VwGH Ra 2022/10/0004

VwGHRa 2022/10/000422.12.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision des G Z in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2‑4/2/23, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25. November 2021, Zl. VGW‑242/043/14330/2021/VOR‑2, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art6 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022100004.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 18. Juni 2020 wurde dem Antrag (datiert mit 28. Mai 2020 und am 4. Juni 2020 bei der Behörde eingelangt) des Revisionswerbers, eines österreichischen Staatsbürgers, auf Gewährung von Mindestsicherung stattgegeben und diesem vom 4. Juni 2020 bis zum 31. Mai 2021 monatliche Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs in näher genannter Höhe zuerkannt.

2 In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde geltend gemacht, der Revisionswerber sei infolge der selbstüberwachten Heimquarantäne nach seiner Einreise in Österreich bzw. infolge eines erst am 28. Mai 2020 durchgeführten Tests auf SARS‑CoV‑2, dessen negatives Ergebnis erst am 2. Juni 2020 mitgeteilt worden sei, nicht in der Lage gewesen, seinen Mindestsicherungsantrag „schon am 28. Mai abgeben [zu] können“. Wäre ein Test sofort nach Beginn der Quarantäne durchgeführt worden, hätte er die Quarantäne schon am 29. Mai 2020 verlassen können. Ihm stehe daher Mindestsicherung „ab 27.05.2020“ zu.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25. November 2021 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

4 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Kern davon aus, dass die Gründe, warum der verfahrenseinleitende Antrag zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Behörde eingelangt sei, irrelevant seien. Im vorliegenden Fall hätten erst ab Einlagen des verfahrensgegenständlichen Antrages bei der Behörde Mindestsicherungsleistungen zugesprochen werden können.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 28.10.2022, Ra 2022/10/0135; 24.2.2022, Ra 2021/10/0194; 4.5.2021, Ra 2020/10/0081).

9 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „zur Verhinderung in Verwaltungsmaterien notwendiger persönlicher Antragstellung infolge COVID‑19‑Pandemie“. Es sei in verschiedenen Verwaltungsmaterien „die persönliche Antragstellung erforderlich“. Das Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) sei „insofern keine Ausnahme“. Die „Rechtslage und Judikatur“ widerspräche jedoch Art. 34 und Art. 47 der Grundrechte‑Charta der Europäischen Union (GRC). Es sei daher ein näher formuliertes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.

10 Mit diesem Vorbringen wird allerdings eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, von deren Lösung das Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, schon deshalb nicht aufgezeigt, weil dieses Vorbringen von der unzutreffenden Annahme ausgeht, das WMG erfordere eine „persönliche Antragstellung“. Derartiges ist dem Gesetz allerdings nicht zu entnehmen. Worauf der Revisionswerber diese Annahme zu stützen können glaubt, wird in der Revision weder durch Verweis auf Gesetzesbestimmungen noch durch Zitierung von Judikatur ausgeführt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG wird mit diesen Ausführungen nicht dargelegt.

11 Zudem zeigt das Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision auch nicht auf, weshalb im Revisionsfall ein Sachverhalt vorliegen sollte, der zur Anwendung des Unionsrechts führt (vgl. ‑ hinsichtlich einer Mindestsicherungsangelegenheit ‑ etwa VwGH 24.2.2016, Ra 2015/10/0047, mwN). Die GRC gilt gemäß deren Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (vgl. VwGH 27.4.2016, 2013/10/0256, VwSlg. 19360 A, mwN).

12 Zu den vom Revisionswerber ebenfalls unterbreiteten verfassungsrechtlichen Bedenken ist auf Art. 133 Abs. 5 B‑VG zu verweisen. Eine (behauptete) Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten fällt in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VwGH 9.11.2022, Ra 2022/10/0162, 0163; 21.10.2020, Ra 2020/11/0178; 11.10.2019, Ra 2019/01/0373). Nach ständiger Rechtsprechung kann der Verwaltungsgerichtshof zwar dann, wenn ihm bei Behandlung einer Revision Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit genereller Rechtsnormen erwachsen, einen Normprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen (vgl. Art. 139 Abs. 1 Z 1 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 B‑VG). Die Zulässigkeit einer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG kann mit einer solchen Frage jedoch nicht begründet werden, weil sie selbst als Rechtsfrage eben nicht vom Verwaltungsgerichtshof in der Sache „zu lösen“ ist (vgl. VwGH 7.4.2022, Ra 2022/03/0074; 11.1.2022, Ra 2021/05/0183, 0184; 21.10.2021, Ra 2021/07/0064). Die Ausführungen des Revisionswerbers in der vorliegenden Zulässigkeitsbegründung bieten keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

13 Soweit in den Zulässigkeitsausführungen (unter Verweis auf VwGH 4.12.2020, Ra 2020/05/0157) ein Abgehen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht geltend gemacht wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC dem Absehen von einer Verhandlung nach dem VwGVG insbesondere dann nicht entgegen stehen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist. Nach der Judikatur des EGMR kann zudem das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung rechtfertigen. Demnach kann der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung im Anwendungsbereich des VwGVG etwa in Fällen gerechtfertigt sein, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen werden (vgl. VwGH 21.12.2021, Ra 2020/10/0077; 1.6.2021, Ro 2020/10/0002; 20.11.2019, Ro 2018/15/0016). Dass im Revisionsfall Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC dem Absehen von einer Verhandlung nach dem VwGVG entgegengestanden wäre, wird weder in der Revision aufgezeigt noch ist dies für den Verwaltungsgerichtshof ersichtlich.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

15 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Dezember 2022

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