European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00004.25Y.0211.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Rekurs wird, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Antrags vom 6. Dezember 2024 richtet, zurückgewiesen.
Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Im Verfahren 69 Cg 94/19a des Landesgerichts Innsbruck wurde der Kläger zur Zahlung von 15.450 EUR sA verpflichtet. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
[2] Im Verfahren 41 Cg 67/22d des Landesgerichts Innsbruck wurde die dagegen erhobene Wiederaufnahme- in eventu Nichtigkeitsklage des Klägers mit Beschluss vom 18. August 2022 zurückgewiesen. Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
[3] Den dagegen erhobenen Zulassungsantrag samt ordentlichem Revisionsrekurs wies das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht mit Beschluss vom 16. November 2022 zu 1 R 139/22h zurück.
[4] In der gegen den zuletzt genannten Beschluss gerichteten, beim Oberlandesgericht Innsbruck zu 1 R 134/23z geführten Wiederaufnahme- in eventu Nichtigkeitsklage begehrt der Kläger – soweit rekursgegenständlich – die Wiederaufnahme des Rekursverfahrens 1 R 139/22h des Oberlandesgerichts Innsbruck, in eventu die Aufhebung des Beschlusses vom 16. November 2022 wegen Nichtigkeit. Die Wiederaufnahmeklage stützt er auf § 530 Abs 1 Z 4 ZPO, weil die Entscheidung durch zwei Senatsmitglieder, die gewusst hätten, dass gegen eines von ihnen bereits mehrfach Ablehnungsgründe vorgebracht worden seien, gefällt worden sei, was den Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB erfülle. Hilfsweise berief sich der Kläger auf den nach seiner Rechtsauffassung analog anzuwendenden § 529 ZPO, weil ein Senatsmitglied im Hinblick auf die gegen ihn erhobenen Ablehnungsanträge als befangen anzusehen sei.
[5] Mit Beschluss vom 1. März 2024 unterbrach das Oberlandesgericht Innsbruck das gegenständliche Verfahren gemäß § 539 Abs 1 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des einzuleitenden Strafverfahrens.
[6] Die Staatsanwaltschaft Innsbruck informierte das Oberlandesgericht in der Folge vom Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die in der Klage genannten Senatsmitglieder gemäß § 35c StAG ohne die Möglichkeit eines Antrags auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 StPO. Dies wurde damit begründet, dass sich aus dem Akteninhalt kein Anfangsverdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung, insbesondere nicht der Verdacht des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB durch die beiden Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck ergäbe.
[7] Mit Antrag vom 6. Dezember 2024 (ON 12) beantragte der Kläger – um „etwaige, allenfalls seit Einbringung der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage hervorgetretene, Ablehnungsgründe geltend machen zu können“ – die Bekanntgabe der gemäß der Geschäftsverteilung „unter amtswegiger Berücksichtigung von Befangenheiten“ zur Entscheidung berufenen Senatsmitglieder.
[8] Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Innsbruck das Verfahren fort und wies es den Antrag vom 6. Dezember 2024, die Wiederaufnahmeklage und die Nichtigkeitsklage zurück.
[9] Gegen die Zurückweisung des Antrags vom 6. Dezember 2024, der Wiederaufnahmeklage und der Nichtigkeitsklage richtet sich der Rekurs des Klägers. Darin lehnt er überdies die am angefochtenen Beschluss beteiligten Richter als befangen ab.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs ist hinsichtlich der Zurückweisung des Antrags vom 6. Dezember 2024 mangels Beschwer unzulässig und im Übrigen zulässig (RS0044597), aber nicht berechtigt.
1. Zur Zurückweisung des Antrags vom 6. Dezember 2024
[11] 1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (RS0002495). Kann ein Rechtsmittel seinen eigentlichen Zweck, die Rechtswirkungen der bekämpften Entscheidung durch eine Abänderung oder Aufhebung zu verhindern oder zu beseitigen, nicht (mehr) erreichen, fehlt das notwendige Rechtsschutzinteresse (RS0002495 [T43, T78]).
[12] 1.2. Ein solcher Fall liegt hier in Bezug auf den Antrag vom 6. Dezember 2024 vor, der auf die Bekanntgabe der an der Entscheidung über seine Klage beteiligten Richter gerichtet war. Die begehrte Information erhielt der Kläger mit dem angefochtenen Beschluss, aufgrund derer er die beteiligten Richter – worauf der Antrag nach seinem eigenen Bekunden abzielte – auch als befangen ablehnte. Welchen Mehrwert der Kläger durch die neuerliche Bekanntgabe dieser ihn nun bekannten Richter erreichen könnte, lässt sich dem Rekurs nicht entnehmen.
2. Zur Zurückweisung der Klagebegehren
[13] 2.1. Die Geltendmachung der Befangenheit ist auch noch nach der Erlassung der erstgerichtlichen Entscheidung zulässig, und zwar auch noch im Rechtsmittelschriftsatz. In einem solchen Fall ist vor Entscheidung über das Rechtsmittel grundsätzlich der ersten Instanz die Entscheidung über den Ablehnungsantrag aufzutragen, weil im Falle ihrer Stattgebung diese Instanz ihre vorangegangene Entscheidung als nichtig aufzuheben wäre (RS0042028). Anderes gilt jedoch, wenn die Ablehnung – wie im vorliegenden Fall – offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgt (RS0042028 [T7, T24]), etwa im Fall einer Ablehnungskaskade (RS0042028 [T27]).
[14] Davon, dass es sich hier um einen solchen Fall einer Ablehnungskaskade handelt, ging bereits das Oberlandesgericht Innsbruck im angefochtenen Beschluss aus, was der Kläger im Rekurs inhaltlich auch nicht bestreitet. Ganz im Gegenteil stützt er die Anträge neuerlich bloß auf – als Ablehnungsgrund im allgemeinen nicht in Betracht kommende (RS0111290; RS0045916) – vermeintlich unrichtige Entscheidungen durch die betroffenen Richter. Ein Auftrag an die erste Instanz zur Entscheidung über die im Rekurs enthaltenen neuerlichen Ablehnungsanträge erübrigt sich daher.
[15] 2.2. Die im Rekurs geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
[16] 2.2.1. Das Oberlandesgericht Innsbruck stützte die sofortige Beschlussfassung vor Entscheidung über die neuerlichen Ablehnungsanträge (wie erwähnt; siehe ErwGr 2.1.) auf einen offenkundigen Rechtsmissbrauch. Mit der (bloßen) Behauptung, es erscheine mit der Zivilprozessordnung nicht vereinbar, dass ein Ablehnungsantrag absichtlich übergangen werde, zeigt der Kläger eine unrichtige Anwendung der genannten Rechtsprechung (siehe oben ErwGr 2.1.) im vorliegenden Fall nicht auf.
[17] 2.2.2. § 539 Abs 2 ZPO differenziert für das Verfahren über die Wiederaufnahmeklage danach, ob eine strafrechtliche Verurteilung wegen mangelnden Tatbestands oder wegen Mangels an Beweisen unterblieb (§ 539 Abs 2 Satz 2 ZPO) oder ob dafür andere Gründe ausschlaggebend waren (§ 539 Abs 2 Satz 1 ZPO). Nimmt das Gericht daher bloß das Unterbleiben einer Verurteilung zur Kenntnis, ohne die Gründe dafür aufzuklären, liegt ein Verfahrensmangel vor (Jelinek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 539 ZPO Rz 16; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 539 ZPO Rz 2; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 539 ZPO Rz 8 [Stand 9. 10. 2023, rdb.at]).
[18] Ein solcher liegt hier aber nicht vor. Entgegen der im Rekurs vertretenen Rechtsauffassung des Klägers ergibt sich aus der Mitteilung der Staatsanwaltschaft, insbesondere im Zusammenhalt mit § 1 Abs 3 StPO, hinreichend deutlich, dass eine strafrechtliche Verurteilung nicht aus anderen Gründen als wegen mangelnden Tatbestands oder wegen Mangels an Beweisen unterblieb (vgl 6 Ob 189/16m). Es bestand daher kein Anlass für eine weitere Aufklärung der für die Zurücklegung der Anzeige maßgeblichen Gründe.
[19] 2.2.3. Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, dass die Zustellung der Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage über das Erstgericht des Vorprozesses zu erfolgen gehabt hätte (RS0045877 [T2]), auch wenn das Berufungsgericht des Vorprozesses in erster Instanz entschied. Aus welchen Gründen die direkte Zustellung der angefochtenen Entscheidung durch das Oberlandesgericht Innsbruck eine für den Kläger relevante Mangelhaftigkeit des Verfahrens darstellen soll, lässt sich dem Rekurs aber nicht entnehmen.
[20] 2.3. Entgegen der Rechtsrüge wurde das Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO und des hilfsweise geltend gemachten Nichtigkeitsklagegrundes nach § 529 Abs 1 Z 1 ZPO zutreffend verneint.
[21] 2.3.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine auf § 530 Abs 1 Z 1 bis 4 ZPO gestützte Wiederaufnahmeklage nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 dritter Fall StPO gemäß § 539 Abs 2 ZPO ohne vorgängige mündliche Verhandlung als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl RS0044634). Das Zivilgericht ist an die (freisprechende oder die Einstellung verfügende) Entscheidung der Strafbehörden gebunden, sofern diese Entscheidung auf Veranlassung des Zivilgerichts im Sinn des § 539 Abs 1 ZPO ergangen ist (RS0044634 [T2]). Dies gilt auch für den Fall der Zurücklegung der Anzeige mangels ausreichenden Anfangsverdachts nach § 35c StAG (RS0044634 [T3]). Die Rekursausführungen geben keinen Anlass für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung.
[22] Die in § 539 ZPO normierte Bindung des Zivilgerichts an die Entscheidung der Strafbehörden ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auch weder verfassungsrechtlich bedenklich, noch verstößt sie gegen Art 6 EMRK (VfGH G 181/94). Da die Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft nach § 35c StAG eine neuerliche Anzeige nicht hindert (Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG II5.03 § 35c StAG Rz 1/3), sie auch die Staatsanwaltschaft selbst nicht bindet (vgl 3 Ob 236/23m Rz 7) und Personen, die Opfer einer Straftat sein könnten, nach nunmehriger (maßgeblicher: RS0031419; RS0008733 [T1]) Rechtslage nach Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens berechtigt sind, einen Antrag auf Verfolgung zu stellen (§ 197c StPO idF des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2024, BGBl I 2024/157), besteht das vom Kläger geortete Rechtsschutzdefizit nicht, sodass die von ihm geäußerten verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken gegen § 35c StAG (idF vor dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024) schon deswegen nicht begründet sein können.
[23] 2.3.2. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung setzt § 529 Abs 1 Z 1 ZPO voraus, dass der erkennende Richter von der Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreit kraft Gesetzes ausgeschlossen war; Ablehnungsgründe reichen dafür nicht (RS0042070). Eine Entscheidung durch einen abgelehnten Richter, sei die Befangenheit schon rechtskräftig festgestellt oder nicht, kann somit nicht – auch nicht im Wege einer Analogie (3 Ob 145/23d Rz 9) – mit Nichtigkeitsklage bekämpft werden (RS0041974 [T3, T5]).
[24] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.
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