European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00020.25D.0319.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 826,80 EUR (darin enthalten 137,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] DieKlägerin begehrte von den ihr benachbarten Beklagten, die von deren Terrasse und deren Balkonverbauungen bei starken Regenfällen ausgehende unmittelbare Zuleitung von Oberflächenwasser zu unterlassen.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
[3] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, ob dem Eigentümer bei baubewilligten Gebäudeteilen, durch die eine unmittelbare Zuleitung von Regenwässern bewirkt werde, gegen den nachbarrechtlichen Unterlassungsanspruch nur der Einwand der Geringfügigkeit zur Verfügung stehe.
Rechtliche Beurteilung
[4] Da die Beklagten in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermögen, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[5] 1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von seinem Grund ausgehenden Einwirkungen insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine unmittelbare Zuleitung ist nach dem zweiten Satzdieser Bestimmung ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig.
[6] 1.1. Als unmittelbare Zuleitung gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB versteht die Rechtsprechung eine solche, die durch eine „Veranstaltung“ bewirkt wird, die für eine Einwirkung gerade in Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich ist (RS0010635; RS0010473). Sie setzt nur voraus, dass durch den belangten Nachbarn überhaupt eine Veränderung (seines Grundstücks) erfolgte (vgl RS0117337 [T3]). Der Begriff „Veranstaltung“ soll ausdrücken, dass Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundes hinzunehmen sind (RS0010635 [T12]), nicht aber Änderungen der natürlichen Gegebenheiten, wodurch Immissionen auf den Nachbargrund bewirkt werden (RS0010635 [T26]), wie dies etwa bei einer Veränderung der natürlichen (Wasser-)Abflussverhältnisse durch ein Bauwerk (RS0010635 [T22]; RS0115461 [T3]) oder der Änderung einer natürlichen Regenabflusssituation (RS0117337 [T1]) der Fall ist. Gelangt infolge der Änderung einer natürlichen Regenabflusssituation bei extrem starken Regenfällen Wasser auf der Erdoberfläche der Hangneigung folgend in nicht unbeträchtlichen Mengen auf das Grundstück des Unterliegers, so ist darin eine unmittelbare Zuleitung zu erblicken (RS0117337 [T1] = 1 Ob 169/06v). Auch ein auf die Öffnung der Dachhaut im Zuge einer Aufstockung zurückzuführendes Eindringen von Niederschlagswasser vom Gebäude der Beklagten in das angrenzende Gebäude des Klägers wurde vom Obersten Gerichtshof als unmittelbare Zuleitung qualifiziert (RS0010635 [T33] = 2 Ob 131/23p).
[7] 1.2. Vor diesem Hintergrund haben die Vorinstanzen das hier gegenständliche bei starken Regenfällen stattfindende Abfließen von Niederschlags- und Oberflächenwasser von der verglasten Balkongeländerkonstruktion und der Terrasse der Beklagten auf das Klagsgrundstück ohne Korrekturbedarf als unmittelbare Zuleitung qualifiziert.
[8] 2. Eine solche unmittelbare Zuleitung von Wasser ist unter allen Umständen unzulässig, hiefür ist die Ortsüblichkeit nicht relevant (RS0010635 [T6]). Nach der eine unmittelbare Zuleitung bewirkenden willkürlichen Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse von Oberflächenwasser kann eine auf § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB gestützte Eigentumsfreiheitsklage des durch eine solche Maßnahme – wenn auch nur im Fall selten wiederkehrender katastrophaler Niederschläge – beeinträchtigten Nachbarn als Eigentümer eines (dort: unverbauten, landwirtschaftlichen Zwecken dienenden) Grundstücks nur dann scheitern, wenn dessen Unterlassungsbegehren nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls als Rechtsmissbrauch (Schikane) zu beurteilen ist. Ein solcher Unterlassungsanspruch ist damit nur dann nicht berechtigt, wenn sich eine willkürliche Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse, durch die es zu einer unmittelbaren Zuleitung auf das Nachbargrundstück kommt, auf dieses nur so geringfügig auswirkt, dass dies kein vernünftiger Mensch als nennenswerten Nachteil ansähe (RS0121625; RS0107625 [T6] = 1 Ob 169/06v; vgl auch RS0121625 [T2] = 1 Ob 100/24y). Ob die Auswirkungen auf ein Grundstück bloß geringfügig sind und für die klagende Partei keine nennenswerten Nachteile entstehen, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0121625 [T3]).
[9] 2.1. Die Argumentation der Beklagten in ihrer Revision, es müsse auf die Ortsüblichkeit abgestellt werden, lässt die dargestellte ständige Rechtsprechung außer Acht.
[10] 2.2. Nach den Feststellungen beträgt die vom Grundstück der Beklagten bei starken Regenfällen maximal zu Lasten des Klagsgrundstücks einwirkende Wassermenge 20 % jener Wassermenge, welche – ohne die Abflussleistung des Rigols zu überschreiten – auf die Garageneinfahrt überhaupt einwirken kann. Da die Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse für die Beurteilung der Geringfügigkeit der Einwirkung maßgeblich ist, kommt es auf das Verhältnis der jeweils einwirkenden Wassermengen zueinander und nicht auf das absolute Fassungsvermögen des Rigols des Klagsgrundstücks an (vgl auch 1 Ob 169/06v), weshalb die Argumentation der Beklagten mit dem Fassungsvermögen des Rigols der Kläger ins Leere geht. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die festgestellte Einwirkung nicht mehr als geringfügig im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung angesehen werden kann, ist daher insgesamt nicht korrekturbedürftig.
[11] 3. Sofern dafür kein besonderer Rechtstitel vorliegt, können unmittelbare Zuleitungen gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB vom Nachbarn auch dann abgewehrt werden, wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen, es sei denn, die Genehmigung oder eine öffentlich-rechtliche Norm erlaubt gerade solche Eingriffe (RS0010528 [T3, T4]), was im Bezug auf die für die betroffenen Bauteile erteilten Baubewilligungen und die daraus resultierende unmittelbare Zuleitung von Wasser nicht der Fall ist.
[12] 4. Die Revision war damit zurückzuweisen.
[13] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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