BVwG W272 2154798-1

BVwGW272 2154798-131.1.2019

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
FPG §46a Abs1 Z4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W272.2154798.1.00

 

Spruch:

W272 2154798-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN Alois als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit XXXX , vertreten durch Mag. FRÜHWIRTH Ronald, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Steiermark vom 10.04.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.12.2018 zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I und II des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III mit der Maßgabe abgeändert:

 

"Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Die Rückkehrentscheidung ist vorübergehend unzulässig.

 

III. Der Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär und schleppergestützt in Österreich ein und stellte am 19.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG)

 

2. Bei der am 19.08.2015, erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er unter Verwendung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei am 16.08.1999 in der Provinz Kapisa in Afghanistan geboren und sei von dort vor 2 Jahren in den Iran gezogen, wo er bis zur seiner Flucht gelebt habe. Neben seinen Eltern habe er acht Brüder und 1 Schwester. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und Moslem. Er habe eine Grundschule absolviert und sei als Hilfsarbeiter im Iran tätig gewesen. Sein Vater hab die Familie versorgt und sei als Landwirt tätig gewesen.

 

Als Fluchtgrund gab er an, dass er aus Afghanistan aufgrund des Krieges in den Iran geflüchtet sei und dort illegal aufhältig. Er habe im Iran Probleme mit den dortigen Behörden und der Polizei gehabt, von denen er auch geschlagen wurde und habe daher den Iran verlassen um nach Schweden zu gehen. Seine Freunde hätten ihm gesagt, dass es in Schweden Arbeit gibt. Nach Afghanistan wolle er nicht zurückkehren da er Angst von den Talibans hat, diese würden ihn irgendwann töten.

 

3. Bei seiner Einvernahme am 04.11.2016 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und einer Vertrauensperson an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprechen und brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

 

Er heiße XXXX und sei am XXXX geboren, wobei er sich auf den 25.08.1997 korrigierte, welches das Datum der Altersfeststellung sei. Er sei Paschtune und sunnitischer Moslem. Er habe im Haus seines Großvaters mit seinen Eltern, acht Brüdern und zwei Schwestern in der Provinz Kapisa im Distrikt Tagab im XXXX gelebt. Er habe fünf Jahre lang die Schule besucht und eine kurze Zeit als Maurer gearbeitet. Wirtschaftlich sei es ihnen nicht schlecht ergangen. Sein Vater sei in der Landwirtschaft tätig gewesen. Auch würden drei Brüder, nämlich Rahim Ahmad und Ailagha als Maurer im Iran arbeiten. Seine Eltern und die restlichen Geschwister würden noch im Dorf Makhel leben und er habe mit ihnen telefonischen Kontakt. Manchmal alle 14 Tage, manchmal nur einmal im Monat. Die Reise in den Iran habe sein Vater finanziert und er sei dort zwei Jahre gewesen. Im Iran habe er selbst gearbeitet und sein Bruder Rahmi habe das Geld für ihn zusammengespart. In Afghanistan habe er keine Probleme mit den Behörden gehabt, jedoch im Iran wäre er einmal angehalten und geschlagen worden. Sie hätten ihm alles weggenommen, was er besessen habe und ließen ihn dann erst gehen.

 

Zur Flucht gab er Folgendes an:

 

In Afghanistan hätte er Probleme mit den Taliban gehabt, da er ihre Kultur nicht beachtet habe, indem er nicht die Kleidung und Turban trug, sowie keinen Religionsunterricht besucht habe. Weiters hätten die Taliban behauptet er hätte ihren Sitz im Dorf XXXX in Brand gesetzt und daher würden sie ihn suchen. Er hätte sich vier bis fünf Tage verstecken können und sei dann mit seinem Onkel mütterlicherseits in den Iran geflüchtet. Er sei auch von den Taliban geschlagen worden und man habe ihm beide Daumen gebrochen. Bedroht sei er von ihnen nicht geworden. Nach dem Brand des Sitzes seien die Taliban zum Haus seines Vaters gegangen und hätten nach ihm gefragt. Sonst hätten sie nichts gesagt. Der BF vermutete, dass sie ihn mitnehmen wollten. Den Iran habe er verlassen, da er fürchtete nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

 

Im Falle einer Rückkehr habe der BF Angst vor den Taliban und hätte auch Angst in Kabul vor ihnen.

 

In Österreich habe er Freunde, welche auch Asylwerber seien. Freizeit habe er keine, da er immer am Lernen sei. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder Organisation in Österreich.

 

Folgende Unterlagen liegen vor:

 

2 Referenzschreiben, Bestätigung einer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Flüchtlingsarbeit in einer Pfarrgemeinde, Schulausweis und Schulbestätigung.

 

4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wurde durch das BFA mit Bescheid vom 10.04.2017 der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegenüber dem BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF, dessen Gesundheitszustandes und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Nicht festgestellt werden konnten Verfolgungsgründe, welche stichhaltige Gründe darlegen, die gegen eine Abschiebung nach Afghanistan sprechen würden. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

 

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Bezüglich seines Alters erfolgte die Festlegung des Geburtstages mit 25.08.1997 aufgrund des Gutachtens der Medizinischen Universität Wien vom 06.11.2015.

 

Die Feststellungen bezüglich der illegalen Ausreise aus Afghanistan ergab sich aus den glaubhaften Angaben. Das einmalige - zu verurteilende - Schlagen durch die Taliban wurde aufgrund der glaubhaften Angaben festgestellt sowie, dass keine weiteren Bedrohungen durch die Taliban erfolgten. Dem fluchtauslösenden Grund des BF bezüglich der Suche nach ihm durch die Taliban wurde aufgrund der nicht detaillierten Erzählweise, mangelhaften Begründung nicht Glauben Geschenk werden. Da trotz Nachfrage kein konkreter logischer Hinweis darauf gegeben werden konnte, warum gerade er von den Taliban einmalig gesucht wurde und keine Drohungen oder weitere "Besuche" der Taliban erfolgten. Noch von Drohungen nach seiner Ausreise gegenüber seiner Familie berichtet wurden. Glaubhaft war vielmehr, dass der BF das Land aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation und der angespannten Sicherheitslage verlassen habe, zumal auch bei der Erstbefragung der eigentliche Grund die Flucht nach Schweden aufgrund der dortigen Arbeitsmöglichkeit angegeben wurde.

 

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei, zumal der BF eine Schulausbildung, Berufserfahrung und auch über soziale Anknüpfungspunkte in Kapisa verfüge.

 

5. Gegen diese Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften ein.

 

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen die Ermittlungstätigkeit des BFA kritisiert und moniert, dass der BF aufgrund seines westlichen und damit "unislamischen" Lebensstils seitens der Taliban verfolgt worden sei und ihm dadurch die Daumen gebrochen worden seien. Weiters habe das BFA mangelhafte und veraltete Länderberichte verwendet, indem nicht die relevanten Berichte von Menschen, die eine westliche bzw. liberale Einstellung bzw. eine nicht-extremistische Religiosität aufweisen und daher von den Taliban bzw. anderen extremistischen Gruppen verfolgt werden, verwendet wurden. Auch würde nicht der iranische Dialekt des BF beurteilt worden sein. Dies würde ein asylrelevanter Grund sein, da er zur Gruppe von Afghanen zählen würde, welcher länger im Iran aufhältig waren. Auch hätte sich die Behörde keineswegs mit den Integrationsbemühungen des BF auseinandergesetzt und hinreichend gewürdigt.

 

Beantragt wurde unter anderem auch eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Mit vorgelegt wurden weitere sieben Empfehlungs-/Referenzschreiben, zwei Seminarbestätigungen (A1.1 und A1.2)

 

6. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 28.04.2018 vom BFA vorgelegt.

 

7. Am 08.09.2017 wurde eine Vollmachtsänderung sowie eine Beschwerdeergänzung vorgelegt, welche keine Ausdehnung der bisherigen Beschwerde darstellt und wiederum auf die westliche Orientierung und der damit folgenden Gefahr der Verfolgung durch die Taliban abstellt. Weiters wurden mitvorgelegt:

 

Zertifikat ÖSD

 

Zertifikat A2,

 

Seminarbestätigung (A1.3),

 

Teilnahmebestätigung (Werte- und Orientierungskurs)

 

8. Das BVwG führte am 21.12.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein

 

eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seines Vertreters erschienen ist. Miteingebracht wurden in das Verfahren, das aktuelle Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 zuletzt aktualisierst am 23.11.2018, sowie die UNHCR-Richtlinie v. 30.08.2018) Weiters wurde ein Zeuge zum Beweis der Integration des BF in Österreich einvernommen.

 

Mitvorgelegt wurde:

 

Jahreszeugnis 1 BS-Klasse Praxis - Handelsschule 2017/18, Abgelegte Deutsch-Prüfung B1, Empfehlungsschreiben XXXX , Schulbesuchsbestätigung Handelsschule Voitsberg, drei Empfehlungsschreiben ( XXXX , XXXX und XXXX bez. Integration), Vorlage einer Diagnose von 30.08.2018, Empfehlungsschreiben von Frau XXXX vom 12.12.2018, Fotos vom BF im Rahmen des Fussballvereines, Hockeyvereines, Vortrages und beim Buschenschank

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in Afghanistan sowie der mündlichen Verhandlung wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

 

1.1. Zur Person:

 

Der BF führt den Namen XXXX , er wurde spätestens am XXXX in Kapisa geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist er Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht jedoch aus sehr gut Farsi und er verfügt über Deutschkenntnisse.

 

Der BF hat eine fünfjährige Schulausbildung in Afghanistan abgeschlossen und besitzt Berufserfahrungen als Stuckateur. Er lebte bis zwei Jahre vor Einreise in Österreich in Afghanistan und kennt die afghanische Kultur. Der BF verbrachte zuletzt zwei Jahre im Iran bei seinem Bruder.

 

Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

 

Seine Eltern und sieben Geschwister verblieben im Iran im Dorf XXXX . Er hat ein bis zweimal pro Monat Kontakt mit seinen Eltern sowie mit seinem Bruder im Iran.

 

Der BF ist grundsätzlich seinem Alter entsprechend entwickelt und hat keine groben gesundheitlichen Einschränkungen. Die Brüche - schwere Prellung - an den Daumen hindern den BF nicht erwerbsmäßig tätig zu werden.

 

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland. Aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Paschtunen in Afghanistan droht ihm keine gegen ihn gerichtete psychische bzw. physische Gewalt. Der BF hat in Österreich keine Familienangehörige, viele österreichische Freunde, ist Mitglied bei einem Fußballverein und einem Hockeyverein. Er hält Kontakt zu Österreichern und nähert sich der österreichischen Kultur an. Er besucht die 2. Klasse der Praxis-Handelsschule Voitsberg und hat gute bis sehr gute Erfolge. Er hat in Österreich den B1-Level positiv absolviert und spricht Deutsch.

 

Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Der BF reiste illegal vor dem 19.08.2015 nach Österreich ein.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt gewesen wäre. Der BF konnte glaubhaft Vorbringen, dass er seinen Herkunftsstaat Afghanistan aufgrund der Probleme mit den Taliban Richtung den Iran verlassen hat.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland.

 

Es konnte vom BF glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in die Herkunftsprovinz seines Herkunftsstaates einer Verfolgung aus Gründen unterstellter politischen bzw. religiöser Ansichten von dritter Seite einer Bedrohung ausgesetzt werden würde.

 

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Herkunftsprovinz Kapisa aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

 

Dem BF steht jedoch ein zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e-Sharif oder Herat zur Verfügung. Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, die in bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen. Dem BF würde nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in einen den beiden Städten Verfolgung drohen.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der BF wird den Vorteil gegenüber andere Bewerber für Arbeitsplätze auch in den beiden Städten haben, wenn er eine entsprechende Schulausbildung absolviert hat.

 

Die Städte Mazar-e-Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.

 

Der BF ist nicht in einer so exponierten Stellung, dass die Taliban in den großen Städten wie Herat oder Mazar-e Sharif suchen bzw. finden würden.

 

Aufgrund seines 3 - 4-jährigen Aufenthalt und Annäherung an die europäische Kultur - "Verwestlichung" - erfolgt keine Verfolgung in Afghanistan.

 

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

 

1.4. Zum Herkunftsstaat:

 

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationblatt, welches auch für die Feststellungen des BFA verwendet wurden.

 

...

 

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformation:

 

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE

 

21.11.2018) . Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

 

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA12.11.2018) . Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018) .

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018) . Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018) . Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

 

1TV (31.10.2018): Suicide attack kills seven outside Kabul prison, http://www.1tvnews.af/en/news/

afghanistan/36271-suicide-attack-kills-seven-outside-kabul-prison?

 

 

fbclid=IwAR2WADPVHTuF8LZMwm0-LYci05vz1p06BvgjhELlFr-wLKNDNo8XQRLXnuQ.

Zugriff

 

22.11.2018

 

AJ - Al Jazeera (21.11.2018): 'Brutal and barbaric': Victims recount horror of Kabul attack. https:// www.aljazeera.com/news/2018/11/barbaric-victims-recount-horror-kabul-attack-

 

181121162807917.html. Zugriff 22.11.2018

 

AJ - Al Jazeera (12.11.2018): Kabul: Suicide bomber targets protesters demanding security,

https://www.aljazeera.com/news/2018/11/afghanistan-suicide-bomber-targets-protesters-kabul-

 

181112094659291 .html. Zugriff 22.11.2018

 

DZ - Die Zeit (12.11.2018): Mehrere Tote bei Anschlag nahe Anti-Taliban-Demo.

 

 

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/kabul-anschlag-explosion-demonstration-taliban-

 

regierungstruppen-ghasni. Zugriff 12.11.2018

 

IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.11.2018): Afghanistan. attacco kamikaze a Kabul durante incontro religioso: almeno 50 morti e 80 feriti gravi.

https://www.ilfattoquotidiano.it/2018/11/20/afghanistanattacco-kamikaze-a-kabul-durante-incontro-religioso-almeno-40-morti-e-80-feriti/4779194/

Zugriff

 

22.11.2018

 

KP - Khaama Press (12.11.2018): Protesters gather near Presidential Palace in Kabul over recent wave of violence.

https://www.khaama.com/protesters-gather-near-presidential-palace-in-kabulover-recent-wave-of-violence-02722/ ?

 

fbclid=IwAR2cNvRcLjWNmzaEoWNieBq37J1eVAKL2aT 4vCqbU9HdYKpr30O1NoXe-g. Zugriff

 

22.11.2018

 

LE - L'Express (21.11.2018): Attentat a Kaboul : la lecture de verset du Coran soudain interrompue. raconte un blesse. https://www.lexpress.fr/actualites/1/monde/attentat-a-kaboul-lalecture-de-versets-du-coran-soudain-interrompue-raconte-un-blesse_2049660.html

Zugriff

 

22.11.2018

 

NYT - New York Times (20.11.2018): At Leas 55 Killed in Bombing of Afghan Religious Gathering.

https://www.nvtimes.com/2018/11/20/world/asia/afghanistan-wedding-hall-bombing.html

Zugriff

 

22.11.2018

 

Pajhwok Afghan News (31.10.2018): Suicide blast in front of Pul-i-Charhi prison leave 6 people dead.

https://www.pajhwok.com/en/2018/10/31/suicide-blast-front-pul-i-charkhi-prison-leave-6- people-dead. Zugriff 22.11.2018

 

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

 

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

 

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

 

Zivile Opfer

 

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

 

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

 

Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

 

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018

 

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

 

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

 

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

 

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

 

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

 

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Zivile Opfer

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

 

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

 

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

 

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

 

Wahlen

 

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

 

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

 

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

 

Quellen:

 

 

 

quietly dropped,

https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-14district-counciland-ghazni-parliamentary-elections-quietly-dropped/ , Zugriff 2.10.2018

 

 

 

 

 

 

killing 17 soldiers,

https://www.cbsnews.com/news/afghanistan-base-overrun-taliban-faryab-afghan-troopskilled-ghazni-fight/ , Zugriff 31.8.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (Sicherheitslage)

 

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

 

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b)

 

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

 

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

to Taliban,

https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/center-jawzjan ’s-kham-aab-districtfalls -taliban, Zugriff 11.9.2018

 

 

 

Politische Lage:

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

 

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

 

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

 

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9 .2016).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

 

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess:

 

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel "Sicherheitslage").

 

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

 

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage:

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288.

 

Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

 

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten:

 

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

 

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

 

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

 

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

 

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

 

Zivilist/innen:

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009- 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht- ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

 

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

 

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Taliban:

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018). Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der am Ende März 2018 abgehaltenen Friendens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

 

Al-Qaida:

 

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

reporters,

https://www.apnews.com/d80de03712f3400ab31b5d28ef3ec3ab/Double-Kabul-suicidebombing-kills-25 ,-including-journalists, Zugriff 30.4.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Incident Data, http://ngosafety.org/country/afghanistan , Zugriff 28.3.2018

 

 

 

 

 

 

 

Soldiers,

 

 

 

 

Kabul hotel,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attacks/heavy-casualties-after-overnightbattle-at-kabul-hotel-idUSKBN1F90W9 , Zugriff 29.1.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Annual Report 2017,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2017_final_150218.pdf , Zugriff 24.5.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Balkh:

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port. Nahra-i-Shahi. Dihdadi. Balkh. Daulatabad. Chamtal. Sholgar. Chaharbolak. Kashanda. Zari. Charkont. Shortipa. Kaldar. Marmal. und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten. Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan. Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts¬und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert:

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Kapisa:

 

Kapisa zählt zu den zentralen Provinzen Afghanistans. Die Provinz grenzt im Norden an Panjshir, im Westen an Parwan, im Süden an Kabul und im Osten an Laghman. Im Nordosten der Provinz befinden sich die Vorhügel des Hindukusch-Gebirges und breit bewaldete Gegenden, während der Südwesten felsiger und flacher ist. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Hesa Dovon/Hisa-e-Duwum-e-Kohestan, Kohistan, Hesa Aval Kohistan/Hisa-e-Awal-e-Kohestan, Koh Band/Kohband, Nijrab/Nejrab, Ala Sai/Alasay, Tag Ab/Tagab und die Provinzhauptstadt Mahmud-i- Raqi/Mahmud-e-Raqi (NPS o.D. vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 455.574 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben Tadschiken, Ghilzai, Safi, Paschai und Nuristani (NPS o.D.).

 

In Kapisa stieg die Opium-Produktion im Jahr 2017 (+360 Hektar), wenngleich nicht so stark wie in der Provinz Nangarhar. Insgesamt wurden im selben Jahr in Kapisa drei Hektar an Opiumfeldern umgewidmet (UNODC 11.2017).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage in Kapisa

 

Kapisa war eine der relativ friedlichen Provinzen in Nordostafghanistan, jedoch hat sich die Sicherheitslage in einigen abgelegenen Gebieten der Provinz in den letzten Jahren verschlechtert (Khaama Press 10.8.2017; vgl. Khaama Press 8.8.2017, Khaama Press 1.7.2017). Im Rahmen eines von Taliban geführten Aufstandes in Schlüsselprovinzen im Norden und Süden des Landes, versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen die Provinz Kapisa zu destabilisieren (Khaama Press 2.10.2017). Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv; ihre Aktivitäten sind: gezielte Tötungen, Straßenbomben und koordinierte Angriffe auf Sicherheitskräfte, Regierungsbeamte und deren private Anlagen (Khaama Press 1.7.2017; vgl. Pajhwok 6.3.2018, Aawsat 20.2.2018).

 

Speziell im Winter haben Sicherheitskräfte mit Unterstützung durch die Luftwaffe begonnen Nachtrazzien in unsicheren Gegenden von Kapisa durchzuführen (Pajhwok 24.11.2017).

 

In der Provinz Kapisa arbeiten auch Frauen für die afghanischen Sicherheitskräfte (DVIDS 3.8.2018). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 83 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert:

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Kapisa 101 zivile Opfer (34 getötete Zivilisten und 67 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 19% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

In Kapisa leben Binnenflüchtlinge, die aus dem Distrikt Tagab aus Sicherheitsgründen flüchten mussten (ARCS 21.2.2018). Mitte März 2018 wurde von ca. 1.300 Personen berichtet, die aus verschiedenen Teilen des Landes (Kapisa, Laghman, Nuristan und Parwan) aufgrund anhaltenden gewaltsamen Konflikts in die Distrikte Mahmud-e-Raqi, Hisa-e-Awal-e-Kohestan und Hisa-e- Duwum-e-Kohestan der Provinz Kapisa geflüchtet sind (UN OCHA o.D.).

 

Militärische Operationen in Kapisa

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 1.3.2018; vgl. AAT 11.3.2018, Tolonews 23.1.2017, Xinhua 22.1.2017, Khaama Press 22.1.2017, Khaama Press 15.1.2017, Tolonews 12.1.2017, Pajhwok 24.11.2017); dabei wurden unter anderem Anhänger der Taliban und des IS getötet (Khaama Press 1.3.2018; vgl. AA Turkey 11.3.2018, Khaama Press 2.10.2017, Tolonews

 

19.1.2017, Khaama Press 7.1.2017, Kabul Tribüne 4.1.2017) und manchmal ihre Anführer (Pajhwok 6.3.2018; vgl. Khaama Press 2.10.2017).

 

Luftangriffe wurden durchgeführt; dabei wurden Taliban-Kommandanten getötet (Tolonews 11.11.2017; vgl. Pajhwok 24.11.2017). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Xinhua 22.2.2018; vgl. NZH 21.2.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Kapisa

 

Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 1.7.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen - zu denen Taliban und IS zählen - sind in folgenden Distrikten aktiv: Tagab, Alasay und Najrab (Khaama Press 1.3.2018; vgl. Pajhwok 24.11.2017, Pajhwok 8.9.2017, Pajhwok 5.9.2017). In Tagab haben die Taliban 2016 ein Fernsehverbot ausgesprochen und 2017 Frauen aus dem Distrikt-Bazar verbannt. Afghanische Sicherheitskräfte betonten, dass sie im Distrikt-Bazaar von Tagab vor Ort wären und dass das Frauen-Verbot nicht implementiert werden würde bzw. weiterhin zurückgewiesen bleiben.(Pajhwok 8.9.2017).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kapisa keine IS-bezogenen Sicherheitsvorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Herat:

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat- Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m3 turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert:

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Rechtsschutz / Justizwesen:

 

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

 

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5 .2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5 .2018). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

 

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9 .2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

 

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

Sicherheitsbehörden

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA- Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

 

Religionsfreiheit:

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

 

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

 

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht- muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

 

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017). Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

 

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paschtunen

 

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs) (UN GASC 27.2.2018). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen (IOM/DTM 26.3.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018)

 

Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya (IOM 8.5.2018; vgl. IOM/DTM 26.3.2018). Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (USAID 30.4.2018).

 

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 20.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (UN OCHA 12.2017).

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5 .2018).

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden (USDOS 20.4.2018).

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018, UN OCHA 21.1.2018).

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018).

 

Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Meldewesen:

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister. ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege. um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf. aus dem jemand stammt. ist der naheliegende

 

Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018).

 

Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

%2FCR%2F2017%2Fcr17377.ashx&usg=AOvVaw0GOgm4RS9sD-6yQQXjUdbR, Zugriff 30.5.2018

 

 

 

 

 

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei

Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan:

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017).

 

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NCBI 12.2016).

 

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).

 

Krankenhäuser in Afghanistan:

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).

 

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

 

* Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University

Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (KUMS o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salan Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Ataturk Kinderkrankenhaus: Behild Aliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.a, MoPH 11.2012)

 

* Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

 

* Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.:

+93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

 

* Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

 

* Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.:

+93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

 

* Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

 

* Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. Pajhwok 3.8.2017)

 

* Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

 

* Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5th Phase, Qragha Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 256

 

3555 (IOM 5.2.2018)

 

* Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road, Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

 

* Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

 

* DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

 

* French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o. D.)

 

* Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

 

* Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

 

Beispiele für Nichtregierungsinstitutionen vor Ort:

 

Ärzte ohne Grenzen (MSF)

 

Médecins sans Frontières (MSF) ist in verschiedenen medizinischen Einrichtungen in Afghanistan tätig: im Ahmad Shah Baba Krankenhaus und im Dasht-e Barchi Krankenhaus in Kabul, in der Entbindungsklinik in Khost, im Boost Krankenhaus in Lashkar Gah (Helmand) sowie im Mirwais Krankenhaus und anderen Einrichtungen in Kandahar (MSF o. D.).

 

Das Komitee des internationalen Roten Kreuz (ICRC)

 

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 wurden Berichten zufolge insgesamt 48 Zwischenfälle in 13 Provinzen registriert. Nach mehreren Angriffen mit Todesfolge auf Mitarbeiter des ICRC, hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes 2017 einen erheblichen Teil seines Personals im Land abgezogen (AA 5 .2018). Trotzdem blieb im Laufe des Jahres 2017 das ICRC landesweit aktiv. Tätigkeiten des Komitees zur Förderung der Gesundheitsfürsorge waren z.B. der Transport von Kriegsverwundeten in nahe liegende Krankenhäuser für weitere medizinische Versorgung, die Bereitstellung von Medikamenten und medizinischer Ausstattung zur Unterstützung einiger staatlicher Krankenhäuser, die Bereitstellung von medizinischer Unterstützung für das Mirwais Krankenhauses in Kandahar, die Unterstützung von Gesundheitsdienstleistungen in zwei Gefängnissen (Kandahar und Herat) usw. (ICRC 28.1.2018).

 

International Psychosocial Organization (IPSO) in Kabul:

 

IPSO bietet landesweit psychosoziale Betreuung durch Online-Beratung und Projektfeldarbeit mit insgesamt 280 psychosozialen Therapeuten, wovon die Hälfte Frauen sind. Die Online-Beratung steht von 8-19 Uhr kostenfrei zur Verfügung; angeboten werden ebenso persönliche Sitzungen in Beratungszentren der Krankenhäuser. Einige der Dienste dieser Organisation sind auch an Universitäten und technischen Institutionen verfügbar. Unter anderem ist IPSO in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Herat, Bamyan, Badakhshan, Balkh, Jawzjan und Laghman tätig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IPSO Cultural Containers o.D.).

 

Medica Afghanistan in Kabul:

 

Medica Afghanistan bietet kostenfreie psychosoziale Einzel- und Gruppentherapien an. Die Leistungen sind nur für Frauen zugänglich und werden in Kabul in unterschiedlichen Frauenhäusern und -gefängnissen sowie Jugendzentren angeboten. Auch werden die Leistungen der Organisation in drei Hauptkrankenhäusern, im "Women's Garden, im Ministeirum für Frauenangelegenheiten (MoWA) und an weiteren Standorten in Kabul angeboten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

PARSA Afghanistan:

 

Parsa ist seit 1996 als registrierte NGO in Afghanistan tätig. Die Organisation spezialisiert sich u.a. auf psychologische Leistungen und Ausbildung von afghanischem Fachpersonal, das in sozialen Schutzprogrammen tätig ist und mit vulnerablen Personen arbeitet. Zu diesen Fachkräften zählen Mitarbeiter in Zentren für Binnenvertriebene, Frauenhäusern und Waisenhäusern sowie Fachkräfte, die in lokalen Schulen am Projekt "Healthy Afghan Girl" mitarbeiten und andere Unterstützungsgruppen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. PARSA o.D.).

 

Weitere Projekte

 

Das Telemedizinprojekt des Mobilfunkanbieters Roshan, verbindet Ärzte in ländlichen Gegenden mit Spezialisten im französischen Kindermedizininstitut in Kabul und dem Aga Khan Universitätskrankenhaus in Pakistan. Durch eine Hochgeschwindigkeits-Videoverbindung werden mittellose Patienten auf dem Land von Fachärzten diagnostiziert. Unter anderem bietet die von Roshan zur Verfügung gestellte Technologie afghanischen Ärzten die Möglichkeit, ihre medizinischen Kenntnisse zu erweitern und auf den neuesten Stand zu bringen (GI 17.12.2016; vgl. NCBI 23.3.2017).

 

Quellen:

 

 

%28Stand_Mai_2018%29%2C_31%2E05.2018.pdf?nodeid=19173884&vernum=-2, Zugriff 4.6.2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rückkehr:

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA Staatendokumentation; vgl. AAN 19.5.2017). Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten (BFA Staatendokumentation 4.2018; IOM 6.2012). Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 18.4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM- Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM Belgium o. D.). IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 25.1.2018). ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IRARA o. D., IOM 25.1.2018). AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. FB o.D.). Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an (BFA Staatendokumentation 4.2018). Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein.

Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und

 

14.000 Afghani Förderung ausbezahlt (BFA Staatendokumentation 4.2018). Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl UNHCR 13.12.2017).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) - alle Leistungen sind kostenfrei (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Info Migrants 2.1.2018). Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung:

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen:

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Landinfo 19.9.2017). Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Internationale Flughäfen in Afghanistan:

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Internationaler Flughafen Kabul

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.).

 

Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistans Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu¬Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationaler Flughafen Herat

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

Zugverbindungen

 

In Afghanistan existieren insgesamt drei Zugverbindungen: Eine Linie verläuft entlang der nördlichen Grenze zu Usbekistan (von Hairatan nach Mazar-e Sharif, Anm.) und zwei kurze Strecken verbinden Serhetabat in Turkmenistan mit Torghundi (in der Provinz Herat, Anm.) und Aqina (in der Provinz Faryab, Anm.) in Afghanistan (RoA 23.2.2018; vgl. RoA o.D.a, RFE/RL 29.11.2016; vgl. vertrauliche Quelle 16.5.2018). Alle drei Zugverbindungen sind für den Transport von Fracht gedacht, wobei sie prinzipiell auch Passagiere transportieren könnten (vertrauliche Quelle 16.5.2018). Die afghanischen Machthaber lehnten lange Zeit den Bau von Eisenbahnen in Afghanistan ab, aus Angst, ausländische Mächte könnten ihre Unabhängigkeit gefährden (RoA o.D.a).

 

Im Laufe des Jahres 2017 fanden verschiedene Treffen zwischen Repräsentanten Afghanistans und seiner Nachbarstaaten u.a. zur Förderung und Vertiefung bestehender Projekte zur Implementierung von Zugverbindungen wie dem Five-Nation Railway Corridor und dem Afghanistan Rail Network statt (TD 26.1.2018). Das Five-Nation Railway Corridor Projekt soll China mit dem Iran verbinden und Kirgisistan, Tadschikistan und Afghanistan über eine Länge von insgesamt 2.100 km durchqueren. Mehr als 1.000 km des Eisenbahnkorridors werden durch die afghanischen Provinzen Herat, Badghis, Faryab, Jawzjan, Balkh und Kunduz verlaufen und sollen zum Teil von der Asian Development Bank (ADB) finanziert werden (MoFA o. D.a; vgl. Tolonews 14.2.2018) . Der Afghanistan Rail Network Plan (ANRP) hat das Ziel, den Transport in den Bereichen Landwirtschaft, Fertigung, Bergbau und anderen Branchen zu fördern. Die Afghanistan Railway Authority (ARA) ist verantwortlich für den ANRP. Bereits gebaut wurde die 75 km lange Eisenbahnstrecke zwischen Hairatan und Mazar-e Sharif in Balkh (MoFA o.D.b; vgl. RoA o.D.b). Die Bauarbeiten zur Errichtung einer Eisenbahnverbindung zwischen der iranischen Stadt Khaf und dem afghanischen Herat sind im Gange (RoA 23.1.2018; vgl. ID 11.4.2018). Im November 2017 wurde zwischen Afghanistan und weiteren fünf Staaten das sogenannte Lapislazuli-Korridor¬Abkommen unterzeichnet, das u.a. den Bau von Eisenbahnverbindungen im Land vorsieht (SIGAR

 

Auszug aus dem UNHCR-Richtlinie v. 30.08.2018:

 

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:

 

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus.651 In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden.652

 

Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern.653

 

1. Analyse der Relevanz

 

I. Gebiete in Afghanistan, die keine interne Schutzalternative bieten Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist UNHCR der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben ist, es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragstellende über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.

 

II. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre Ein als interne Schutzalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nicht relevant, wenn der Antragsteller in diesem Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre. 1. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind.656 2. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, (siehe zum Beispiel die Risikoprofile 7, 10 und 12 in Abschnitt III.A), so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass - verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, - davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist. 3. In Fällen, in denen die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, muss die Relevanz einer vorgeschlagenen Schutzalternative unter Berücksichtigung einer Reihe verschiedener Elemente beurteilt werden.657 (i) Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. (ii) Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

 

III. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet neuen Gefahren der Verfolgung oder anderen Form ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre Neben den oben genannten Überlegungen zur ursprünglichen Form der Verfolgung im Heimatgebiet des Antragstellers muss der Entscheidungsträger auch nachweisen, dass der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet keiner neuen Form der Verfolgung und keinem anderen ernsthaften Schaden - etwa infolge willkürlicher Gewalt - ausgesetzt wäre.658 UNHCR stellt in seinen Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 4: "Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative" fest: "Außerdem kann von einer Person, deren Furcht vor Verfolgung in einem Landesteil aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund festgestellt wurde, nicht erwartet werden, dass sie sich in einem anderen Gebiet niederlässt, in dem ebenfalls schwerer Schaden droht. Hätte die Person auch dort schweren Schaden, einschließlich einer schweren Bedrohung ihres Lebens, ihrer Sicherheit, ihrer Freiheit oder ihrer Gesundheit, oder massive Diskriminierung zu gewärtigen, käme eine interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative nicht infrage, und zwar unabhängig davon, ob eine Verbindung zu einem Konventionsgrund besteht oder nicht. Bei der Beurteilung neuer Risiken wäre somit auch ein schwerer Schaden zu berücksichtigen, wie er allgemein unter [erweiterte Flüchtlingskriterien oder] komplementäre Schutzformen fällt."659 Die Prüfung muss auf aktuellen Informationen über die Sicherheitslage in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet beruhen, mit besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen des Konflikts in Afghanistan auf Zivilisten.

 

IV. Prüfung, ob das als interne Schutzalternative vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist Wurde ein Gebiet in Afghanistan ermittelt, das nicht bereits auf Grundlage der oben genannten Überlegungen unter I und II als relevante Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ausgeschlossen ist, müsste dennoch geprüft werden, ob das als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ins Auge gefasste Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist.660 Für Afghanistan bedeutet dieses Erfordernis eine Prüfung der konkreten Aussicht auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet, unter anderem durch Bewertung der Risiken durch den weitverbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) sowie durch Landminen und explosive Kampfmittelrückstände (ERW) im ganzen Land, durch Anschläge und Kämpfe auf Straßen sowie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten durch regierungsfeindliche Kräfte.661

 

a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers

 

Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative "zumutbar" ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.662 Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für Kinder sind die besonderen Umstände sowie die rechtlichen Verpflichtungen des Staates aus der Kinderrechtskonvention zu berücksichtigen - vor allem die Verpflichtung zu gewährleisten, dass das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangiger Gesichtspunkt beachtet wird, und der Meinung des Kindes entsprechend seinem Alter und seiner Reife angemessen Bedeutung beigemessen wird.663 Entscheidungsträger müssen gebührend berücksichtigen, dass etwas, das für Erwachsene lediglich lästig ist, für ein Kind unter Umständen eine unzumutbare Härte darstellen kann. Diesen Überlegungen kommt zusätzliche Bedeutung zu, wenn es sich um unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kinder handelt.664 Im Fall unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder aus Afghanistan ist UNHCR der Ansicht, dass - über die Unterstützung des Kindes durch seine (erweiterte) Familie oder größere ethnische Gemeinschaft im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet hinaus - bei der Beurteilung der Verfügbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für das Kind das Kindeswohl gemäß Artikel 3 (1) der Kinderrechtskonvention vorrangig zu berücksichtigen ist.665 Für die Rückkehr unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder nach Afghanistan gelten ferner die Mindestgarantien, die in dem Aide-mémoire: Special Measures Applying to the Return of Unaccompanied and Separated Children to Afghanistan von 2010 aufgeführt sind.666

 

Zur Feststellung der Zumutbarkeit eines als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in Erwägung gezogenen Gebiets für Personen mit besonderen Bedürfnissen, einschließlich Personen mit Behinderungen und älterer Personen, wäre es besonders wichtig sicherzustellen, dass (auch entferntere) Verwandte oder Angehörige ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im künftigen Neuansiedlungsgebiet bereit und imstande sind, langfristig Unterstützung zu leisten, um die festgestellten Bedürfnisse der Person nachhaltig und, wo erforderlich, auf Dauer zu erfüllen.

 

In Anbetracht der schwierigen Menschenrechtssituation für Frauen in Afghanistan (siehe Abschnitt III.A.7) und der sozialen Normen, die Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken (siehe Abschnitt III.A.8) sowie der allgemein niedrigen Beschäftigungsquote der Frauen in Afghanistan, steht UNHCR auf dem Standpunkt, dass eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für Frauen, die alleinstehende Haushaltsvorstände sind und unter ihren Angehörigen tatsächlich oder vermeintlich keinen männlichen Beschützer haben, nicht zumutbar ist.

 

b) Sicherheit

 

Ein als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nur zumutbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit leben kann, frei von Gefahr und Risiko für Leib und Leben.667 Diese Bedingungen müssen auf Dauer gewährleistet und dürfen nicht nur scheinbar oder unberechenbar sein.668 Diesbezüglich muss die Instabilität der ständigen Schwankungen unterworfenen bewaffneten Konflikts in Afghanistan berücksichtigt werden. Die in Abschnitt II.B dieser Richtlinien enthaltenen Informationen sowie verlässliche und aktuelle Informationen über die Sicherheitslage im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet sind wichtige Elemente bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative.

 

c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben

 

Eine vorgeschlagene Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ist nur dann zumutbar, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Gebiet seine grundlegenden Menschenrechte ausüben kann und Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen vorfindet.669 In dieser Hinsicht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

 

(i) Zugang zu einer Unterkunft im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet

 

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet wie Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung

 

(iii) Lebensgrundlagen einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen, oder im Fall von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen (zum Beispiel ältere Antragsteller), erwiesene und nachhaltige Unterstützung zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards.670

 

Zu den Punkten (i) - (iii) im konkreten Kontext von Afghanistan wurde die Bedeutung der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzen, bestehend aus der erweiterten Familie des Antragstellers oder aus Mitgliedern seiner ethnischen Gemeinschaft, bereits ausführlich dokumentiert.671 In dieser Hinsicht kann allein aus der Anwesenheit von Personen mit demselben ethnischen Hintergrund wie der des Antragstellers im geplanten Neuansiedlungsort nicht geschlossen werden, dass solche Gemeinschaften den Antragsteller maßgeblich unterstützen würden; eine solche Unterstützung würde in der Regel vielmehr konkrete frühere gesellschaftliche Beziehungen zwischen dem Antragsteller und einzelnen Mitgliedern der betreffenden ethnischen Gemeinschaft voraussetzen.672 Selbst wenn derartige bereits zuvor bestehende, soziale Beziehungen gegeben sind, sollte aber geprüft werden, ob die Mitglieder dieses Netzes auch bereit und trotz der prekären humanitären Lage in Afghanistan, der niedrigen Entwicklungsindikatoren und der generellen wirtschaftlichen Zwänge, unter denen weite Teile der Bevölkerung leiden, auch wirklich in der Lage sind den Antragssteller tatsächlich zu unterstützen.673 Inwiefern Antragsteller auf Unterstützung durch Familiennetzwerke im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zurückgreifen können, muss auch im Lichte der berichteten Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nach Afghanistan zurückkehren, geprüft werden.674 Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

 

3. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in afghanischen Städten

 

Wie in den Anleitungen der Abschnitte III.C.1 und III.C.2 beschrieben, setzt eine Bewertung der Möglichkeit für eine Neuansiedlung in einer bestimmten Stadt eine Beurteilung sowohl der Relevanz als auch der Zumutbarkeit besagter Neuansiedlungsmöglichkeit für den jeweiligen bestimmten Antragsteller voraus. Wird eine interne Schutzalternative in einer bestimmten Stadt im Zuge eines Asylverfahrens in Erwägung gezogen, müssen alle allgemeinen und persönlichen Umstände, die im Hinblick auf Relevanz und Zumutbarkeit dieser Stadt als vorgeschlagenem Neuansiedlungsort für den betreffenden Antragsteller maßgeblich sind, soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der betreffenden Stadt für seine Neuansiedlung zu äußern.675

 

Zur Feststellung der Relevanz muss der Entscheidungsträger beurteilen, ob die betreffende Stadt für den Antragsteller praktisch und sicher erreichbar ist.676 Dazu muss die Verfügbarkeit von Lufttransport zum nächstgelegenen Flugplatz und die Sicherheit einer Weiterreise auf der Straße zum endgültigen Bestimmungsort oder alternativ die Sicherheit des Transports auf der Straße vom internationalen Flugplatz Kabul zum endgültigen Bestimmungsort geprüft werden.677

 

UNHCR macht darauf aufmerksam, dass nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben. UNHCR stellt fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden.678 Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

 

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit verweist UNHCR auf die allgemeine Bemerkung des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in seinem Überblick von 2018 über den Bedarf an humanitärer Hilfe, in der es heißt:

"Insgesamt halten sich heute über 54 Prozent der Binnenvertriebenen (IDPs) in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöht und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärkt."679 Außerdem herrscht, wie in Abschnitt II.D beschrieben, in den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekt jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbricht. Am schlimmsten betroffen sind die Provinzen Balkh, Ghor, Faryab, Badghis, Herat und Jowzjan.680

 

Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen. 682

 

Außerdem wird berichtet, dass das Armutsniveau in Afghanistan ansteigt: Der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, ist von 34 Prozent in den Jahren 2007/2008 auf 55 Prozent im Zeitraum 2016/2017 gestiegen.683

 

Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage Mazar-e-Sharif und Herat vom 19.11.2018:

 

Zusammenfassung:

 

Es ist zu entnehmen, dass die Provinz Balkh nach 2004 aufgrund der vergleichsweise stabilen Sicherheitslage einen Wirtschaftsaufschwung erlebte. Mazar-e Sharif zog damit viele Arbeitskräfte aus ländlichen Gebieten und angrenzenden Regionen an. Eine Studie aus dem Jahr 2014 kam daher zu dem Schluss, dass Mazar-e Sharif unter den fünf größten Städten Afghanistans bei weitem die höchste Zahl an Wirtschaftsmigranten aufnahm. Aufgrund seiner Anbindungen an den zentralasiatischen Raum und seiner vorteilhaften zentralen Lage in Nordafghanistan ist Mazar-e Sharif eine wichtige Drehscheibe für Import und Export, wie auch ein regionales Handelszentrum für den Norden Afghanistans. Gemäß einem Bericht des European Asylum Support Office (EASO) fanden Ende 2016 zunehmend sicherheitsrelevante Vorfälle entlang der Fernstraße von Mazar-e Sharif zur usbekischen Grenze statt. Die Angriffe richteten sich meist gegen Handelskonvois und hatten eine Unterbrechung des Handels mit Usbekistan und China zum Ziel. Mazar-e Sharif ist ein industrielles Zentrum mit einer großen Anzahl an klein- und mittelständischen Unternehmen, wie auch einigen großen Fabriken. Verglichen mit anderen großen Städten in Afghanistan hat Mazar-e Sharif den höchsten Anteil an selbstständigen Personen.

 

Nach dem Abzug der US-geführten NATO-Truppen 2014 erlebte die afghanische Wirtschaft einen Abschwung, da Geldflüsse aus dem Ausland daraufhin ausblieben. Beispielsweise verloren rund 7.000 Personen durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif ihren Arbeitsplatz. Die National Statistics and Information Authority (NSIA) verzeichnete 2013/2014 einen starken Anstieg der Arbeitslosenrate in der Provinz Balkh gegenüber den Jahren 2011/2012. 2016/2017 sank die Arbeitslosenrate in der Provinz Herat gemäß NSIA wieder leicht, verblieb allerdings dennoch bei einem Anteil von rund 30 Prozent.

 

Gemäß dem Business Tendency Report der afghanischen Kammer für Wirtschaft und Industrie (ACCI) wurde das Wirtschaftsklima von Unternehmern in der Provinz Balkh seit dem 3. Quartal des Jahres 2015 meist negativ eingeschätzt. Der Unternehmensklimaindex von ACCI weist nach diesem Zeitpunkt nur zwei Mal - im 1. Quartal 2016 und im

1. Quartal 2018 - positive Werte im einstelligen Bereich (3,89 und 3,5) auf. Im Zeitraum IV.2014-II.2015 schätzten die befragten Unternehmer die Lage in der Provinz Balkh dagegen positiver ein (Indexwerte zwischen 20,23 und 31 Punkten). Die von ACCI befragten Unternehmer schätzten die Sicherheitslage in der Provinz Balkh seit dem 2. Quartal 2015 mit Indexwerten zwischen -65,6 (1.Quartal 2016) und -14 (2. Quartal 2017) durchgehend negativ ein.

 

Gemäß einer jährlichen Erhebung der Lebensbedingungen in Afghanistan, welche die Asia Foundation seit 2004 durchführt, schätzte eine Mehrheit der befragten Bewohner der Stadt Mazar-e Sharif im Zeitraum 2010-2017 ihre Versorgung mit Gütern, wie auch die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel und ihre Wohnsituation als gegenüber dem Vorjahr gleich bleibend ein (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). Der Anteil jener, die angaben, dass sich die Verfügbarkeit von Gütern für ihren Haushalt, wie auch die Qualität der Lebensmittel und die Wohnsituation gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe, nahm im Zeitraum 2015-2017 gegenüber 2010-2012 zu. Der Anteil jener, die Verbesserungen sahen, nahm ab - mit Ausnahme der Wohnsituation, bei welcher im Jahr 2017 wieder mehr Befragte eine Verbesserung als eine Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr wahrnahmen.

 

Der Anteil jener, die eine Verschlechterung der finanziellen Situation ihres Haushaltes, wie auch der Beschäftigungsmöglichkeiten ihrer Haushaltsmitglieder gegenüber dem Vorjahr wahrnahmen, lag im Zeitraum 2015-2017 höher als im Zeitraum 2010-2012. Hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten gaben im Zeitraum 2015-2017 rund 64 bis 76 Prozent der Befragten an, dass sich die Lage ihres Haushalts verschlechtert habe, 2010-2012 waren es 28 bis 42 Prozent. Der Anteil jener, die angaben, dass sich die finanzielle Situation ihres Haushaltes verbessert habe, stieg im Zeitraum 2015-2017 wieder, nachdem er zwischen 2012 und 2015 um beinahe 40 Prozentpunkte abgenommen hatte. Ebenso stieg allerdings der Anteil der Befragten, welche angaben, dass sich ihre finanzielle Situation gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe und liegt seit dem Jahr 2015 über dem Anteil an Personen, welche eine Verbesserung wahrnahmen. Der Anteil jener, die eine Verbesserung der Stromversorgung ihres Haushaltes wahrnahmen, stieg dagegen seit 2011 von rund 6 Prozent auf 55 Prozent im Jahr 2015 und blieb auch in den Jahren 2016 und 2017 auf hohem Niveau.

 

Gemäß einer von EASO zitierten Studie der Analysefirma Samuel Hall aus dem Jahr 2014 leben nur 15 Prozent der Bewohner von Mazar-e Sharif über der Armutsgrenze. Mehr als die Hälfte der Bewohner von Mazar-e Sharif wenden mehr als 60 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel auf, vermutlich aufgrund der hohen Lebensmittelpreise in Mazar-e Sharif verglichen mit anderen großen Städten in Afghanistan. Die Provinz Balkh bildet eine Ausnahme von der Tendenz, dass die offizielle Armutsrate der Bevölkerung in den urbanen Zentren niedriger ist als in den ländlichen Gebieten. Gemäß NSIA stieg der Anteil an Bewohnern der Provinz Balkh, welche an einem Kalorienmangel leiden, von 22 Prozent in den Jahren 2011/2012 auf 50,3 Prozent 2013/2014 und 61 Prozent im Zeitraum 2016/2017.

 

Während die Ernährungslage in Mazar-e Sharif im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS NET die Lage als angespannt einstuft. Gemäß Prognosen von FEWS NET sollte sich dies bis Mai 2019 nicht ändern.

 

Die Anzahl an Neuankünften von Personen, welche aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehrten, erreichte gemäß Daten von UNHCR für die Jahre 2013-2018 im Zeitraum 1.1.-21.10.2016 mit rund 6.800 Personen einen zahlenmäßigen Höhepunkt (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). 2017 sank ihre Anzahl auf rund 1.300, im Zeitraum 1.1.-23.10.2018 registrierte UNHCR 311 Neuankünfte. 2016 verzeichnete UN OCHA die Ankunft von rund 15.100 Personen in Mazar-e Sharif, welche aufgrund von Konflikten ihre Heimatorte verlassen mussten. 2017 ging ihre Zahl auf rund 5.000 zurück, 2018 (bis einschl. 23.10.) verzeichnete UN OCHA keine Neuankünfte. Die hohe Anzahl an Binnenvertriebenen und Rückkehrern, welche sich in den vergangenen Jahren in Mazar-e Sharif ansiedelten, ließ die tendenziell ohnehin fragilen Fürsorgenetzwerke und städtische Infrastruktur gemäß EASO an ihre Grenzen stoßen.

 

Es existieren einige Projekte zur wirtschaftlichen Unterstützung von Personen in Afghanistan, insbesondere für Binnenvertriebene und Rückkehrer. Kursorisch können hier Projekte wie das von der EU finanzierte Programm RADA (Return Assessment and Development for Afghanistan), Projekte des Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR) zur Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten, das Projekt SALAM (Support Afghanistan Livelihood and Mobility) und Hilfe durch IOM genannt werden. Eine Studie des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) vom November 2018 bezeichnet die über IOM angebotenen Unterstützungsleistungen als "(...) überbürokratisiert, zu gering und laden zudem zum Missbrauch ein".

 

Die afghanische Regierung verfügt der Studie des VIDC zufolge nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um erfolgreiche Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche, wie politische Unsicherheit und die angespannte Sicherheitslage negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus. Gemäß VIDC stuft die Central Statistics Organization (CSO) 80 Prozent aller Arbeitsstellen in Afghanistan als gefährdet ein, d.h. die Arbeitsbedingungen sind schlecht und das Einkommen unregelmäßig. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen gemäß dieser Quelle über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Das größte Krankenhaus in Nordafghanistan befindet sich in Mazar-e Sharif und wird einem Bericht aus dem Jahr 2016 zufolge erweitert. Notfallbehandlungen sind in den Spitälern von Mazar-e Sharif kostenlos, doch müssen Medikamente und Behandlungen in privaten Krankenhäusern von den Patienten bezahlt werden. Die Qualität der öffentlichen Krankenhäuser und der Medikamente in Mazar-e Sharif beschreiben von EASO zitierte Quellen als unzureichend. Afghanen, welche sich dies leisten können, lassen sich vorzugsweise in Privatkrankenhäusern oder im Ausland behandeln. Insbesondere Binnenvertriebene und Rückkehrer haben aufgrund ihrer finanziellen Situation wie auch teils aufgrund fehlender Personaldokumente nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. EASO zufolge ist Korruption im Gesundheitssektor ein Problem.

 

Gemäß Erhebungen der CSO aus dem Jahr 2015 leben rund zwei Drittel der Bewohner von Mazar-e Sharif in ihren eigenen Häusern, rund ein Viertel in gemieteten Immobilien. Die International Organization for Migration (IOM) betont, dass der hohe demografische Druck und eine generelle Knappheit an Gebäuden in gutem Zustand die Suche nach Wohnraum in den Ballungszentren Afghanistans erschwert. Insbesondere die Wohnsituation von Binnenvertriebenen und Rückkehrern wird von mehreren von EASO zitierten Studien kritisch eingeschätzt. Unter anderem werden unklare Besitzverhältnisse, aber auch eine unzureichende Unterstützung durch die Regierung als bestehende Probleme genannt. Gemäß einem Bericht von EASO aus dem Jahr 2017 gibt es seit 2016 keine humanitären Organisationen mehr, welche Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif bei der Suche nach Wohnraum unterstützen.

 

Der afghanische Arbeitsmarkt zeichnet sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: eine sehr junge und stetig wachsende Bevölkerung, ein niedriger Anteil von erwerbstätigen Frauen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle, niedrige Alphabetisierungsraten und ein niedriges Ausbildungsniveau, wie auch eine hohe Anzahl an Personen, welche von einem Erwerbstätigen abhängig sind.

 

In den städtischen Gebieten ist der Anteil an Erwerbstätigen aufgrund einer geringeren Beteiligung von Frauen, jungen und älteren Personen am Arbeitsmarkt niedriger, als in den ländlichen Gebieten.

 

Die Central Statistics Organization (CSO) klassifiziert 80 Prozent aller Arbeitsstellen als gefährdet, d.h. mit schlechten Arbeitsbedingungen und unregelmäßigem Einkommen. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Gemäß einer Studie der International Labor Organization (ILO) aus dem Jahr 2012 umfasst der informelle Sektor rund 80 bis 90 Prozent der gesamten Wirtschaft in Afghanistan.

 

Wirtschaftsprojekte

 

Im Jahr 2017 startete das Projekt SALAM (Support Afghanistan Livelihood and Mobility) in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Balkh, Herat, Kandahar und Kunduz. Dieses Projekt soll langfristige Lösungen für die hohen Arbeitslosenraten bieten und irreguläre Migration durch die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten - insbesondere für Binnenvertriebene und Rückkehrer - verhindern. Gemäß einer von VIDC zitierten Quelle wurde ein früheres Hilfsprogramm für Binnenvertriebene, die so genannte IDP National Policy, welche 2013 ins Leben gerufen wurde, nicht adäquat implementiert.

 

Der Leiter des Bereichs Wirtschaftsstatistiken innerhalb des CSO kritisiert gemäß VIDC, dass die internationalen Hilfsgelder in Afghanistan vor allem zur Lösung von Problemen mit den Aufständischen verwendet werden, während nur ein kleiner Teil übrigbleibt, um den massiven Zustrom an Rückkehrern nach Afghanistan zu bewältigen. Gemäß VIDC verfügt die afghanische Regierung über keine belastbaren Daten zur Migration und dem Themenkomplex Binnenflüchtlinge/Rückkehrer.

 

VIDC berichtet weiters, dass die afghanische Regierung gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnerorganisationen Berufsausbildungen für bedürftige Afghanen bereitstellt.

 

Rund 38.000 Afghanen - davon 17.000 Frauen - erhalten in 44 vom afghanischen Arbeitsministerium (MoL-SAMD) geführten Zentren und 38 Einrichtungen der Partnerorganisationen in allen 34 Provinzen des Landes Berufsausbildungen. Bis zu 60 verschiedene Fähigkeiten werden dabei vermittelt, unter anderem Schneiderei, Teppichweberei, Alphabetisierungskurse, Tischlerei und Kurse zur Reparatur von Mobiltelefonen.

 

Die afghanische Regierung verfügt laut VIDC nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche und ethnisierte politische Unsicherheit und die Sicherheitskrise negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus.

 

Mehr als 2000 nationale und internationale NGOs haben beim afghanischen Wirtschaftsministerium Projekte zur Armutsbekämpfung - vor allem im Bereich der Wohlfahrt, Gesundheit, Ausbildung und Landwirtschaft - registriert.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) startete Ende 2014 das Projekt SEDEP (Sustainable Economic Development and Employment Promotion) zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Familien in ländlichen Gebieten in den Provinzen Baghlan, Badakhshan, Balkh, Kunduz, Samangan und Takhar. 2018 wurde das Projekt um eine Komponente für Flüchtlinge und Rückkehrer erweitert. Davon werden gemäß VIDC neben Binnenflüchtlingen rund 70 Prozent der Rückkehrer aus der EU und Pakistan profitieren.

 

Die International Organization for Migration (IOM) entwickelte ein Vierjahresprojekt für acht Provinzen mit hohem Anteil an Rückkehrern und Binnenflüchtlingen (dies sind die Provinzen Baghlan, Balkh, Herat, Kabul, Kunar, Kandahar, Laghman und Nangahar).

 

Das von der EU finanzierte Return Assessment and Development for Afghanistan (RADA) -Programm unterstützt die Reintegration von über 30.000 gefährdeten Afghanen, welche aus Europa, Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückkehren.

 

DACAAR (Danish Committee for Aid to Afghan Refugees) unterstützte im Zeitraum 2014-2017 650 Afghanen (davon 33 Prozent Frauen) in neun Provinzen mittels Berufsausbildungen. Die Organisation plant, bis 2021 weitere 2.800 Personen in zwölf Provinzen auszubilden. DACAAR richtet sich dabei in Kooperation mit dem afghanischen Arbeitsministerium an Binnenvertriebene, Rückkehrer, Jugendliche und Gastgemeinschaften. Im nichtlandwirtschaftlichen Bereich bietet DACAAR vor allem Ausbildungen zum Erlernen des Schneiderhandwerks und von Handarbeiten an. Im landwirtschaftlichen Bereich können durch DACAAR Ausbildungen bei der Milchproduktion und dem Safrananbau absolviert werden, zudem unterstützt die Organisation auch Bauern bei der Verpackung und dem Verkauf ihrer Produkte auf lokalen Märkten.

 

Die afghanische Kammer für Wirtschaft und Industrie (Afghanistan Chamber of Commerce & Industry (ACCI)) berichtet in ihrem Business Tendency Survey Report für das 3. Quartal 2018, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen für Unternehmen in den vergangenen drei Monaten verschlechtert haben und auch der Ausblick für die kommenden sechs Monate negativ ist. Sicherheit bleibt der bedeutsamste Faktor für wirtschaftliche Entwicklung, gefolgt von Märkten und Nachfrage, sowie Verwaltungsreformen, Verbesserungen der Infrastruktur und dem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Die befragten Unternehmer gaben an, dass sie in den vergangenen drei Monaten mehr Personen entlassen als eingestellt haben. Unternehmen im Bereich der Landwirtschaft und verarbeitenden Industrie gehen allerdings davon aus, dass sie in den kommenden sechs Monaten wieder vermehrt Arbeitskräfte einstellen werden.

 

ACCI erstellt einen Unternehmensklimaindex, welcher auf den Wahrnehmungen von Wirtschaftstreibenden zur gegenwärtigen Situation ihrer Unternehmen, wie auch der Entwicklung in den kommenden sechs Monaten basiert. Der Index verortet die Wahrnehmungen der befragten Manager auf einer Skala von -100 (negatives Klima) bis 100 (positives Klima), wobei der Wert 0 den neutralen Mittelpunkt eines "normalen" Wirtschaftsklimas darstellt. Für den aktuellen Vierteljahresbericht wurden 750 Unternehmer in den Provinzen Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar im Juli 2018 mittels Telefoninterviews befragt. Das Unternehmensklima wurde von den befragten Unternehmern im Allgemeinen im 3. Quartal 2018 negativer eingeschätzt als im 2.Quartal (-19 (III.2018) vs. -9.6 (II.2018); grafische Darstellung s. Graph 1 unten). Dies gilt auch für die Ergebnisse der Befragung von Unternehmern in der Provinz Balkh, wobei der Index hierbei von -11.8 im 2. Quartal 2018 auf -20 im

3. Quartal sank (grafische Darstellung s. Graph 2 unten). Im 1. Quartal 2018 schätzten die befragten Unternehmer das Klima in dieser Provinz dagegen positiv ein (3.5). Im Zeitverlauf fluktuierten die Werte seit Beginn des Jahres 2015 zwischen -53.9 (III.2016) als tiefstem Wert und 21.7 als höchstem Wert (I.2015). Im 4. Quartal 2014 lag der Wert mit 31 noch höher, im davor liegenden Quartal allerdings bei -21. Nach 2015 erreichte der Unternehmensklimaindex nur im 1. Quartal 2016 und im 1. Quartal 2018 positive Werte, in beiden Fällen im niedrigen einstelligen Bereich.

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die afghanische Wirtschaft nach dem Abzug der US-geführten NATO-Truppen 2014 einen Abschwung erlebte, da Geldflüsse aus dem Ausland daraufhin ausblieben. Die National Statistics and Information Authority (NSIA) verzeichnete 2013/2014 gegenüber den Jahren 2011/2012 einen starken Anstieg der Arbeitslosenrate in der Provinz Herat (zur Reliabilität der Quellen s. Abschnitt Quellenlage, Anm.). 2016/2017 sank die Arbeitslosenrate in der Provinz Herat gemäß NSIA wieder leicht, verblieb allerdings dennoch bei einem Anteil von rund 30 Prozent.

 

Gemäß dem Business Tendency Report der afghanischen Kammer für Wirtschaft und Industrie (ACCI) wurde das Wirtschaftsklima von Unternehmern in der Provinz Herat seit dem Jahr 2015 meist negativ eingeschätzt. Während der Unternehmensklimaindex von ACCI die Lage insbesondere im 2. bis 4. Quartal 2015 deutlich negativer als zuvor darstellte, verbesserten sich die Werte daraufhin wieder, nahmen 2017 und 2018 allerdings teilweise wieder negative Werte an. Die von ACCI befragten Unternehmer schätzten die Sicherheitslage in der Provinz Herat nach dem 4. Quartal 2014 nur einmal - im 4. Quartal 2017 - positiv ein.

 

Gemäß einer jährlichen Erhebung der Lebensbedingungen in Afghanistan, welche die Asia Foundation (AF) seit 2004 durchführt, gaben Bewohner der Stadt Herat im Zeitraum 2015-2017 am häufigsten an, dass sich die finanzielle Situation ihres Haushalts, wie auch ihre Beschäftigungsmöglichkeiten gegenüber dem Vorjahr verschlechtert haben. Im Zeitraum 2010-2012 lagen die Anteile jener Befragten, welche angaben, dass sich ihre Lage verbessert habe oder gleich geblieben sei, dagegen über den Anteilen jener, die eine Verschlechterung wahrnahmen.

 

Die Versorgungslage des eigenen Haushalts mit Gütern und Wohnraum schätzten die Befragten in Herat-Stadt dagegen seit 2010 mehrheitlich als gleich bleibend ein. 2011 und 2012 sah eine Mehrheit der Befragten eine verbesserte Qualität der Lebensmittel für den eigenen Haushalt, 2015-2017 nahm der Anteil an Personen, welche dies angaben, dagegen stark ab. 2016 gab eine Mehrheit der Befragten an, dass sich die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe.

 

Gemäß einer vom European Asylum Support Office (EASO) zitierten Studie der Analysefirma Samuel Hall befanden sich im Jahr 2014 82 Prozent der Haushalte in Herat-Stadt unter der Armutsgrenze. Dies ist ein höherer Anteil als in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Entsprechend mehrerer Indikatoren wird das höhere Niveau an Armut in Herat-Stadt allerdings nicht durch billigere Lebensmittel kompensiert.

 

Erhebungen des World Food Programme (WFP) zufolge blieben die Preise für Weizen und Reis im Zeitraum 2010-2018 annähernd gleich. Löhne für Gelegenheitsarbeiter sanken laut WFP von 300 AFN im Zeitraum 2014-2016 auf 250 AFN in den Jahren 2017 und 2018 .

 

Während die Ernährungslage in Herat im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS NET die Lage als angespannt einstuft. Prognosen von FEWS NET für die Zeiträume Oktober 2018-Jänner 2019 und Februar-Mai 2019 beurteilen die Lage in Herat als krisenhaft.

 

Die Anzahl an Neuankünften von Personen in Herat-Stadt, welche aufgrund von Konflikten aus ihren Heimatorten flohen, wie auch die Anzahl an freiwilligen Rückkehrern, welche sich in Herat-Stadt niederließen, ging gemäß Daten des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) und des United Nations High Commissioner for Human Rights (UNHCR) zuletzt zurück.

 

Es existieren einige Projekte zur wirtschaftlichen Unterstützung von Personen in Afghanistan, insbesondere für Binnenvertriebene (IDPs) und Rückkehrer. Kursorisch können hier Projekte wie das von der EU finanzierte Programm RADA (Return Assessment and Development for Afghanistan), Projekte des Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR) zur Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten, Hilfe durch die internationale Organisation für Migration (IOM) und das Support Afghanistan Livelihood and Mobility (SALAM)-Programm zur Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten genannt werden. Einige dieser Projekte laufen u.a. in der Provinz Herat. Eine Studie des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) charakterisiert die über IOM angebotenen Unterstützungsleistungen als "(...) überbürokratisiert, zu gering und laden zudem zum Missbrauch ein".

 

Die afghanische Regierung verfügt gemäß VIDC nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um erfolgreiche Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche, wie politische Unsicherheit und die angespannte Sicherheitslage negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus. Dem VIDC zufolge stuft die Central Statistics Organization (CSO) 80 Prozent aller Arbeitsstellen in Afghanistan als gefährdet ein, d.h. die Arbeitsbedingungen sind schlecht und das Einkommen ist unregelmäßig. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen gemäß dieser Quelle über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen. Auch umfasst der informelle Sektor ca. 80 bis 90 Prozent der gesamten afghanischen Wirtschaft.

 

Gemäß EASO existiert in Herat-Stadt ein Netzwerk aus Gesundheitseinrichtungen, Krankenhäusern und mobilen Kliniken. Ein Bericht aus dem Jahr 2016 konstatiert, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung in Herat-Stadt relativ gut ist. Bedürftige Personen - insbesondere Binnenvertriebene - verfügen allerdings oftmals nicht über die notwendigen Mittel zum Erwerb von Medikamenten oder Behandlungen in Spezialkliniken.

 

Herat erlebte bis 2014 einen Bauboom, welcher die Immobilienpreise steigen ließ. Danach sanken die Preise um 20-30 Prozent. Gemäß einer von EASO zitierten Umfrage der Central Statistics Organization (CSO) aus dem Jahr 2016 leben 60 Prozent der Befragten in Herat-Stadt in ihrem eigenen Haus, etwas unter einem Viertel in gemieteten Immobilien. Rund 5 Prozent der Bewohner in Herat-Stadt leben in Zelten und anderen nicht befestigten Strukturen. Herat-Stadt ist historisch betrachtet ein bedeutsamer Zielort für Binnenvertriebene. Ende 2015 war Herat mit einem Anteil von rund 10 Prozent oder 120.000 Binnenflüchtlingen eine der Provinzen mit dem höchsten Anteil an Binnenvertriebenen in Afghanistan. Viele dieser Personen leben in informellen Siedlungen, welche aus Lehmhäusern bestehen. Die Grundbesitzverhältnisse in diesen Siedlungen sind oftmals unklar.

 

Einzelquellen:

 

Der afghanische Arbeitsmarkt zeichnet sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: eine sehr junge und stetig wachsende Bevölkerung, ein niedriger Anteil von erwerbstätigen Frauen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle, niedrige Alphabetisierungsraten und ein niedriges Ausbildungsniveau, wie auch eine hohe Anzahl an Personen, welche von einem Erwerbstätigen abhängig sind.

 

In den städtischen Gebieten ist der Anteil an Erwerbstätigen aufgrund einer geringeren Beteiligung von Frauen, jungen und älteren Personen am Arbeitsmarkt niedriger, als in den ländlichen Gebieten.

 

Die Central Statistics Organization (CSO) klassifiziert 80 Prozent aller Arbeitsstellen als gefährdet, d.h. mit schlechten Arbeitsbedingungen und unregelmäßigem Einkommen. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Gemäß einer Studie der International Labor Organization (ILO) aus dem Jahr 2012 umfasst der informelle Sektor rund 80 bis 90 Prozent der gesamten Wirtschaft in Afghanistan.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA.

 

2.1. Zur Person des BF:

 

Die Feststellungen zur Nationalität, Religion sowie Volksgruppenzugehörigkeit des BF stützen sich auf die Angaben im Asylverfahren. Der BF machte diesbezüglich durchgehend gleichbleibende und glaubhaft Aussagen.

 

Die Angaben des BF zu seiner Herkunftsprovinz, seinen Aufenthaltsorten im Iran, seinem familiären Hintergrund und seinem schulischen bzw. beruflichen Werdegang sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan und im Iran plausibel. Die vom BF in diesem Zusammenhang getätigten Angaben waren gleichbleibend, widerspruchsfrei und damit glaubhaft.

 

Sein Gesundheitszustand ergibt sich aus dem persönlichen Eindruck des Gerichtes, der Aussage des BF bzw. der vorgelegten ambulanten Diagnose, welche eine schwere Prellung der Daumen festlegte. Die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit, ergibt sich daraus, dass der BF nichts Gegenteiliges vorbrachte, sowie, dass der BF auch nach dem Bruch der Daumen gearbeitet hat.

 

Zur Integration des BF ist es aus der Vielzahl an Empfehlungsschreiben, diversen Kurse - wie Werte- und Orientierungskurs, der guten bis sehr guten Noten im ersten Jahr der Praxis-Handelsschule und der Einvernahme des Zeugen ersichtlich, dass der BF bemüht ist die österreichische - europäische Kultur - kennenzulernen und nach ihr zu leben. Die Deutschkenntnisse sind durch die Schulnote 2, B1-Zertifikat und des persönlichen Eindruckes durch das Gericht mit gut einzustufen.

 

Der BF hat glaubhaft vorgebracht, dass er die Schule, - in welcher er zurzeit die 2 von 3 Klassen besucht - absolvieren möchte und danach in Österreich einen Beruf ausüben.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen seines Herkunftsstaates stützen sich auf die vom BF vor dem BFA getroffenen Aussagen sowie seinen Angaben bei der Erstbefragung und der Verhandlung beim BVwG.

 

Der BF brachte konkret und stringent vor, dass aufgrund seiner persönlichen Einstellung gegen die strikten Vorgaben der Taliban eine Flucht in den Iran erfolgte. Die Taliban hatten ihn auch mit Gewalt bzw. Folter drängen wollen, die von Ihnen vorgeschriebenen Verhaltensweisen zu befolgen. Der BF wehrte sich teilweise, indem er sich nicht an die Bekleidungsvorschriften hielt und wurde dadurch von diesen verfolgt. Die Verfolgung richtete sich nur an den BF und nicht an seine Familie, welche bis dato noch immer unversehrt, nach glaubwürdigen Angaben des BF, in der Heimatprovinz befindet. Auch wurden keine anderen Mitglieder nach Angaben des BF von den Taliban verfolgt. Die Taliban geben sich mit der Antwort des Vaters zufrieden, dass er nicht wisse wo der BF ist, dies zeigt auch, dass die Taliban kein verstärktes Interesse daran haben nach ihn zu suchen, denn sonst würden sie Drohungen oder Gewalt gegen die Familie des BF ausüben. Auch das BFA glaubte den Angaben des BF bezüglich der Gewalt gegen ihn.

 

Die schlechte Situation im Iran beziehen sich nicht auf den Herkunftsstaat und sind in diesem Verfahren nicht relevant.

 

2.4. Zur Situation im Falle einer Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat

 

Die Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr des BF in seine Herkunftsprovinz ergeben sich aus den angeführten Länderberichten.

 

Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das BVwG daraus, dass aufgrund von § 5 Abs 2 BFA-Einrichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diesen Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind.

 

Bezüglich der Rückkehr nach Afghanistan in seine Heimatprovinz Kapisa ist aus den Schilderungen der Länderberichte ersichtlich, dass diese zwar zunächst zu den sicheren Gebieten des Landes zählte, aber mit der Zeit die Situation sich immer mehr verschlechterte. So wurde Mitte März 2018 berichtet, dass ca. 1.300 Personen, aus verschiedenen Teilen des Landes (Kapisa, Laghman, Nuristan und Parwan) aufgrund anhaltenden gewaltsamen Konflikts in die Distrikte Mahmud-e-Raqi, Hisa-e-Awal-e-Kohestan und Hisa-e- Duwum-e-Kohestan der Provinz Kapisa geflüchtet sind (UN OCHA o.D.).

 

Zur Situation in den Städten Mazar- e Sharif und Herat ist ersichtlich, dass die Situation in den Provinzen Balkh und Herat zwar angespannt, die beiden Städte Mazar-e-Sharif und Herat als relativ sichere Städte gelten. So sind auch in den aktuellen Länderberichten oder der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018 keine konkreten Anschläge in diesen beiden Städten auf zivile Opfer im täglichen Leben ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung wurden auch keine Einwände gegen die Sicherheit der beiden Städte in Gegensatz zu Kabul vorgebracht wurde.

 

Zur wirtschaftlichen Situation in diesen beiden Städten ist in den Berichten weiterhin ersichtlich, dass die Situation angespannt ist, jedoch nicht jeder, der in die Städte geschickt wird in eine ausweglose Situation geraten würde. Der BF hat Berufserfahrung und eine Schulausbildung absolviert. Er ist gesund und arbeitsfähig. Weiters hat er keine Sorgepflichten. Auch die Berichte zeigen, dass obwohl eine lange Dürre in dieser Region vorhanden war, die Mehrheit der befragten Bewohner der Stadt Mazar-e Sharif im Zeitraum 2010-2017 ihre Versorgung mit Gütern, wie auch die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel und ihre Wohnungssituation als gegenüber dem Vorjahr gleichbleibend ein. Wenngleich sich die Arbeitssituation verschlechtert hat. Die Anzahl an Neuankünften verringerte sich, was wohl zu einer Entspannung am Wohnungs- und Versorgungsmarkt führen wird. Die Gesundheitsversorgung ist vorhanden und kostenlos. Durch das Projekt RESTART II, welche ua. durch das BMI kofinanziert wird, kann eine Hilfe bei der Rückkehr erfolgten. Ein weiteres Rückkehrprogramm ist ERIN. Weiter unterstützten die von der EU finanzierte Return Assessment and Development for Afghanistan (RADA) - Programme zur Reintegration von über 30.000 gefährdeten Afghanen, welche aus Europa, Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückkehren. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist in Herat-Stadt relativ gut. Durch die internationalen Flughäfen ist ein gesicherter Zugang möglich, etwaige Anschläge sind nicht bekannt.

 

Durch die Rückführung mit Unterstützung Österreichs ist auch die Nichtvorhandensein von Reisedokumente oder sonstige Ausweisdokumente kein Grund dafür, dass eine Einreise in die beiden Städte nicht erfolgen kann.

 

Der BF hat lange zumindest bis zu seinem 16. Lebensjahr in Afghanistan gelebt und danach im Iran. Aufgrund seiner Kenntnisse der Kultur, der Sprache und der Religion ist es ihm möglich auch in diesen beiden Städten zu leben, obwohl er nie dort war.

 

Zu einer etwaigen "Verwestlichung" ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass allein seit Jänner 2016 über eine halbe Million Afghanen unterschiedlichster ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit, darunter eine Vielzahl aus Europa, nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Dies wäre undenkbar, wenn es nur halbwegs schlüssige Hinweise auf eine generelle Verfolgung dieser Personengruppe gäbe. Doch konnte weder aus den Länderberichten noch aus den UNHCR-Richtlinien oder der Beschwerde ein Nachweis erbracht werden, dass hier eine Verfolgung stattfindet oder eine Situation auftritt, welche eine mit Art. 2 oder 3 EMRK konformes Leben ausschließen würde. So gibt es wie oa. auch zahlreiche Unterstützungen. Es wird auch darauf hingewiesen, dass der BF selbst auch angab, dass er ein sunnitischer Moslem ist und brachte nicht vor, dass er zu einer anderen Religion konvertierte. Es leben auch viele Menschen in den beiden Städten, welche nicht die strengen Regeln der Taliban einhalten, jedoch nicht verfolgt werden, weiters ist auch ersichtlich, dass diese beiden Städte zurzeit von der Regierung beherrscht werden.

 

Zu einer etwaigen Verfolgung in den beiden Städten ist in Zusammenschau mit den Länderberichten ersichtlich, dass in Afghanistan kein Meldesystem wie in Europa - Österreich - besteht, sodass mit keiner maßgebenden Wahrscheinlichkeit der BF in diesen beiden Städten aufgefunden werden kann, zumal er auch in keiner so exponierten Stellung ist, dass man sein Eintreffen oder Leben in dieser Stadt in die Öffentlichkeit dringt. Die Möglichkeit der Taliban, ihn in seiner Herkunftsprovinz aufzufinden ist jedoch gegeben, da hier die ländliche und örtliche Struktur zu klein ist, um in der Masse der Bevölkerung untertauchen zu können und ein entsprechendes Leben zu führen. In Mazar-e Sharif oder Herat leben hunderttausende von Leuten, sodass ein Auffinden nicht denkbar ist.

 

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Zulässigkeit und Verfahren:

 

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

 

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

 

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

3.2. Rechtlich folgt daraus:

 

Zu Spruchteil A):

 

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 26.04.2017 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 28.04.2017 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidungen dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

 

Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde. Dem BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme vor dem BFA - unter Zuhilfenahme eines geeigneten Dolmetschers - ausreichend rechtliches Gehör gewährt.

 

3.3. Zum angefochtenen Spruchpunkt I (§ 3 AsylG) des gegenständlichen Bescheides:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist).

 

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus "wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

 

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in der konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350, mwN). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128, sowie vom 23.01.2006, Zl. 2005/20/0551); diese muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113.

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0162, mwN), die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann allerdings nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

 

Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

 

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

 

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. die Erkenntnisse des VwGH 23.01.1997, 95/20/0303, sowie 28.05.2009, 2007/19/1248) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

 

Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (Hinweis Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, 1999, Rz 408).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seiner Herkunftsprovinz mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, objektiv daraus ergibt, dass er von den Taliban verfolgt wurde und zwar aufgrund einer ihm, wenn auch nur unterstellten politischen bzw. religiösen Gesinnung - Widerstand gegen die Lebensweise der Taliban -. Der BF hat sich offen gegen die vorgeschriebenen Bekleidungsvorschriften erhoben und ihm wurde unterstellt, dass er ein Haus der Taliban niederbrannte. Weiters wurde die Gewalt gegen ihn auch offenkundig durch die zumindest schwere Prellung der Daumen dokumentiert.

 

Eine Verfolgung durch den Staat wurde nicht geltend gemacht und auch nicht festgestellt.

 

Weiters bleibt im Lichte der Rechtsprechung des VwGH zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe, jener Personen, welche als Rückkehrer aus Europa bzw. "Verwestlichung"- unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass er jedoch aufgrund seines dreijährigen Aufenthaltes in Österreich und der nunmehrigen Rückkehr eine Verfolgung befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden.

 

In Afghanistan sind viele Rückkehrer und werden vom afghanischen Staat aber auch von internationalen Organisationen wie die IOM unterstützt. UNHCR unterstützt die Rückkehrer ebenfalls und begleitet sie bei der Ankunft. Eine Verfolgung dieser Rückkehrer im Sinne der GFK ist nicht ersichtlich.

 

Zu einer etwaigen "Verwestlichung" ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass allein seit Jänner 2016 über eine halbe Million Afghanen unterschiedlichster ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit, darunter eine Vielzahl aus Europa, nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Dies wäre undenkbar, wenn es nur halbwegs schlüssige Hinweise auf eine generelle Verfolgung dieser Personengruppe gäbe. Doch konnte weder aus den Länderberichten noch aus den UNHCR-Richtlinien oder der Beschwerde ein Nachweis erbracht werden, dass hier eine Verfolgung stattfindet oder eine Situation auftritt, welche eine mit Art. 2 oder 3 EMRK konformes Leben ausschließen würde. So gibt es wie oa. auch zahlreiche Unterstützungen. Es wird auch darauf hingewiesen, dass der BF selbst auch angab, dass er ein sunnitischer Moslem und Paschtune ist, daher zu der stärksten Bevölkerungsgruppe gehört. Eine vollendete Abkehr vom Islam konnte nicht festgestellt werden, zumal der BF selbst angab sunnitischer Moslem zu sein und nicht offen gegen seine Religion auftrat, sondern "nur" die Auslegung der Religion durch die Taliban nicht teilte.

 

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

§ 11 (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

Hinsichtlich der Verfolgung durch die Taliban, wurde wie bereits erörtert, festgestellt und der oa. Beweiswürdigung begründet eine Verfolgung in den Städten Mazar- e Sharif und Herat nicht mit der maßgebenden Wahrscheinlichkeit festgestellt. Sodass ihn in diesen Städten keine Verfolgung im Sinne der GFK mit maßgebender Wahrscheinlichkeit droht, zumal der BF in keiner exponierten Stellung ist und aus dem Verhalten der Taliban in seiner Herkunftsprovinz ersichtlich ist, dass diese damit zufrieden sind, dass er nicht in seiner Provinz lebt. Die weiteren Voraussetzungen für eine innerstaatliche Fluchtalternative wird unter 3.4. rechtlich begründet.

 

3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. (§ 8 AsylG) des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

 

Nach der früheren ständigen Rechtsprechung des VwGH war bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen waren, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 21.02.2017, Ro 2017/18/005). Der VwGH stellte daher für die Gewährung von subsidiärem Schutz insbesondere auf den Maßstab des Art 3 EMRK ab (vgl. etwa VwGH, 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

 

Allerdings hatte der EuGH in seinem Urteil vom 18.12.2014, M¿Bodj/Belgien, C-542/13 , klargestellt, dass eine Verletzung des Art 3 EMRK nicht automatisch zur Gewährung des Status von subsidiärem Schutz nach Art 15 der Status-Richtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) führt. Subsidiärer Schutz nach Art 15 lit a und b der Statusrichtlinie verlangt nach dieser Auslegung durch den EuGH, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten verursacht werden muss und nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist. Zugleich hielt der EuGH in dieser Entscheidung auch fest, dass es unionsrechtlich unzulässig sei, den in der Statusrichtlinie vorgesehenen Schutz Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck dieses internationalen Schutzes aufweisen, etwa aus familiären oder humanitären Ermessensgründen.

 

Die in dem Urteil vom 18.12.2014, M¿Bodj/Belgien vom EuGH entwickelten Grundsätze wurden im Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 aufgenommen und festgestellt, dass der österreichische Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben der Statusrichtlinie zur Gewährung des Status subsidiär Schutzberechtigter in § 8 Abs. 1 AsylG entgegen der oben angeführten Rechtsprechung des EuGHs umgesetzt habe.

 

In seiner Entscheidung vom 21.11.2018, Ra 2018/01/0461 (zu Dürre und Lebensmittelknappheit) wiederholt der VwGH, dass es der Statusrichtlinie widerspreche, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen.

 

Zur Frage der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts hat der EuGH zuletzt in der Rechtssache C-384/17 vom 04.10.2018 (Dooel Uvoz-Izvoz Skopje Link Logistic M&N gegen Budapest Rendorfokapitanya) festgelegt, dass von Gerichten alles zu tun sei, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, wobei dies seine Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen finde und nicht als Grundlage einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen dürfe. Wenn eine konforme Auslegung nicht möglich sei, sei das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lasse, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führe.

 

Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ist daher nach den Kriterien des Art 15 der Statusrichtlinie zu prüfen.

Artikel 15 der Statusrichtlinie lautet:

 

"Als ernsthafter Schaden gilt

 

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

 

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

 

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts."

 

Nach der oben zitierten Rechtsprechung des EuGHs, der für die Auslegung des Unionsrechts zuständig ist, ist es für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des Art 15 lit a und b der Statusrichtlinie erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht wird. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführender Verletzungen von Art 3 EMRK.

 

In seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 hat der VwGH auch unter Bezugnahme auf dazu ergangene Urteile des EGMR ausgeführt, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde. Insofern obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Dabei reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden Sicherheitslage ist eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional - sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt - unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 20.09.2017, Ra 2017/19/0205).

 

Im Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, hielt der VwGH zu § 11 Abs. 1 AsylG fest, dass mit dieser Norm der österreichische Asylgesetzgeber von der in Art 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, dem Asylwerber keinen internationalen Schutz zu gewähren, sofern er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat oder keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht (lit. a) oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden gemäß Art. 7 Statusrichtlinie hat (lit. b), und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Zusammenschau mit der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht gegeben sind.

 

Die Herkunftsprovinz des BF ist durch einen bewaffneten Konflikt gekennzeichnet bzw. der Weg dorthin nicht sicher. Das LIB der Staatendokumentation, spricht von einer Steigerung der Sicherheitsvorfälle, insbesondere die Regierungstruppen versuchen wieder die Hoheit über das Gebiet zu erreichen. Es kommt daher zu einer Vielzahl von Bodenangriffen, bei den auch Zivilpersonen getötet werden. Die Taliban und IS sind in diesem Gebiet aktiv und haben die Hoheit über einzelne Regionen in seiner Herkunftsprovinz. Insofern ist die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF derart volatil, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er liefe allein durch seine dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr durch die Taliban als Akteur einer Verletzung des Art 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

 

Diese Gefahr kann aber durch Niederlassung in einem anderem ruhigeren und friedlicheren Teil Afghanistans (interne Fluchtalternative) vermieden werden - konkret MAZAR-E SHARIF oder HERAT. Es ist von dort aus zumindest tagsüber auch ein gefahrloses Reisen auf bzw. durch von der Regierung kontrollierten Straßen möglich. Der BF kann gemäß § 11 Abs. 2 AsylG aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten in MAZAR-E SHARIF und HERAT und seiner persönlichen Umstände auf diese Städte verwiesen werden und ist ihm dort eine Niederlassung zumutbar.

 

Die genannten Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, sind daher sicher erreichbar und stehen unter der Kontrolle der Regierung. Wenngleich es auch dort zu vereinzelten Anschlägen auf symbolträchtige Ziele kommt, muss ein gesunder Erwachsener ohne spezielle Vulnerabilitäten nicht damit rechnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Von einem völligen Zusammenbruch von Recht und Ordnung bzw. Anarchie kann nicht die Rede sein. Die verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen afghanisches Sicherheitspersonal, die Regierung (deren Mitarbeiter) und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren.

 

Eine pauschale Gefahr für den BF wie in den UNHCR-Richtlinie teilweise dargelegt, - nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben - ist auf diese Städte nicht ersichtlich. UNHCR stellte fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen. In den nun aktuellen Länderberichten mit aktualisierter Kurzinformation vom 23.11.2018, sind in diesen beiden Städten keine Anschläge auf Zivilpersonen im alltäglichen Lebensbereich ersichtlich. Die letzten Anschläge sind vorwiegend auf öffentliche Einrichtungen, Islamgelehrtentreffen oder Anschläge bei Wahlen geprägt gewesen. Sodass nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit gerechnet wird, dass der BF einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre.

 

Wie der VwGH aber auch der VfGH (VwGH v. 23.01.2018, Ra 2018/18/001 und VfGH 12.12.2017 E2068/2017-17) festgestellt hat ist unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien - nun aktuell von 30.08.2018, wie oa.- bei der Beurteilung, ob einem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängig. Dazu müssen die persönlichen Umstände des Betroffenen, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Zur Sicherheit ist anzuführen, dass im gegenständlichen Fall bei den beiden Städten ein Gebiet vorliegt, welches aufgrund der staatlichen Sicherheit als nicht volatile Gegend bezeichnet wird und daher eine Gefahr einen ernsthaften Schaden nach Art. 15 lit. a und b. oder c. der Statusrichtlinie nicht zu erwarten ist. Dem BF ist es möglich durch den jeweiligen internationalen Flughafen sicher die Orte zu erreichen. Es ist ihm möglich einen Zugang zu diesen Städten zu erlangen und nicht der Gefahr einer Misshandlung ausgesetzt zu sein. Die Risiken durch den weitverbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) sowie durch Landminen und explosive Kampfmittelrückstände (ERW) oder durch Anschläge und Kämpfe auf Straßen sowie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten durch regierungsfeindliche Kräfte ist in Zusammenschau mit den Länderberichten in den beiden Städten nicht gegeben, die als sicher eingestuft sind und keine dementsprechenden Opferzahlen meldeten.

 

Weiters ist jeder Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Antragsstellers bei der Zumutbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative zu beurteilen. Die maßgeblichen Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

 

Der BF hat keine soziale Unterstützung in diesen Städten ist jedoch der von der Richtlinie auch genannten Ausnahme erfasst, da er jung, arbeitsfähig ist und bereits Berufserfahrung als Stuckateur/Maurer besitzt, keine körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder sonstige Vulnerabilität besitzt. Durch die Unterstützung der Programme ERIN und RESTART II, sowie der Rückkehrhilfe in Afghanistan, wie in den Länderberichten ersichtlich, kann der BF die notwendige Infrastruktur, wie Unterkunft und notwendige Infrastruktur erhalten. Die beiden Städte verfügen über die notwendige Gesundheitsversorgung und der notwendigen Wirtschaft, um eine Ausbildung bzw. Beruf zu erhalten, wenngleich eine schwierige Situation für den BF vorhanden ist. Den afghanischen Kulturkreis kennt der BF, er spricht die Landessprache und hat selbst angegeben im Umfeld von Afghanen aufgewachsen zu sein. Zur wirtschaftlichen Situation von den Städten Mazar-e-Sharif und Herat aufgrund der Dürre ist anzuführen, dass aus den Länderberichten und Anfragen ersichtlich ist, dass die Situation schwierig ist, jedoch keine ausweglose Situation beschrieben ist, zumal der BF für sich alleine sorgen muss, gesund und arbeitsfähig ist und eine Schulausbildung absolviert hat. Der BF kennt die afghanische Kultur und spricht die Landessprache Paschtu und Farsi.

 

Zum Aspekt des wirtschaftlichen Lebens führt der UNHCR ua. aus, dass einen voraussichtlich niedrigeren Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen.

 

Im Übrigen hat auch der VwGH in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. (ebd. Ra 2018/18/001). Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führten zum Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist. Zumal es auch keinen Akteur gibt, der gegenüber dem BF einen ernsthaften Schaden zufügt.

 

Wie bereits unter 3.3. erörtert, liegt auch in Hinblick auf seinen Aufenthalt im Iran oder seit nun fast 4 Jahren in Österreich keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit vor, dass der BF von Dritter Seite eine Verletzung gem. Art 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Es befinden sich hunderttausende von Flüchtlingen in Europa und es ist nicht bekannt

 

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Gem. § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gem. § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG, und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG ergangen.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gem. § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörige oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd. Art 8 EMRK auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte allerdings in das Privatleben des BF eingreifen.

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der VwGH geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und stellt im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, fest, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessensabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der VfGH und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfGH 17.03.2005, G78/04 ua; VwGH vom 26.06.2007; 2007/01/0479). Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Es sind - unter der Schwelle des Art 2 und 3 EMRK - auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

Im gegenständlichen Fall reiste der BF illegal in das österreichische Bundesgebiet ein (vgl. dazu VwGH 22.01.2009, 2008/21/0654). Er hält sich bislang rund dreieinhalb Jahre lang in Österreich auf, somit nicht so lange, als dass man nach vorhin angeführter Rechtsprechung des VwGH von einem schützenswerten Privatleben in Österreich ausgehen könnte. Der bisherige Aufenthalt des BF in Österreich ist ausschließlich auf seinen Antrag auf internationalen Schutz gestützt, wodurch er nie über ein Aufenthaltsrecht, abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund seines Antrags auf internationalen Schutz, verfügt hat. Die Dauer des Verfahrens übersteigt mit dreieinhalb Jahren auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechenden Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, indem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig scheinen lassen. (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.01/09).

 

Selbst wenn man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre der Eingriff in dieses Recht durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig:

 

Dass der BF ist jedoch nicht vorbestraft.

 

Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung.

 

Die sozialen Kontakte in Österreich sind jedoch sehr stark, so hat er sich der europäischen - österreichischen - Kultur angenähert und sein Weiterbildungsbestreben und Integrationsbemühen ist als sehr hoch anzusehen. Der BF besucht zurzeit die 2. Klasse einer Praxis-Handelsschule, welche insgesamt 3 Jahre dauert. Die vielen Empfehlungsschreiben und der Zeuge vor der mündlichen Verhandlung bestätigten seine Integrationsbemühungen.

 

In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass der BF für die Dauer seines Asylverfahrens in Österreich stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt war. Er musste von vornherein damit rechnen, dass es im Falle einer negativen Entscheidung über den Asylantrag zu einer Beendigung des Aufenthalts kommt. Eine Ausweisung - im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung - in derartigen Fällen, in denen sich die betroffene(n) Person(en) der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus bewusst sein musste(n), könne nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen (vgl. hierzu zB: EGMR 11. 04. 2006, Useinov v. The Netherlands, Appl. 61.292/00 bzw. EGMR 08. 04. 2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06).

 

Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB: VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Der BF hat sein gesamtes Leben in Afghanistan - außer den letzten beiden Jahren vor der Ausreise im Iran - verbracht und dort seine Sozialisation erfahren. Er beherrscht die Sprache Paschtu und Farsi; absolvierte eine fünfjährige Schulausbildung in Afghanistan und sammelte Arbeitserfahrung. Sein Umfeld war geprägt durch die afghanische Kultur. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich in die afghanische Gesellschaft eingliedern können wird, zumal er mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut ist. Weiters hat er Kontakte zu seiner Familie.

 

Der BF benötigt in Österreich keine medizinische Behandlung, welche er in seinem Herkunftsland nicht bekommen würde (siehe dazu VwGH 28.04.2015, Ra 2014/180146 bis 0152; VwGH 29.02.2012, 20110/21/0310 bis 0314 und 210/21/0366; VfGH 21.09.2015, E332/2015).

 

Beim BF liegt keine besondere Vulnerabilität vor. Der BF übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

 

In einer Gesamtbetrachtung iS des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Auch der VfGH erkannte es nicht als unverhältnismäßig an, dass selbst bei weitreichenden Integrationsschritten eine Rückkehrentscheidung zulässig ist. Ein Asylwerber, mit allen Integrationsschritten (hervorragende Deutschkenntnisse, Hauptschulabschluss, erfolgreicher Besuch einer HTL, österreichischer Freundeskreis und österreichische Freundin) und dem Bewusstsein, seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte muss dennoch gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens zurücktreten (VfGH 12.06.2013, U 485/2012).

 

Jedoch ergibt sich in ihrem Fall die vorübergehende Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung:

 

Da der BF bereits die 2. Klasse der Praxis-Handelsschule besucht und unter Berücksichtigung der derzeitigen schlechten Situation in den beiden Städten Herat und Mazar-e Sharif, welche wie oa. auch zu berücksichtigen ist, ist eine absolvierte Ausbildung im Herkunftsstaat von Vorteil und im Interesse des BF, sodass es das BVwG es als zweckmäßig und im Sinne der Gesamtabwägung als zulässig erachtet, dass Sie diese Ausbildung abschließen. Daher erscheint eine Rückkehrentscheidung bis zum 03.07.2020 als vorübergehend unzulässig.

 

Aufgrund dieser Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergibt sich, dass eine Rückkehrentscheidung gem. § 9 Abs. 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG hat zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig ist (§ 58 Abs. 2 AsylG).

 

Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ist daher gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG geduldet und eine Abschiebung gem. § 46 FPG nicht zulässig.

 

3.6. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. (Ausreisefrist) des angefochtenen Bescheides:

 

Gem. § 55 Abs. 1 ist mit Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen. Da keine Rückkehrentscheidung zur Ausreise erlassen wurde, ist die Frist nicht auszusprechen.

 

Zu Spruchteil B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

 

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind nicht in der Beschwerde vorgebracht worden, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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