OGH 23Ds8/24i

OGH23Ds8/24i3.2.2025

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 3. Februar 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Mag. Stolz und Dr. Müller als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 22. Mai 2024, GZ D 45/24‑9, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0230DS00008.24I.0203.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, dahingehend abgeändert, dass Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung hinsichtlich des Verdachts besteht, Rechtsanwalt * habe

1. im am 13. September 2022 übermittelten Fragebogen zur Einhaltung der in § 8a RAO enthaltenen Pflichten des Rechtsanwalts zur Verhinderung oder Bekämpfung der Geldwäsche (§ 165 StGB) oder der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) angegeben,

‑ keine geldwäschegeneigten Geschäfte abzuwickeln, obwohl im von der Abfrage umfassten Zeitraum 2021 eine Treuhandschaft beim eATHB der Rechtsanwaltskammer * gemeldet gewesen sei, sowie

‑ dass keine schriftliche Kanzlei-Risikoanalyse vorliege;

2. nach einer Aufforderung des Ausschusses vom 14. September 2022, binnen 14 Tagen eine Risikoanalyse vorzulegen, am 20. September 2022 eine nicht den Anforderungen des § 8a RAO genügende Risikoanalyse vorgelegt, im aktualisierten Fragebogen vom 3. Oktober 2022 wiederum angegeben, dass keine schriftliche Kanzlei‑Risikoanalyse vorliege und erst mit seiner verantwortlichen Äußerung vom 4. März 2024 eine vollständige und unterfertigte Risikoanalyse seiner Kanzlei übermittelt;

3. sohin bis zum 4. März 2024 die ihm dazu am 14. September 2022 erteilten Aufträge des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer * nicht erfüllt;

4. in seiner Kanzlei bis zum 3. Oktober 2023 keine standardisierten Prozesse hinsichtlich Überprüfung und Abwicklung von geldwäschegeneigten Prozessen installiert;

5. erst aufgrund des Berichts vom 26. September 2023 über die erfolgte Kanzleiüberprüfung ein Whistleblower-System installiert und diesbezüglich mit E‑Mail vom 3. Oktober 2023 ein Foto vorgelegt.

Zur Durchführung des weiteren Verfahrens werden die Akten dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * – soweit hier wesentlich – aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt *hinsichtlich der aus dem Spruch ersichtlichen Vorwürfe bestehe.

Der Disziplinarrat ging dabei von folgenden Verdachtsannahmen aus:

[2] In einem am 13. September 2022 (ersichtlich über entsprechende Aufforderung) an die Rechtsanwaltskammer * übermittelten Fragebogen „GW/TF“ zur Einhaltung der in § 8a RAO enthaltenen Pflichten des Rechtsanwalts zur Verhinderung und Bekämpfung der Geldwäsche (§ 165 StGB) sowie der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) gab der Beschuldigte an, dass eine Kanzlei-Risikoanalyse nicht vorliege und seine Kanzlei nicht mit geldwäschegeneigten Geschäften befasst sei. Tatsächlich war der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer allerdings im Berichtszeitraum die Abwicklung einer Treuhandschaft gemeldet worden.

[3] Mit Schreiben vom 14. September 2022 wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer unter teilweiser Wiedergabe von § 8a Abs 3 RAO darauf hin, dass die dort normierte Verpflichtung unabhängig von der Abwicklung geldwäschegeneigter Geschäfte jeden Rechtsanwalt treffe und forderte den Beschuldigten „dringend“ auf, „für die Herstellung des gesetzmäßigen Zustands Sorge zu tragen und binnen 14 Tagen darüber zu berichten und die Risikoanalyse zu übermitteln“ (ON 1 [unjournalisierte] S 49 und 51).

[4] Diesem Auftrag kam der Beschuldigte nur ungenügend nach, indem er am 20. September 2022 eine nicht ausreichend individualisierte Risikoanalyse an den Ausschuss übermittelte.

[5] Im Zuge der darauffolgenden E‑Mail‑Korrespondenz wiederholte er in zwei weiteren (am 3. Oktober 2022 und am 10. Jänner 2023 vorgelegten) Fragebögen zur Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung seine wahrheitswidrige Behauptung, keine geldwäschegeneigten Geschäfte abzuwickeln, und führte dies jeweils im Anschluss auf ein „Missverständnis“ zurück, nachdem er mit Schreiben des Ausschusses vom 20. Oktober 2022 und vom 17. Jänner 2023 auf die Unrichtigkeit seiner diesbezüglichen Angaben hingewiesen worden war.

[6] Am 13. September 2023 absolvierte * – in Befolgung eines entsprechenden Auftrags des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer – ein Seminar zum Thema Geldwäsche und legte eine entsprechende Bestätigung sieben Tage nach Ablauf der ihm (bis zum 31. Oktober 2023) gesetzten Frist vor.

[7] Zwischenzeitig war in seiner Kanzlei eine Geldwäsche-Visitation durch die Abteilung für Berufsüberwachung durchgeführt worden, die weitere Mängel sowohl in Bezug auf die einschlägigen Kenntnisse des Beschuldigten als auch die Organisation seiner Kanzlei, konkret das Fehlen von standardisierten Prozessen zur Überprüfung von Mandanten hinsichtlich geldwäschegeneigter Geschäfte sowie das Unterbleiben der Einrichtung eines Whistleblower-Systems, ergeben hatte.

[8] Am 22. September 2023 übermittelte *dem Ausschuss den nicht unterschriebenen Entwurf einer neuen Kanzlei-Risikoanalyse mit der Bitte um Mitteilung, ob diese „in Ordnung“ sei. Am 3. Oktober 2023 brachte er in Befolgung einer weiteren Aufforderung des Ausschusses vom 26. September 2023 auch Nachweise über die Verbesserung der Kanzleistrukturen in Bezug auf die bei der Visitation festgestellten zusätzlichen Mängel ein.

[9] Nach Abtretung des Aktes an den Kammeranwalt und Bestellung eines Untersuchungskommissärs (ON 2) schloss der Beschuldigte seiner Äußerung vom 4. März 2024 schließlich eine unterschriebene Version seines am 22. September 2023 übermittelten Entwurfs einer Risikoanalyse an (ON 4).

[10] Auf dieser Basis bejahte der Disziplinarrat (der Sache nach) das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 DSt und begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschuldigte alle von ihm verlangten Maßnahmen zur Hintanhaltung der Gefahr von Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung, die er zuvor versäumt hatte, noch vor Abtretung des Aktes an den Kammeranwalt nachgeholt und auch seine ursprünglich falschen oder zumindest widersprüchlichen Angaben bis zu diesem Zeitpunkt richtig gestellt habe.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der dagegen erhobenen Beschwerde des Kammeranwalts kommt Berechtigung zu.

[12] Nach ständiger Judikatur kann der Disziplinarrat in nichtöffentlicher Sitzung nur dann mit Einstellungsbeschluss (§ 28 Abs 3 DSt) vorgehen, wenn – sei es auch in Anwendung des § 3 DSt – nicht einmal ein Verdacht eines standeswidrigen Verhaltens vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969 und RS0057005; zu § 3 DSt vgl 21 Ds 2/17g; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohrergger/Vitek, RAO11 § 3 DSt Rz 3). Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist – im Licht des § 212 Z 2 StPO (iVm § 77 Abs 3 DSt) – dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Verdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angezeigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist (zum Ganzen Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohrergger/Vitek, RAO11 § 28 DSt Rz 9).

[13] Nach § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Die Bestimmung ist nur anwendbar, wenn Umstände des Falles erkennen lassen, dass das Verschulden im Anlassfall erheblich hinter jenem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleibt (RIS-Justiz RS0089974, RS0056585).

[14] Davon ausgehend zeigt die Beschwerde des Kammeranwalts im Ergebnis zutreffend auf, dass sich der angefochtene Beschluss mit diesen (kumulativen; vgl RIS‑Justiz RS0113534 [T1]) Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 3 DSt nicht auseinandergesetzt und das Verfahren letztlich zu Unrecht aus dem Grunde des § 3 DSt eingestellt hat.

[15] Vorauszuschicken ist, dass § 8a RAO zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ausnahmslos – also unabhängig von der Art der abgewickelten Geschäfte und der Kanzleistruktur – jedem Rechtsanwalt die Verpflichtung auferlegt, eine individuelle Analyse und Bewertung seines konkreten Risikos in Zusammenhang mit Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung („Risikoanalyse“) vorzunehmen, diese schriftlich abzufassen, auf aktuellem Stand zu halten und über Aufforderung der Rechtsanwaltskammer zur Verfügung zu stellen (RIS-Justiz RS0133236).

[16] Die Nichterfüllung dieser Pflichten ist grundsätzlich geeignet, das Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu verwirklichen (24 Ds 10/19h).

[17] Entgegen dem Beschwerdestandpunkt stellt jedoch alleine der Umstand, dass die Bestimmung des § 8a RAO in der hier aktuellen Fassung des BRÄG 2016, BGBl I 2017/10, bereits seit 26. Juni 2017 in Geltung steht (§ 60 Abs 4 letzter Satz RAO), keinen ausreichenden Grund für die Annahme dar, bei jeder dem Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang unterlaufenen Fehlleistung sei schon aufgrund der seither verstrichenen Zeit grundsätzlich von einem Verschuldensgrad auszugehen, der der – stets einzelfallbezogen zu beurteilenden (RIS-Justiz RS0113533) – Anwendung des § 3 DSt entgegenstehen würde. Diese Auffassung entspricht im Übrigen ersichtlich auch jener des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer *, welcher „unter dem Aspekt eines risikobasierten Ansatzes der Prüfung“ in einem ersten Schritt regelmäßig „das Modell 'Aufklärung statt Strafe' verfolgt“ und – soweit erkennbar – im Fall von reinen Säumnissen bei Erstellung und Vorlage einer Risikoanalyse zunächst den Besuch von einschlägigen Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für ausreichend erachtet (vgl erneut das Schreiben vom 27. April 2023 [unjournalisiert in ON 1]; zu einem solchen Fall siehe auch 23 Ds 9/24m).

[18] Im konkreten Fall ist jedoch neben dem langen Tatzeitraum weiters ins Kalkül zu ziehen, dass der Beschuldigte nach der Verdachtslage nicht nur die ihm vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit der Prävention von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung erteilten Aufträge mehrfach (in Bezug auf die Vorlage einer dem Gesetz entsprechenden Risikoanalyse mehr als ein Jahr) verzögert oder bloß unzureichend erfüllte (vgl dazu § 26 RL‑BA 2015), sondern ersichtlich auch jede Auseinandersetzung mit den einschlägigen Bestimmungen sowie die Einführung von standardisierten Prozessen zur Hintanhaltung diesbezüglicher Gefahren unterließ, obwohl seine Kanzlei auch mit geldwäschegeneigten Geschäften im Sinn des § 8a RAO befasst war. Zudem fällt zu Ungunsten des Beschuldigten besonders ins Gewicht, dass er der Rechtsanwaltskammer in Bezug auf die Geldwäschegeneigtheit von ihm abgewickelter Geschäfte unwahre Berichte übermittelte und die darin aufgestellten Behauptungen trotz Hinweises auf die Unrichtigkeit oder zumindest Widersprüchlichkeit seiner Angaben auch mehrfach wiederholte. Dass dies möglicherweise auf ein „Missverständnis“ oder einen Irrtum zurückzuführen war, vermag den Beschuldigten nicht per se zu exkulpieren (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 7/1). Vielmehr zeigt sein Verhalten nach der Verdachtslage eine auffallende Sorglosigkeit im Umgang mit seinen Berufs- und Sorgfaltspflichten, besonders im sensiblen Bereich der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung, die der Annahme eines – im Vergleich zu typischen Fällen – deutlichen Unterschreitens des Verschuldensgrades jedenfalls im derzeitigen Verfahrensstadium entgegensteht.

[19] Da die Möglichkeit einer zu ahndenden disziplinarrechtlichen Verfehlung somit nicht auszuschließen ist und über allfällige Zweifel an der disziplinären Verantwortlichkeit des Beschuldigten nur in einer mündlichen Disziplinarverhandlung entschieden werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0110142), war die Einstellung (§ 28 Abs 3 DSt) unzulässig und demzufolge der angefochtene Beschluss – in Stattgebung der Beschwerde und im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

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