European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00145.24W.0130.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die im Jahr 2018 geborene N* lebt mit ihren Eltern Mag. G* und Dr. F* gemeinsam in Wien. Sie ist iranische und deutsche Staatsangehörige.
[2] Mit der das Verfahren einleitenden Eingabe stellte die – zu diesem Zeitpunkt noch nicht anwaltlich vertretene – Mutter den Antrag, es dem Vater zu verbieten, mit der gemeinsamen Tochter aus Österreich auszureisen.
[3] Das Erstgericht stellte dazu – auf Basis der Angaben der Mutter – fest, dass sich die Eltern in einem Prozess der Trennung befänden. Die Mutter strebe die Scheidung an, eine Ehescheidungsklage sei noch nicht anhängig. Sie habe im Iran aber eine Klage gegen den Vater eingebracht, womit dieser verpflichtet werden solle, ihr gemäß einem zwischen ihnen abgeschlossenen Ehepakt Goldstücke im Wert von über 200.000 EUR auszufolgen. Der Vater habe im Zuge von Streitigkeiten der Mutter immer wieder gedroht, sie und das Kind in den Iran zu verbringen. Diese Drohungen seien zuletzt deutlicher und bestimmter geworden. Der Vater benutze diese Drohungen als Druckmittel gegenüber der Mutter, um seine eigenen finanziellen Forderungen durchzusetzen. Die Mutter besitze Vermögen im Iran, auf das sie nach Ansicht des Vaters zu seinen Gunsten verzichten solle.
[4] Der Vater sei im Iran gut verwurzelt, habe dort Vermögen, eine Stelle als Professor und seine Familie; es wäre ihm ein Leichtes, seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Er habe dieses Szenario auch bereits mit seinen Freunden und mit seinem Bruder, der im Iran lebe, besprochen.
[5] Das Erstgericht verbot dem Vater, mit der Minderjährigen aus Österreich auszureisen (Spruchpunkt 1.). Diesem Beschluss räumte es gemäß § 44 Abs 1 AußStrG die vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit ein (Spruchpunkt 2.).
[6] Gemäß § 107 Abs 3 AußStrG habe das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren diene, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt würden. Als derartige Maßnahmen kämen unter anderem das Verbot der Ausreise mit dem Kind (Z 4) und die Abnahme der Reisedokumente des Kindes (Z 5) in Betracht.
[7] Die Abnahme des Reisepasses des Kindes bzw ein Ausreiseverbot mit dem Kind dürfe das Gericht nur bei objektiven Anhaltspunkten für eine geplante Mitnahme des Kindes ins Ausland durch den Elternteil und nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme anordnen. Der Eingriff in das Privatleben der betreffenden Person dürfe – insbesondere im Hinblick auf Art 8 Abs 1 EMRK – nicht unverhältnismäßig zu der damit beabsichtigten Förderung der Kindesinteressen sein. Es komme nicht darauf an, dass diese Maßnahme die ultima ratio darstelle, die erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wäre.
[8] Im vorliegenden Fall lägen ausreichende Anhaltspunkte vor, die die Sorge der Mutter, der Vater werde seine Drohungen in die Tat umsetzen, nachvollziehbar erscheinen ließen. Die Reisepässe des Kindes habe die Mutter bereits in gerichtliche Verwahrung übergeben. Zur Wahrung des Kindeswohls seisohin noch das Verbot der Ausreise mit dem Kind anzuordnen. Von einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben könnekeine Rede sein.
[9] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge. Es änderte den angefochtenen Beschluss in dessen Spruchpunkt 1. dahin ab, dass dem Vater die Ausreise aus Österreich mit dem Kind vorläufig verboten werde.
[10] Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG müssten im Zusammenhang mit einem Obsorge- oder Kontaktrechtsverfahren stehen. Hier sei kein Obsorgeverfahren anhängig, Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG kämen daher nicht in Betracht.
[11] Gefährdeten die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so habe das Gericht aber, von wem immer es angerufen werde, gemäß § 181 Abs 1 ABGB die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts bestehe die Gefahr, dass der Vater das Kind in den Iran verbringe. Dies stelle eine Gefährdung des Kindeswohls dar, weil das Kind aus seinem gewohnten Umfeld gerissen und möglicherweise der Kontakt zur Mutter deutlich erschwert oder verhindert würde.
[12] Die Voraussetzungen des § 181 Abs 1 ABGB seien demnach erfüllt. Da dem Vater aber noch keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, sich zu dem Antrag der Mutter zu äußern, und er am Beweisaufnahmeverfahren in erster Instanz nicht beteiligt gewesen sei, sei das Ausreiseverbot nur vorläufig zu verhängen. Das Erstgericht werde vor der endgültigen Entscheidung auch den Vater zu hören haben.
[13] Dass die Reisepässe des Kindes bei Gericht hinterlegt seien, reiche für die Abwendung der Gefahr des Ausreisens des Vaters mit dem Kind nicht aus. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Vater einen weiteren Pass für das Kind beantrage.
[14] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu. Es fehle Rechtsprechung dazu, ob § 181 Abs 1 ABGB zur Anwendung gelange, wenn die Voraussetzungen des § 107 Abs 3 Z 4 AußStrG nicht zur Gänze erfüllt seien.
[15] Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters; die Mutter ließ diesen unbekämpft.
Rechtliche Beurteilung
[16] Der – von der Mutter nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Vaters ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
[17] 1. Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht nach § 181 Abs 1 ABGB, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen.
[18] Als gelindere Mittel gegenüber der Obsorgeentziehung ermöglicht § 181 Abs 1 ABGB aber auch andere Anordnungen, wie Aufträge oder Auflagen an den Obsorgeberechtigten (RS0127236 [T6]). Reichen solche unterstützende oder sichernde Maßnahmen nicht aus, so können dem Obsorgeberechtigten bei einer Kindeswohlgefährdung als Beschränkung der Obsorge auch nur einzelne Rechte, etwa die in § 181 Abs 1 ABGB genannten gesetzlich vorgesehenen Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entzogen werden (4 Ob 216/19x; 4 Ob 171/21g). Das Gericht darf durch eine Verfügung nach § 181 ABGB die Obsorge stets nur so weit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohls des Kindes nötig ist (§ 182 ABGB; 4 Ob 171/21g).
[19] 2. Nach § 107 Abs 2 AußStrG kann das Gericht die Obsorge nach Maßgabe des Kindeswohls auch vorläufig entziehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat das Gericht eine solche vorläufige Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG schon dann zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen notwendig sind, aber eine rasche Regelung für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen sind somit in dem Sinn reduziert, dass diese nicht erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen (9 Ob 4/24i mwN; RS0129538). Allerdings erfordert auch eine vorläufige Entziehung der Obsorge eine ausreichende Tatsachengrundlage und auch bei einer solchen Entscheidung ist äußerste Zurückhaltung geboten, weil auch eine vorläufige Entziehung der Obsorge einen Grundrechtseingriff bedeutet und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert (9 Ob 4/24i mwN; RS0129538 [T6, T7]).
[20] 3. Nach § 107 Abs 3 AußStrG idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht die Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Als derartige Maßnahmen kommen insbesondere das Verbot der Ausreise mit dem Kind (Z 4) und die Abnahme der Reisedokumente des Kindes (Z 5) in Betracht.
[21] Die in § 107 Abs 3 AußStrG geregelten Maßnahmen dienen der Sicherung des Kindeswohls. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist nicht Voraussetzung; ebenso wenig müssen die Maßnahmen ultima ratio zur Sicherung des Kindeswohls sein, sodass sie erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wären. Allerdings muss das Gericht auch hier den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Die im Einzelfall angeordnete Maßnahme muss zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und geeignet sein. Außerdem darf der damit verbundene Eingriff in das Privatleben der betroffenen Person nicht außer Verhältnis zu der damit intendierten Förderung der Interessen des Kindes stehen (RV 2004 BlgNR 24. GP 39; 7 Ob 158/23w; 5 Ob 53/18g; RS0129700 [T1, T2]).
[22] Das Gericht hat derartige Maßnahmen – im Obsorge- oder Kontaktregelungsverfahren oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge- oder Kontaktregelungen – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von Amts wegen anzuordnen; ein Antrag ist dafür nicht notwendig (7 Ob 158/23w; 5 Ob 53/18g).
[23] 4. Schon § 181 Abs 1 ABGB bietet die Rechtsgrundlage dafür, dem Obsorgeberechtigten auch bloß einzelne konkrete Aufträge oder Auflagen zu erteilen (RS0127236 [T6]), wenn das Kindeswohl ein ganz bestimmtes Verhalten des Obsorgeberechtigten verlangt (Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,Klang3 §§ 176, 176b Rz 56; vgl RS0127247). Daran hat sich durch das KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, nichts geändert. Mit § 107 Abs 3 AußStrG wurde lediglich der Katalog der dem Pflegschaftsgericht zur Sicherung des Kindeswohls zur Verfügung stehenden Maßnahmen klargestellt und – jedenfalls im Verhältnis zur jüngeren höchstgerichtlichen Rechtsprechung – deutlich erweitert (RV 2004 BlgNR 24. GP 38). Die Voraussetzungen zur (gänzlichen oder teilweisen) Entziehung der Obsorge sind demgegenüber mit § 181 ABGB nF inhaltlich unverändert geblieben. Dem Pflegschaftsgericht steht in § 107 Abs 3 AußStrG aber nunmehr eben (auch) ein gesetzlicher Katalog an Unterstützungs- und Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, (auch) um – als gelinderes Mittel – Entziehungsmaßnahmen nach § 181 ABGB zu verhindern (4 Ob 201/19s).
[24] Den Gesetzesmaterialien zu § 107 Abs 3 AußStrG ist nicht zu entnehmen, dass dieser Katalog an Unterstützungs- und Sicherungsmaßnahmen die Anwendung des § 181 ABGB einschränken sollte und vorläufige Entscheidungen oder anzuordnende Maßnahmen nur noch in dessen Anwendungsbereich zu erfolgen hätten. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen vielmehr bei inhaltlich unverändertem § 181 Abs 1 ABGB nF mit der verfahrensrechtlichen Norm des § 107 Abs 3 AußStrG (auch) materiell‑rechtlich wirkende Eingriffe in die Persönlichkeits- und Obsorgerechte der Eltern ermöglicht werden (5 Ob 53/18g mwN).
[25] Mit Blick auf die vom Rekursgericht in seinerBegründung für die Zulassung des Revisionsrekurses aufgeworfene Frage des Verhältnisses zwischen den Maßnahmen nach § 181 Abs 1 ABGB und jenen des § 107 Abs 3 AußStrG lässt sich somit als Zwischenergebnis festhalten: Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG setzen (nur) die Erforderlichkeit zur Sicherung des Kindeswohls, aber keine Kindeswohlgefährdung voraus; bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung kommen diese Maßnahmen aber auch als gelindere Mittel iSd § 181 Abs 1 ABGB in Betracht (4 Ob 201/19s = RS0129700 [T4]).
[26] 5. Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG müssen mit einem Verfahren über die Ausübung der Obsorge oder des Kontaktrechts im Zusammenhang stehen (RS0131142; RS0130780 [T1]); sie sind somit entweder in einem Obsorge- oder Kontaktregelungsverfahren (Erkenntnisverfahren) oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge- oder Kontaktregelungen (Vollzugsverfahren) anzuordnen (5 Ob 100/23a; 4 Ob 225/16s).
[27] Das Rekursgericht geht davon aus, dass hier kein Obsorgeverfahren anhängig sei, weswegen Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG nicht in Betracht kämen. Dem ist jedoch nicht zu folgen.
[28] Die Bestimmung des Aufenthalts des Kindes ist Teil der Ausübung der Obsorge (vgl § 162 ABGB). Ein Verbot der Ausreise mit dem Kind beschränkt die diesbezüglichen Rechte des (mit‑)obsorgeberechtigten Elternteils. In diesem Sinn führt der Gesetzgeber in den Materialien zu § 107 Abs 3 Z 4 und 5 AußStrG aus, dass das Gericht durch ein Verbot der Ausreise mit dem Kind und die Abnahme der Reisedokumente des Kindes „auch als gelinderes Mittel zur Obsorgeentziehung“ der Verbringung des Kindes in das Ausland vorbeugen können soll (RV 2004 BlgNR 24. GP 39). Auch dieser misst also dem gerichtlichen Ausreiseverbot die Bedeutung bei, das Aufenthaltsbestimmungsrecht des (mit‑)obsorgeberechtigten Elternteilsals gelinderes Mittel im Vergleich zur Obsorgeentziehung einzuschränken (vgl Beck, Kindschaftsrecht3 [2021], Rz 1402; Einberger in Schneider/Verweijen, AußStrG § 107 Rz 28).
[29] Der Antrag der Mutter ist zwar seinem Wortlaut nach unmittelbar auf ein Verbot der Ausreise mit dem Kind und damit auf die Maßnahme des § 107 Abs 3 Z 4 AußStrG gerichtet. Dieses Verbot beschränkt aber die Rechte des Vaters in Bezug auf die Aufenthaltsbestimmung und damit dessen Obsorgerecht insofern, als es der Ausübung dieser Rechte Grenzen setzt. Die mit diesem Begehren angestrebte Entscheidung iSd § 9 Abs 1 AußStrG ist daher dem Grunde nach die an die Voraussetzungen des § 181 Abs 1 ABGB geknüpfte Teileinschränkung der Obsorge in Bezug auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht (vgl Einberger in Schneider/Verweijen, AußStrG § 107 Rz 28). Das damit eingeleitete Verfahren ist daher seinem Gegenstand nach ein Verfahren über die Obsorge iSd § 107 AußStrG. Der von der Rechtsprechung für Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG geforderte „Zusammenhang“ mit einem solchen ist somit gegeben.
[30] Als weiteres Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten: Das Verbot der Ausreise mit dem Kind bedeutet eine Beschränkung der mit der (Mit‑)Obsorge verbundenen Rechte in Bezug auf die Aufenthaltsbestimmung. Gegenstand des durch einen unmittelbar auf die Anordnung dieser Maßnahme gerichteten Antrag eingeleiteten Verfahrens ist daher eine Teileinschränkung der Obsorge in Bezug auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht. In diesem Verfahren kann das Ausreiseverbot – zufolge dieses „Zusammenhangs“ mit einem Obsorgeverfahren – auf der Grundlage des § 107 Abs 3 Z 4 AußStrG erlassen werden.
[31] 6. Die Entscheidung, ob und welche Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig (5 Ob 54/19f [Ausreiseverbot]; 9 Ob 17/16i; RS0130780).
[32] Ein Ausreiseverbot gemäß § 107 Abs 3 Z 4 AußStrG darf das Gericht nur bei objektiven Anhaltspunkten für eine geplante Mitnahme des Kindes ins Ausland durch einen Elternteil und nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme anordnen. Der Eingriff in das Privatleben der betreffenden Person darf – insbesondere im Hinblick auf Art 8 Abs 1 EMRK – nicht unverhältnismäßig zu der damit beabsichtigten Förderung der Kindesinteressen sein. Es kommt nicht darauf an, dass diese Maßnahme die ultima ratio darstellt, die erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wäre (RS0129701).
[33] Nach den Feststellungen des Erstgerichts bestehen hier objektive Anhaltspunkte für die „Verbringung“ im Sinn einer heimlichen und dauerhaften Verlegung des Aufenthalts des Kindes ins Ausland, zumal der Vater damit im Zuge des Trennungsprozesses bereits mehrfach (zuletzt deutlicher und bestimmter) gedroht hat. Dieses Vorgehen wäre ihm aufgrund seiner Verwurzelung im Iran auch leicht möglich. Das Rekursgericht ging weiters davon aus, dass das Kind mit seiner Verbringung in den Iran aus seinem gewohnten Umfeld gerissen und der Kontakt zur Mutter möglicherweise erschwert oder gar verhindert würde. Den Feststellungen des Erstgerichts lässt sich das zwar nicht ausdrücklich entnehmen, allerdings setzt der Vater diesenSchlussfolgerungen des Rekursgerichts in seinem Rechtsmittel nichts entgegen.
[34] Nach Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann eine heimliche und überraschende Übersiedlung ins Ausland, durch die das Kind aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen und der Kontakt zu einem Elternteil abgebrochen wird, das Kindeswohl gefährden (9 Ob 8/14p mwN). Bei der vorliegenden Sachlage ist es daher zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich, der angedrohten Verbringung des Kindes in den Iran durch ein Ausreiseverbot mit dem Kind vorzubeugen. Der vorläufige Verbleib des Kindes in Österreich ist dem Kindesinteresse förderlich; der damit verbundene Eingriff in das Privatleben ist verhältnismäßig. Der Vater zeigt nicht auf, welche berücksichtigenswerten Umstände das Interesse an einer Ausreise mit dem Kind vordringlich erscheinen lassen könnten. Die vom Vater angedrohte Verbringung des Kindes in den Iran ist vielmehr bloß Ausdruck der Verfolgung seiner eigenen Interessen im Trennungsprozess der Eltern. Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten (6 Ob 160/14v; RS0048632 [T7]).
[35] 7. Das Rekursgericht hat – ausgehend von seiner Rechtsauffassung, Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG kämen nicht in Betracht, und im Widerspruch zu seinem Verständnis, es sei kein Obsorgeverfahren anhängig – schon die Zulässigkeit eines vorläufigen Ausreiseverbots nach den Voraussetzungen des § 181 ABGB iVm § 107 Abs 2 AußStrG geprüft und bejaht. § 181 ABGB setzt freilich das Vorliegen einer akuten Kindeswohlgefährdung voraus, wobei bei Beurteilung dieser Frage ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0048699; RS0047841). Vorläufige Maßnahmen dürfen zwar nicht erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen. Aber auch dabei ist äußerste Zurückhaltung geboten, insbesondere erfordert auch eine solche Entscheidung eine ausreichende Tatsachengrundlage (9 Ob 4/24i mwN; RS0129538). Ob diese Voraussetzungen hier auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen tatsächlich angenommen werden könnten, kann aber im derzeitigen Verfahrensstadium dahin gestellt bleiben, weil die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 107 Abs 3 Z 4 AußStrG jedenfalls vorliegen. Auf den Umstand, dass das Rekursgericht dem Vater die Ausreise mit der Minderjährigen im Sinn einer einstweiligen Regelung vorläufig untersagte, muss aus Anlass seines Rechtsmittels nicht näher eingegangen werden.
[36] Der Revisionsrekurs ist daher im Ergebnis nicht berechtigt.
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