European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00047.25Z.0807.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Transportrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang einer Abweisung von 770 EUR sA in Rechtskraft erwuchsen, werden im darüber hinausgehenden Umfang, dass dieKlagsforderung von 7.675,46 EUR sA dem Grunde nach zu Recht besteht (Zwischenurteil), aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Nebenintervenientin erteilte der H* GmbH einen Transportauftrag, wobei diese den Auftrag an die Beklagte weitergab. Die Beklagte beauftragte am 24. 5. 2022 die Klägerin mit der Abwicklung dieses Transports von Verpackungsmaterial für Snacktomaten von Österreich nach Deutschland.
[2] Der Geschäftsführer der Beklagten führte im Auftrag das höchstmögliche Ladungsgewicht von 1.100 kg an. Für den Transport wählte die Klägerin einen Planensprinter mit einem maximal zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen.
[3] Der Fahrer der Klägerin führte die Beladung der Ware durch. Hierfür verwendete er einen elektrischen Hubwagen, der ihm von der Nebenintervenientin zur Verfügung gestellt wurde. Für den Fahrer bestand vor Ort keine Möglichkeit, die Ware abzuwiegen. Im Zuge des Ladevorgangs ergaben sich keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Gewichtsangaben zu begründen vermochten.
[4] Laut den im System der Nebenintervenientin hinterlegten Stammdaten belief sich das Gewicht einer Palette auf etwa 72 kg und das Gesamtgewicht des zu transportierenden Gutes auf etwa 650 kg. Tatsächlich wog das zu transportierende Verpackungsmaterial jedoch wesentlich mehr, sodass das höchstzulässige Gesamtgewicht bei weitem überschritten wurde.
[5] Beim Planensprinter brachen die Radschrauben des linken Hinterrads. Die Polizei führte eine Kontrolle des Fahrzeugs samt Ladung durch und forderte einen Abschleppdienst an. Eine massive Überladung war vor der Einleitung des Abschleppvorgangs äußerlich nicht erkennbar. Beim Versuch das Fahrzeug aufzuladen, knickte das Plateau des Abschleppwagens ab. Polizeilich wurde angeordnet, das Fahrzeug abzuwiegen. Dabei wurde eine Überschreitung des höchstzulässigen Gesamtgewichts von zumindest 1.860 kg festgestellt. Das tatsächliche Bruttogesamtgewicht des Transportgutes belief sich somit auf zumindest 2.900 kg.
[6] Eine Mitarbeiterin und der Geschäftsführer der Klägerin standen im Kontakt mit dem Geschäftsführer der Beklagten. Wiederholt wurde über das Gewicht der Ware, die Dringlichkeit der Zustellung und die zusätzlichen Kosten gesprochen. Der Geschäftsführer der Beklagten sicherte zu, dass alles bezahlt werde.
[7] Es wurde ein Frachtbrief ausgefüllt, der vom Empfänger der Lieferung am Zielort in Deutschland abgestempelt wurde; einen Stempel der Nebenintervenientin als „Absenderin“ enthält der Frachtbrief nicht.
[8] Die Klägerin begehrt 6.225,46 EUR an Abschleppkosten, 770 EUR an Polizeistrafen und 1.450 EUR an Reparaturkosten. Das Gewicht der Ladung habe entgegen den Angaben der Beklagten bzw der Nebenintervenientin nicht bloß zwischen 650 kg und 1.100 kg sondern 3.240 kg betragen. Die Überladung sei für den Fahrer der Klägerin nicht erkennbar gewesen. Die Beklagte habe der Klägerin einen Transportauftrag mit irreführenden Angaben über das Gewicht der Ladung erteilt. Die Beklagte habe mehrfach zugesagt, dass alles bezahlt werde. Darin liege ein konstitutives Anerkenntnis. Zudem sei die Beklagte schadenersatzpflichtig, weil sie schuldhaft unrichtige Gewichtsangaben gemacht habe. Nach Art 7 CMR bestehe eine Haftung für alle Kosten und Schäden, die der Klägerin durch unrichtige Angaben zum Rohgewicht entstanden seien.
[9] Die Beklagte wendet ein, die Klägerin sei verpflichtet gewesen, für die ordnungsgemäße Beladung ihres Fahrzeugs zu sorgen und dies auch zu kontrollieren. Eine Haftung nach Art 7 CMR bestehe nicht, weil kein gültiger Frachtbrief ausgestellt worden sei. Sie treffe kein Verschulden an den unrichtigen Angaben zum Gewicht. Ein konstitutives Anerkenntnis liege nicht vor.
[10] Die Nebenintervenientin wendet ergänzend das Mitverschulden der Klägerin ein.
[11] Das Erstgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren im Umfang von 7.675,46 EUR sA dem Grunde nach zu Recht besteht. Das Mehrbegehren wies es (rechtskräftig) ab.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Ein konstitutives Anerkenntnis der Beklagten zur Übernahme der Abschlepp‑ und Reparaturkosten liege nicht vor. Da das Erstgericht unrichtige Angaben sowohl der Beklagten als auch der Nebenintervenientin festgestellt habe, hafte die Beklagte aber verschuldensunabhängig nach Art 7 CMR, selbst wenn ein Frachtbrief fehle bzw ungültig sei. Eine Beschränkung der Haftung könne nur bei Mitverschulden eintreten. Eine Verpflichtung zur Überprüfung der Angaben des Absenders bestehe nicht, ein Mitverschulden komme nur bei evident falschen Angaben in Betracht. Eine Überprüfung des Rohgewichts des Gutes habe der Frachtführer nur auf explizites Verlangen des Absenders durchzuführen.
[13] Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob die Haftung nach Art 7 CMR einen gültigen Frachtbrief voraussetze, vom Obersten Gerichtshof – soweit überblickbar – noch nicht behandelt worden sei und von der Lehre unterschiedlich beantwortet werde.
[14] Die Beklagte begehrt in der von ihr gegen das Berufungsurteil erhobenen Revision die Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.
[15] Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[16] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch im Sinne des – im Abänderungsantrag enthaltenen (vgl RS0041774 [T1]) – Aufhebungsantrag berechtigt.
1. Haftung nach Anerkenntnis
[17] Das konstitutive Anerkenntnis ist eine Willenserklärung, die dadurch zustandekommt, dass der Gläubiger seinen Anspruch ernstlich behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestehen des behaupteten Rechts dadurch beseitigt, dass er das Recht zugibt. Das konstitutive Anerkenntnis gehört damit zu den Feststellungsverträgen (RS0032496 [T9]). Ein konstitutives Anerkenntnis ist nur zur Bereinigung eines ernsthaft entstandenen konkreten Streits oder Zweifels über den Bestand einer Forderung möglich (RS0110121 [T1]; RS0114623 [T3]).
[18] Die Beurteilungen der Vorinstanzen, im vorliegenden Fall liege kein konstitutives Anerkenntnis hinsichtlich der Kosten für das Abschleppen und die Reparatur vor, weil sich die Zusagen des Geschäftsführers der Beklagten „alles zu bezahlen“ für die Klägerin erkennbar nur auf die zusätzlichen Transportkosten bzw eines Bemühens um die Weiterverrechnung an die Versenderin bezogen hätten, ist zutreffend. Die den Zusagen vorausgehende Korrespondenz der Parteien bezog sich nämlich auf die Dringlichkeit der Lieferung und die Bereitstellung eines Ersatztransports. Abschlepp‑ oder Reparaturkosten waren hingegen (noch) nicht Gegenstand der Gespräche. Es lag daher zum Zeitpunkt der Zusage der Kostenübernahme gar kein Streit über Abschlepp- oder Reparaturkosten vor.
2. Haftung nach CMR
[19] Der Frachtvertrag im Sinne der CMR ist ein Konsensualvertrag. Der Frachtbrief hat nicht konstitutive, sondern bloß deklarative Bedeutung (vgl Art 4 CMR; RS0062477; 7 Ob 106/21w Rz 4).
[20] 2.1 Absender nach der CMR ist immer der Vertragspartner des Frachtführers. Es kann daher auch ein Spediteur oder ein anderer Frachtführer als Absender auftreten (RS0106763; RS0116125). Dass der (Sub-)Frachtführer, der seinerseits einen (weiteren) Subfrachtführer beauftragt, diesem gegenüber als Absender gilt, entspricht herrschender Ansicht (7 Ob 135/18f; 7 Ob 50/20h; 7 Ob 109/20k).
[21] Hier ist also die Beklagte als Vertragspartnerin der Klägerin Absender nach der CMR.
[22] 2.2 Die Unterschrift von Absender und Frachtführer sind nach Art 5 Abs 1 CMR Gültigkeitsvoraussetzungen für den CMR‑Frachtbrief (Zehetbauer in Zib/Dellinger, UGB Art 6 CMR Rz 1; Csoklich in Artmann, UGB3, Art 5 Rz 2 und Art 6 CMR Rz 1 jeweils mwN; vgl Schärmer in Schütz/Schärmer, Transportrecht Rz 21).
[23] 3. Mangels der hierfür erforderlichen Unterschriften liegt kein gültiger Frachtbrief vor und es besteht keine Haftung nach Art 7 Abs 1 CMR:
[24] 3.1 Mit der Frage, ob ein gültiger Frachtbrief Voraussetzung für eine Haftung nach Art 7 Abs 1 CMR ist, hat sich die höchstgerichtliche Rechtsprechung bisher noch nicht beschäftigt.
[25] 3.2 In der Literatur ist diese Frage umstritten:
[26] 3.2.1 Csoklich vertritt die Ansicht, Art 6 und 7 CMR seien nicht anwendbar, wenn kein gültiger CMR‑Frachtbrief ausgestellt wurde (Csoklich in Artmann, UGB3 Art 7 CMR Rz 1).
[27] Zehetbauer (in Zib/Dellinger, UGB Art 7 CMR Rz 4) und Schärmer (in Schütz/Schärmer, Transportrecht Rz 21) vertreten unter Verweis auf Csoklich ebenfalls, dass Art 7 CMR nicht anwendbar sei, wenn kein gültiger Frachtbrief vorliegt, weil zB Unterschriften fehlen.
[28] 3.2.2 Diese Ansicht wird auch in Deutschland herrschend vertreten (Herber/Piper CMR Art 7 Rn 2; Helm, Frachtrecht II2 Art 7 CMR Rn 5 f; Jesser-Huß in MünKomHGB5 CMR Art 7 Rn 2; Koller, Transportrecht11, CMR Art 7 Rn 1; Otte in Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht3 Art 7 CMR Rn 10; Reuschle in Staub, Großkommentar HGB6 Art 7 CMR Rz 5; Teutsch in Thume, CMR‑Kommentar [2012] Art 7 Rz 7).
[29] 3.2.3 Thume vertritt hingegen, Art 7 Abs 1 CMR sei auch anzuwenden, wenn der Frachtbrief nicht ordnungsgemäß oder überhaupt nicht ausgestellt worden sei, weil ein nicht ordnungsgemäß unterzeichneter oder sogar fehlender Frachtbrief nichts an der Schutzwürdigkeit des Frachtführers ändere (Thume in Fremuth/Thume, Kommentar zum Transportrecht Art 7 CMR Rz 3).
[30] Er verweist dabei auf Teutsch und Helm, die jedoch beide mittlerweile diese Auffassung aufgegeben und sich der Gegenansicht angeschlossen haben (Helm, Frachtrecht II2 Art 7 CMR Rz 5 f; Teutsch in Thume, CMR‑Kommentar [2012] Art 7 Rz 7). Otte (in Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht3 Art 7 CMR Rn 10) setzt sich mit der Ansicht Thumes auseinander und lehnt diese ausdrücklich ab.
[31] 3.3 Der Fachsenat schließt sich der überwiegenden Lehre an, dass eine Haftung nach Art 7 Abs 1 CMR das Vorliegen eines gültigen Frachtbriefs voraussetzt.
[32] Art 7 Abs 1 CMR ist als Schutzvorschrift zugunsten des Frachtführers konzipiert (Otte aaO Rz 4). Der Zweck der Bestimmung liegt im Schutz des Vertrauens des Frachtführers auf die Angaben im Frachtbrief (Csoklich in Artmann, UGB3 Art 7 CMR Rz 1). Liegt aber mangels Unterschrift des Absenders kein gültiger Frachtbrief vor, ist dies für den Frachtführer leicht erkennbar, und ein die verschuldensunabhängige Haftung nach Art 7 Abs 1 CMR rechtfertigender Vertrauenstatbestand wurde nicht geschaffen.
[33] Wurde kein gültiger CMR-Frachtbrief ausgestellt, etwa weil die Unterschrift des Absenders fehlt, scheidet eine Haftung nach Art 7 Abs 1 CMR aus.
4. Haftung nach nationalem Recht
[34] Die Klägerin stützt die Haftung der Beklagten nicht ausschließlich auf Art 7 Abs 1 CMR, sondern auch auf Schadenersatz wegen irreführender Angaben bei Erteilung des Auftrags. Die Beklagte habe durch unrichtige Angaben über das tatsächliche Gewicht der zu transportierenden Waren ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt.
[35] 4.1 Subsidiär zur CMR sind die nationalen Bestimmungen anzuwenden (Schärmer in Schütz/Schärmer, Transportrecht Rz 11; Zehetbauer in Zehetbauer/Motter, Nationales und Internationales Transportrecht2 3; Stögerer/Preisinger in Straube/Ratka/Rauter, UGB4 § 439a Rz 9).
[36] 4.2 Das Frachtgeschäft zählt zu den Werkverträgen (RS0021783). Aufgrund der näheren Warenkenntnis des Absenders ist dieser verpflichtet, dem Frachtführer alle zur sicheren und schadensfreien Durchführung der Beförderung erforderlichen Informationen über das Gut (insb Gewicht des Gutes, besondere Gefahren, die vom Gut bei unsachgemäßer Behandlung ausgehen können, etc) zu erteilen (Csoklich in Artmann, UGB3 § 425 UGB Rz 19).
[37] Wie bereits zu Punkt 2.1 festgehalten, ist nach ständiger Rechtsprechung die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin Absender. Die vertraglichen Nebenpflichten zur Erteilung der für die Beförderung erforderlichen Informationen trafen daher die Beklagte.
[38] 4.3 Die Kausalität der Überladung für das Abbrechen des Rades wird von der Beklagten und der Nebenintervenientin nicht bestritten und ist daher der Entscheidung zugrunde zu legen (RS0121557 [T10]).
[39] 4.4 Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist der Schaden nicht als Folge einer mangelhaften Verladung oder unzureichenden Sicherung des Gutes, sondern aufgrund des zu großen Gewichts eingetreten. Die Klägerin hat daher nicht gegen die vertraglichen Verpflichtungen zur Sicherung der Ladung verstoßen.
[40] Ein Mitverschulden der Klägerin wegen der Gewichtsüberschreitung scheidet aus, weil es nach den Feststellungen im Zuge des Ladevorgangs weder Anhaltspunkte dafür gab, dass die Gewichtsangaben der Beklagten unrichtig waren, noch die Möglichkeit bestand, vor Ort die Waren abzuwiegen. Die Klägerin agierte daher nicht sorglos in eigenen Angelegenheiten.
[41] 5. Die Beklagte hat jedoch auch ihr fehlendes Verschulden eingewandt, wofür sie gemäß § 1298 ABGB die Behauptungs‑ und Beweislast trifft.
[42] Die Fällung eines Zwischenurteils ist nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sämtliche anspruchsbegründenden und anspruchsvernichtenden Umstände geprüft worden sind (RS0040990; RS0040935).
[43] Anhand der bestehenden Sachverhaltsgrundlage lässt sich das (Nicht‑)Vorliegen eines Verschuldens der Beklagten nicht beurteilen, weil keine hinreichenden Feststellungen zu den Umständen der Informationserteilung in Hinblick auf das Gewicht der zu transportierenden Waren getroffen wurden. Die Feststellungsgrundlage ist somit mangelhaft und die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben.
[44] Im fortgesetzten Verfahren ist den Parteien Gelegenheit zu geben, ihr bisher erstattetes Vorbringen zum Verschulden der Beklagten zu präzisieren. Auf Basis eines allenfalls ergänzten Parteivorbringens wird das Erstgericht ausreichend konkrete Feststellungen zur Erteilung der Informationen in Hinblick auf das Gewicht der Ware zu treffen haben, um zu beurteilen, ob die Beklagte ein Verschulden daran trifft, dass diese Angaben nicht mit dem tatsächlichen Gewicht übereingestimmt haben.
[45] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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