VfGH E2493/2023

VfGHE2493/202313.3.2024

Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit betreffend die Ausstrahlung des ORF-Beitrags "Inside Demo – Die Welt der Coronaleugner" durch Darstellung der Guerilla Mask Force-Mitglieder als Rechtsextremisten; keine Verletzung des Objektivitätsgebots durch den ORF betreffend die kritische Bewertung eines Zusammenhangs einer "Anti-Corona-Demonstration" von vollständig weiß gekleideten und maskierten Personen sowie mehrerer – derselben Gruppierung zuzurechnenden, ebenso vollständig weiß gekleideten und vor dem Geburtshaus Hitlers mit ausgestrecktem rechten Arm posierenden – Personen mit dem Gedankengut rechtsextremer Gruppierungen; keine Vergleichbarkeit der journalistischen Berichterstattung und kritischen Auseinandersetzung mit identifizierbaren Personen gegenüber einer ausschließlich anonym auftretenden Gruppe

Normen

BVG-Rundfunk ArtI Abs2
EMRK Art10
ORF-G §4, §10, §36, §37
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:E2493.2023

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.117,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Erstbeschwerdeführer ist der Österreichische Rundfunk (ORF). Der Zweitbeschwerdeführer ist dessen Generaldirektor. Der beschwerdeführende ORF strahlte am 22. Februar 2021 in seinem Fernsehprogramm die Sendung "Thema" aus. Im Rahmen dieser Sendung wurde ein Beitrag mit dem Titel "Inside Demo – Die Welt der Coronaleugner" gesendet, der die gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID‑19‑Pandemie stattfindenden Demonstrationen zum Gegenstand hat.

Der Beitrag thematisiert die unterschiedlichen Motive und Haltungen der Menschen und Gruppierungen, die an den zur damaligen Zeit häufigen "Anti‑Corona‑Demonstrationen" an unterschiedlichen Orten in Österreich teilgenommen haben. Dabei wird wesentlich auch darauf hingewiesen, dass rechtsextreme Personen und Gruppierungen diese Demonstrationen und ihre Anliegen für ihre Zwecke nutzen. Weiters werden auch Gruppen von in weißen Schutzanzügen vollständig verhüllten und maskierten Personengruppen gezeigt, die an solchen Demonstrationen etwa in Wien oder Innsbruck teilgenommen haben.

In einer im vorliegenden Zusammenhang zentralen Passage zeigt der Beitrag erst eine vollständig maskierte und insoweit anonyme Personengruppe in weißen Schutzanzügen bei einer "Anti‑Corona‑Demonstration", sodann eine ebenso vollständig maskierte und insoweit anonyme Personengruppe in weißen Schutzanzügen vor Hitlers Geburtshaus und anschließend ein Bild eines bekannten Vertreters der rechtsextremen Szene in Österreich, der in dem Ausschnitt auch ausdrücklich als "Neonazi" bezeichnet wird. Die Passage wird mit dem Text "Auch Rechtsextreme nutzen das Fahrwasser der Demonstrationen. In weiß gekleidete Demonstranten posieren im Jänner vor Hitlers Geburtshaus in Braunau. […] Immer wieder tauchen Bilder des Neonazis A*** auf" kommentiert.

2. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2021, KOA 12.042/21‑10, stellte die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) auf Grund einer Popularbeschwerde gemäß §36 Abs1 Z1 litb ORF‑Gesetz (ORF‑G) unter anderem fest, dass der ORF durch diesen Beitrag das Objektivitätsgebot gemäß §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF‑G dadurch verletzt habe, "dass sich die getroffene Aussage, dass es sich bei der Gruppe von weiß gekleideten Demonstranten [bei] einer 'Anti‑Corona-Demonstration' und vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler um Rechtsextreme handelt, nicht aus den vom ORF herangezogenen Recherchequellen ergibt."

Die KommAustria verpflichte in Spruchpunkt 2. des Bescheides den ORF gemäß §37 Abs4 ORF‑G, binnen sechs Wochen ab Rechtskraft des Bescheides dieses Ergebnis im Rahmen der Fernsehsendung "Thema" an einem Werktag durch Verlesung des einschlägigen Spruchpunktes zu veröffentlichen und weiters diese Veröffentlichung binnen weiterer zwei Wochen nachzuweisen (Spruchpunkt 3.).

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27. Juni 2023 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass die Gestaltung der oben erwähnten zentralen Passage des Beitrages – insbesondere die Schnittabfolge der gezeigten Bilder – beim Durchschnittsbetrachter den Eindruck erwecke, dass der ORF die Gruppe von weiß gekleideten Demonstranten in Wien und auf dem eingeblendeten Foto in Braunau als rechtsextrem bezeichne und diese in einen Zusammenhang mit einer dem neonazistischen Spektrum zuzuordnenden Person stelle. Diese als Tatsachenbehauptung qualifizierte Zuschreibung, wonach es sich bei der Gruppe von weiß gekleideten Demonstranten bei einer "Anti-Corona-Demonstration" und der vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau fotografierten Gruppe um Rechtsextreme handle, ergäbe sich aber nicht aus dem vom ORF bis zur Ausstrahlung der Sendung zusammengetragenen Recherchesubstrat. Der ORF habe den bei der Recherche notwendigen Maßstab journalistischer Sorgfalt nicht eingehalten, indem er keine nachhaltigen bzw ernsthaften Versuche unternommen habe, mit der von ihm als rechtsextrem bezeichneten Gruppe weiß gekleideter Demonstranten in Kontakt zu treten, um dieser Gruppe Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe den das Objektivitätsgebot normierenden §4 Abs5 Z1 und §10 Abs5 ORF‑G einen Art10 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt,

"wenn es davon ausgeht, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund der Gestaltung des Beitrages die Gruppe von weiß gekleideten Demonstranten in Wien und jene auf dem eingeblendeten Foto in Braunau als Rechtsextreme bezeichnet und diesen eine Verbindung mit dem neonazistischen Spektrum unterstellt. Bei dieser Beurteilung wird eine zergliedernde bzw punktuelle und mithin den Gesamtzusammenhang missachtende Betrachtung vorgenommen und dadurch den Beschwerdeführern eine Meinungsäußerung unterstellt, die sie nicht abgegeben haben und auch nicht wollten. Dass die 'Gue[r]illa Mask Force' vor dem Hitler Geburtshaus (und nicht zum Beispiel vor dem Bundeskanzleramt) posiert hat, hat nicht der ORF zu verantworten.

 

Schon in der Anmoderation des Beitrages heißt es […]: 'Jede Woche demonstrieren Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft machen, Seite an Seite mit Impfgegnern und auch Rechtsextremen, die die Welle der Angst für ihre Zwecke nutzen.' In weiterer Folge wird dargestellt, dass die Corona‑Demonstrationen durch ganz unterschiedliche Personen- und Interessengruppen gespeist und genutzt werden, darunter auch rechtsextreme Gruppierungen. So heißt es zB im Kontext einer im Bild zu sehenden Demo am Karlsplatz […], dass die Teilnehmer 'eine bunte Melange aus besorgten Bürgerinnen und Bürgern, Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen und Esoterikerinnen sind'.

 

Im Gesamtkontext des Beitrages ist daher klar, dass nicht alle Personen, die an den Corona‑Demonstrationen teilnehmen, Rechtsextreme sind. Insofern ist es auch verfehlt, aus einer isolierten Betrachtung von wenigen Sekunden des Beitrags abzuleiten, dass aufgrund der Nähe jener Sequenz, in welcher die Mitglieder der Gruppe 'Guerilla Mask Force' zu sehen sind, zur – an dieser Stelle schon das dritte oder vierte Mal im Betrag vorkommenden – Bezugnahme auf die Teilnahme auch von Rechtsextremen zu schließen, dass auch die Mitglieder dieser Gruppe – noch dazu allesamt – Rechtsextreme sind. Vielmehr wird unmittelbar davor namentlich auf den Rechtspopulisten B*** Bezug genommen. Dann folgt jene Sequenz in der die Mitglieder der Gruppe 'Guerilla Mask Force' zu sehen sind und danach wird eine Sequenz eingespielt, in welcher der Rechtsextreme A*** bei einer der Demonstrationen zu sehen ist. Im Anschluss an diese Sequenz sagt Herr C*** wörtlich: 'Ich weiß aber auch, dass Herr A*** auch bei den Demonstrationen in der Hainburger Au anwesend war. Mit der Frau D***, mit all den wichtigen Grünen, die heute in der Regierung sind, und mit der ÖVP. Und die haben damals auch nicht beschlossen, weil der Herr A*** da ist, gehen wir nach Hause und opfern die Au. Und genauso wenig werden wir unsere Grundrechte opfern, weil vielleicht angeblich unter 50.000 Menschen einer davon A*** heißt.' Danach sagt die Sprecherin: 'Immer wieder werden Hitlergrüße auf den Demos dokumentiert. Die Unterwanderung durch radikale Gruppen ist nicht die einzige Nebenwirkung: […]'.

 

Im Gesamtkontext geht es daher darum die Durchmischung der Corona-Demonstrationen mit Rechtspopulisten oder Rechtsextremen deutlich zu machen, nicht aber darum auszusagen, dass alle Personen oder Gruppierungen, die in diesen knapp 20 Sekunden im Bild sind, Rechtsextreme sind. Indem das BVwG dies verkennt, unterstellt es dem Beitrag und damit den Beschwerdeführern eine Aussage, die er nicht hat" (ohne die Hervorhebungen im Original).

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift, ebenso wie die belangte Behörde, aber Abstand genommen.

6. Die mitbeteiligte Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie Folgendes ausführt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Teilnehmende der Kunstaktion 'Guerilla Mask Force', die in vielen Städten stattfand, trugen ihre Kritik an der Corona‑Maßnahmen-Politik durch Kunstperformance, die zum Denken anregen sollte, aktionistisch vor. Typische Statements - etwa 'Masken für immer' oder 'Kontaktverbot' - wurden dabei von weiß gekleideten Teilnehmern dieses Protestes auf Schildern um den Hals getragen. Dazu ertönte aus einem Lautsprecher eine künstliche Stimme, die Slogans wie die folgenden vortrug: 'Desinfektionsschleusen in öffentlichen Einrichtungen', 'Alleine sterben lassen ist Nächstenliebe', 'Wahre Freiheit findet in der Isolation statt'.

Durch diese sehr einseitige, aus dem inhaltlichen Kontext gerissene Darstellung der Performance‑Gruppe durch den ORF musste für Zuseherinnen und Zuseher der Eindruck entstehen, die an der Kunstaktion Beteiligten seien Rechtsextreme. Sie wurden unter anderem in die Nähe des bereits einschlägig vorbestraften A*** gerückt und es wurde ein Foto der Gruppe vor dem Mahnstein vor Hitlers Geburtshaus in Braunau mit der Aufschrift 'Für Frieden Freiheit und Demokratie nie wieder Faschismus Millionen Tote mahnen' gezeigt […].

[…]

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kam hervor, dass der für den gegenständlichen Beitrag verantwortliche Redakteur […] den Mahnstein wider den Faschismus zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung nicht kannte. Er hatte nach eigenen Angaben nur das Geburtshaus Hitlers 'im Kopf'. Ein Mahnstein, vor dem übrigens auch die 'Omas gegen Rechts' bei einer Veranstaltung mit E*** posierten […].

 

Die Begründung der vorliegenden Beschwerde entfernt sich zum einen von dem aufgrund eines fundiert durchgeführten Beweisverfahrens mängelfrei festgestellten Sachverhalt, es verkennt aber auch die rechtlichen Grundlagen. Denn das geforderte Ausmaß der gebotenen Sachlichkeit (Objektivität) bestimmt sich stets nach dem Thema der jeweiligen Sendung, sodass der inhaltliche Gesamtkontext auch für die Beantwortung der Frage relevant ist, ob ein Beitrag dem Objektivitätsgebot entspricht oder nicht. Bereits der tendenziöse Titel 'Inside Demo – Die Welt der Coronaleugner' sowie der offensichtlich grundsätzliche Zugang der Beschwerdeführer, dass es sich bei 'Anti‑Corona-Demonstrationen' um in ganz Österreich stattgefundene Kundgebungen handelte, die 'aus einer Mischung von besorgten Bürger:innen, Verschwörungstheoretikern, Esoteriker:innen und Rechtsextremen handelte' […], zeigt angesichts der hohen Zahl an ganz gewöhnlichen Demonstrationsteilnehmern in der Zeit der Jahre Ende 2020, 2021 und 2022 eine mit dem Objektivitäts- und Neutralitätsgebot nur schwer vereinbare Voreingenommenheit. Auch die Tatsache, dass sich der Erstbeschwerdeführer die wesentlichen Informationen für seine Berichterstattung über Demonstrationen gegen (möglicherweise) grundrechtswidrige Maßnahmen primär beim Bundesministerium für Inneres holte, welches aber aufgrund der damit verbundenen Regierungskritik mit Adressat von öffentlichen Protesten ist, zeigt ebenso mit besonderer Deutlichkeit, dass der ORF in dieser, für Millionen Menschen so essentiellen Thematik nicht gewillt war, sich auf sachlicher Ebene mit den kontroversiellen Standpunkten während der Corona-Krise auseinander zu setzen bzw überhaupt das verfassungsrechtlich gewährleistete Demonstrationsrecht in diesem Konnex angemessen anzuerkennen.

 

[…]

Besonders signifikant zeigt sich die zweifelhafte Rolle der Beschwerdeführer, dem öffentlich‑rechtlichen Rundfunk, auf dieser Ebene seiner Berichterstattung dann, wenn man sich vor Augen hält, wie inkonsistent der eigene Standpunkt des ORF in diesem Verwaltungsverfahren vertreten wurde. In seinen Stellungnahmen sowohl im Verfahren bei der KommAustria als auch vor dem BVwG wechselte der ORF augenscheinlich in seiner Argumentation zwischen den widersprüchlichen Ansätzen, man hätte die Kunstperformance der weiß gekleideten Demonstrantengruppe nicht ins rechtsextreme Licht rücken wollen, während nahezu gleichzeitig zur versuchsweisen Verbesserung des eigenen Prozessstandpunktes stapelweise Belege vorgelegt wurden, um die Künstlergruppe im Verfahren doch noch in die Nähe von Rechtsextremismus zu rücken. Erst als die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer im penibel durchgeführten Beweisverfahren vor dem BVwG realisieren musste, dass es für einen Vorwurf einer rechtsextremen Gesinnung gegenüber der weiß gekleideten Kunstgruppe 'Guerilla Mask Force' überhaupt keine Sachgrundlage gibt, sondern diese weiß gekleideten Demonstranten – wenn auch auf Corona‑Kundgebungen – gerade das Gegenteil, nämlich Protest gegen willkürliche und unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen zum []Ausdruck bringen wollten, zogen sich die Beschwerdeführer – leicht durchschaubar – auf ihren nunmehrigen Standpunkt zurück, in Wahrheit eine solche Verbindung mit dem neonazistischen Spektrum gar nie hergestellt zu haben.

[…]

Unter Berücksichtigung der zuvor geschilderten Ausgangslage schlägt auf Basis der im angefochtenen Erkenntnis (unbeanstandet) getroffenen Tatsachenfeststellungen auch das Kernargument der Beschwerdeführer, das BVwG hätte 'eine zergliedernde bzw punktuelle und mithin den Gesamtzusammenhang missachtende Betrachtung vorgenommen und dadurch den Beschwerdeführern eine Meinungsäußerung unterstellt, die sie nicht abgegeben haben und auch nicht wollten', gänzlich fehl. Richtig ist zwar, dass ein ORF‑Bericht bei der Beurteilung der Einhaltung des Objektivitätsgebots nicht in Einzelteile zerlegt werden darf, dies ändert aber am Ergebnis des gegenständlichen Streitfalles nichts, weil auch die Konsumation des gesamten Inhaltes der gegenständlichen Sendung 'Thema' vom 22.02.2021 beim Durchschnittsbetrachter keinen anderen Eindruck erzeugen würde. Faktum ist nämlich unbestreitbar, dass es zum offenkundigen Framing der weiß gekleideten Demonstrantengruppe als rechtsextrem im weiteren Beitrag an keiner Stelle eine ausgleichende Relativierung oder ein Statement eines der Betroffenen gab, sondern deren Foto gezielt im Kontext des an dieser Stelle der Sendung pauschal erhobenen Vorwurfes, dass 'auch Rechtsextreme das Fahrwasser der Demonstrationen nutzen und in weiß gekleidete Demonstranten im Jänner vor Hitlers Geburtshaus in Braunau posieren und immer wieder Bilder des Neonazis A*** auftauchen' gebracht wurde."

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF‑Gesetz, ORF‑G), BGBl 379/1984 (WV), idF BGBl I 247/2021 lauten wie folgt:

"Öffentlich-rechtlicher Kernauftrag

§4. (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß §3 verbreiteten Programme und Angebote zu sorgen für:

1. die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen;

2. die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens;

3. […]

Der Österreichische Rundfunk hat, soweit einzelne Aufträge den Spartenprogrammen gemäß §§4b bis 4d übertragen wurden, diese Aufgaben auch im Rahmen der Programme gemäß §3 Abs1 wahrzunehmen; der öffentlich-rechtliche Kernauftrag bleibt durch die Spartenprogramme insoweit unberührt.

(2) […]

(4) Insbesondere Sendungen und Angebote in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft haben sich durch hohe Qualität auszuzeichnen. Der Österreichische Rundfunk hat ferner bei der Herstellung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen sowie sonstigen Angeboten auf die kulturelle Eigenart, die Geschichte und die politische und kulturelle Eigenständigkeit Österreichs sowie auf den föderalistischen Aufbau der Republik besonders Bedacht zu nehmen.

(5) Der Österreichische Rundfunk hat bei Gestaltung seiner Sendungen und Angebote weiters für

1. eine objektive Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten und Reportagen einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und gegebenenfalls der Übertragung ihrer Verhandlungen;

2. die Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen;

3. eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität

zu sorgen.

(5a) […]

 

Inhaltliche Grundsätze

§10. (1) Alle Sendungen des Österreichischen Rundfunks müssen im Hinblick auf ihre Aufmachung und ihren Inhalt die Menschenwürde und die Grundrechte anderer achten.

(2) Die Sendungen und das Onlineangebot dürfen nicht zu Hass oder Gewalt gegen eine Personengruppe oder eine einzelne Person dieser Gruppe auf Grund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung aufstacheln und keine Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat (§278c StGB) enthalten.

(3) Das Gesamtangebot hat sich um Qualität, Innovation, Integration, Gleichberechtigung und Verständigung zu bemühen.

(4) Die umfassende Information soll zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung im Dienste des mündigen Bürgers und damit zum demokratischen Diskurs der Allgemeinheit beitragen.

(5) Die Information hat umfassend, unabhängig, unparteilich und objektiv zu sein. Alle Nachrichten und Berichte sind sorgfältig auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen, Nachricht und Kommentar deutlich voneinander zu trennen.

(6) Die Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen ist angemessen zu berücksichtigen, die Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre des Einzelnen sind zu achten.

(7) Kommentare, Analysen und Moderationen haben sachlich zu sein und auf nachvollziehbaren Tatsachen zu beruhen.

(8) […]"

III. Erwägungen

1. Die angefochtene Entscheidung greift in die durch Art10 EMRK geschützte Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit des ORF ein (VfSlg 12.086/1989, 19.742/2013, 19.854/2014, 20.427/2020).

2. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine den Bescheid der KommAustria bestätigende Entscheidung mit Anforderungen an den ORF aus §4 Abs5 Z1 und §10 Abs5 ORF‑G. Diese gesetzlichen Regelungen stützen sich zur Umsetzung der Vorgaben des ArtI Abs2 BVG Rundfunk auf Art10 Abs1 Satz 3 EMRK (vgl zur Differenzierung zwischen Art10 Abs1 Satz 3 EMRK und Art10 Abs2 EMRK als Schranke der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung des Art10 Abs1 EMRK VfSlg 17.082/2003, 20.427/2020). Angesichts der – auch vom beschwerdeführenden ORF nicht in Zweifel gezogenen – grundsätzlichen Unbedenklichkeit der vom Bundesverwaltungsgericht angewendeten Rechtsgrundlagen, die den ORF als öffentlich‑rechtlichen Rundfunkveranstalter spezifischen Regelungen unterwerfen, bleibt im Folgenden zu prüfen, ob das Bundesverwaltungsgericht diese Bestimmungen deswegen denkunmöglich angewendet hat, weil es dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen, hier also die besonderen Schranken des Art10 EMRK missachtenden Inhalt unterstellt, indem es aus §4 Abs5 Z1 und §10 Abs5 ORF‑G eine Beschränkung der Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit des ORF ableitet, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der durch Art10 Abs1 Satz 3 EMRK und ArtI Abs2 BVG Rundfunk sowie Art10 Abs2 EMRK geschützten Zielsetzungen nicht notwendig ist (VfSlg 12.086/1989, 16.468/2002).

3. Für das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner Begründung der Verletzung des Objektivitätsgebotes maßgeblich, dass die hier zentral in Rede stehende Passage der Reportage beim Durchschnittsbetrachter – auch unter Berücksichtigung der gesamten Sendung – keinen anderen Eindruck zulasse als jenen, dass der ORF die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten bei "Anti‑Corona‑Demonstrationen" und auf dem eingeblendeten Foto in Braunau als rechtsextrem bezeichne. Angesichts der Aufmachung, des Bildschnittes, des gesprochenen Textes und der Kürze der inkriminierten Passage ohne weitere Klarstellung oder Erläuterung könne der Durchschnittsbetrachter keinen anderen Eindruck erhalten.

Diese Tatsachenbehauptung sei nur dann mit dem Objektivitätsgebot vereinbar, wenn der ORF diese in ausreichendem Maße auf ihre Richtigkeit hin überprüft und für zutreffend befunden habe. Dieser Maßstab sei bei der Berichterstattung über politischen Extremismus besonders streng, sei es doch die Intention des Objektivitätsgebotes, gerade bei Themen mit Extremismusbezug eine ausgewogene und objektive Berichterstattung zu gewährleisten. Der Vorwurf des Extremismus erfordere deshalb ein besonders sorgfältig recherchiertes Substrat, das diese Zuschreibung zu tragen vermöge.

Solches Recherchematerial liege im vorliegenden Fall jedoch nicht vor, wie sich auch aus der Aussage des als Zeuge vernommenen Redakteurs ergebe, wonach keine einzige der von ihm befragten Quellen bzw kein Interviewpartner die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten explizit als rechtsextrem eingestuft habe. An diesem Ergebnis könne auch die Einschätzung der Israelitischen Kultusgemeinde, dass es sich beim Bild, das die betroffene Gruppe in Braunau vor Hitlers Geburtshaus zeigt, um sekundären Antisemitismus handle, nichts ändern. Der ORF habe es insbesondere auch unterlassen, ausreichende Bemühungen zu setzen, den Betroffenen eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen, obwohl das Ermittlungsverfahren des Bundesverwaltungsgerichtes gezeigt habe, dass er durch Befragung einschlägiger Personen "ohne großen Aufwand" mit der betroffenen Gruppe Kontakt aufnehmen hätte können.

4. Nach §4 Abs5 ORF‑G hat der ORF bei der Gestaltung seiner Sendungen und Angebote für eine objektive Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten und Reportagen (Z1), für die Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen (Z2) und für eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität (Z3) zu sorgen. §10 Abs5 ORF‑G zufolge haben die Informationen umfassend, unabhängig, unparteilich und objektiv zu sein. Alle Nachrichten und Berichte sind sorgfältig auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen, Nachricht und Kommentar sind deutlich voneinander zu trennen. Die Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen ist angemessen zu berücksichtigen, die Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre des Einzelnen sind zu achten (§10 Abs6 ORF‑G), Kommentare, Analysen und Moderationen haben sachlich zu sein und auf nachvollziehbaren Tatsachen zu beruhen (§10 Abs7 ORF‑G).

Diese im Interesse der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung und der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt im Sinne des ArtI Abs2 BVG Rundfunk stehenden gesetzlichen Konkretisierungen des Objektivitätsgebotes tragen der Stellung des ORF als öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter ebenso Rechnung wie seiner durch Art10 EMRK gewährleisteten besonderen Funktion als "public watchdog" in der demokratischen Gesellschaft. Daher zählt eine entsprechend umfassende Informationsvermittlung zum Kernauftrag des ORF. Das Objektivitätsgebot des §4 Abs5 ORF‑G ist differenziert zu sehen, je nachdem, ob es um die Informationsvermittlung in Form von Nachrichten oder um deren kritische Analyse und Bewertung geht. Dabei kommt es auf die Beurteilung der jeweils in Rede stehenden Äußerungen in ihrem Gesamtzusammenhang im Hinblick auf Art und Inhalt der betreffenden Sendung und das Thema an, zu dem die Sendung erfolgt, wobei die durch Art10 EMRK geschützte journalistische Gestaltungs- und Meinungsäußerungsfreiheit immer zu berücksichtigen ist (vgl VfSlg 12.086/1989, 20.427/2020; Grundlage der Beurteilung, ob die Gestaltung einer Sendung dem Objektivitätsgebot entsprochen hat, ist der für den Durchschnittsbetrachter daraus zu gewinnende Gesamteindruck, siehe VfSlg 16.468/2002).

5. Das Bundesverwaltungsgericht stellt im angefochtenen Erkenntnis eine Verletzung des Objektivitätsgebotes des §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF‑G durch den ORF fest, weil "sich die getroffene Aussage, dass es sich bei der Gruppe von weiß gekleideten Demonstranten [bei] einer 'Anti-Corona-Demonstration' und vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler um Rechtsextreme handelt, nicht aus den vom ORF herangezogenen Recherchequellen ergibt."

Dieses Ergebnis stützt das Bundesverwaltungsgericht entscheidend auf drei Gesichtspunkte:

5.1. Erstens versteht es den in Rede stehenden Beitrag, wie sich aus der Feststellung einer Verletzung gemäß §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF‑G ergibt, als Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten und Reportagen im Sinne des §4 Abs5 Z1 ORF‑G und grenzt den Beitrag somit insbesondere gegenüber eigenen Kommentaren und Sachanalysen des ORF im Sinne des §4 Abs5 Z3 ORF‑G ab (zur Unterscheidung siehe VwSlg 16.485 A/2004; VwSlg 16.568 A/2005). Demzufolge steht der Beitrag nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes (ausschließlich) unter den Anforderungen des §10 Abs5 ORF‑G, der inhaltliche Grundsätze für Informationen durch den ORF aufstellt. Dieser Bestimmung zufolge hat die Information umfassend, unabhängig, unparteilich und objektiv zu sein. Alle Nachrichten und Berichte sind sorgfältig auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen, Nachricht und Kommentar deutlich voneinander zu trennen. §10 ORF‑G grenzt insoweit wiederum diese inhaltlichen Anforderungen an Informationen von denjenigen an Kommentare und Analysen ab, die gemäß §10 Abs7 ORF‑G sachlich zu sein und auf nachvollziehbaren Tatsachen zu beruhen haben.

Vor diesem Hintergrund qualifiziert das Bundesverwaltungsgericht die Zuschreibung, die Gruppe der weiß gekleideten Demonstranten sei rechtsextrem, die das Bundesverwaltungsgericht aus der Perspektive eines Durchschnittsbetrachters der hiefür zentralen Passage des Beitrages auf Grund von Aufmachung, Bildschnitt und gesprochenem Text der Passage entnimmt, als Tatsachenbehauptung, die den Anforderungen an Information im Sinne von §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF‑G entsprechen müsse.

5.2. Ein solcher gravierender Vorwurf verlange, zweitens, eine sorgfältige Recherche, für die die Regeln journalistischer Sorgfalt insbesondere erfordern würden, dass der von der Zuschreibung betroffenen Gruppe weiß gekleideter Demonstranten die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt werde. Dazu hätte der ORF nachhaltige und ernsthafte Versuche unternehmen müssen, mit der von ihm als rechtsextrem bezeichneten Gruppe weiß gekleideter Demonstranten in Kontakt zu treten. Eine solche Kontaktaufnahme wäre, wie das Beweisverfahren erbracht habe, dem ORF auch möglich und zumutbar gewesen.

5.3. Drittens stellt das Bundesverwaltungsgericht maßgeblich darauf ab, dass sich die genannte Zuschreibung auch nicht aus sonstigen Recherchequellen des ORF ergebe. Den Aussagen des als Zeuge im verwaltungsgerichtlichen Verfahren befragten Redakteurs sei zu entnehmen, dass keine einzige der von ihm befragten Quellen bzw kein Interviewpartner die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten explizit als rechtsextrem eingestuft oder so bezeichnet habe. Weder die vom Redakteur eingeholte Einschätzung der Israelitischen Kultusgemeinde bezüglich des im Beitrag gezeigten Fotos einer Gruppe weiß gekleideter Personen in Braunau noch Mitteilungen der zuständigen Landespolizeidirektion bzw Staatsanwaltschaft im Hinblick auf zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung in ihrem Ausgang offene Ermittlungen wegen des (Anfangs‑)Verdachtes eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz (zumal diese Verfahren in der Folge sämtlich eingestellt worden seien) vermögen die Zuschreibung als rechtsextrem zu tragen. In diesem Zusammenhang erörtert das Bundesverwaltungsgericht auch, dass auch sonst im Zuge der Sendung keinerlei Relativierung dieser Zuschreibung erfolgt sei.

6. Das Bundesverwaltungsgericht verletzt die durch Art10 EMRK geschützte Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit des ORF, weil es die in Rede stehende Passage im Rahmen des Beitrages "Inside Demo – Die Welt der Coronaleugner" ausschließlich als Tatsachenmitteilung und demzufolge Information im Sinne von §4 Abs5 Z1 ORF‑G qualifiziert und nicht (auch) der gesetzlichen Kategorie des Kommentares im Sinne des §4 Abs5 Z3 ORF‑G zuordnet, für die inhaltlich §10 Abs7 ORF‑G den Maßstab zur Beurteilung insbesondere auch der unter dem Aspekt der journalistischen Sorgfalt gebotenen Recherchetätigkeiten des ORF bildet:

6.1. Das Bundesverwaltungsgericht entnimmt dem Beitrag und seiner hier zentralen Passage (ausschließlich) die inhaltliche Aussage, der ORF informiere über die Tatsache, dass es sich bei der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten um eine rechtsextreme Gruppe handle. Damit deutet das Bundesverwaltungsgericht diese Passage im Gesamtzusammenhang des Beitrages in einer mit Art10 EMRK in Widerspruch stehenden Weise, weil es deren Bedeutungsgehalt einer kritischen Bewertung des Eindruckes, den das Verhalten der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten hervorruft, ausblendet.

Daher macht auch die (popular‑)beschwerdeführende Partei vor der KommAustria und beteiligte Partei im verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend, dass der ORF mit dem Beitrag die Gruppe der weiß gekleideten Demonstranten als rechtsextrem "frame". Zum offenkundigen Framing der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten als rechtsextrem komme hinzu, dass im weiteren Beitrag an keiner Stelle eine ausgleichende Relativierung oder ein Statement des ORF erfolge, sondern das Foto der weiß gekleideten Gruppe von Personen in Braunau gezielt in den Zusammenhang des an dieser Stelle der Sendung pauschal erhobenen Vorwurfes, dass auch Rechtsextreme das Fahrwasser der Demonstrationen nutzen würden, gestellt würde.

6.2. Stellt man die schon im Titel des Beitrages zum Ausdruck kommende und etwa auch in der Anmoderation ausdrücklich angesprochene Intention des Beitrages, die Personen und Gruppierungen, die sich regelmäßig an "Anti‑Corona-Demonstrationen" beteiligen, und deren Beweggründe zu beleuchten, in Rechnung, so ergibt sich aus dem Beitrag zunächst, dass eine Gruppe weiß gekleideter, vollständig maskierter und insoweit anonym auftretender Demonstranten mehrfach an derartigen Demonstrationen teilgenommen hat. Dies ist ebenso unbestritten wie der Umstand, dass eine derselben Gruppierung zuzurechnende Anzahl von Personen ebenso vollständig weiß gekleidet und maskiert vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau für ein Foto posiert und dieses selbst im Internet verbreitet hat, das jedenfalls eine erhebliche Anzahl der Personen mit ausgestrecktem (rechten) Arm zeigt.

Der Beitrag stellt nun zwischen der Teilnahme der in Rede stehenden Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti‑Corona-Demonstrationen" und dem genannten Foto einen Zusammenhang her, dessen Aussage zunächst unzweifelhaft dahin geht, diese Gruppierung mit rechtsextremen Einstellungen in Verbindung zu bringen. Dies wird in der wesentlichen Passage vor allem durch den Hinweis vermittelt, dass die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti‑Corona-Demonstrationen" teilnehme, was auch rechtsextreme Gruppierungen täten, die diese Demonstrationen für ihre Zwecke benützen würden. Das Foto der weiß gekleideten Gruppe von Personen in Braunau dient dem Beitrag damit als Anker und Begründung dafür, zum Ausdruck zu bringen, dass die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten es nicht scheut, in einem rechtsextrem konnotierten Kontext als Gruppierung aufzutreten und das mit ihrem Auftreten verbundene Anliegen in einen solchen Kontext zu stellen.

Diese Passage des Beitrages thematisiert damit das grundsätzliche Anliegen des gesamten Beitrages, darauf hinzuweisen, dass sich unter den Teilnehmern an "Anti‑Corona-Demonstrationen" nicht nur Personen (im Beitrag als "besorgte Bürgerinnen und Bürger" bezeichnet) befinden, die ihre Kritik an als grundrechtswidrig erachteten Maßnahmen der Behörden zur Pandemiebekämpfung vorbringen, sondern einerseits auch rechtsextreme Gruppierungen und Personen an diesen Demonstrationen teilnehmen, die diese für ihre Zwecke missbrauchen würden. Zum Spektrum der Teilnehmer an den Demonstrationen, worauf der Beitrag eben auch hinweist, zählt andererseits auch die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten, die den Kontext zu rechtsextremem Gedankengut jedenfalls nicht scheut und mit diesem Kontext auch spielt, um ihre Botschaften zu vermitteln.

6.3. In diesem Verständnis thematisiert der Beitrag ein heikles demokratisches und rechtsstaatliches Problem, indem er auch auf die Schwierigkeit der Darstellung von und kritischen Auseinandersetzung mit Personen und Gruppierungen hinweist, die derartige rechtsextreme Konnotationen nicht scheuen und auch unter Umständen suchen, sich aber einer eindeutigen Zuschreibung entziehen. Damit vermögen sie sich möglicherweise nicht nur über weite Strecken gegen eine unmittelbare Kritik an diesem Verhalten und den damit verbundenen Botschaften zu immunisieren, sondern es werden auch Personen und Gruppierungen, die auf derartigen Demonstrationen im Lichte des Art10 EMRK legitimerweise Kritik an staatlichen Maßnahmen artikulieren, insoweit mitdiskreditiert, als ein Eindruck, den extreme Personen und Gruppierungen durch ihre Teilnahme an solchen Demonstrationen offen erwecken, implizit verstärkt wird.

Solche Zusammenhänge zum Thema zu machen, liegt zunächst jedenfalls im Informationsauftrag des ORF, und zwar in einem umfassenden, Nachrichten im Sinne von §4 Abs5 Z1 ORF‑G und Kommentare und Sachanalysen im Sinne von §4 Abs5 Z3 ORF‑G gleichermaßen umfassenden Sinn. Es ist wesentlicher Teil des öffentlich‑rechtlichen Auftrages des ORF, solche Entwicklungen und Zusammenhänge aufzuzeigen und einer kritischen öffentlichen Diskussion auszusetzen, wie sie Art10 EMRK als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft vor Augen hat (vgl §10 Abs4 ORF‑G).

6.4. Damit ist es im Hinblick auf Art10 EMRK entscheidend, die Aussagen des in Rede stehenden Beitrages für ihre Bewertung am Maßstab der Objektivität der Informationsvermittlung einerseits bzw der kritischen Bewertung andererseits zuzuordnen und damit den jeweils unterschiedlichen Maßstäben, die §4 ORF‑G und §10 ORF‑G jeweils für die Beurteilung der Objektivitätsanforderungen vorgeben, entsprechend Rechnung zu tragen.

Dass der vorliegende Beitrag im Rahmen der Sendung "Thema" des ORF gesamthaft als "Reportage" bezeichnet werden kann, führt nicht dazu, dass alle Aussagen dieses Beitrages allein der Vermittlung von Nachrichten im Sinne des §4 Abs5 Z1 ORF‑G zuzuordnen wären oder gar zugeordnet werden müssten. Vielmehr dienen gerade derartige "Reportagen" insbesondere auch der kritischen Bewertung tatsächlicher Ereignisse und ihrer Hintergründe.

Ausgehend von der Tatsache, dass eine Gruppe weiß gekleideter Demonstranten an "Anti‑Corona-Demonstrationen" teilnimmt und dass diese Gruppierung von sich aus in bestimmter Art und Weise vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau für ein Foto posiert, ist der im Beitrag in seiner zentralen Passage hergestellte Zusammenhang zu dem Gedankengut von rechtsextremen Personen, die ebenfalls an den "Anti‑Corona-Demonstrationen" teilnehmen, als kritische Bewertung des Verhaltens der Gruppe zu qualifizieren, mit dem diese gerade einen derartigen Kontext herstellt.

Eine solche kritische Bewertung des Verhaltens der Gruppe weiß gekleideter Demonstranten kann im Lichte des Art10 EMRK von der Tatsache des von der Gruppe selbst im Internet veröffentlichten Fotos vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau ausgehen und das Verhalten der Gruppe in einen entsprechenden Zusammenhang stellen. Der Umstand, dass, wie die beteiligte Partei im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorbringt, die weiß gekleideten Personen nicht nur vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler, sondern dort um den Mahnstein gegen Krieg und Faschismus gruppiert sind, vermag an dieser Zulässigkeit der kritischen Bewertung durch den ORF nichts zu ändern. Denn von seinem objektiven Erklärungswert aus der Perspektive des Durchschnittsbetrachters ist diesem Foto, das jedenfalls eine erhebliche Anzahl der Personen in der Gruppe mit ausgestrecktem (rechten) Arm vor Hitlers Geburtshaus zeigt, eine erkennbare antifaschistische Intention der Gruppierung angesichts des Gesamtkontextes des Fotos nicht zu entnehmen. Vielmehr muss sich die Gruppierung die objektive Anmutung dieses Fotos zurechnen lassen, die entsteht, wenn man in derartiger Art und Weise vor dem Geburtshaus Adolf Hitlers posiert.

6.5. Wenn – wie im vorliegenden Fall – die Gruppierung selbst ausschließlich anonym, also unkenntlich in weiße Schutzanzüge gekleidet, auftritt, kommt es für die Beurteilung dieses Verhaltens auf den objektiven Erklärungswert dieses Verhaltens an. Eine ausschließlich anonym auftretende Gruppe muss sich in ihrem kommunikativen Eindruck an diesem anonymen Verhalten in der Öffentlichkeit messen lassen. Wenn – wie hier – die Einordnung und Bewertung dieses Verhaltens wegen der Anonymität nur wiederum anonym gruppenbezogen erfolgt und erfolgen kann (es gibt keine Anhaltspunkte im Verfahren, dass die hinter der Maskierung stehenden Menschen einer [einschlägigen] Öffentlichkeit bekannt wären oder im Beitrag bekannt gemacht worden wären), ist es im Hinblick auf Art10 EMRK zulässig und ausreichend, für eine kritische Bewertung auf dieses anonyme Gruppenverhalten abzustellen.

Indem das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass – wie in der kritischen Auseinandersetzung mit identifizierbaren Personen – journalistische Berichterstattung eine Stellungnahme der Betroffenen ermöglichen und daher die Anonymität aufdecken muss, um eine individuelle Aussage einzelner Mitglieder aus der anonymen Gruppe für diese zu erhalten, unterstellt das Bundesverwaltungsgericht den gesetzlichen Objektivitätsanforderungen einen die journalistische Berichterstattungsfreiheit verkennenden Inhalt. Wer anonym auftritt, setzt dieses anonyme Verhalten der öffentlichen und damit insbesondere journalistischen Beurteilung aus. Anderes gilt erst, wenn die journalistische Tätigkeit legitimierweise auch darauf abzielt, die hinter anonymen Gruppen stehenden individuellen Personen zu identifizieren und damit diese der öffentlichen Diskussion auszusetzen.

7. Diese im Hinblick auf Art10 EMRK relevanten Zusammenhänge hat das Bundesverwaltungsgericht verkannt, wenn es davon ausgeht, dass die einschlägige Passage im Gesamtzusammenhang des Beitrages ausschließlich am Objektivitätsgebot des §4 Abs5 Z1 iVm §10 Abs5 ORF‑G zu messen wäre. Weiters hat es die Vorgaben des Art10 EMRK dadurch verkannt, dass es den ORF im vorliegenden Fall jedenfalls gehalten gesehen hat, den Kontakt zu den die Gruppe weiß gekleideter Demonstranten bildenden individuellen Personen herzustellen und diesen Gelegenheit zur Stellungnahme zu ihrem anonymen Verhalten in der Öffentlichkeit zu geben. Das Bundesverwaltungsgericht hat insofern den §§4 und 10 ORF‑G einen mit der durch Art10 EMRK geschützten Rundfunkfreiheit, insbesondere der journalistischen Gestaltungsfreiheit des ORF, nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte