VfGH E2493/2023

VfGHE2493/202313.3.2024

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit betreffend die Ausstrahlung des ORF-Beitrags "Inside Demo – Die Welt der Coronaleugner" durch Darstellung der Guerilla Mask Force-Mitglieder als Rechtsextremisten; keine Verletzung des Objektivitätsgebots durch den ORF betreffend die kritische Bewertung eines Zusammenhangs einer "Anti-Corona-Demonstration" von vollständig weiß gekleideten und maskierten Personen sowie mehrerer – derselben Gruppierung zuzurechnenden, ebenso vollständig weiß gekleideten und vor dem Geburtshaus Hitlers mit ausgestrecktem rechten Arm posierenden – Personen mit dem Gedankengut rechtsextremer Gruppierungen; keine Vergleichbarkeit der journalistischen Berichterstattung und kritischen Auseinandersetzung mit identifizierbaren Personen gegenüber einer ausschließlich anonym auftretenden Gruppe

Rechtssatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses des BVwG betreffend die Feststellung der Verletzung des Objektivitätsgebots durch den ORF im Rahmen der Fernsehsendung "Thema" am 22.02.2021. In der zentralen Passage zeigt der Beitrag erst eine vollständig maskierte und insoweit anonyme Personengruppe in weißen Schutzanzügen bei einer "Anti‑Corona‑Demonstration", sodann eine ebenso vollständig maskierte und insoweit anonyme Personengruppe in weißen Schutzanzügen vor Hitlers Geburtshaus und anschließend ein Bild eines bekannten Vertreters der rechtsextremen Szene in Österreich, der in dem Ausschnitt auch ausdrücklich als "Neonazi" bezeichnet wird. Die Passage wird mit dem Text "Auch Rechtsextreme nutzen das Fahrwasser der Demonstrationen. In weiß gekleidete Demonstranten posieren im Jänner vor Hitlers Geburtshaus in Braunau. […] Immer wieder tauchen Bilder des Neonazis A*** auf" kommentiert.

Das BVwG verletzt die durch Art10 EMRK geschützte Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit des ORF, weil es die in Rede stehende Passage ausschließlich als Tatsachenmitteilung und demzufolge Information iSv §4 Abs5 Z1 ORF-G qualifiziert und nicht (auch) der gesetzlichen Kategorie des Kommentares iSd §4 Abs5 Z3 ORF-G zuordnet, für die inhaltlich §10 Abs7 ORF‑G den Maßstab zur Beurteilung insbesondere auch der unter dem Aspekt der journalistischen Sorgfalt gebotenen Recherchetätigkeiten des ORF bildet:

Das BVwG entnimmt dem Beitrag und seiner hier zentralen Passage (ausschließlich) die inhaltliche Aussage, der ORF informiere über die Tatsache, dass es sich bei der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten um eine rechtsextreme Gruppe handle. Damit deutet das BVwG diese Passage im Gesamtzusammenhang des Beitrages in einer mit Art10 EMRK in Widerspruch stehenden Weise, weil es deren Bedeutungsgehalt einer kritischen Bewertung des Eindruckes, den das Verhalten der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten hervorruft, ausblendet.

Stellt man die schon im Titel des Beitrages zum Ausdruck kommende und etwa auch in der Anmoderation ausdrücklich angesprochene Intention des Beitrages, die Personen und Gruppierungen, die sich regelmäßig an "Anti-Corona-Demonstrationen" beteiligen, und deren Beweggründe zu beleuchten, in Rechnung, so ergibt sich aus dem Beitrag zunächst, dass eine Gruppe weiß gekleideter, vollständig maskierter und insoweit anonym auftretender Demonstranten mehrfach an derartigen Demonstrationen teilgenommen hat. Dies ist ebenso unbestritten wie der Umstand, dass eine derselben Gruppierung zuzurechnende Anzahl von Personen ebenso vollständig weiß gekleidet und maskiert vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau für ein Foto posiert und dieses selbst im Internet verbreitet hat, das jedenfalls eine erhebliche Anzahl der Personen mit ausgestrecktem (rechten) Arm zeigt.

Der Beitrag stellt nun zwischen der Teilnahme der in Rede stehenden Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti-Corona-Demonstrationen" und dem genannten Foto einen Zusammenhang her, dessen Aussage zunächst unzweifelhaft dahin geht, diese Gruppierung mit rechtsextremen Einstellungen in Verbindung zu bringen. Dies wird in der wesentlichen Passage vor allem durch den Hinweis vermittelt, dass die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti-Corona-Demonstrationen" teilnehme, was auch rechtsextreme Gruppierungen täten, die diese Demonstrationen für ihre Zwecke benützen würden. Das Foto der weiß gekleideten Gruppe von Personen in Braunau dient dem Beitrag damit als Anker und Begründung dafür, zum Ausdruck zu bringen, dass die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten es nicht scheut, in einem rechtsextrem konnotierten Kontext als Gruppierung aufzutreten und das mit ihrem Auftreten verbundene Anliegen in einen solchen Kontext zu stellen.

Diese Passage des Beitrages thematisiert damit das grundsätzliche Anliegen des gesamten Beitrages, darauf hinzuweisen, dass sich unter den Teilnehmern an "Anti-Corona-Demonstrationen" nicht nur Personen (im Beitrag als "besorgte Bürgerinnen und Bürger" bezeichnet) befinden, die ihre Kritik an als grundrechtswidrig erachteten Maßnahmen der Behörden zur Pandemiebekämpfung vorbringen, sondern einerseits auch rechtsextreme Gruppierungen und Personen an diesen Demonstrationen teilnehmen, die diese für ihre Zwecke missbrauchen würden. Zum Spektrum der Teilnehmer an den Demonstrationen, worauf der Beitrag eben auch hinweist, zählt andererseits auch die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten, die den Kontext zu rechtsextremem Gedankengut jedenfalls nicht scheut und mit diesem Kontext auch spielt, um ihre Botschaften zu vermitteln.

In diesem Verständnis thematisiert der Beitrag ein heikles demokratisches und rechtsstaatliches Problem, indem er auch auf die Schwierigkeit der Darstellung von und kritischen Auseinandersetzung mit Personen und Gruppierungen hinweist, die derartige rechtsextreme Konnotationen nicht scheuen und auch unter Umständen suchen, sich aber einer eindeutigen Zuschreibung entziehen. Damit vermögen sie sich möglicherweise nicht nur über weite Strecken gegen eine unmittelbare Kritik an diesem Verhalten und den damit verbundenen Botschaften zu immunisieren, sondern es werden auch Personen und Gruppierungen, die auf derartigen Demonstrationen im Lichte des Art10 EMRK legitimerweise Kritik an staatlichen Maßnahmen artikulieren, insoweit mitdiskreditiert, als ein Eindruck, den extreme Personen und Gruppierungen durch ihre Teilnahme an solchen Demonstrationen offen erwecken, implizit verstärkt wird.

Solche Zusammenhänge zum Thema zu machen, liegt zunächst jedenfalls im Informationsauftrag des ORF, und zwar in einem umfassenden, Nachrichten im Sinne von §4 Abs5 Z1 ORF-G und Kommentare und Sachanalysen iSv §4 Abs5 Z3 ORF-G gleichermaßen umfassenden Sinn. Es ist wesentlicher Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrages des ORF, solche Entwicklungen und Zusammenhänge aufzuzeigen und einer kritischen öffentlichen Diskussion auszusetzen, wie sie Art10 EMRK als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft vor Augen hat.

Damit ist es im Hinblick auf Art10 EMRK entscheidend, die Aussagen des in Rede stehenden Beitrages für ihre Bewertung am Maßstab der Objektivität der Informationsvermittlung einerseits bzw der kritischen Bewertung andererseits zuzuordnen und damit den jeweils unterschiedlichen Maßstäben, die §4 ORF-G und §10 ORF-G jeweils für die Beurteilung der Objektivitätsanforderungen vorgeben, entsprechend Rechnung zu tragen.

Dass der vorliegende Beitrag im Rahmen der Sendung "Thema" des ORF gesamthaft als "Reportage" bezeichnet werden kann, führt nicht dazu, dass alle Aussagen dieses Beitrages allein der Vermittlung von Nachrichten iSd §4 Abs5 Z1 ORF‑G zuzuordnen wären oder gar zugeordnet werden müssten. Vielmehr dienen gerade derartige "Reportagen" insbesondere auch der kritischen Bewertung tatsächlicher Ereignisse und ihrer Hintergründe.

Ausgehend von der Tatsache, dass eine Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti-Corona-Demonstrationen" teilnimmt und dass diese Gruppierung von sich aus in bestimmter Art und Weise vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau für ein Foto posiert, ist der im Beitrag in seiner zentralen Passage hergestellte Zusammenhang zu dem Gedankengut von rechtsextremen Personen, die ebenfalls an den "Anti-Corona-Demonstrationen" teilnehmen, als kritische Bewertung des Verhaltens der Gruppe zu qualifizieren, mit dem diese gerade einen derartigen Kontext herstellt.

Eine solche kritische Bewertung des Verhaltens der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten kann im Lichte des Art10 EMRK von der Tatsache des von der Gruppe selbst im Internet veröffentlichten Fotos vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau ausgehen und das Verhalten der Gruppe in einen entsprechenden Zusammenhang stellen. Der Umstand, dass, wie die beteiligte Partei im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorbringt, die weiß gekleideten Personen nicht nur vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler, sondern dort um den Mahnstein gegen Krieg und Faschismus gruppiert sind, vermag an dieser Zulässigkeit der kritischen Bewertung durch den ORF nichts zu ändern. Denn von seinem objektiven Erklärungswert aus der Perspektive des Durchschnittsbetrachters ist diesem Foto, das jedenfalls eine erhebliche Anzahl der Personen in der Gruppe mit ausgestrecktem (rechten) Arm vor Hitlers Geburtshaus zeigt, eine erkennbare antifaschistische Intention der Gruppierung angesichts des Gesamtkontextes des Fotos nicht zu entnehmen. Vielmehr muss sich die Gruppierung die objektive Anmutung dieses Fotos zurechnen lassen, die entsteht, wenn man in derartiger Art und Weise vor dem Geburtshaus Adolf Hitlers posiert.

Wenn die Gruppierung selbst ausschließlich anonym, also unkenntlich in weiße Schutzanzüge gekleidet, auftritt, kommt es für die Beurteilung dieses Verhaltens auf den objektiven Erklärungswert dieses Verhaltens an. Eine ausschließlich anonym auftretende Gruppe muss sich in ihrem kommunikativen Eindruck an diesem anonymen Verhalten in der Öffentlichkeit messen lassen. Wenn die Einordnung und Bewertung dieses Verhaltens wegen der Anonymität nur wiederum anonym gruppenbezogen erfolgt und erfolgen kann (es gibt keine Anhaltspunkte im Verfahren, dass die hinter der Maskierung stehenden Menschen einer [einschlägigen] Öffentlichkeit bekannt wären oder im Beitrag bekannt gemacht worden wären), ist es im Hinblick auf Art10 EMRK zulässig und ausreichend, für eine kritische Bewertung auf dieses anonyme Gruppenverhalten abzustellen.

Indem das BVwG davon ausgeht, dass – wie in der kritischen Auseinandersetzung mit identifizierbaren Personen – journalistische Berichterstattung eine Stellungnahme der Betroffenen ermöglichen und daher die Anonymität aufdecken muss, um eine individuelle Aussage einzelner Mitglieder aus der anonymen Gruppe für diese zu erhalten, unterstellt das BVwG den gesetzlichen Objektivitätsanforderungen einen die journalistische Berichterstattungsfreiheit verkennenden Inhalt. Wer anonym auftritt, setzt dieses anonyme Verhalten der öffentlichen und damit insbesondere journalistischen Beurteilung aus. Anderes gilt erst, wenn die journalistische Tätigkeit legitimierweise auch darauf abzielt, die hinter anonymen Gruppen stehenden individuellen Personen zu identifizieren und damit diese der öffentlichen Diskussion auszusetzen.

Diese im Hinblick auf Art10 EMRK relevanten Zusammenhänge hat das BVwG verkannt, wenn es davon ausgeht, dass die einschlägige Passage im Gesamtzusammenhang des Beitrages ausschließlich am Objektivitätsgebot des §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF-G zu messen wäre. Weiters hat es die Vorgaben des Art10 EMRK dadurch verkannt, dass es den ORF jedenfalls gehalten gesehen hat, den Kontakt zu den die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten bildenden individuellen Personen herzustellen und diesen Gelegenheit zur Stellungnahme zu ihrem anonymen Verhalten in der Öffentlichkeit zu geben. Das BVwG hat insofern den §§4 und 10 ORF-G einen mit der durch Art10 EMRK geschützten Rundfunkfreiheit, insbesondere der journalistischen Gestaltungsfreiheit des ORF, nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt.

Meinungsäußerungsfreiheit — Rundfunk — COVID (Corona) — Objektivitätsgebot — Medienrecht — Rundfunkfreiheit — Fernsehen terrestrisches

 

Normen

BVG-Rundfunk ArtI Abs2
EMRK Art10
ORF-G §4, §10, §36, §37
VfGG §7 Abs1

E2493/2023VfGH13.03.2024

Dokumentnummer

JFR_20240313_23E02493_01

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