Eigentum des Bundes übergegangenen) Sache hätten oder denen obligatorische Rechte auf diese Sache zustünden. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Beim strafgerichtlichen Verfall erfolge der originäre Erwerb des lastenfreien Eigentums durch den Bund mit Eintritt der Rechtskraft des Verfallserkenntnisses, sodass die Beklagte nicht unrechtmäßig bereichert, sondern der Vermögenszuwachs vielmehr gerechtfertigt sei.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ausgehend vom oben zusammengefasst wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt ab. Der Umstand, dass sich der vom Kläger überwiesene Betrag in der sichergestellten Summe „befindet“, reiche nicht aus, um einen abgrenzbaren, unterscheidbaren Anteil darzutun. Der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf das gesamte Kontoguthaben, sondern nur allenfalls eine Forderung gegen die Kontoinhaberin. Ein solcher bereicherungsrechtlicher Anspruch begründe aber keinen Rechtsanspruch „auf den Gegenstand“, sodass § 444 Abs 2 StPO keine taugliche Grundlage für den Zuspruch des eingeklagten Betrags darstelle.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Entscheidung 1 Ob 101/23v sei hier nicht einschlägig, weil sie einen Anspruch nach § 373b StPO betroffen habe; eine solche Befriedigungsmöglichkeit stehe dem Kläger aber nicht offen, weil er gerade nicht über einen rechtskräftig zuerkannten Entschädigungsanspruch verfüge. Grundlage des vom Kläger primär geltend gemachten Bereicherungsanspruchs nach § 444 Abs 2 StPO sei, dass der Verfall oder die Einziehung erfolgt sei, obwohl die Voraussetzungen dafür in Wahrheit nicht vorgelegen seien. Haftungsbeteiligte iSd § 64 iVm § 444 StPO seien insbesondere Personen, die, ohne selbst angeklagt zu sein, von einem Verfall „bedroht“ seien. Dies setze entweder ein dingliches Recht an der Sache oder aber ein obligatorisches Recht voraus, das sich konkret auf den von der Anordnung betroffenen Gegenstand oder Vermögenswert beziehe. Der Kläger sei zweifellos Geschädigter, also Opfer jener Straftat, deretwegen auf Verfall erkannt worden sei, er habe aber weder ein dingliches Recht an der Sache noch einen obligatorischen Anspruch auf den vom Verfall bedrohten Vermögenswert (auf das Kontoguthaben); vielmehr habe er lediglich einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gegen die Kontoinhaberin gehabt. Daher sei er nicht als Haftungsbeteiligter anzusehen. In Bezug auf Buchgeld sei zwar grundsätzlich eine Quantitätsvindikation gemäß § 415 ABGB möglich. Wenn aber ein bestimmter Anteil am Gemenge nicht mehr nachweisbar sei, etwa weil zwischenzeitig Geld in unbestimmter Höhe entnommen worden sei oder sich Kontobewegungen nicht mehr nachvollziehen ließen, scheide die Geltendmachung von Miteigentum aus. Im vorliegenden Fall sei es einerseits zu einer ununterscheidbaren Vermengung der Gelder der Geschädigten (darunter des Klägers) am Konto und andererseits, wie sich aus dem unstrittigen Inhalt des Strafakts ergebe, auch zu mehreren Abhebungen bzw Überweisungen gekommen. Die Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU sei, wie alle EU‑Richtlinien, nicht unmittelbar anwendbar, sodass der Kläger daraus kein unmittelbares Recht ableiten könne.

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob § 444 Abs 2 StPO so weit zu verstehen sei, dass davon auch Opfer von Straftaten erfasst seien, die nur deswegen nicht als Haftungsbeteiligte dem Verfallsverfahren beigezogen worden seien, weil sie bloß einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gegen den Inhaber eines beschlagnahmten Kontos hätten.

[9] Mit seiner Revision strebt der Kläger die Stattgebung seines Klagebegehrens an; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch berechtigt.

[12] 1. Gemäß § 20 Abs 1 StGB idF BGBl I 2010/108 hat das Gericht Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Der Begriff „Vermögenswerte“ umfasst alle wirtschaftlichen Vorteile, die einer Bewertung zugänglich sind. Neben körperlichen Sachen, wie die Geld- oder Schmuckbeute, sind auch Forderungen (Bankguthaben) und sonstige wirtschaftliche Werte erfasst. Die Vermögenswerte, die für verfallen erklärt werden sollen, müssen nicht im Eigentum des Täters stehen. Der Verfall kann daher nicht nur den Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung, sondern auch Dritte, die an der Tat selbst nicht beteiligt waren, betreffen, sofern nicht einer der (hier nicht gegebenen) Ausschlussgründe des § 20a StGB vorliegt (1 Ob 101/23v mwN). Mit Eintritt der Rechtskraft des Verfallserkenntnisses erwirbt der Bund ex lege originär lastenfreies Eigentum am für verfallen erklärten Gegenstand (3 Ob 121/12h mwN).

[13] 2. Wer als Haftungsbeteiligter (unter anderem) dem selbständigen Verfahren über den Verfall nach §§ 443 ff StPO beizuziehen ist, bestimmt § 64 Abs 1 StPO. Danach sind Haftungsbeteiligte Personen, die in unterschiedlicher Weise von strafgerichtlichen Entscheidungen in ihrem Vermögen betroffen sein können. Dazu zählt das Gesetz – neben Personen, die subsidiär für fremde Leistungen wie Geldstrafen, Geldbußen, Verfalls- und Wertersatz, sowie Kosten des Verfahrens einstehen müssen – auch (wenngleich dafür die Bezeichnung Haftungsbeteiligte wenig passend ist [Fuchs/Tipold in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 64 Rz 1]) Personen, die, ohne selbst angeklagt zu sein, (unter anderem) vom Verfall „bedroht“ sind.

[14] 2.1. Eine solche „Bedrohung“ liegt dann vor, wenn sich in einem Verfahren die konkrete Möglichkeit ergibt, dass eine vermögensrechtliche Anordnung zu treffen sein wird, die in die Rechte anderer Personen als des Angeklagten eingreifen könnte (Fuchs/Tipold in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 444 Rz 3).

[15] 2.2. Der Kläger hatte und hat zur Kontoinhaberin keine vertragliche Beziehung und – mangels deren Beteiligung an der Straftat – gegen sie auch keinen (außervertraglichen) Schadenersatzanspruch. Allerdings wäre die Kontoinhaberin, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ohne die Verfallsentscheidung durch die Zahlungseingänge auf ihrem Konto – also auch durch die Zahlung des Klägers – unrechtmäßig bereichert gewesen.

[16] 2.3. Wegen des vorliegenden Auslandsbezugs ist zunächst zu untersuchen, nach welchem Recht ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch des Klägers zu beurteilen ist. Gemäß Art 10 Abs 3 Rom II‑VO ist dies das Recht des Staates, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist, hier also das österreichische Recht. Der Kläger hätte daher von der Kontoinhaberin, gestützt auf § 1431 ABGB, die Rückzahlung seiner Überweisung begehren können, weil es sich dabei um eine (durch die unbekannt gebliebenen Täter betrügerisch veranlasste) irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld handelte.

[17] 2.4. Seit Rechtskraft der Verfallsentscheidung scheidet allerdings die erfolgversprechende Geltendmachung eines solchen Anspruchs des Klägers gegen die Kontoinhaberin aus, weil die in ihrem Vermögen eingetretene Bereicherung bereits „abgeschöpft“ wurde. Eine „Bedrohung“ der Rechte des Klägers durch die Verfallsentscheidung ist daher zwanglos zu bejahen.

[18] 3. Die allgemein gehaltene Formulierung des § 64 Abs 1 StPO beantwortet allerdings für sich allein noch nicht die Frage, welche Rechtsstellung die Personen haben müssen, die vom Verfall einer Sache „bedroht“ sind. Die nähere Konkretisierung bzw Beschränkung des nach dem klaren Willen des Gesetzgebers erfassten Personenkreises ergibt sich aus § 444 Abs 2 StPO (1 Ob 69/15a).

[19] 3.1. Gemäß § 444 Abs 2 StPO steht es Haftungsbeteiligten, die ihr Recht erst nach Rechtskraft der Entscheidung über den Verfall, den erweiterten Verfall oder die Einziehung geltend machen, frei, ihre Ansprüche auf den Gegenstand oder dessen Kaufpreis (§ 408 StPO) binnen 30 Jahren nach der Entscheidung gegen den Bund im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Dieser Anspruch richtet sich auf Herausgabe des Gegenstands oder auf Herausgabe des Verkaufs- oder Verwertungserlöses. Wurde ein Geldbetrag (Bargeld, Kontoguthaben) für verfallen erklärt und eingetrieben, dann richtet sich der Anspruch auf Rückzahlung (Herausgabe der Bereicherung). Der Anspruch nach § 444 Abs 2 StPO ist der Sache nach daher ein Bereicherungsanspruch und im Zivilrechtsweg durchzusetzen. Seine Grundlage ist, dass der Verfall oder die Einziehung erfolgten, obwohl die Voraussetzungen dafür in Wahrheit nicht vorlagen. Ob das zutrifft, hat dann das Zivilgericht aufgrund des Vorbringens und Beweisverfahrens im Zivilprozess als Vorfrage zu beurteilen. Bezieht sich der Verfall auf ein Kontoguthaben, so ist jedenfalls der Inhaber des Kontos, auf dem sich der von der Anordnung bedrohte Vermögenswert befindet, Haftungsbeteiligter (1 Ob 101/23v mwN).

[20] 3.2. Bei gegenstandsbezogenen Maßnahmen wie insbesondere dem Verfall sind (nach der präziseren Formulierung des § 444 Abs 1 StPO aF, die zugunsten des § 64 Abs 1 StPO aufgehoben wurde) alle Personen Haftungsbeteiligte, die „ein Recht auf die vom Verfall oder von der Einziehung bedrohten Vermögenswerte oder Gegenstände haben oder ein solches Recht geltend machen“. Dies können dingliche Rechte an der Sache sein, wie Eigentum, Pfandrecht, Fruchtgenuss oder ein Zurückbehaltungsrecht, aber auch obligatorische Rechte, die sich konkret auf den von der Anordnung betroffenen Gegenstand oder Vermögenswert beziehen, wie das Recht auf Eigentumsübertragung aufgrund eines Kaufvertrags über eine individuelle Sache, ein schuldrechtliches Wohnrecht, das Recht auf Herausgabe des Vermögens oder eine Forderung gegen die Bank auf Auszahlung des Guthabens (Fuchs/Tipold in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 444 Rz 4 mwN).

[21] 3.3. In diesem Sinn wurde bereits judiziert, dass Schadenersatzansprüche oder andere Forderungen keinen Rechtsanspruch „auf den Gegenstand“ begründen, den der Täter empfangen hat, so insbesondere auch nicht eine (wenn auch titulierte) Honorarforderung eines Rechtsanwalts gegen seinen ehemaligen Klienten, dessen auf einem Wertpapierdepot erliegendes Vermögen für verfallen erklärt wurde (1 Ob 69/15a mwN).

[22] 4. Der Kläger hatte, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, kein dingliches Recht „an der Sache“ (dh am für verfallen erklärten Kontoguthaben, genauer gesagt an dem seiner Überweisung entsprechenden Teilbetrag). Eine Quantitätsvindikation nach § 415 ABGB kommt zwar grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn Gelder verschiedener Eigentümer auf einem Giro- oder Sparkonto erlegt wurden (vgl RS0010924). Im vorliegenden Fall erfolgten allerdings, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, (auch) nach dem Zahlungseingang des Klägers sowohl Ein- als auch Auszahlungen auf das und vom Konto, sodass gerade nicht gesagt werden kann, dass die Überweisung des Klägers im Zeitpunkt der Verfallsentscheidung noch in der Masse vorhanden und individualisierbar gewesen wäre (vgl RS0010924 [T3]). Der Kläger hatte auch kein obligatorisches Recht auf den (gesamten) von der Anordnung betroffenen Vermögenswert. Allerdings stand ihm, wie bereits oben (Punkt 4.) ausgeführt, ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch in Höhe seiner rechtsgrundlosen Zahlung gegen die Kontoinhaberin zu.

[23] 4.1. Ausgehend vom unstrittigen Sachverhalt liegt es auf der Hand, dass die einzige Chance des Klägers, die ihm betrügerisch herausgelockte Zahlung zurückzuerhalten, darin bestand und besteht, anteilig auf das (seinerzeitige, für verfallen erklärte) Kontoguthaben zu greifen. Im Unterschied zu dem der Entscheidung 1 Ob 69/15a zugrunde liegenden Sachverhalt war der für verfallen erklärte Vermögenswert für ihn auch nicht bloß (irgend‑)ein potentieller Haftungsfonds, weil seine Zahlung ja aufgrund der Betrugshandlungen auf genau dieses Konto geflossen war.

[24] 4.2. Das Wiedergutmachungsinteresse des Opfers einer Straftat hatte bereits in dem mit der Strafprozessnovelle 1999 (BGBl I 1999/55) neu eingeführten § 90i StPO Ausdruck gefunden und ist nunmehr in § 10 Abs 3 StPO als tragender Grundsatz des Strafverfahrens festgeschrieben; demnach haben Staatsanwaltschaft und Gericht bei den jeweiligen Entscheidungen über die Beendigung des Verfahrens immer die Wiedergutmachungsinteressen der Opfer zu prüfen und im größtmöglichen Ausmaß zu fördern (1 Ob 101/23v [Rz 38] mwN).

[25] 4.3. Zu 1 Ob 101/23v sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass die (im vorliegenden Fall allerdings mangels vom Kläger erwirkten Titels gegen die Kontoinhaberin nicht anwendbare) Bestimmung des § 373b StPO dem Wiedergutmachungsinteresse des Opfers dient, weil sie auf dessen rasche und einfache Entschädigung abzielt. Nach Auffassung des erkennenden Senats gilt Gleiches allerdings auch für § 444 Abs 2 StPO; auch diese Norm hat also (auch) den Zweck, die Wiedergutmachung des dem Opfer einer Straftat entstandenen Schadens zu fördern.

[26] 4.4. Die Opferschutzrichtlinie (RL 2012/28/EU ) sieht in ihrem Art 15 vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die im Rahmen des Strafverfahrens beschlagnahmten Vermögenswerte, die für eine Rückgabe in Frage kommen, den Opfern aufgrund einer entsprechenden Entscheidung einer zuständigen Behörde unverzüglich zurückgegeben werden, es sei denn, die Vermögenswerte werden zum Zwecke des Strafverfahrens benötigt.

[27] 4.5. Im Sinn einer richtlinienkonformen Interpretation erscheint es daher geboten, § 444 Abs 2 StPO dahin (erweiternd) auszulegen, dass auch ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch des Opfers einer Straftat gegen den Inhaber eines Kontos, dessen Guthaben für verfallen erklärt wurde, einen (aliquoten) „Anspruch auf den Gegenstand“ darstellt.

[28] 5. Ausgehend davon erweist sich die Klageforderung als berechtigt, sodass die Urteile der Vorinstanzen im Sinn der vollständigen Klagestattgebung abzuändern sind. Dass dem Kläger infolge Nichtzureichens des für verfallen erklärten Kontoguthabens zur Befriedigung der Ansprüche sämtlicher Opfer in diesem Betrugsfall nicht der gesamte eingeklagte Betrag zustehe, hat die – dafür behauptungs- und beweispflichtige Beklagte (so schon 5 Ob 11/70 zum vergleichbaren Fall einer für verfallen erklärten Haftkaution; vgl auch 2 Ob 207/09v zum „Deckungskonkurs“ nach § 156 Abs 3 VersVG) – nicht eingewendet. Auch den Beginn des Zinsenlaufs hat die Beklagte nicht substanziiert bestritten.

[29] 6. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 41 iVm § 54 Abs 1a ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte