BauO NÖ 2014 §14
BauO NÖ 2014 §15
European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.993.002.2021
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Mag.Dr. Wessely, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde der Frau A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 18. März 2021, Zl. ***, betreffend baubehördliche Bewilligung für Herrn C, zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG dahingehend Folge gegeben, dass der verfahrenseinleitende Antrag vom 29. September 2020 gemäß §§ 14 und 15 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 2014 als unzulässig zurückgewiesen wird.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).
Entscheidungsgründe:
Aus den vorliegenden Akten ergibt sich folgender unstrittiger Sachverhalt:
Mit Bescheid vom 1. Oktober 1960, ***, wurde dem Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. ***, KG ***, und mit weiterem Bescheid vom 22. Februar 1974 die Benützungsbewilligung hierfür erteilt. Das Wohnhaus war (dem Einreichplan zufolge) an der westlichen Grundstücksgrenze situiert und wies eine West-Ost-Ausdehnung im nördlichen Bereich von 4,3 m auf.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2004, ***, erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde *** dem nunmehrigen Bauwerber die baubehördliche Bewilligung für den „Zubau“ einer Garage auf dem gegenständlichen Grundstück. Dem zugrundeliegenden Einreichplan zufolge lag in diesem Zeitpunkt ein „Bestand“ (im Einreichplan grau eingezeichnet) vor, der sich von jenem des ursprünglichen Konsenses dahingehend abhob, dass ein Bad (4,13 m²), zwei Vorräume (10,5 m², 17,24 m²), ein Abstellraum (7,99 m²) und entlang der nördlichen Grundstücksgrenze über die gesamte Breite der Garage eine rund 4,5 m hohe Wand bestand. Diese Wand und der östliche Rand des Abstellraums mit rund 3,6 m wurden als Außenwände der Garage in das neue Projekt integriert und sollte die Garage dort angebaut werden. Nach Vereinigung dieses Grundstücks mit dem Grundstück Nr. ***, KG ***, erhielt der Bauwerber mit Bescheid vom 29. Juni 2007, ***, die baubehördliche Bewilligung für die Aufstockung des Wohnhauses und wurde ihm mit weiterem Bescheid vom 14. Mai 2012, ohne Zahl, die angezeigte Änderung des Verwendungszwecks der Garage in eine „Autowerkstatt“ untersagt. Mit weiterem Bescheid vom 1. Oktober 2019, ***, bestätigt mit Bescheid des Gemeindevorstands vom 28. November 2019, ***, und Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 15. September 2020, LVwG-AV-1/002-2020, wurde ihm der Umbau der bestehenden Garage (durch Maßnahmen im Garageninneren) bewilligt. Die nördliche Wand und die westliche Wand zum Abstellraum sind im bezughabenden Plan abermals als Bestand ausgewiesen.
Im September 2020 beantragte der Beschwerdeführer den „Umbau“ der Garage in Form der Errichtung Kfz-Servicestation und verwies im Antrag ausdrücklich darauf, dass die im Einreichplan vermerkten Umbauten nicht mehr Projektbestandteil seien. Der Baubeschreibung (Betriebskonzept) zufolge soll der Betrieb Montag bis Freitag von 8:00 bis 18:00 Uhr durchgeführt werden und näher genannte Tätigkeiten umfassen, die in der Ergänzung von 15. Jänner 2021 spezifiziert wurden. Pro Arbeitstag sei mit 3 bis 4 Kunden zu rechnen.
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2020 wandte die Beschwerdeführerin ein, durch das Vorhaben in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Schutz vor Immissionen verletzt zu werden. So dürfe die Beurteilung im Bauverfahren aufgrund des unterschiedlichen Beurteilungsmaßstabes im Bereich des Immissionsschutzes nicht auf die Ergebnisse des Gewerbeverfahrens gestützt werden. Näherhin habe diese anhand der Widmung des zu bebauenden Grundstücks zu erfolgen, sei die Immissionsbelastung an der Grundstücksgrenze ausschlaggebend und dürfte der Verkehr der benachbarten Verkehrsfläche nicht in die Beurteilung miteinbezogen werden. Ferner seien die Verkehrsdaten auch insoweit nicht repräsentativ, als sie sich auf Verkehrszählungen zwischen 2007 und 2014 bezögen. Nicht zuletzt sei das gewerbliche Betriebsanlagenverfahren gemäß § 359b GewO als vereinfachtes Verfahren geführt worden und liege zwar für den Zubau der Garage ein Konsens vor, doch sei kein entsprechender Bestand erkennbar. In der Folge beauftragte die Baubehörde den nichtamtlichen Sachverständigen D mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage, ob vom geplanten Betrieb der Kfz-Servicestation an der Grenze des (im Miteigentum der Beschwerdeführerin befindlichen) Grundstücks Nr. *** unter Berücksichtigung der Flächenwidmung Bauland-Wohngebiet von einer örtlich unzulässigen Lärmemission auszugehen sei.
Mit Erledigung vom 31. Jänner 2021 hielt der Sachverständige fest, dass durch einen Vergleich der prognostizierten Lärmimmissionen mit den Lärmhöchstwerten entsprechend der Verordnung der NÖ Landesregierung über die Bestimmung des äquivalenten Dauerschallpegels bei Baulandwidmungen, LGBL 8000/4 - 0, diese um mehr als 10 dB unterschritten würden.
In ihrer Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Beiziehung des nichtamtlichen Sachverständigen und bemängelte, dass die Beurteilung insoweit nicht korrekt sei, als der Ist-Zustand nicht berücksichtigt worden sei. Unter einem legte sie eine „schalltechnische Stellungnahme“ der E GmbH vom 23. Februar 2021 vor, in der unter anderem derselbe Mangel konstatiert wurde. Unter einem verwies sie abermals auf einen zum Teil fehlenden Konsens der Garage.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei sie den Bedenken der Beschwerdeführerin hinsichtlich des teilweise fehlenden Konsenses mit der Hinweis darauf entgegentrat, „aufgrund der Baubewilligungen aus den Jahren 2004, 2007 und 2019“ von einem bestehenden Konsens für sämtliche errichtete Gebäude (-teile) „auszugehen“. Eine Begründung für diese Annahme bzw. eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist der Erledigung nicht zu entnehmen. Darüber hinaus gehe sie von der Richtigkeit und Schlüssigkeit des lärmtechnischen Gutachtens aus, aus dem sich ergebe, dass der verordnungsmäßig festgesetzte Höchstwert von 55 dB zur Tageszeit nicht überschritten würde. Bereits aufgrund dessen und aufgrund der Ergebnisse des gewerblichen Betriebsanlagenverfahren habe sich auch keine Notwendigkeit ergeben, ein medizinisches Gutachten einzuholen.
In ihrer Beschwerde und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die bisherigen Ausführungen. Der Bauwerber und der Vertreter der belangten Behörde gaben übereinstimmend an, dass das nunmehrige Verfahren bloß eine Änderung des Verwendungszwecks (ohne bauliche Maßnahmen) zum Gegenstand habe und der Bauakt dem Landesverwaltungsgericht vollständig vorgelegt worden sei; weitere baubehördliche Bewilligungen lägen nicht vor.
Das Landesverwaltungsgericht stellt dazu fest:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht – sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist – die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen; andernfalls – zufolge § 31 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss. Soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen und nach § 28 Abs. 2 VwGVG grundsätzlich in der Sache zu entscheiden. Relevant ist dabei im Bescheidbeschwerdeverfahren – nach h.M. (i.d.S. auch VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076) – regelmäßig die in seinem Entscheidungszeitpunkt geltende Sach- und Rechtslage, sodass diesbezügliche Änderungen – zum Vor- und Nachteil des Beschwerdeführers (VwGH 27.3.2007, 2007/18/0059) – zu berücksichtigen sind.
Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Prüfungsbefugnisse der Berufungsbehörde, der Verwaltungsgerichte und auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf Nachbarn nach der NÖ BauO 2014 im Baubewilligungsverfahren zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich derer dieses Mitspracherecht als subjektiv-öffentliches Recht besteht und soweit rechtzeitig im Verfahren derartige Einwendungen erhoben wurden (VwGH 29.5.2020, Ra 2020/05/0049). Ist dies der Fall, so ist von den Rechtsmittelinstanzen aber aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens stets auch die Frage der Zuständigkeit der Behörde zu klären (VwGH 29.9.2016, Ra 2016/05/0080).
Im konkreten Fall wandte die Beschwerdeführerin fristgerecht ein, durch das Bauvorhaben in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Schutz vor örtlich unzumutbaren Immissionen verletzt zu werden, wobei der Beurteilung die Widmung des zu bebauenden Grundstücks zugrundezulegen sei. Diese Einwendung erweist sich mit Blick auf § 6 Abs. 2 Z 2 NÖ BauO 2014 als zulässig.
Dem angefochtenen Bescheid liegt ein Antrag des Bauwerbers auf Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung für den „Umbau“ der bisherigen Garage in einen Kfz-Servicebetrieb zu Grunde. In diesem stellte er unter einem klar, dass die Umbauten bereits konsentiert und nicht mehr Antragsgegenstand seien. Damit erschöpft sich der Verfahrensgegenstand im Ergebnis in einer Änderung des Verwendungszwecks. Eine solche Änderung des Verwendungszwecks ist jedoch nach § 15 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 2014 anzeigepflichtig und unterliegt dem dort geregelten Verfahren. Solche Vorhaben sind nach § 15 Abs. 3 NÖ BauO 2014 nur dann im Baubewilligungsverfahren mit zu behandeln und in den Bewilligungsbescheid aufzunehmen, wenn sie mit einem Vorhaben nach § 14 Z 1 und 3 NÖ BauO 2014 gemeinsam eingereicht werden. Derartiges liegt aber hier unbestrittenermaßen nicht vor.
Im Übrigen sind das Bewilligungsverfahren auf der einen und das Anzeigeverfahren auf der anderen Seite wechselseitig undurchlässig und ist es der Baubehörde insbesondere verwehrt, anzeigepflichtige Maßnahmen in einem Bewilligungsverfahren abzuhandeln und umgekehrt (vgl. VwSlg 16.864 A/2006). Unzulässig ist darüber hinaus aber auch eine Umdeutung von Bewilligungsanträgen in Bauanzeigen und umgekehrt (z.B. VwGH 2.7.1998, 97/06/0086; VwSlg 16.864 A/2006).
Zumal im vorliegenden Fall ausschließlich eine anzeigepflichtige Maßnahme vorliegt, hat die Baubehörde mit dem angefochtenen Bescheid eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen, sodass der Beschwerde bereits aus diesem Grund Erfolg beschieden war. Der verfahrenseinleitende Antrag war als unzulässig zurückzuweisen.
Im Übrigen ist aus verfahrensökonomischen Gründen darauf hinzuweisen, dass es sich bei baubehördlichen Bewilligungs- bzw. Anzeigeverfahren stets um Projektgenehmigungsverfahren handelt. Gegenstand der Verfahren ist die Beurteilung des in den Einreichplänen und sonstigen Projektunterlagen dargestellten Projektes, für das der in den Einreichplänen und den Baubeschreibungen zum Ausdruck gebrachte Bauwille des Bauwerbers entscheidend ist (VwGH 15.3.2021, Ra 2020/05/0011). Zumal zur Auslegung von Planunterlagen der Färbung im Einzelfall zentrale Bedeutung zukommt, wobei die graue Farbe (mangels abweichender Darlegung in der Legende) als „Bestand“ anzunehmen ist, ist zumindest fraglich, ob hinsichtlich der nördlichen und der westlichen Wand der Garage tatsächlich ein Konsens besteht oder nicht.
Darüber hinaus weist die Beschwerdeführerin zurecht darauf hin, dass nach der bereits zu § 62 Abs. 2 NÖ BauO 1976 entwickelten Rechtsprechung des VwGH bei Beurteilung der Grenze des zulässigen Ausmaßes an von Anrainern hinzunehmender Immissionen das Summenmaß aus Ist-Maß (Summe der vorhandenen Grundbelastung) und Prognosemaß (aus dem Projekt hervorgehende Zusatzbelastung) zu ermitteln und der Beurteilung zugrundezulegen ist (VwGH 17.6.2003, 2002/05/1073). Die unzulässigen Immissionen dürfen dabei bereits an der Grundgrenze des Nachbarn nicht auftreten (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/05/0023). Diesen Anforderungen wird das der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Gutachten aber nicht gerecht, in dem die Beurteilung des Ist-Maßes fehlt und auf Immissionspunkte hinter der Grundgrenze des Nachbarn abgestellt wird. Nicht zuletzt geht der Sachverständige möglicherweise von einem unrichtigen Beurteilungsgegenstand aus, weil (wie oben dargelegt) Teile der Garage nicht konsentiert sein könnten. Aufgrund der Tatsache, dass der Antrag jedenfalls nicht im Bewilligungsverfahren abgehandelt werden durfte, braucht im vorliegenden Fall auf diese Fragen jedoch nicht abschließend eingegangen zu werden.
Mit der Entscheidung in der Sache werden Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos und könnte ein gesonderter Abspruch hierüber entfallen (VwGH 30.1.2015, Ra 2014/02/0174).
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil die durchgeführte rechtliche Beurteilung aufgrund der obzitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfolgte.
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