VwGH Ra 2022/11/0103

VwGHRa 2022/11/01037.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der R R in L, vertreten durch die Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Spittelwiese 4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2022, L518 2253102‑1/5E, betreffend Einstellung eines Beschwerdeverfahrens iA Ausstellung eines Behindertenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice), den Beschluss gefasst:

Normen

VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022110103.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Bundesverwaltungsgericht das im Zusammenhang mit einer Eingabe der Revisionswerberin vom 27. November 2021 geführte verwaltungsgerichtliche Bescheidbeschwerdeverfahren iA eines Bescheides der belangten Behörde sowie der Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 28 Abs. 1 iVm. § 31 Abs. 1 VwGVG ein. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

2 Das Verwaltungsgericht legte näher dar, weshalb insbesondere in Anbetracht der Ausführungen der Revisionswerberin in ihrem Schriftsatz vom 4. April 2022, der in Reaktion (u.a.) auf einen vom Verwaltungsgericht erteilten Mängelbehebungsauftrag im Wege ihrer Rechtsvertretung erstattet worden war, davon auszugehen sei, dass es sich bei der als „Stellungnahme/Einwendung zu Sachverständigengutachten, vom 11.10.2021“ bezeichneten Eingabe der Revisionswerberin vom 27. November 2021, die dem Verwaltungsgericht von der belangten Behörde als Beschwerde vorgelegt worden sei, nicht um eine Bescheidbeschwerde, sondern um eine Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 gehandelt habe. In ihrem Schriftsatz vom 4. April 2022 habe die Revisionswerberin angegeben, über den betreffenden Bescheid der belangten Behörde vom 3. November 2021 nicht zu verfügen und ihre Stellungnahme lediglich zum Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 abgegeben zu haben. Im Übrigen habe sie eine Erstreckung der ihr zur Erstattung einer Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten sowie zur Behebung von Mängeln gesetzten Frist und die Übersendung des Bescheides vom 3. November 2021 beantragt. Da es sich aufgrund dieser Bekanntgabe vom 4. April 2022 ‑ so das Verwaltungsgericht weiter ‑ bei der Stellungnahme der Revisionswerberin vom 27. November 2021 um keine Bescheidbeschwerde gehandelt habe, habe es auch nicht der Fristerstreckung für die Behebung von Mängeln einer Beschwerde bedurft. Mangels Vorliegens einer Beschwerde sei das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzustellen gewesen.

3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der im Wesentlichen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Schreiben der Revisionswerberin vom 27. November 2021 um keine Beschwerde gehandelt habe, entgegengetreten und dazu ausgeführt wird, das Verwaltungsgericht habe der Revisionswerberin einen Auftrag zur Behebung von Mängeln ihrer Beschwerde erteilt und sei daher selbst davon ausgegangen, dass eine Bescheidbeschwerde vorliege. Der Mängelbehebungsauftrag sei vom Verwaltungsgericht hingegen nicht behandelt und das Beschwerdeverfahren unzulässiger Weise eingestellt worden, obwohl ein anfechtbarer Bescheid in Form eines Behindertenpasses vorgelegen sei und der Revisionswerberin ein Recht auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ zukomme. Für den objektiven Betrachter sei eindeutig erkennbar gewesen, dass die Revisionswerberin die Feststellung hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung anstrebe und eine Stellungnahme zu einem Gutachten von Vornherein ins Leere gehe, weil der Behindertenpass bereits ausgestellt und der Bescheid somit erlassen worden sei. Die Revisionswerberin habe ihre Eingabe vom 27. November 2021 nur irrtümlich gegen das Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 und nicht gegen den Bescheid bzw. den Behindertenpass gerichtet. Eine gegenteilige Auslegung sei auch aufgrund des Schriftsatzes vom 4. April 2022 nicht zulässig.

Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegen nicht vor:

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (VwGH 27.4.2020, Ra 2019/11/0045, mwN).

7 Prozesserklärungen einer Partei sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. zum Ganzen VwGH 11.9.2020, Ra 2020/11/0122, 0123, mwN). Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen, diesen also zu einer Präzisierung aufzufordern bzw. zum Inhalt einzuvernehmen (vgl. etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0181). Es darf im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. Dem Geist des AVG ist ein übertriebener Formalismus fremd, weswegen auch bei der Auslegung von Parteianbringen im Sinne des § 13 AVG kein streng formalistischer Maßstab anzulegen ist (siehe VwGH 26.3.2021, Ra 2020/03/0149, mwN). Eine in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen wirft in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. VwGH 16.3.2016, Ra 2016/04/0024, mwN; siehe etwa auch VwGH 1.6.2021, Ra 2020/12/0081).

8 Die Eingabe der (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vertretenen) Revisionswerberin vom 27. November 2021 war insoweit mehrdeutig, als sie darin zwar lediglich auf das Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 Bezug nahm, jedoch aufgrund dessen, dass der betreffende Bescheid gestützt auf § 45 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz durch Ausstellung eines Behindertenpasses bereits erlassen worden war, nicht ohne Weiteres unterstellt werden durfte, die Revisionswerberin habe eine von Vornherein ins Leere gehende Stellungnahme zu einem Sachverständigengutachten erstatten und nicht eine Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde erheben wollen.

9 So erteilte das Verwaltungsgericht auch ‑ offensichtlich unter der vorläufigen Annahme, dass es sich bei der Eingabe vom 27. November 2021 um eine Beschwerde im Sinn von Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG handeln könnte ‑ der Revisionswerberin im Hinblick auf sämtliche in § 9 Abs. 1 VwGVG genannten Anforderungen einen Mängelbehebungsauftrag (vom 24. März 2022), wobei bereits in der Formulierung dieses Auftrags die Zweifel des Verwaltungsgerichts an der Deutung der gegenständlichen Eingabe als Beschwerde zum Ausdruck kamen (vgl. etwa: „Das SMS ...hat dem BVwG ihre Eingabe [Stellungnahme/Einwendung] ... als Beschwerde vorgelegt“). Insbesondere bezeichnete das Verwaltungsgericht erkennbar in Anbetracht der nicht eindeutigen Qualifikation des Schreibens der Revisionswerberin vom 27. November 2021 dieses Schreiben nicht als Beschwerde, sondern bloß als Eingabe oder als „Eingabe (Stellungnahme/Einwendung)“.

10 Festzuhalten ist, dass in diesem Verfahrensstadium, ohne die Revisionswerberin diesbezüglich zu befassen, nicht davon ausgegangen werden durfte, dass das in Rede stehende Schreiben vom 27. November 2021 nicht als Beschwerde zu qualifizieren wäre. Anders stellte sich die Situation jedoch sodann aufgrund der im Wege der anwaltlichen Vertretung übermittelten Eingabe der Revisionswerberin vom 4. April 2022 dar, in der sie bekannt gab, dass sie ihre „Stellungnahme/Einwendung“ lediglich zum Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 abgegeben habe.

11 Den in Reaktion auf den Mängelbehebungsauftrag übermittelten Schriftsatz vom 4. April 2022 mit der Mitteilung, dass die Revisionswerberin ihre „Stellungnahme/Einwendung“ lediglich zu dem Sachverständigengutachten abgegeben habe, durfte das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation, ohne diesbezüglich von der hg. Rechtsprechung abzuweichen, vertretbar als eindeutige Äußerung dahin verstehen, dass es sich bei dem von der Revisionswerberin als „Stellungnahme/Einwendung zu Sachverständigengutachten, vom 11.10.2021“ betitelten Schreiben vom 27. November 2021 nur um eine Stellungnahme und nicht um eine Bescheidbeschwerde gehandelt habe. Wenn das Verwaltungsgericht folglich aufgrund der Ausführungen im Schriftsatz der Revisionswerberin vom 4. April 2022 zur Auffassung gelangte, ihre Eingabe vom 27. November 2021 stelle keine Beschwerde, sondern entsprechend ihrem Wortlaut eine Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten vom 11. Oktober 2021 dar, wirft dies keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

12 Da dem Verwaltungsgericht ausgehend davon keine Beschwerde vorlag, deren Mängel zu beheben gewesen wären, war der Mängelbehebungsauftrag als hinfällig zu erachten. Zudem war dem Verwaltungsgericht mangels Vorliegens einer Beschwerde eine meritorische Entscheidung über die in Rede stehende Angelegenheit (Ausstellung eines Behindertenpasses) verwehrt.

13 Da somit die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht vorliegen, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juni 2023

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