European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0230DS00009.24M.0210.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt * hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe vorliege, er habe
„a./ am 6. Oktober 2022 eine nicht den Anforderungen des § 8a RAO genügende Risikoanalyse seiner Kanzlei an die Rechtsanwaltskammer * übermittelt, sohin bis dato keine ausreichende individualisierte Geldwäsche-Risikoanalyse seiner Kanzlei erstellt,
b./ sohin bis dato die ihm dazu am 21. September 2022 erteilten Aufträge des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer * nicht erfüllt und
c./ insbesondere sich auch diesbezüglich bis zur Anzeigeerhebung durch den Ausschuss an den Kammeranwalt trotz Aufforderung desselben vom 27. April 2023 bis zum 17. bis 19. November 2023 nicht entsprechend weitergebildet (§ 54 RL-BA).“
Der Disziplinarrat ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
[2] In einem am 16. September 2022 (ersichtlich über entsprechende Aufforderung) an die Rechtsanwaltskammer * übermittelten Fragebogen „GW/TF“ zur Einhaltung der in § 8a RAO enthaltenen Pflichten des Rechtsanwalts zur Verhinderung und Bekämpfung der Geldwäsche (§ 165 StGB) sowie der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) gab der Beschuldigte an, dass eine Kanzlei-Risikoanalyse nicht vorliege.
[3] Mit Schreiben vom 21. September 2022 wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer unter teilweiser Wiedergabe von § 8a Abs 3 RAO darauf hin, dass die dort normierte Verpflichtung unabhängig von der Abwicklung geldwäschegeneigter Geschäfte jeden Rechtsanwalt treffe und forderte den Beschuldigten „dringend“ auf, „für die Herstellung des gesetzmäßigen Zustands Sorge zu tragen und binnen 14 Tagen darüber zu berichten und die Risikoanalyse zu übermitteln“ (ON 1 [unjournalisierte] S 1 und 3).
[4] Obwohl seine Anfrage vom selben Tag, „welche Risikoanalyse“ er als Rechtsanwalt, der keine Treuhandschaften übernehme, „worüber erstellen“ solle (ON 1 [unjournalisierte] AS 5), nach dem Akteninhalt unbeantwortet blieb, legte* am 6. Oktober 2022 eine von ihm erstellte „Risikoanalyse für [seine] Kanzlei“ vor (ON 1 [unjournalisierte] AS 7 f).
[5] Erst mit E‑Mail vom 27. April 2023 bestätigte die Abt IVd des Ausschusses dem Beschuldigten den Eingang des Berichts „hinsichtlich der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes betreffend § 8 ff RAO“. Weiters wurde in diesem Schreiben ausgeführt, dass „die Beantwortung gestellter Fragen bzw die damit erfolgte Überprüfung“ der Kanzlei des Beschuldigten „in einigen Bereichen offensichtlich Mängel bzw Unkenntnis im Umgang mit Bestimmungen der §§ 8a ff RAO ... aufgezeigt“ habe, die Rechtsanwaltskammer * aber „in einem ersten Schritt“ das Modell „Aufklärung statt Strafe“ verfolge und sohin der Disziplinarbeschuldigte aufgefordert werde, „eine Aus-/Weiterbildungsveranstaltung iS GW/TF-Prävention zu besuchen und den entsprechenden Nachweis anher zu übermitteln“, wofür sich der Ausschuss den 31. Oktober 2023 als spätesten Termin vormerke (ON 1 [unjournalisierte] AS 9).
[6] Trotz Urgenz, Androhung der Abtretung der Sache an den Kammeranwalt und – ersichtlich über Ersuchen des Beschuldigten erfolgter – Übermittlung eines Links zur Buchung eines Webinars zum Thema „Aktuelle Anti‑Geldwäsche‑Compliance“ durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer kam * dem Auftrag auch innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist (bis zum 14. November 2023) nicht nach.
[7] Erst nach erfolgter Bestellung eines Untersuchungskommissärs (ON 2) legte er im Rahmen seiner Äußerung vom 22. März 2024 eine Bestätigung über die von 17. bis 19. November 2023 absolvierte Fortbildung durch Besuch des ihm empfohlenen Webinars der AWAK vor und erklärte die Verzögerungen mit einer schweren Erkrankung seiner in Vorarlberg alleine lebenden hochbetagten Mutter und Komplikationen bei der Beischaffung der Teilnahmebestätigung (ON 4).
[8] Auf Basis dieser Verdachtsannahmen bejahte der Disziplinarrat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 DSt und verwies dazu insbesondere auf die „innerhalb der vom Ausschuss … gesetzten Frist“ übermittelte Risikoanalyse nach § 8a RAO, die aus Sicht des Disziplinarrats ausreichend individualisiert sei, in ihrem Aufbau dem Muster des ÖRAK folge und in angemessenem Verhältnis zur Geschäftstätigkeit und Kanzleistruktur des Beschuldigten (Einzelanwalt ohne Angestellte) stehe (vgl § 8a Abs 3 zweiter Halbsatz RAO), wobei auch vom Ausschuss „keine neue Risikoanalyse“ verlangt worden sei. Darüber hinaus habe * die ihm aufgetragene Weiterbildung zwar nicht innerhalb, aber doch zeitnah nach Ablauf der ihm dafür gesetzten Frist absolviert.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der dagegen erhobenen Beschwerde des Kammeranwalts kommt keine Berechtigung zu.
[10] Nach ständiger Judikatur kann der Disziplinarrat in nichtöffentlicher Sitzung nur dann mit Einstellungsbeschluss (§ 28 Abs 3 DSt) vorgehen, wenn – sei es auch in Anwendung des § 3 DSt – nicht einmal ein Verdacht eines standeswidrigen Verhaltens vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969 und RS0057005; zu § 3 DSt vgl 21 Ds 2/17g; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 3 Rz 3). Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist – im Licht des § 212 Z 2 StPO (iVm § 77 Abs 3 DSt) – dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Verdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angezeigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist (zum Ganzen Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 28 DSt Rz 9).
[11] Nach § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Die Bestimmung ist nur anwendbar, wenn Umstände des Falles erkennen lassen, dass das Verschulden im Anlassfall erheblich hinter jenem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0089974, RS0056585).
[12] Vorauszuschicken ist, dass § 8a RAO zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ausnahmslos – also unabhängig von der Art der abgewickelten Geschäfte und der Kanzleistruktur – jedem Rechtsanwalt die Verpflichtung auferlegt, eine individuelle Analyse und Bewertung seines konkreten Risikos in Zusammenhang mit Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung („Risikoanalyse“) vorzunehmen, diese schriftlich abzufassen, auf aktuellem Stand zu halten und über Aufforderung der Rechtsanwaltskammer zur Verfügung zu stellen (RIS‑Justiz RS0133236).
[13] Die Nichterfüllung dieser Pflichten ist grundsätzlich geeignet, das Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu verwirklichen (24 Ds 10/19h).
[14] Entgegen dem Beschwerdestandpunkt stellt jedoch alleine der Umstand, dass die Bestimmung des § 8a RAO in der hier aktuellen Fassung des BRÄG 2016, BGBl I 2017/10, bereits seit 26. Juni 2017 in Geltung steht (§ 60 Abs 4 letzter Satz RAO), keinen ausreichenden Grund für die Annahme dar, bei jeder dem Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang unterlaufenen Fehlleistung sei schon aufgrund der seither verstrichenen Zeit grundsätzlich von einem Verschuldensgrad auszugehen, der der – stets einzelfallbezogen zu beurteilenden (RIS‑Justiz RS0113533) – Anwendung des § 3 DSt entgegenstehen würde. Diese Auffassung entspricht im Übrigen ersichtlich auch jener des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer *, welcher „unter dem Aspekt eines risikobasierten Ansatzes der Prüfung“ in einem ersten Schritt regelmäßig „das Modell 'Aufklärung statt Strafe' verfolgt“ und – soweit erkennbar – im Fall von reinen Säumnissen bei Erstellung und Vorlage einer Risikoanalyse zunächst den Besuch von einschlägigen Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für ausreichend erachtet (vgl erneut das Schreiben vom 27. April 2023 [unjournalisiert in ON 1]).
[15] Dass Rechtsanwalt * bis zum 6. Oktober 2022 keine (schriftliche) Analyse und Bewertung des Kanzleirisikos vornahm, trifft nach seinen eigenen Angaben zu.
[16] Inwiefern jedoch die dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer an diesem Tag (sohin einen Tag nach Ablauf der ihm dafür gesetzten Frist) übermittelte Risikoanalyse – entgegen der ausdrücklich gegenteiligen, überzeugend begründeten Rechtsansicht des Disziplinarrats – den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen, der Beschuldigte demnach „bis jetzt säumig … verblieben“ sein und den entsprechenden Auftrag des Ausschusses demnach nicht erfüllt haben soll, legt die Beschwerde nicht dar. Das in diesem Zusammenhang hervorgehobene Schreiben des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer * vom 27. April 2023 sagt dazu nichts aus. Denn dieses enthielt neben dem unbestimmten Befund von Defiziten des Beschuldigten im Umgang mit Bestimmungen der §§ 8a ff RAO weder konkrete Kritik an seiner (im Übrigen bereits mehr als sechs Monate zuvor vorgelegten) Risikoanalyse noch eine Aufforderung zu deren Verbesserung, sondern – wie bereits dargelegt ausdrücklich in Verfolgung des Modells „Aufklärung statt Strafe“ – bloß den Auftrag zum Besuch einer einschlägigen Fortbildungsveranstaltung.
[17] Diesem kam * hinwieder – wenn auch (aufgrund unvorhersehbarer schwerer Erkrankung seiner Mutter und daraus resultierender Ortsabwesenheit, somit aus nachvollziehbaren Gründen) geringfügig verspätet – nach, womit ein von der Beschwerde georteter Verstoß gegen § 26 RL‑BA 2015 insgesamt nicht zu erkennen ist.
[18] Mit Blick auf die dargestellten konkreten Umstände des Einzelfalls ist in Bezug auf die damit verbleibenden Versäumnisse in Bezug auf die in § 8a RAO normierten Pflichten von Inkrafttreten der Bestimmung bis zum 6. Oktober 2022 noch von einem bloß geringfügigen Verschulden des Beschuldigten auszugehen, der sich nach dem Vorgesagten auch stets einsichtig und mitwirkungswillig zeigte, und mangels darüber hinaus erkennbarer Folgen seines Verhaltens (vgl auch dessen Kanzleistruktur und Geschäftsfälle, ON 1 S 7 f, Beilage ./2 S 3) die Anwendung des § 3 DSt und damit der bekämpfte Einstellungsbeschluss nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0113533).
[19] Der Beschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.
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