B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L518.2253102.1.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter betreffend den Behindertenpass des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Oberösterreich, OB: XXXX , vom 03.11.2021, der im Verfahren der Partei XXXX , geb. XXXX , erlassen wurde, beschlossen:
A) Das Verfahren wird gemäß § 28 Abs. 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) eingestellt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung:
I. Verfahrensgang:
I.1 Die beschwerdeführende Partei (nachfolgend auch: "BF" bzw. beschwerdeführende Partei: "bP") ist Inhaberin eines bis 28.02.2022 befristeten Behindertenpasses mit einem GdB von 70 % sowie der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass.
I.2. Die bP beantragte am im Akt ersichtlichen Datum die Neuausstellung des Behindertenpasses wegen Verlustes, Diebstahl oder der Ungültigkeit eines Behindertenpasses sowie die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.
I.3. Die bB führte ein Ermittlungsverfahren durch (GdB 70 vH, Unzumutbarkeit wurde verneint, Dauerzustand). Parteiengehör wurde nicht gewährt.
I.4. Mit Schreiben des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 05.11.2021 wurde der bP ein entsprechender Behindertenpass (im Scheckkartenformat) übermittelt. Das Gutachten der medizinischen Sachverständigen vom 26.10.2021 wurde dem Schreiben beigelegt.
I.5. Mit Schreiben vom 27.11.2021 erstattete die bP eine „Stellungnahme/Einwendung zum Sachverständigengutachten vom 11.10.2021“. Der beigelegte Befund bestätige, dass es ihr entgegen dem ärztlichen Gutachten unmöglich sei, kurze Wegstrecken zurückzulegen. Überdies befinde sich innerhalb der von ihr zu Fuß erreichbaren Entfernung keine Haltestelle. Aufgrund ihrer Behinderung benötige sie einen Parkausweis.
I.6. In weiterer Folge leitete die bB ein Beschwerdevorentscheidungsverfahren ein. Das ärztliche Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Anästhesie und Allgemeinmedizinerein stellte einen GdB von 70 vH fest: Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde als zumutbar erachtet. Parteiengehör wurde nicht gewährt.
I.7. Da die Frist für das Beschwerdevorentscheidungsverfahren abgelaufen war, wurde die „Stellungnahme/Einwendung zum Sachverständigengutachten vom 11.10.2021“ samt Akt dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 22.03.2022 zur Entscheidung vorgelegt.
I.8. Mit ho Schreiben vom 24.03.2022 wurde der bP das Ergebniss des Ermittlungsverfahrens (GA vom 09.03.2022) gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. In einem erteilte das Bundesverwaltungsgericht der bP den Auftrag, ihre Eingabe im Sinne des § 9 VwGVG binnen 14 Tagen ab Zustellung zu verbessern, da die Eingabe der bP den Anforderungen an eine Beschwerde gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG nicht genüge. Die bP wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist ihre Eingabe gemäß § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen wird.
I.9. Mit E-Mail vom 05.04.2022 gab der rechtsfreundliche Vertreter seine Bevollmächtigung bekannt, beantragte die Übermittlung des Bescheides vom 03.11.2022 in Kopie sowie eine Fristerstreckung zur Erstattung einer Stellungnahme und Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages bis 29.04.2022. Begründend wird ausgeführt, dass die bP über den Bescheid vom 03.11.2021 nicht verfüge. Ihre Stellungnahme/Einwendung vom 27.11.2021 bezog sich lediglich auf das Sachverständigengutachten vom 11.10.2021.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus dem beschriebenen Verfahrenshergang.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Verfahrensparteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG liegt eine zwingende Senatszuständigkeit hinsichtlich Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung vor. Wie die Norm ausführt, bedarf es eines Verfahrens, um eine Senatszuständigkeit zu begründen. Im zugrundeliegenden Fall liegt mangels Beschwerde kein Verfahren nach dem BBG vor. Es bedarf keiner inhaltlichen Entscheidung auf Grundlage der zitierten Bestimmung, sondern es handelt sich um eine rein formale Entscheidung.
Schlussfolgernd liegt keine Zuständigkeit für einen Senat iSd § 45 Abs. 3 BBG, sondern eine Einzelrichterzuständigkeit iSd § 6 BVwGG vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Da das gegenständliche Verfahren einzustellen ist, erfolgt die Erledigung der Rechtssache durch Beschluss.
Zu A)
Gem. Art 132 Abs. 1 BV-G kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, weshalb sich im gegenständlichen Fall die Frage stellt, ob das als Stellungnahme bzw Einwendung bezeichnete Schreiben vom 27.11.2021 als Beschwerde im Sinne des Art. 132 Abs. 1 BV-G bzw. § 9 VwGVG anzusehen ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist einleitend festzustellen, dass der höchstgerichtlichen Judikatur folgend [vgl. etwa Erk. des VwGH vom 24.11.2000, Zahl 96/19/3212) für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens sein wesentlicher Inhalt, der sich aus den gestellten Antrag erkennen lässt und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend ist. Es kommt nämlich nicht auf die Bezeichnungen und zufällige Verbalform an, sondern auf den Inhalt des Anbringens oder erkennbar oder zu schließende Ziel des Parteischrittes. Ist etwa erkennbar, dass ein Antrag entgegen seinem Wortlaut auf etwas anderes abzielt, kommt es auf die erkennbare Absicht des Einschreiters an (Vgl. auch Erk d. VwGHs vom 24.4.1985, 85/11/035, E. v. 22.12.1998, 87/17/0197, E. v. 8.4.1992, 91/13/0123, E. v. 21.5.2003, 2003/17/0089, E. v. 26.2.2003, 2002/17/0279, E. v. 21.4.1998, 98/11/0019, E. v. 21.5.1997, 95/19/1137 mwN).
Auf den gegenständlichen Einzelfall umgelegt ergibt sich aus den soeben beschriebenen Überlegungen, dass aus der Bezeichnung „Stellungnahme/Einwendung zum Sachverständigengutachten vom 11.10.2021“ geschlossen werden kann, dass es sich beim genannten Schreiben um keine Beschwerde handelt, sondern ist zweifelsfrei ersichtlich, dass sich das Schreiben der bP vom 27.11.2021 gegen das ihr mit Schreiben vom 3.11.2021 betreffend der Ausstellung eines Behindertenpasses zur Kenntnis gebrachte Gutachten vom 28.10.2022 richtet. Dies wird auch durch den anwaltlichen Schriftsatz vom 4.4.2022 bestätigt, wonach die bP ihre „Stellungnahme/Einwendung“ lediglich zum Sachverständigengutachten vom 11.10.2021 abgegeben habe. Vor diesem Hintergrund bedarf es auch nicht der im anwaltlichen Schriftsatz vom 4.4.2022 beantragten Fristerstreckung zur Erstattung einer Stellungnahme und Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages.
Beim als „Stellungnahme/Einwendung“ bezeichneten Schreiben der bP vom 27.11.2021 handelt es sich somit um keine Beschwerde gem. § 9 VwGVG, sondern um eine Abgabe einer Stellungnahme zur Beweisaufnahme gem. § 45 Abs. 3 AVG.
Da keine weitere Eingabe vorliegt, welche als Beschwerde zu qualifizieren wäre und auch keine Rechtsnorm ersichtlich ist, welche das ho. Gericht zur amtswegigen Führung eines Beschwerdeverfahrens ermächtigt, ist das ho. Gericht mangels Vorliegens eines Beschwerdegegenstandes nicht sachlich zuständig, über die – zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsene - Entscheidung vom 03.11.2021 auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Viel mehr ist das eingeleitete Beschwerdeverfahren mangels Vorliegens eines Beschwerdegegenstandes einzustellen.
Sofern mit Schriftsatz vom 4.4.2022 die Übermittlung des Bescheides vom 3.11.2022 beantragt wird, ist auf § 45 Abs. 2 2. Satz BBG hinzuweisen, wonach dem ausgestellten Behindertenpass Bescheidcharakter zu kommt. Mit Schreiben vom 3.11.2021 wurde der bP die Ausstellung eines Behindertenpasses mitgeteilt. Sollte die bP den Behindertenpass nicht erhalten haben, ist sie zwecks Ausstellung eines Duplikates an das örtlich zuständige Sozialministeriumsservice zu verweisen (§ 44 Abs. 2 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht ist diesbezüglich nicht zuständig.
Die Durchführung einer Verhandlung konnte gem. § 24 Abs. 4 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Der Wortlaut der genannten Bestimmungen kann als eindeutig betrachtet werden und lässt keine andere als die hier getroffene Auslegung zu. Darüber hinaus orientierte sich das ho. Gericht an der einheitlichen Höchstgerichtlichen Entscheidung zur Frage der Vorgangsweise in einem Rechtsmittelverfahren, wenn kein Rechtsmittel vorliegt.
Es liegt somit keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung vor, welche einer Klärung durch den VwGH bedürfte.
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