VwGH Ra 2022/06/0092

VwGHRa 2022/06/009222.8.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart‑Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des G K in G, vertreten durch Dr. Michael Battlogg als Erwachsenenvertreter, Rechtsanwalt in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 3. Mai 2022, LVwG‑318‑59/2021‑R14, betreffend Herstellung des rechtmäßigen Zustandes nach dem Vorarlberger Baugesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Sankt Gallenkirch; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §42
AVG §8
BauG Vlbg 2001 §18
BauG Vlbg 2001 §24
BauG Vlbg 2001 §24 Abs3 lita
BauG Vlbg 2001 §26
BauG Vlbg 2001 §40 Abs1 litb
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060092.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S. vom 4. Mai 2021, mit dem dem Revisionswerber gemäß § 40 Abs. 1 lit. b Vorarlberger Baugesetz (BauG) aufgetragen worden war, die auf den Grundstücken (GST‑) Nr. X und Nr. Y, GB S., errichtete Stützmauer binnen sechs Wochen ab Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen, keine Folge und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das LVwG ‑ soweit für das vorliegende Verfahren relevant ‑ zusammengefasst aus, die Stützmauer sei teilweise auf dem GSt‑Nr. X, das im Eigentum von Steffen L. stehe, errichtet worden; dieser habe für die Inanspruchnahme seines Grundstückes keine Zustimmung erteilt. Er habe zwar durch seine Unterschrift auf dem Ansuchen vom 24. August 2012 um Erteilung einer Baubewilligung (bewilligt mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S. vom 11. Juni 2018) mit der Bemerkung „bei Einhaltung der statischen Erfordernisse der zu errichtenden Stützmauer erteile ich die Zustimmung“ der Bauführung zugestimmt. Diese Zustimmung beziehe sich jedoch auf das eingereichte Projekt, das durch die „Baubeschreibung Kurz“ sowie den Luftbildlagenplan vom 6. August 2012 definiert sei; demnach sei die Stützmauer „entlang der Grundgrenze zu GST‑NR X“ errichtet worden. In einem Projektgenehmigungsverfahren wie dem Bauverfahren komme es nicht darauf an, welcher Zustand tatsächlich bestehe; ob die Stützmauer zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung allenfalls schon teilweise am Grundstück des Steffen L. bestanden habe, sei nicht entscheidungsrelevant. Für die abweichend von der Baubewilligung vom 11. Juni 2018 teilweise am GSt‑Nr. X von Steffen L. errichtete Stützmauer liege keine liquide Zustimmungserklärung des Eigentümers gemäß § 24 Abs. 3 lit. a BauG vor, weshalb die Behörde zutreffend gemäß § 40 Abs. 1 lit. b BauG einen Auftrag zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes erteilt habe.

5 In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung. Im Ergebnis wird aus verschiedenen Gesichtspunkten vorgebracht, Steffen L. sei bei Erteilung seiner Zustimmung im Jahr 2012 die tatsächliche Lage der damals bereits errichteten Stützmauer bekannt gewesen und er habe sich mit dieser einverstanden erklärt. Es liege somit eine liquide Zustimmungserklärung vor, weshalb nicht neuerlich eine solche vorzulegen sei. Darüber hinaus sei Steffen L. präkludiert, weil er im Bauverfahren diesbezüglich keine Einwendungen erhoben habe; daher komme ihm „kein Recht zu, einen Abbruchbescheid zu verlangen“. Der Abbruchbescheid verstoße darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt des § 68 AVG gegen den Grundsatz der Schonung erworbener Rechte, weil er „eine belastende Abänderung von Bescheiden“ darstelle.

6 Zu dem Vorbringen betreffend die Auslegung der Zustimmungserklärung des Steffen L. wird darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden kann. Einer vertretbaren Auslegung kommt keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn einer unvertretbaren Rechtsansicht unterlief (vgl. etwa VwGH 25.2.2022, Ra 2021/06/0133, Rn. 12, mwN).

Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier jedoch nicht vor. Aus den Antragsunterlagen („Baubeschreibung Kurz“ sowie Luftbildlagenplan vom 6. August 2012), auf die sich die Erklärung von Steffen L. bezog, geht nicht hervor, dass sich die Stützmauer teilweise auf seinem GSt-Nr. X befindet. In dem in diesem Verfahren ergangenen Bescheid vom 11. Juni 2018 wird dazu ausgeführt, der Eigentümer des GSt-Nr. X habe sich durch Unterfertigung des Bauantrages mit der Erteilung einer Abstandsnachsicht gemäß § 7 Abs. 1 lit. a BauG einverstanden erklärt; dieser Bescheid betrifft die Baubewilligung für die Errichtung einer Hauszufahrt mit einer Stützmauer auf den GSt-Nr. Y, Z und A, nicht jedoch auf GSt-Nr. X. Das Revisionsvorbringen, die Stützmauer sei zur Gänze von der Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides vom 11. Juni 2018 umfasst, trifft somit nicht zu. Für die tatsächlich in der Natur vorhandene Stützmauer, die teilweise auf GSt‑Nr. 690/3 errichtet wurde, liegt nach unbestrittener Feststellung des LVwG kein baurechtlicher Konsens vor. Daran ändert auch nichts, dass diese schon vor Erteilung der Baubewilligung vom 11. Juni 2018 errichtet und deren tatsächliche Lage Steffen L. bekannt war, weil die Behörde in einem Bauverfahren lediglich die Zulässigkeit des planmäßig belegten Vorhabens zu überprüfen hat und nicht die in der Natur hergestellten Ausführungen (vgl. etwa VwGH 1.8.2017, Ra 2017/06/0118, Rn. 6, mwN).

7 Für eine „Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes“ bzw. „Rechtsfortbildung“ dahingehend, „dass in die Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides durch einen Abbruchbescheid nicht eingegriffen werden darf, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 68 und 69 AVG nicht vorliegen und der Grundnachbar gemäß § 42 AVG seine Parteistellung verloren hat,“ ‑ wie der Revisionswerber vorschlägt ‑, besteht fallbezogen jedenfalls schon deshalb kein Bedarf, weil mit der Baubewilligung vom 11. Juni 2018 bezüglich des auf dem GSt‑Nr. X errichteten Teils der Stützmauer keine Rechte erworben wurden. Der verfahrensgegenständliche Auftrag zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes könnte somit gar nicht in erworbene Rechte eingreifen. Das Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung zu den §§ 68 und 69 AVG geht daher ‑ auch betreffend das Argument, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebotes hätte das LVwG einen Beseitigungsauftrag nur hinsichtlich des die Grundgrenze überschreitenden Teiles der Stützmauer erlassen dürfen (vgl. im Übrigen zur grundsätzlichen Unteilbarkeit eines einheitlichen Bauwerks etwa VwGH 29.4.2015, 2013/05/0025, mwN) ‑ ins Leere.

8 In der Zulässigkeitsbegründung wird weiter auf die Judikatur des OGH zu § 418 ABGB sowie auf VwGH 20.4.2022, Ra 2022/06/0010, hingewiesen und vorgebracht, das LVwG habe die zivilrechtliche Vorfrage des Eigentums an der überbauten Grundfläche unrichtig beurteilt. Angesichts der erteilten Zustimmung sei von einer zivilrechtlichen Einigung auszugehen. Unabhängig von einer vertraglichen Übereinkunft habe das LVwG den zivilrechtlichen Eigentumserwerb gemäß § 418 letzter Satz ABGB „nicht unter dem Gesichtspunkt des Bruchs einer vertraglichen Übereinkunft geprüft.“ Da Steffen L. seine ursprünglich erteilte Zustimmung nunmehr negiere, komme § 418 letzter Satz ABGB zur Anwendung; demnach habe der Revisionswerber originäres Eigentum am überbauten Grundstück erworben, weil er aufgrund der Zustimmungserklärung habe annehmen dürfen, dass er dort, wo er gebaut habe, auch habe bauen dürfen (Hinweis auf OGH 11.5.2005, 9 Ob 100/04b; 27.11.2001, 1 Ob 265/01d; 16.5.2002, 8 Ob 88/02b)

Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Die Zustimmungserklärung des Steffen L. umfasst - wie oben dargelegt - eben nicht den Grenzüberbau. Voraussetzungen für einen Eigentumserwerb nach § 418 dritter Satz ABGB sind, dass der Bauführer redlich und der Grundeigentümer unredlich ist (vgl. etwa OGH 11.5.2005, 9 Ob 100/04b). Zum Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer noch vor der vermeintlichen Zustimmung des Steffen L. kam der Revisionswerber seiner Pflicht, sich vor Durchführung der im engsten Grenzbereich zur Nachbarliegenschaft vorgenommenen Bauführung zu vergewissern, ob er auf eigenem oder auf fremden Grund baut, jedenfalls nicht nach, weshalb er nicht als redlicher Bauführer anzusehen ist (vgl. OGH 27.11.2001, 1 Ob 265/01d). Darüber hinaus ist kein vorwerfbares Verhalten seitens des Steffen L. zu erkennen, weil er ‑ entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht ‑ keine „ursprünglich erteilte Zustimmung nunmehr negiert“ (vgl. nochmals OGH 27.11.2001, 1 Ob 265/01d). Ein originärer Eigentumserwerb an der durch die Stützmauer überbauten Grundfläche kommt daher nicht in Betracht.

9 Wenn die Revision in der Zulässigkeitsbegründung eine Präklusion von Steffen L. vorbringt, weil dieser im Baubewilligungsverfahren keine Einwendungen erhoben habe, übersieht sie, dass Steffen L. Eigentümer des von einem Teil der Stützmauer bebauten GSt‑Nr. X ist; in dieser Eigenschaft kommt eine Präklusion nicht in Frage (vgl. etwa VwGH 11.7.2022, Ra 2021/06/0079, Rn. 12, mwN). Abgesehen davon hat die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 40 BauG von Amts wegen zu erfolgen.

10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. August 2022

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