OGH 8Ob140/24g

OGH8Ob140/24g5.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* P*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei N* Ltd, *, Malta, vertreten durch die Mag. Simon Wallner Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 57.669,06 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2024, GZ 3 R 146/24a‑33.1, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00140.24G.1205.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Der Antrag, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C‑683/24 zu unterbrechen, wird abgewiesen.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte bietet von ihrem Sitz in Malta aus über die von ihr betriebene Website in Österreich Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels an. Sie verfügt jedoch über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht. Die Klägerin verlor im Zeitraum 12. 3. 2020 bis 1. 12. 2021 durch Online-Glücksspiel bei der Beklagten insgesamt 57.669,06 EUR.

[2] Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte zur Rückzahlung des verspielten Betrags.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online-Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt (konkret § 52 Abs 5 GSpG), kommt es daher nicht an. Gegenteiliges kann auch den Entscheidungen 5 Ob 506/96 und 10 Ob 2429/96w nicht entnommen werden (zuletzt etwa 1 Ob 91/24z; 7 Ob 129/24g; 7 Ob 135/24i; 7 Ob 150/24w; 2 Ob 154/24x jeweils mwN).

[4] 2. Weite Teile der Revision bauen darauf auf, dass die Klägerin in Kenntnis der Judikatur über die Rückforderbarkeit von Verlusten bei konzessionslosem Glücksspiel gespielt hätte und demnach die Situation im Sinne eines risikolosen Spiels auszunützen versuche. Damit geht das Rechtsmittel nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, nach dem die Klägerin erst im Jahr 2022 über die Rückforderbarkeit von Verlusten informiert wurde. Die Rechtsrüge ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt und einer inhaltlichen Erledigung nicht zugänglich.

[5] 3. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl nur 1 Ob 95/23m; 1 Ob 111/23i; 1 Ob 78/24p; 7 Ob 129/24g; 7 Ob 135/24i; 7 Ob 150/24w; 2 Ob 154/24x, jeweils mwN). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.

[6] 4. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl die Hinweise in 5 Ob 30/21d). Entgegen der Darstellung der Revisionswerberin ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH C‑920/19 , Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen. Der Senat sieht daher keinen Anlass, das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen zu stellen (2 Ob 23/23f [Rz 10] mwN). Der behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen. Eine neuerliche Befassung des EuGH ist im Hinblick auf dessen Entscheidungen zu C‑390/12 , C‑79/17 und C‑545/18 entbehrlich (7 Ob 199/23z; 7 Ob 204/23k; 7 Ob 129/24g; 7 Ob 135/24i; 7 Ob 150/24w; 2 Ob 154/24x ua).

[7] 5. Einer Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C-440/23 bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – im Hinblick auf die zu Punkt 4. zuletzt angeführten Entscheidungen des EuGH bereits geklärt erscheinen (vgl etwa 7 Ob 199/23z; 7 Ob 202/23s; 7 Ob 203/23p; 7 Ob 204/23k; 4 Ob 219/23v; 9 Ob 72/23p; 8 Ob 31/24b; 7 Ob 129/24g; 7 Ob 135/24i; 7 Ob 150/24w; 2 Ob 154/24x). Die vom Bundesgerichtshof zu I ZR 90/23 an den EuGH zu C‑530/24 gestellten Vorabentscheidungsfragen betreffen den Rechtsstreit schon deshalb nicht, weil die Beklagte einräumt, keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht beantragt zu haben. Damit konnte auch kein sie betreffendes Verfahren zur Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt worden sein (7 Ob 150/24w).

[8] 6. Das vom Handelsgericht Wien kürzlich zu C‑683/24 beim EuGH eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren betrifft nach dem Vorbringen in der Revision und der dazu vorgelegten Urkunde (eine Veröffentlichung des Vorabentscheidungsersuchens ist noch nicht erfolgt) ausschließlich die Frage der Vollstreckbarkeit einer Entscheidung über eine Klage wie die gegenständliche, die auf die Rückforderung von Spielverlusten gerichtet ist, in Malta. Die Entscheidung ist nach der EuGVVO 2012 jedoch nicht nur in Malta, sondern in der gesamten Europäischen Union vollstreckbar. Eine Aussichtslosigkeit der Verfahrensführung könnte überhaupt erst dann angenommen werden, wenn feststünde, dass die Beklagte außerhalb von Malta über keinerlei exekutiv verwertbares Vermögen verfügt und auch in Zukunft nicht verfügen wird. Derartiges wurde nicht behauptet und ist angesichts des auf andere Mitgliedstaaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs auch nicht anzunehmen. Unabhängig von der Frage, welche Auswirkungen eine fehlende exekutive Durchsetzungsmöglichkeit auf das Erkenntnisverfahren hätte, ist das Vorabentscheidungsverfahren zu C‑683/24 des EuGH demnach nicht präjudiziell, weshalb der Unterbrechungsantrag abzuweisen ist.

[9] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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