OGH 4Ob4/25d

OGH4Ob4/25d25.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. *, geboren * 2015, und 2. *, geboren * 2017, beide wohnhaft bei der Mutter *, Vater: *, vertreten durch Mag. Diether Pfannhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter, vertreten durch die Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 7. November 2024, GZ 20 R 269/24k‑80, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00004.25D.0225.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Eltern der minderjährigen Mädchen führten eine Lebensgemeinschaft, bis die Mutter im Februar 2022 mit beiden Kindern aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Seitdem erfolgt die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter. Die Obsorge stand und steht beiden Eltern gemeinsam zu.

[2] Nachdem die Mutter beim Erstgericht zunächst die Regelung eines Wochenendkontaktrechts beantragte und der Vater eine möglichst gleichteilige Aufteilung der Betreuung anstrebte, vereinbarten sie im Dezember 2022 ein vorläufiges Regelkontaktrecht für den Vater. In der Folge waren die Mädchen (abgesehen von Ferienkontakten) in ungeraden Wochen von Donnerstag nach der Schule bis Montag Schulbeginn und in geraden Wochen von Donnerstag nach der Schule bis Freitag Schulbeginn beim Vater. Die Familien- und Jugendgerichtshilfe empfahl in ihrer Stellungnahme vom Mai 2023 (nach Gesprächen mit den Eltern, den Mädchen und deren Pädagogen) zunächst die Beibehaltung dieser Regelung.

[3] Trotz Elternberatung verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Eltern in der Folge jedoch, sodass das Erstgericht im Hinblick auf den Loyalitätskonflikt der Mädchen einen Kinderbeistand bestellte. Dennoch befürwortete die Familien- und Jugendgerichtshilfe in einer weiteren Stellungnahme vom 10. 6. 2024 die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge. Sie empfahl jedoch eine Änderung des Regelkontaktrechts, um die Situation für die Mädchen durch seltenere Wechsel zu erleichtern, und schlug vor, den einzelnen Tag beim Vater entfallen zu lassen und diesen an die anderen Tage alle zwei Wochen (davor oder danach) „anzuhängen“. In der Tagsatzung vom 3. 9. 2024 trug sodann der Kinderbeistand schriftliche Botschaften der Mädchen aus August 2024 vor, in denen sie ua äußerten, jedes zweite Wochenende zwei Tage bzw von Freitag nach der Schule bis Sonntag Abend zum Vater zu wollen.

[4] Das Erstgericht wies daraufhin Anträge der Mutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge sowie des Vaters auf Verlegung des hauptsächlichen Aufenthalts in seinen Haushalt ab, ordnete eine (weitere) Erziehungsberatung an, regelte das Ferienkontaktrecht und setzte das Regelkontaktrecht des Vaters derart fest, dass die Mädchen alle 14 Tage von Donnerstag nach der Schule bis Montag Schulbeginn beim Vater verbringen, wofür es maßgeblich auf die mit dem Kinderbeistand erarbeitete Botschaft der Mädchen abstellte.

[5] Gegen diesen Beschluss erhob nur der Vater Rekurs, und auch nur insoweit, als damit sein Kontaktrecht beschränkt wurde. Das Rekursgericht gab seinem Eventualantrag Folge und räumte dem Vater ein Regelkontaktrecht alle 14 Tage bereits von Mittwoch nach der Schule bis Montag Schulbeginn ein.

[6] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt nunmehr die Mutter, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen, sohin den weiteren Kontakttag ersatzlos entfallen zu lassen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

[8] 1. Die – nach pflichtgemäßem Ermessen – zu treffende Entscheidung, ob und inwieweit einem Elternteil ein Kontaktrecht eingeräumt wird, ist eine solche des Einzelfalls iSd § 62 Abs 1 AußStrG, der keine grundsätzliche Bedeutung zuerkannt werden kann, solange nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (vgl RS0097114, RS0087024).

[9] 2. Für die Regelung des Kontaktrechts ist allein das Wohl des Kindes ausschlaggebend (RS0047958). Das Kontaktrecht folgt in erster Linie aus dem Kindesinteresse am elterlichen Kontakt und ist nur in zweiter Linie auch ein Elternrecht; im Konfliktfall ist daher dem Kindesrecht der Vorzug zu geben (vgl RS0047958 [T3, T6]; RS0047754 [T1, T13, T16]). Das Kindeswohl kann auch eine neue Regelung des Kontaktrechts erfordern, wenn die bisherige unnötig häufige, das Kind belastende Betreuungswechsel vorsah (vgl 8 Ob 176/22y). Der Inhalt einer gerichtlichen Regelung hängt zudem nicht zwingend von bisherigen Gepflogenheiten zwischen den Eltern ab (RS0047958 [T8]).

[10] 3.1 Das Kindeswohl wird maßgeblich von den Kindeswünschen mitbestimmt – wofür auch die § 105 AußStrG vorgesehene Befragung in Obsorge- und Kontaktrechtsstreitigkeiten dient –, aber nicht ausschließlich (vgl RS0048820).

[11] § 138 ABGB zählt an Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls in Z 5 die „Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit zur Meinungsbildung“ auf. Die einzelnen in § 138 ABGB angeführten Kriterien sind jedoch in jedem Einzelfall gesondert zu gewichten und zu berücksichtigen; es handelt sich dabei um eine bloß demonstrative Aufzählung wesentlicher Kriterien ohne Rangordnung (vgl 4 Ob 79/14t).

[12] Gemäß § 187 Abs 1 ABGB hat die Kontaktrechtsregelung die Anbahnung und Wahrung des besonderen Naheverhältnisses zwischen Eltern und Kind sicherzustellen und soll möglichst sowohl Zeiten der Freizeit als auch die Betreuung im Alltag des Kindes umfassen. Das Alter, die Bedürfnisse und die Wünsche des Kindes sowie die Intensität der bisherigen Beziehung sind „besonders zu berücksichtigen“.

[13] 3.2 Bei der Regelung des Kontaktrechts stellt der Wille des Kindes daher ein wichtiges, jedoch nicht allein maßgebliches Kriterium dar, da dieser nicht selten von außen beeinflusst ist und Schwankungen unterliegen kann; je älter ein bereits einsichts- und urteilsfähiges Kind ist, desto eher wird aber seinem Wunsch zu entsprechen sein (2 Ob 19/11z, 3 Ob 147/22x).

[14] Nach der Rechtsprechung soll gegenüber mündigen Minderjährigen kein Zwang ausgeübt werden, wenn sie den persönlichen Verkehr mit einem Elternteil (selbst wenn es unbegründet sein sollte) ablehnen, weil eine anständige, von gegenseitiger Achtung und Zuneigung getragene Begegnung nicht erzwungen werden kann, und ein mit Zwangsmitteln gegen den Willen des mündigen Minderjährigen durchgesetzter persönlicher Verkehr jedenfalls dem Kindeswohl widerspräche (vgl 6 Ob 173/00k, RS0047981; § 108 AußStrG; s auch RS0048820, RS0115962 zur Obsorge). Jüngere Kinder können aber auch gegen ihren Willen zu einem Kontakt verhalten werden (vgl 5 Ob 134/21y). Ob die Weigerung eines noch nicht 14‑jährigen Kindes zu beachten ist, hängt unter grundsätzlicher Berücksichtigung, ob die Ablehnung aus eigener Überzeugung erfolgt, von seiner Einsicht und Urteilsfähigkeit ab und kann stets nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (9 Ob 201/02b).

[15] 4.1 Ausgehend von diesen Grundsätzen bewegt sich die Entscheidung des Rekursgerichts, dem von den damals sieben- bzw neunjährigen Mädchen – wenn auch mit ihrem Kinderbeistand formulierten – Wunsch nach nur eingeschränkten Besuchskontakten beim Vater weniger Gewicht beizumessen als das Erstgericht, im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung und des ihm im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Ermessensspielraums. Dafür konnte es sich auf die umfassende und aktuelle Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe stützen, die ebenfalls Gespräche mit den Mädchen unter Beiziehung des Kinderbeistands sowie psychologische Testungen durchführte und weitere (Umfeld‑)Erhebungen tätigte. Zudem kam im Verfahren hervor, dass die negative Darstellung des Vaters und der Wunsch der Mädchen nach Einschränkung der Kontakte zumindest auch aus einem Loyalitätskonflikt resultieren, sie die Ablehnung der Mutter spüren, und sich teils ihrer Argumente bedienen – was ihren Wunsch zwar nicht unbeachtlich macht, aber in die Gesamtbeurteilung einzufließen hat (vgl RS0115962).

[16] 4.2 Weiters berücksichtigte das Rekursgericht ua bereits, dass sich der Vater teils schwertue, auf der emotionalen Ebene mit den Mädchen zu kommunizieren, und nicht immer mit adäquaten Erziehungsmaßnahmen reagiere, hob aber hervor, dass er nach den Erhebungsergebnissen dennoch eine wichtige Bezugsperson für die Mädchen sei und diese fördere, wofür ihm auch künftig im Ergebnis gleich viele Betreuungszeiten einzuräumen seien. Dem steht die Feststellung, wonach die Mädchen nach dem Wochenende beim Vater immer wieder unausgeschlafen in die Schule kommen, und aus der die Mutter eine Verkürzung des Besuchsrechts bis Sonntag Abend ableiten will, nicht entgegen, ist Zweck der beabsichtigten Neuregelung doch, jeweils längere und dadurch ruhigere Zeiten für die Mädchen zu erreichen.

[17] Diesem Zweck dient zudem die vom Erstgericht bereits angeordnete und auch vom Vater akzeptierte Erziehungsberatung (vgl RS0134107) sowie die Pflicht der Mutter, negative Beeinflussungen zu vermeiden und die Mädchen auf die Übernachtungen beim Vater bestmöglich vorzubereiten (vgl RS0047942 [T7]).

[18] 4.3 Soweit die Mutter bemängelt, dass das Rekursgericht nicht auf die von ihr in der Rekursbeantwortung begehrten ergänzenden Feststellungen eingegangen sei, gelingt es ihr nicht, eine (relevante) Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens oder sekundäre Feststellungsmängel aufzuzeigen, wurden zu diesen Themen doch – wenn auch teils andere als die von der Mutter gewünschten – Feststellungen getroffen und Erwägungen angestellt (vgl RS0053317 [T1]).

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