Normen
B-VG Art12 Abs1 Z2
B-VG Art15 Abs6
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1b
NÖ ElektrizitätswesenG 2005 §45 Abs6
Tir ElektrizitätsG 2012 §66
ElWOG 2010 §77
GaswirtschaftsG 2011 §124
KSchG §1
Elektrizitätsbinnenmarkt Richtlinie (EU) 2019/944 EBRL Art27
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:G122.2023
Spruch:
I. Die Behandlung der zu G122/2023 und G129/2023 protokollierten Anträge wird abgelehnt.
II. 1. §45 Abs6 Satz 2 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
3. Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
4. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Niederösterreich verpflichtet.
III. Der zu G138/2023 protokollierte Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG wird abgewiesen, soweit er sich gegen §45 Abs6 Satz 1 und 3 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5, richtet.
IV. 1. Die Behandlung der zu E2193/2023 protokollierten Beschwerde wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge, Beschwerde und Vorverfahren
1. Zu den zu G122/2023 und G129/2023 protokollierten Anträgen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG:
1.1. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG begehrt die Antragstellerin, eine Stromlieferantin im Sinne des §7 Abs1 Z45 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 (ElWOG 2010) sowie des §4 Abs44 Tiroler Elektrizitätsgesetz 2012 (TEG 2012), die Wortfolge "die größte Anzahl von" in §66 Abs2 Satz 1, in eventu §66 Abs2 Satz 1 TEG 2012, jeweils LGBl für Tirol 134/2011, idF LGBl für Tirol 190/2021 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
Im Jahr 2022 begehrten mehrere Haushaltskunden von der Antragstellerin, sie im Rahmen der Grundversorgung mit Strom zu einem bestimmten Arbeitspreis zu versorgen. Die Antragstellerin lehnte das Begehren ab, da sie den begehrten Arbeitspreis für Neukunden nicht mehr anbiete. Die Haushaltskunden erhoben daraufhin vor dem Bezirksgericht Innsbruck Klage gegen die Antragstellerin auf Feststellung, dass diese gemäß §66 Abs1 und 2 TEG 2012 bzw §77 Abs1 und 2 ElWOG 2010 verpflichtet sei, die Kläger mit Strom zu dem von ihnen begehrten Arbeitspreis zu beliefern. Das Bezirksgericht Innsbruck wies die Klagen ab.
1.2. Aus Anlass der gegen diese Urteile erhobenen Rechtsmittel stellt die Antragstellerin die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge. In diesen äußert die Antragstellerin Bedenken, dass die Grundversorgungspflicht gemäß §77 ElWOG 2010 gegen ihre verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verstoße. Ein gesetzlicher Kontrahierungszwang zu nicht kostendeckenden Konditionen sei unsachlich und somit gleichheitswidrig. Aus denselben Gründen verstoße die Regelung weiters gegen die Erwerbsfreiheit (Art6 StGG), die Eigentumsfreiheit (Art5 StGG) und das Verbot der Pflicht- und Zwangsarbeit (Art4 Abs2 EMRK).
1.3. Die Tiroler Landesregierung, die Vorarlberger Landesregierung, die Energie‑Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (E‑Control) sowie die Kläger in den Verfahren vor dem Bezirksgericht Innsbruck erstatteten jeweils eine Äußerung.
2. Zu den zu G138/2023, G156/2023 und G253/2023 protokollierten Anträgen des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG:
2.1. Mit seinen auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Bezirksgericht für Handelssachen Wien, §45 Abs6 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5 zur Gänze (G 138/2023) bzw nur dessen Satz 2 (G156/2023, G253/2023) als verfassungswidrig aufzuheben. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien stellt diese Anträge jeweils in anhängigen Verfahren, denen ein zivilrechtlicher Rechtsstreit zugrunde liegt, in dem ein Verbraucher von einem Energieversorgungsunternehmen die Versorgung mit Strom auf Basis der Grundversorgung gemäß §77 Abs1 und 2 ElWOG 2010 bzw §45 Abs4 und 5 NÖ ElWG 2005 begehrt, das Energieversorgungsunternehmen dies aber unter Hinweis auf §45 Abs6 NÖ ElWG 2005 ablehnt, weil bereits ein aufrechter Stromliefervertrag zwischen den beiden Parteien bestehe bzw ein solcher angeboten worden sei.
2.2. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
§77 ElWOG 2010 regle in Form einer Grundsatzbestimmung die Grundversorgung mit Strom. Abs1 normiere für Energieversorgungsunternehmen einen Kontrahierungszwang, Abs2 sehe eine maximal zulässige Höhe des Tarifes vor, der für die Grundversorgung verlangt werden dürfe.
§45 NÖ ElWG 2005 sei das Ausführungsgesetz zur Grundsatzbestimmung des §77 ElWOG 2010, wiederhole die Regelungen des §77 ElWOG 2010, räume aber in Abs6 – im Unterschied zu der Grundsatzbestimmung – den Stromhändlern und sonstigen Lieferanten ein besonderes Kündigungsrecht ein, wenn ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, einen Stromliefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen.
Insofern widerspreche §45 Abs6 NÖ ElWG 2005 der Grundsatzbestimmung des §77 Abs2 ElWOG 2010, weil das Ausführungsgesetz entgegen der Ermächtigung in §77 Abs1 Satz 3 ElWOG 2010 nicht nähere Bestimmungen über die Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) für die Grundversorgung vorsehe, sondern deren im Grundsatzgesetz normiertes Recht auf bzw die Pflicht der Stromversorgungsunternehmen zur Grundversorgung zu einem maximalen Tarif einschränke.
2.3. Die Niederösterreichische Landesregierung, die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, die E‑Control, die in den Ausgangsverfahren vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien jeweils beklagte Partei sowie die klagende Partei des dem zu G156/2023 protokollierten Antrages zugrunde liegenden Verfahrens vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien erstatteten jeweils eine Äußerung.
3. Zu dem zu E2193/2023 protokollierten Beschwerdeverfahren gemäß Art144 Abs1 B‑VG:
3.1. Die Beschwerdeführerin ist Erdgasversorgerin und -händlerin gemäß §7 Abs1 Z14 und Z68 Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG 2011). Die E‑Control erließ am 2. Februar 2023 einen Bescheid, mit dem sie der Beschwerdeführerin auftrug, binnen vier Wochen einen allgemeinen Tarif der Grundversorgung für Verbraucher mit Erdgas zu veröffentlichen, der entsprechend den Vorgaben des §124 Abs2 GWG 2011 nicht höher sein dürfe als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl der Verbraucherkunden der Beschwerdeführerin versorgt werde.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte darin vor, dass die von der E‑Control ihrem Bescheid zugrunde gelegte Rechtsansicht unter anderem ihre Eigentums- und Erwerbsfreiheit verletze.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31. Mai 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Es teilt die Rechtsansicht der E‑Control und begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Wortlaut des §124 Abs2 erster Satz GWG 2011 klar zum Ausdruck bringe, dass zur Berechnung des Tarifes der Grundversorgung die größte Anzahl aller von der Beschwerdeführerin belieferten Verbrauchskunden heranzuziehen sei und nicht nur – wie von der Beschwerdeführerin gefordert – die Tarife für Neukunden. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken teile das Bundesverwaltungsgericht nicht.
3.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, dass die vom Bundesverwaltungsgericht dem §124 Abs2 Satz 1 GWG 2011 unterstellte Preisobergrenze des Grundversorgungstarifes unter anderem gegen die Erwerbsfreiheit, die Eigentumsfreiheit sowie den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes führe dazu, dass die Beschwerdeführerin ihre Grundversorgung zu Preisen anbieten müsse, die zu Verlustgeschäften führen würden. Die Verpflichtung, Verträge zu nicht kostendeckenden Preisen anzubieten, sei jedoch weder unionsrechtlich geboten noch verhältnismäßig, weil nicht erforderlich. Weiters führe eine solche Interpretation zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis, weil die Berechnung des Grundversorgungstarifes (auch) anhand der laufenden Bestandsverträge an einem unsachlichen Kriterium anknüpfe.
3.3. Die E‑Control und das Bundesverwaltungsgericht legten die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor. Die E‑Control erstattete eine Stellungnahme.
4. Aus Anlass dieser – zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Verfahren leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 des Bundesgesetzes, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und ‑organisationsgesetz 2010 – ElWOG 2010), BGBl I 110, idF BGBl I 174/2013 sowie des §124 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 des Bundesgesetzes, mit dem Neuregelungen auf dem Gebiet der Erdgaswirtschaft erlassen werden (Gaswirtschaftsgesetz 2011 – GWG 2011), BGBl I 107, idF BGBl I 174/2013 ein. Mit Erkenntnis vom 12. März 2024, G1102/2023 ua, hob der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig auf.
II. Rechtslage
1. §77 des Bundesgesetzes, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010 – ElWOG 2010), BGBl I 110, idF BGBl I 174/2013 lautet auszugsweise wie folgt:
"Grundversorgung
§77. (Grundsatzbestimmung) (1) Stromhändler und sonstige Lieferanten, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden zählt, haben ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden in geeigneter Weise (zB Internet) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu diesem Tarif Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern (Pflicht zur Grundversorgung). Die Ausführungsgesetze haben nähere Bestimmungen über die Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG für die Grundversorgung vorzusehen.
(2) Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl ihrer Kunden, die Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG sind, versorgt werden. Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Unternehmer im Sinne des §1 Abs1 Z1 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, der gegenüber vergleichbaren Kundengruppen Anwendung findet. Dem Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG der sich auf die Grundversorgung beruft, darf im Zusammenhang mit der Aufnahme der Belieferung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt.
(3) […]"
2. §124 des Bundesgesetzes, mit dem Neuregelungen auf dem Gebiet der Erdgaswirtschaft erlassen werden (Gaswirtschaftsgesetz 2011 – GWG 2011), BGBl I 107, idF BGBl I 174/2013 lautet auszugsweise wie folgt:
"Grundversorgung
§124. (1) Erdgashändler und sonstige Versorger, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Verbrauchern im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG zählt, haben ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung von Verbrauchern im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG in geeigneter Weise (zB Internet) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu diesem Tarif Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG, und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit Erdgas zu beliefern (Pflicht zur Grundversorgung). Die Regulierungsbehörde ist ermächtigt, nähere Bestimmungen über die Zumutbarkeit einer Grundversorgung und über die Gestaltung der Tarife für Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen für die Grundversorgung durch Verordnung festzulegen.
(2) Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, zu welchem die größte Anzahl ihrer Kunden, welche Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG sind, versorgt werden. Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Kleinunternehmen darf nicht höher sein als jener Tarif, welcher gegenüber vergleichbaren Kundengruppen Anwendung findet. Dem Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG, der sich auf die Grundversorgung beruft, darf im Zusammenhang mit der Aufnahme der Belieferung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt.
(3) […]"
3. §45 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5, lautet wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben, ohne die Hervorhebungen im Original):
"§45
Pflichten der Stromhändler und
sonstigen Lieferanten,
Grundversorgung
(1) Stromhändler und sonstige Lieferanten haben Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung mit elektrischer Energie für Kunden, deren Verbrauch nicht über einen Lastprofilzähler gemessen wird, zu erstellen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie ihre Änderungen sind der Regulierungsbehörde vor ihrem Inkrafttreten in elektronischer Form anzuzeigen und in geeigneter Form (zB Internet) zu veröffentlichen.
(2) Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblätter zwischen Stromhändlern oder sonstigen Lieferanten und Kunden haben zumindest zu enthalten:
1. Name und Anschrift des Stromhändlers oder sonstigen Lieferanten;
2. erbrachte Leistungen und angebotene Qualität sowie den voraussichtlichen Zeitpunkt für den Beginn der Belieferung;
3. den Energiepreis in Cent/kWh inklusive etwaiger Zuschläge und Abgaben;
4. Vertragsdauer, Bedingungen für eine Verlängerung und Beendigung der Leistungen und des Vertragsverhältnisses, Vorhandensein eines Rücktrittsrechts;
5. Modalitäten der Zahlungen, wobei zumindest zwei Zahlungsformen anzubieten sind;
6. etwaige Entschädigungs- und Erstattungsregelungen bei Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Leistungsqualität, einschließlich fehlerhafter und verspäteter Abrechnung;
7. Hinweis auf die zur Verfügung stehenden Beschwerdemöglichkeiten;
8. die Bedingungen, zu denen eine Belieferung im Sinne der Abs4 bis 6 erfolgt;
9. Modalitäten, zu welchen der Kunde verpflichtet ist, Teilbetragszahlungen zu leisten, wobei eine Zahlung zumindest zehn Mal jährlich anzubieten ist.
(3) Die Stromhändler und sonstige Lieferanten haben ihre Kunden nachweislich vor Abschluss eines Vertrages über die wesentlichen Vertragsinhalte zu informieren. Zu diesem Zweck ist dem Kunden ein Informationsblatt auszuhändigen. Dies gilt auch, wenn der Vertragsabschluss durch einen Vermittler angebahnt wird. Dem Kunden sind anlässlich des Vertragsabschlusses die Allgemeinen Geschäftsbedingungen kostenlos auszufolgen. Bei mündlich abgeschlossenen Verträgen hat der Kunde das vor Abschluss des Vertrages besprochene Informationsblatt und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen spätestens mit der Vertragsbestätigung zu erhalten.
(4) Stromhändler und sonstige Lieferanten, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden zählt und die im Land NÖ tätig sind, haben ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden und Kleinunternehmen in geeigneter Weise (z. B. Internet) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, im Landesgebiet zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu diesem Tarif Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern (Pflicht zur Grundversorgung).
(5) Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl ihrer Kunden im Land NÖ, die Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG sind, versorgt werden. Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Kleinunternehmer darf nicht höher sein als jener Tarif, der gegenüber vergleichbaren Kundengruppen im Land NÖ Anwendung findet. Dem Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG, der sich auf die Grundversorgung beruft, darf im Zusammenhang mit der Aufnahme der Belieferung keine Sicherheitsleistung (Barsicherheit, Bankgarantie, Hinterlegung von nicht vinkulierten Sparbüchern) oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilzahlung für einen Monat übersteigt. Gerät der Verbraucher während sechs Monaten nicht in weiteren Zahlungsverzug, so ist ihm die Sicherheitsleistung zurückzuerstatten und von einer Vorauszahlung abzusehen, solange nicht erneut ein Zahlungsverzug eintritt. Anstelle einer Vorauszahlung oder Sicherheitsleistung kann mit Zustimmung des Verbrauchers oder des Kleinunternehmers auch ein Vorauszahlungszähler zur Verwendung gelangen.
(6) Stromhändler und sonstige Lieferanten sind berechtigt, das Vertragsverhältnis zur Grundversorgung aus wichtigem Grund durch Kündigung zu beenden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen. Davon unberührt bleibt das Recht des Stromhändlers oder sonstigen Lieferanten, seine Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis für den Fall einer nicht bloß geringfügigen und anhaltenden Zuwiderhandlung, wie z. B. Missachtung mehrmaliger Mahnungen, so lange auszusetzen, als die Zuwiderhandlung andauert.
(7) Bei Berufungen von Verbrauchern im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen auf die Pflicht zur Grundversorgung sind Netzbetreiber, unbeschadet bis zu diesem Zeitpunkt vorhandener Zahlungsrückstände, zur Netzdienstleistung verpflichtet. Verbrauchern darf im Zusammenhang mit dieser Netzdienstleistung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt. Abs5 vorletzter Satz gilt sinngemäß. Im Falle eines nach Berufung auf die Pflicht zur Grundversorgung erfolgenden erneuten Zahlungsverzuges, sind Netzbetreiber bis zur Bezahlung dieser ausstehenden Beträge zur physischen Trennung der Netzverbindung berechtigt, es sei denn der Kunde verpflichtet sich zur Vorausverrechnung mittels Prepaymentzahlung für künftige Netznutzung und Lieferung. §82 Abs3 ElWOG 2010 gilt im Falle des erneuten Zahlungsverzugs sinngemäß. Die Verpflichtung der Prepaymentzahlung besteht nicht für Kleinunternehmen mit einem Lastprofilzähler.
(8) Eine im Rahmen der Grundversorgung eingerichtete Prepaymentfunktion ist auf Kundenwunsch zu deaktivieren, wenn der Endverbraucher seine im Rahmen der Grundversorgung angefallenen Zahlungsrückstände beim Lieferanten und Netzbetreiber beglichen hat oder wenn ein sonstiges schuldbefreiendes Ereignis eingetreten ist.
(9) Die Behörde kann einem Stromhändler oder sonstigen Lieferanten, der Endverbraucher beliefert, diese Tätigkeit untersagen, wenn er
1. mindestens drei Mal wegen Übertretung dieses Gesetzes oder des Ökostromgesetzes rechtmäßig bestraft worden ist und die Untersagung im Hinblick auf die Übertretungen nicht unverhältnismäßig ist oder
2. nicht die erforderliche Verlässlichkeit besitzt. §53 Abs4 bis 8 gilt sinngemäß.
Von der Untersagung ist der Bilanzgruppenverantwortliche zu verständigen."
4. §66 des Gesetzes vom 16. November 2011 über die Regelung des Elektrizitätswesens in Tirol (Tiroler Elektrizitätsgesetz 2012 – TEG 2012), LGBl für Tirol 134/2011, idF LGBl für Tirol 190/2021 lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"§66
Grundversorgung von Kunden
(1) Stromhändler und sonstige Lieferanten, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden zählt, haben ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden in geeigneter Weise (z. B. auf ihrer Internetseite) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, zu diesem Tarif und zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen Verbraucher im Sinn des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern (Grundversorgung).
(2) Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher im Sinn des §1 Abs1 Z2 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl von Kunden, die Verbraucher im Sinn des §1 Abs1 Z2 KSchG sind, im jeweiligen Versorgungsgebiet versorgt werden. Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Kleinunternehmen darf nicht höher sein als jener Tarif, der gegenüber vergleichbaren Kundengruppen im jeweiligen Versorgungsgebiet Anwendung findet. Dem Verbraucher im Sinn des §1 Abs1 Z2 KSchG, der sich auf die Grundversorgung beruft, darf im Zusammenhang mit der Aufnahme der Belieferung keine Sicherheitsleistung (z. B. Barsicherheit, Bankgarantie, Hinterlegung von nicht vinkulierten Sparbüchern) oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt.
(3) Berufen sich Verbraucher im Sinn des §1 Abs1 Z2 KSchG und Kleinunternehmen auf die Pflicht zur Grundversorgung, so sind Netzbetreiber, unbeschadet bis zu diesem Zeitpunkt vorhandener Zahlungsrückstände, zur Netzdienstleistung verpflichtet. Verbrauchern darf im Zusammenhang mit dieser Netzdienstleistung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt. Abs4 gilt sinngemäß. Im Fall eines nach Berufung auf die Pflicht zur Grundversorgung erfolgenden erneuten Zahlungsverzuges sind Netzbetreiber bis zur Bezahlung dieser ausstehenden Beträge zur physischen Trennung der Netzverbindung berechtigt, es sei denn, der Kunde verpflichtet sich zur Vorausverrechnung mittels Prepaymentzahlung für die künftige Netznutzung und Lieferung. §82 Abs3 ElWOG 2010 gilt im Fall des erneuten Zahlungsverzugs sinngemäß. Die Möglichkeit, sich zur Vorausverrechnung mittels Prepaymentzahlung zu verpflichten, besteht nicht für Endverbraucher mit einem Lastprofilzähler.
(4) Gerät der Verbraucher während sechs Monaten nicht in weiteren Zahlungsverzug, so ist ihm die Sicherheitsleistung rückzuerstatten und von einer Vorauszahlung abzusehen, solange nicht erneut ein Zahlungsverzug eintritt.
(5) Eine im Rahmen der Grundversorgung eingerichtete Prepaymentfunktion ist auf Kundenwunsch zu deaktivieren, wenn der Endverbraucher seine im Rahmen der Grundversorgung angefallenen Zahlungsrückstände beim Lieferanten und Netzbetreiber beglichen hat oder wenn ein sonstiges schuldbefreiendes Ereignis eingetreten ist.
(6) […]"
III. Erwägungen
1. Zu den zu G122/2023 und G129/2023 protokollierten Anträgen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art140 Abs1b B‑VG; vgl VfGH 24.2.2015, G13/2015).
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Die (Eventual‑)Anträge machen geltend, dass §66 Abs2 Satz 1 TEG 2012 auf der verfassungswidrigen grundsatzgesetzlichen Bestimmung des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 beruhe. Wie §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 verstoße auch §66 Abs2 Satz 1 TEG 2012 insbesondere gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Erwerbs- und die Eigentumsfreiheit.
Unter anderem diese Bedenken veranlassten den Verfassungsgerichtshof zur amtswegigen Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit unter anderem des §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010. In diesem Gesetzesprüfungsverfahren konnten diese Bedenken zerstreut werden, sodass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12. März 2024, G1102/2023 ua, ausgesprochen hat, dass §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.
Angesichts dessen erweist sich die in den vorliegenden Anträgen geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des §66 Abs2 Satz 1 TEG 2012 als so wenig wahrscheinlich, dass die Anträge keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der – hinsichtlich des Anfechtungsumfanges der Hauptanträge nicht auf das Vorliegen sämtlicher Prozessvoraussetzungen hin geprüften – Anträge abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
2. Zu den zu G138/2023, G156/2023 und G253/2023 protokollierten Anträgen des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG:
2.1. Die Anträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien sind zulässig:
Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien zweifeln ließe. Insbesondere ist auch der Annahme des antragstellenden Gerichtes, dass es in den Anlassverfahren §45 Abs6 (Satz 2) NÖ ElWG 2005 anzuwenden hat, nicht entgegenzutreten. Da Satz 2 leg cit mit den übrigen Regelungen des §45 Abs6 NÖ ElWG 2005, also dessen Satz 1 und Satz 3, zwar in einem (nicht offenkundig trennbaren) Regelungs-, nicht aber in einem untrennbaren Zusammenhang steht, und der Verfassungsgerichtshof der Präjudizialitätsbeurteilung durch das antragstellende Gericht nur dann entgegenzutreten hat, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 11.373/1987, 20.467/2021), bestehen auch insoweit gegen die Zulässigkeit der Anträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien keine Bedenken.
Der Verfassungsgerichtshof entscheidet – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichen Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über den Umfang der allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen im Zuge der Entscheidung in der Sache, wenn sich der Antrag als begründet erweist.
Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, sind die zu G138/2023, G156/2023 und G253/2023 protokollierten Anträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien zulässig.
2.2. Die Anträge sind auch (teilweise) begründet:
2.2.1. Ein Ausführungsgesetz darf dem Grundsatzgesetz nicht widersprechen (vgl zB VfSlg 2087/1951, 2820/1955, 4919/1965), es also auch nicht in seiner rechtlichen Wirkung verändern (VfSlg 3744/1960, 12.280/1990) oder einschränken (vgl VfGH 15.3.2023, G270/2022 ua). Denn die durch das Bundesgrundsatzgesetz aufgestellten Grundsätze sind für die Landesgesetzgebung unbedingt und in vollem Ausmaß verbindlich (VfSlg 2087/1951).
2.2.2. §77 Abs1 Satz 2 ElWOG 2010 verpflichtet Stromversorgungsunternehmen, zu deren Tätigkeitsbereich (auch) die Versorgung von Haushaltskunden zählt, Verbraucher, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu dem von ihnen festgelegten und veröffentlichten Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden zu beliefern (§77 Abs1 Satz 2 ElWOG 2010). §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ergänzt diese Pflicht zur Grundversorgung um die Anordnung, dass dieser Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem das jeweilige Stromversorgungsunternehmen die größte Anzahl von Haushaltskunden versorgt. Diese Regelung stellt – in Umsetzung von Art27 der Richtlinie (EU) 2019/944 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU , ABl. 2019 L 158, 125 – die Versorgung aller Haushaltskunden mit Elektrizität insbesondere zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen sicher (siehe VfGH 12.3.2024, G1102/2023 ua). Die Grundversorgung im Sinne des §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ist damit allen Haushaltskunden zu einem diskriminierungsfreien Preis gewährleistet, worauf insbesondere die Tarifobergrenze des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 abzielt (auch dazu VfGH 12.3.2024, G1102/2023 ua).
§45 Abs6 Satz 1 NÖ ElWG 2005 sieht eine Kündigungsmöglichkeit der Grundversorgung aus wichtigem Grund vor. Satz 2 leg cit nennt (demonstrativ) als einen solchen wichtigen Grund die Möglichkeit des Abschlusses eines Stromliefervertrages mit einem anderen Stromversorgungsunternehmen außerhalb der Grundversorgung. Satz 3 leg cit stellt weiters klar, dass das Recht des Stromhändlers oder sonstigen Lieferanten, seine Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis für den Fall einer nicht bloß geringfügigen und anhaltenden Zuwiderhandlung, wie die Missachtung mehrmaliger Mahnungen, so lange auszusetzen, als die Zuwiderhandlung andauert, davon unberührt bleibt.
Wesentliche Vorgabe für die Grundversorgung mit Strom ist gemäß der grundsatzgesetzlichen Bestimmung des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 auch, dass die Grundversorgung zu einem Tarif erfolgt, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem das vom Haushaltskunden für die Grundversorgung in Anspruch genommene Stromversorgungsunternehmen die größte Anzahl an Haushaltskunden versorgt. Dem widerspricht eine Kündigungsmöglichkeit für das zur Grundversorgung verpflichtete Stromversorgungsunternehmen (einzig) aus dem Grund, dass ein dritter Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, außerhalb der Grundversorgung einen Stromliefervertrag mit dem die Grundversorgung begehrenden Verbraucherkunden abzuschließen, ohne dass für diesen die Tarifobergrenze der Grundversorgung, wie sie in §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 grundsatzgesetzlich vorgegeben ist, bindend wäre. Eine solche Kündigungsmöglichkeit verstößt damit gegen die grundsatzgesetzlich in §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 geregelte Pflicht zur Grundversorgung für alle Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen.
Daran ändert auch die in §77 Abs1 Satz 3 ElWOG 2010 geregelte Vorgabe, dass die Ausführungsgesetze nähere Bestimmungen über die Verbraucher im Sinne des §1 Abs1 Z2 KSchG für die Grundversorgung vorzusehen haben, nichts, weil diese Bestimmung jedenfalls nicht zu einer Abänderung der verpflichtenden Vorgaben für die Grundversorgung gemäß §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ermächtigt. Inhalt und Reichweite des §77 Abs1 Satz 3 ElWOG 2010 im Übrigen sind hier nicht zu erörtern.
Die Bedenken des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien treffen daher zu. §45 Abs6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 ist wegen Widerspruches zu §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 als grundsatzgesetz- und somit verfassungswidrig aufzuheben (vgl VfSlg 12.280/1990, 16.058/2000, 16.059/2000).
Zur Beseitigung des Verstoßes ist es ausreichend, §45 Abs6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 aufzuheben, weil die übrigen Bestimmungen des §45 Abs6 NÖ ElWG 2005 mit ihrem selbstständigen Regelungsgehalt verbleiben können. Der zu G138/2023 protokollierte Antrag des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien ist daher, soweit er sich auch gegen §45 Abs6 Satz 1 und 3 NÖ ElWG 2005 richtet, abzuweisen (vgl VfSlg 19.658/2012; VfGH 5.10.2022, G173/2022).
3. Zu dem zu E2193/2023 protokollierten Beschwerdeverfahren gemäß Art144 Abs1 B‑VG:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144 Abs2 B‑VG).
Die – zulässige – Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §124 GWG 2011 (siehe VfGH 12.3.2024, G1102/2023 ua) lässt ihr Vorbringen die Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG; zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
IV. Ergebnis
1. Von der Behandlung der zu G122/2023 und G129/2023 protokollierten Anträge wird abgesehen.
2.1. §45 Abs6 Satz 2 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5, ist wegen Verstoßes gegen §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 als grundsatzgesetz- und somit verfassungswidrig aufzuheben.
2.2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
2.4. Die Verpflichtung der Landeshauptfrau von Niederösterreich zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z6 NÖ VerlautbarungsG 2015.
3. Der zu G138/2023 protokollierte Antrag des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien ist abzuweisen, soweit er die Anfechtung von §45 Abs6 Satz 1 und 3 des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl für Niederösterreich 7800‑5, begehrt.
4. Von der Behandlung der zu E2193/2023 protokollierten Beschwerde wird abgesehen. Diese wird gemäß Art144 Abs3 B‑VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
5. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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