European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00088.76.0921.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.750,72 (darin S 40,-- Barauslagen und S 126,72 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 1.972,96 (darin S 480, — Barauslagen und S 110,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Folgender Sachverhalt ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig:
Der Kläger war vom 1. April 1966 bis 31. Mai 1975 als Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er kündigte sein Dienstverhältnis am 24. April 1975 zum 31. Mai 1975 auf und trat am 1. Mai 1975 mit Zustimmung der Beklagten seien noch ausstehenden Urlaub an. Während dieses Urlaubes nahm er ein Angebot der P* KG – einer Konkurrentin der Beklagten – an und trat als Kraftfahrer in deren Dienste; er begann mit dieser neuen Tätigkeit am 5. Mai 1975. Daraufhin sprach die Beklagte am 27. Mai 1975 die fristlose Entlassung des Klägers aus.
Der Kläger hält diese Entlassung im Hinblick auf die vorausgegangene Kündigung für ungerechtfertigt und verlangt deshalb im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten an restlichen Lohn für die Zeit vom 2. Mai bis 31. Mai 1975 sowie aliquoten Urlaubs- und Weihnachtsgeld den – der Höhe nach außer Streit stehenden – Betrag von S 11.865,05 samt Anhang. Der Geschäftsführer der Beklagten, F*, habe den Dienstnehmern schon im April 1975 einen Wechsel zur P* KG freigestellt. Davon abgesehen, sei die am 27. Mai 1975 ausgesprochene Entlassung verspätet, weil der Beklagten das neue Dienstverhältnis des Klägers schon seit Anfang Mai 1975 bekannt gewesen sei. § 7 AngG könne auf Arbeiter nicht analog angewendet werden, eine Verletzung der Treuepflicht sei nicht gegeben.
Demgegenüber ist die Beklagte der Meinung, daß der Antritt einer neuen Stelle während des Gebührenurlaubes „zumindest eine stillschweigende Erklärung des vorzeitigen Austritts ohne wichtigen Grund“ bedeute. Da das Verhalten des Klägers überdies ein „grober Treubruch“ gewesen und überdies eine Erwerbstätigkeit während des Urlaubs verboten sei, habe sie am 27. Mai 1975 „vorsichtshalber“ auch seine Entlassung ausgesprochen.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Eine schlüssige Austrittserklärung könne nicht angenommen werden, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Urlaub nur „etwas dazuverdienen“ wollte, also nie die Absicht gehabt habe, das Dienstverhältnis zur Beklagten durch Antritt des neuen Postens vorzeitig zu beenden. Da der Kläger außerdem durch sein Verhalten keine dienstliche Treuepflicht – soweit eine solche bei einem Arbeiter überhaupt in Betracht komme – verletzt habe und auch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit während des Urlaubs mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht zur Rechtfertigung der Entlassung herangezogen werden könne, sei das Klagebegehren berechtigt.
Infolge Berufung der Beklagten wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab. Das Verhalten des Klägers, welcher trotz aufrechten Bestehens seines Dienstverhältnisses zur Beklagten während des Urlaubes in die Dienste eines anderen Unternehmens getreten sei, könne nur als schlüssige Austrittserklärung gewertet werden. Das Dienstverhältnis mit der Beklagten sei durch diese grundlose Auflösungserklärung am 4. Mai 1975 beendet worden, die am 27. Mai 1975 vorsorglich ausgesprochene Entlassung daher rechtlich wirkungslos geblieben. Damit habe der Kläger die hier eingeklagten Ansprüche „verwirkt“.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird vom Kläger mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten; der Revisionsantrag geht auf Wiederherstellung des Ersturteils.
Die Beklagte hat beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, er habe durch die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses zur P* KG schlüssig seinen vorzeitigen Austritt aus den Diensten der Beklagten erklärt: Die Auflösung eines Dienstvertrages durch vorzeitigen Austritt erfordert eine dem Dienstgeber gegenüber bestimmt, deutlich und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise abzugebende, empfangsbedürftige Willenserklärung des Dienstnehmers, welche auf die sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen gerichtet ist. Diese Erklärung ist zwar an keine bestimmte Form gebunden und kann daher schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder konkludent (§ 863 ABGB) abgegeben werden; sie muß aber den Dienstgeber als Erklärungsempfänger zweifelsfrei erkennen lassen, daß der Dienstnehmer damit das Dienstverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist vorzeitig auflöst (Arb 7098 = SozM I A d 405; Arb 8202; Arb 9258 ua, zuletzt etwa 4 Ob 65/76; Adler-Höller in Klang2 V 340; Floretta in Floretta‑Spielbüchler‑Strasser, Arbeitsrecht I 204 ff; Martinek‑Schwarz, AngG3, 419 f § 25 Anm. 8, 427 § 26 Anm. 3; vgl. auch Kuderna, Das Entlassungsrecht 10 ff zu den Erfordernissen der Entlassungserklärung). Aus der Empfangsbedürftigkeit der Austrittserklärung folgt, daß der Austritt erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem die Willenserklärung des Dienstnehmers dem Dienstgeber als Erklärungsempfänger zugekommen ist (Arb 7411 = EvBl 1961/475 mit weiteren Zitat; Adler‑Höller aaO 340; Mayer‑Maly, Österreichisches Arbeitsrecht 135 f). Nach diesen in der Rechtsprechung und im Schrifttum zu § 26 AngG entwickelten Grundsätzen muß auch das hier in Rede stehende „vorzeitige Verlassen der Arbeit“ (§ 82a GewO 1859) durch den – als „Hilfsarbeiter“ im Sinne des § 73 Abs. 1 GewO 1859 anzusehenden – Kläger beurteilt werden.
Im konkreten Fall muß die Annahme einer schlüssigen Austrittserklärung schon am Fehlen einer der Beklagten gegenüber abgegebenen Willenserklärung scheitern, hat doch die Beklagte nicht einmal behauptet, daß ihr der Kläger den Abschluß seines neuen Dienstvertrages mitgeteilt hätte; der – unrichtig als Zeuge vernommene – Geschäftsführer der Beklagten, F*, hat vielmehr ausdrücklich bekundet, daß er erst Ende Mai 1975 durch Zufall von der Tätigkeit des Klägers für die P* KG erfahren habe. Davon abgesehen, ist die Auffassung des Berufungsgerichtes aber auch aus einem anderen Grund verfehlt:
Der Oberste Gerichtshof hat zwar in Arb 8341 = JBl 1967, 581 = SozM I A d 738 ausgesprochen, daß eine schlüssige Austrittserklärung im Sinne des § 26 AngG im Einzelfall auch im Fernbleiben vom alten Arbeitsplatz und im Antritt eines neuen Dienstverhältnisses gelegen sein kann; dabei kommt es aber – wie bei jeder schlüssigen Willenserklärung nach § 863 ABGB – auch hier entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Dienstnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles keinen vernünftigen Grund übrig läßt, an seiner auf vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen gerichteten Absicht zu zweifeln (vgl. Arb 7098 = SozM I A d 405; Arb 8202). Gerade das trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu: Nach den Feststellungen der Untergerichte hatte der Kläger sein Dienstverhältnis am 24. April 1975 fristgerecht zum 31. Mai 1975 aufgekündigt und dann mit 1. Mai 1975 mit Zustimmung der Beklagten seinen noch offenen Urlaub angetreten, welcher gleichzeitig mit dem – durch die Kündigung ins Auflösungsstadium versetzten und in ein Dienstverhältnis auf bestimmte Zeit umgewandelten (Arb 9142 = EvBl 1974/185 = SozM I A d 1069 = ZAS 1975, 19 ua, zuletzt etwa 4 Ob 43/76) – Dienstverhältnis am 31. Mai 1975 geendet hätte; er konnte also bei Aufnahme seiner Tätigkeit für die P* KG am 5. Mai 1975 davon ausgehen, daß er für die Beklagte keine weiteren Dienstleistungen mehr zu erbringen haben werde. War es dem Kläger solcherart aber möglich, die sich aus dem neuen Dienstverhältnis ergebenden Verpflichtungen gegenüber der P* KG zu erfüllen, ohne damit eine noch gegenüber seinem bisherigen Dienstgeber fortbestehende Arbeitspflicht zu verletzen, dann konnte auch die Beklagte – welcher ja gleichfalls bekannt war, daß der Kläger mit der Beendigung seines Urlaubes aus ihren Diensten ausscheiden und nicht mehr für sie tätig sein werde – aus dem (vorzeitigen) Abschluß des neuen Dienstvertrages keineswegs zweifelsfrei auf eine Absicht des Klägers schließen, sein ohnehin schon im Auslaufen befindliches Dienstverhältnis zur Beklagten aus irgendwelchen wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aufzulösen, dies um so weniger, als der Kläger damit ja ohne ersichtlichen Anlaß auf seine noch ausständigen Bezüge verzichtet hätte. Unter diesen Umständen kommt aber die Annahme einer schlüssigen (§ 863 ABGB) Austrittserklärung des Klägers im Sinne des § 82a GewO 1859 entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht in Betracht.
Die Entscheidung über das Klagebegehren hängt somit allein von der Beantwortung der Frage ab, ob der Kläger am 27. Mai 1975 von der Beklagten zu Recht entlassen worden ist oder nicht. Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung ihrer Entlassungserklärung auf einen „groben Treuebruch“ des Klägers und auf das Verbot der Erwerbstätigkeit während des Urlaubes berufen; beide Entlassungsgründe erweisen sich aber aus nachstehenden Erwägungen als nicht stichhältig:
§ 82 GewO 1859, welcher die Gründe, aus denen ein „Hilfsarbeiter“ (im Sinne des § 73 Abs. 1 GewO 1859) „ohne Kündigung sofort entlassen werden“ kann, taxativ aufzählt (Arb 6259), enthält keinen dem § 26 Z. 1 AngG vergleichbaren allgemeinen Entlassungstatbestand der „Untreue im Dienst“; gemäß § 82 lit. e GewO 1859 kann vielmehr nur entlassen werden, wer „ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis verrät oder ohne Einwilligung des Gewerbeinhabers ein der Verwendung beim Gewerbe abträgliches Nebengeschäft betreibt“. Der – hier allein in Betracht kommende – zweite Fall dieser Gesetzesstelle verlangt also, daß sich das betreffende „Nebengeschäft“ nachteilig auf die Verwendung des Dienstnehmers im Gewerbe seines Dienstgebers und damit auch auf dessen Betrieb auswirkt; er umfaßt alle Arbeiten, die den Dienstnehmer an der Entfaltung seiner vollen Leistungsfähigkeit im Rahmen seines Dienstverhältnisses hindern können (Kuderna aaO. 65). Eine Entlassung nach § 82 lit. e, zweiter Fall, GewO 1859 ist also nur dann gerechtfertigt, wenn der Dienstnehmer die ihm obliegende Verpflichtung, seine ganze Arbeitskraft dem Dienstgeber zur Verfügung zu stellen, vorsätzlich verletzt; gerade davon kann aber im vorliegenden Fall, in welchem der Kläger bei Abschluß des neuen Dienstvertrages der Beklagten gegenüber gar keine Arbeitspflicht mehr zu erfüllen hatte, schon begrifflich keine Rede sein. Bei dieser Sachlage braucht nicht weiter erörtert zu werden, ob der Kläger dadurch, daß er während seines (noch) aufrechten Dienstverhältnisses zur Beklagten ohne deren Zustimmung in die Dienste eines Konkurrenzunternehmens getreten ist, seine bisherige Dienstgeberin bewußt konkurrenziert und damit eine dienstliche Treuepflicht verletzt hat (vgl. dazu Spielbüchler in Floretta‑Spielbüchler‑Strasser, Arbeitsrecht I 95 mit weiteren Hinweisen); da ein solches Verhalten keinem der – zwar einer ausdehnenden Auslegung auf nach Beschaffenheit und Bedeutung gleichwertige Tatbestände zugänglichen (SZ 35/120 = Arb 7665 = EvBl 1963/84; Arb 5400), nicht aber darüber hinaus analog anwendbaren – Tatbestände des § 82 GewO 1859 unterstellt werden kann, kann die Entlassung des Klägers in keinem Fall auf „dienstliche Untreue“ gestützt werden.
Aus den gleichen Gründen ist auch die Berufung der Beklagten auf § 3 des Generalkollektivvertrages vom 18. November 1964 über die Einführung eines dreiwöchigen Mindesturlaubes verfehlt, wonach der Dienstnehmer während des Urlaubes „keine dem Erholungszweck des Urlaubes widersprechende Erwerbstätigkeit“ leisten darf: Selbst wenn man nämlich in einer solchen Tätigkeit gleichzeitig ein „der Verwendung beim Gewerbe abträgliches Nebengeschäft“ im Sinne des § 82e GewO 1859 erblickt, könnte sie doch im konkreten Fall von der Beklagten schon deshalb nicht zur Rechtfertigung der Entlassung des Klägers herangezogen werden, weil die Beklagte, wie bereits dargelegt, im Hinblick auf das bevorstehende Ende des Dienstverhältnisses auch durch eine dem Erholungszweck des Urlaubs zuwiderlaufende Tätigkeit des Klägers in keiner Weise mehr beeinträchtigt sein konnte.
Erweist sich aber die Entlassung des Klägers schon aus den angeführten Erwägungen als nicht gerechtfertigt, dann ist auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Entlassungserklärung nicht weiter einzugehen. Der von der Beklagten somit grundlos entlassene Kläger hat vielmehr Anspruch auf Zahlung des – der Höhe nach unbestrittenen –Betrages von S 11.865,05 samt Anhang an restlichem Lohn, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Der Revision mußte daher Folge gegeben und in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Urteil des Erstrichters wiederhergestellt werden.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten zweiter und dritter Instanz beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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