OGH 6Ob32/25m

OGH6Ob32/25m26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Niki Haas, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K* – V* Gesellschaft m.b.H. & Co KG, *, und 2. K* M* Gesellschaft m.b.H. & Co KG, *, beide vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen (zuletzt) jeweils 10.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 6. Dezember 2024, GZ 2 R 157/24h‑21, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. August 2024, GZ 16 Cg 15/24s‑14, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00032.25M.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Urheberrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin der Printausgabe einer Tageszeitung. Die Zweitbeklagte ist Medieninhaberin des Onlineportals dieser Tageszeitung.

[2] Der Kläger war für eine politische Partei in verschiedenen Funktionen im Parlament tätig, zuletzt bis Ende des Jahrs 2022 als Angestellter des Parlamentsklubs. Davor war er unter anderem Nationalratsabgeordneter und Sicherheitssprecher der Partei. Im Frühsommer 2022 trat er als Mitglied der Partei aus.

[3] Beide Beklagten berichteten im August und September 2022 mehrfach mit unterschiedlichem Inhalt unter Verwendung eines Lichtbildes des Klägers über dessen (angeblichen) Suizidversuch, und zwar die Erstbeklagte mit Artikeln vom 8. 8. 2022 und 9. 8. 2022 sowie die Zweitbeklagte mit Artikeln vom 7. 8. 2022, 11. 8. 2022, 17. 8. 2022, 22. 8. 2022 und 7. 9. 2022.

[4] Der Kläger begehrt – nach Abschluss eines Teilvergleichs über die in der Klage erhobenen Unterlassungsbegehren – von beiden Beklagten jeweils die Zahlung von 10.000 EUR an Schadenersatz für immaterielle Schäden gemäß § 87 Abs 2 UrhG.

[5] Die Beklagtenbeantragen Klageabweisung. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Artikel hätten sie davon ausgehen können, dass diese aufgrund der unmittelbar zeitlich zusammenfallenden politischen Ereignisse gerechtfertigt gewesen seien. Außerdem seien die Ansprüche des Klägers überhöht.

[6] Das Erstgericht gab der Klage gegen beide Beklagten in vollem Umfang statt. Die Veröffentlichung der Artikel habe der Befriedigung der Neugierde und Sensationslust und nicht dem Informationsbedürfnis der Gesellschaft gedient. Die Thematisierung des Suizidversuchs sei dem höchstpersönlichen Lebensbereich des Klägers zuzuordnen. Angesichts dieses Eingriffs in den Kernbereich der Privatsphäre hätten die Beklagten die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung auch erkennen können. Die Höhe des Ersatzbetrags sei durch Ermittlung der mit jeder Veröffentlichung verbundenen Beeinträchtigung des Klägers auszumessen. Unter Anrechnung der im Medienverfahren zugesprochenen Beträge ergebe sich daraus gegenüber beiden Beklagten jeweils ein zusätzlicher Entschädigungsbetrag von 10.000 EUR.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Zweitbeklagten, die sich (ausschließlich) gegen den Zuspruch im Ausmaß von 7.000 EUR richtete, Folge. Der immaterielle Schaden, den der Kläger durch die Berichterstattung der beiden Beklagten erlitten habe, sei als einheitlicher Gesamtschaden zu qualifizieren und global zu bemessen. Da die Anteile der Beklagten an der Schädigung nicht bestimmbar seien, hafteten sie für den gesamten Schaden solidarisch. Der Gesamtschaden des Kläger sei durch die Entschädigungszahlungen im Medienverfahren von insgesamt 46.000 EUR sowie den unbekämpften Zuspruch des Erstgerichts von 3.000 EUR gegenüber der Zweitbeklagten abgegolten. Das Mehrbegehren gegenüber der Zweitbeklagten von 7.000 EUR sei daher abzuweisen.

[8] Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob in unterschiedlichen Medien und von unterschiedlichen Medienunternehmen veröffentlichte Artikel als separate Verletzungshandlungen anzusehen seien, die einen eigenen (getrennten) Schaden begründen, oder ob ein Gesamtschaden anzunehmen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, diese dahin abzuändern, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde.

[10] Die Zweitbeklagte beantragt in ihrerRevisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[12] 1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass die Beklagten durch die Veröffentlichungen in ihrem Print- und Online-Medium die „berechtigten Interessen“ des Klägers im Sinn des § 78 UrhG verletzt und somit rechtswidrig und schuldhaft in das Rechtdes Klägers am eigenen Bild eingegriffen haben.

[13] 2.1. Gemäß § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG kann der Geschädigte eine angemessene Entschädigung für die in keinem Vermögensschaden bestehenden Nachteile verlangen, die er durch die Verletzung des Rechts am eigenen Bild erlitten hat. Die Bestimmung gewährt dem Verletzten einen Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens (RS0078177 [T1]; Nageler‑Petritz in Handig/Hofmarcher/ Kucsko, urheber.recht3 § 87 UrhG Rz 26). Dieser kann sowohl in reinen Gefühlsschäden und in der Verletzung geistiger Interessen („Kränkung im engeren Sinn“) als auch in der Beeinträchtigung des äußeren Bereichs der Persönlichkeit (Minderung des Ansehens, Rufschädigung) bestehen. Immaterieller Schaden ist ganz allgemein Persönlichkeitsminderung im weitesten Sinn des Wortes (RS0111183 = 4 Ob 281/98x; vgl auch 4 Ob 153/11w; Thurner in Dillenz/Gutman/Thiele/Burgstaller, UrhG3 § 87 Rz 23).

[14] 2.2. Die Entschädigung nach § 87 Abs 2 UrhG gebührt nur bei einer ernsten Beeinträchtigung des Verletzten, die den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen natürlichen Ärger überschreitet (RS0077369; RS0078172). Maßgeblich ist nicht allein das subjektive Empfinden des Verletzten, sondern ob und in welchem Ausmaß seine Persönlichkeit im weitesten Sinn in objektivierbarer Weise beeinträchtigt wird (RS0111185; RS0111184).

[15] 2.3. Dass die Berichterstattung der Beklagten zu einer ernsten Beeinträchtigung der Persönlichkeit des Klägers geführt hat, die den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen natürlichen Ärger überschreitet, sodass ihm immaterieller Schadenersatz nach § 87 Abs 2 UrhG zusteht, ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

[16] 3.1. Soweit derselbe Anspruch auf Schadenersatz (§ 87 Abs 1 bis 3 UrhG) gegen mehrere Personen begründet ist, haften sie zur ungeteilten Hand (§ 89 UrhG).

[17] 3.2. Im vorliegenden Fall macht der Kläger gegen beide Beklagte „denselben“ Anspruch auf Schadenersatz geltend, begehrt er doch die Zahlung von immateriellem Schadenersatzgemäß § 87 Abs 2 UrhG aufgrund der nach § 78 UrhG unzulässigen Serienberichterstattung in Zusammenhang mit seinem (angeblichen) Suizidversuch (allgemein dazu St. Korn in Handig/Hofmarcher/Kucsko, urheber.recht3 § 89 UrhG Rz 3; Thiele in Dillenz/Gutman/Thiele/Burgstaller, UrhG3 § 89 Rz 6). Bei unbefugten Veröffentlichungen in unterschiedlichen Medien innerhalb einer kurzen Zeitspanne handelt es sich auch nicht um selbstständige punktuelle Eingriffe, die einen eigenen (getrennten) Schaden verursachen, wenn die Verletzungshandlungen – wie hier – in einem derart engen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und überdies derselben Mediengruppe zuzuordnen sind (vgl aber Thiele in Dillenz/Gutman/Thiele/Burgstaller, UrhG3 § 89 Rz 16).

[18] 3.3. Schon nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen besteht eine Solidarhaftung, wenn die Verletzung auf einem gezielten Zusammenwirken mehrerer Personen beruht. In einem solchem Fall der Mittäterschaft folgt die Solidarhaftung schon aus § 1301 ABGB, sodass es insoweit eines Rückgriffs auf § 89 UrhG nicht bedarf (vgl 4 Ob 3/15t zum inhaltsgleichen § 153 PatentG 1970). Hingegen ist in der Lehre umstritten, ob die in § 89 UrhG angeordnete Solidarhaftung über die grundsätzliche zivilrechtliche Regelung des § 1302 ABGB hinausgeht.

[19] 3.4. Nach überwiegender Auffassung normiert § 89 UrhG entgegen § 1302 ABGB selbst bei fahrlässiger Nebentäterschaft und abgrenzbaren Kausalbeiträgen eine Solidarhaftung der (mehreren) Täter (St. Korn in Handig/Hofmarcher/Kucsko, urheber.recht3 § 89 UrhG Rz 4 ff mwN; Thiele in Dillenz/Gutman/Thiele/Burgstaller, UrhG3 § 89 Rz 14; Ciresa in Ciresa, Urheberrecht § 89 UrhG Rz 1; zum [inhaltsgleichen] § 17 UWG etwa: H. Torggler, Probleme des Schadenersatzes im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, ÖBl 1976, 57 [61]; Schönherr, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rz 564.1 f; zum [inhaltsgleichen] § 153 PatentG: Anderl/Heinzl in Stadler/Koller, PatG § 153 Rz 15 ff). Nach einer Mindermeinung wiederholt § 89 UrhG nur die allgemeinen Grundsätze, die sich aus § 1302 ABGB ergeben (Koziol, Haftpflichtrecht II3 A/5/Rz 323; Rummel in Koziol, Haftpflichtrecht II2 304; zum [inhaltsgleichen] § 17 UWG: Duursma‑Kepplinger in M. Gumpoldsberger/Baumann, UWG § 17 Rz 3). Nach einer vermittelnden Auffassung könne eine Solidarhaftung von Nebentätern trotz Bestimmbarkeit der Schadensanteile dann angedacht werden, wenn der Schaden durch mehrere gemeinschaftlich handelnde Mittäter fahrlässig verursacht werde, während es für – unabhängig voneinander handelnde – Nebentäter (und Feststellbarkeit der Anteile) bei der Rechtsfolge des § 1302 ABGB bleibe (G. Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 17 Rz 8 ff). Vereinzelt wird vertreten, dass § 89 UrhG eine bloße Beweislastvorschrift sei. Die Bestimmung ordne eine Beweislastumkehr zu Lasten des nachweislich zumindest teilkausalen Schädigers hinsichtlich des Gesamtschadens an (Görg, Einer für alle und alle für einen? Zur Frage, wer im Lauterkeits‑ und Immaterial-güterrecht zur ungeteilten Hand haftet?, ÖBl 2017, 72 [74]; derselbe, UrhG § 89 Rz 8, derselbe, UWG § 17 Rz 10).

[20] 3.5. Der Oberste Gerichtshof hat zur Auslegung von § 89 UrhG bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen, aber in einem obiter dictum zum inhaltsgleichen § 153 PatentG 1970 eine Präferenz für die überwiegende Ansicht in der Literatur geäußert (4 Ob 3/15t).

[21] 3.6. Für die überwiegende Ansicht sprechen der vom Gesetzgeber genannte Zweck der Norm im UrhG („Erleichterung der Rechtsverfolgung“, weil mehrere Schädiger „nicht nur in den in § 1302 ABGB bestimmten Fällen, sondern stets zur ungeteilten Hand haften“; EB zur RV des UrhG 1936, abgedruckt bei Dillenz, Materialien zum österreichischen Urheberrecht [1986] 179) und der Umstand, dass die Anordnung der Solidarhaftung sonst keine eigenständige Bedeutung hätte. Das wiegt schwerer als das ausschließlich auf den Wortlaut gründende Argument, dass die Solidarhaftung nur eintrete, soweit gegen mehrere Verletzer „derselbe“ Anspruch bestehe und im Übrigen bei Verletzung eines Immaterialgüterrechts kein größeres Schutzbedürfnis des Geschädigten als nach allgemeinem Zivilrecht auszumachen sei. Hinzukommt, dass der Gesetzgeber seine Wertung trotz der daran geäußerten Kritik (vgl etwa H. Torggler, ÖBl 1976, 57 [61]) anlässlich der Einführung von § 7 Abs 5 ZugangskontrollG aufrechterhalten und – unter Verweis auf § 89 UrhG und § 17 UWG – klargestellt hat, dass die Solidarhaftung „für alle Fallkonstellationen (nicht nur jene des § 1302 ABGB)“ gilt (ErläutRV 99 BlgNR 21. GP  17).

[22] 3.7. Die Ausführungen in der Revision, wonach die Voraussetzungen der Solidarhaftung nach § 1302 ABGB nicht gegeben seien, weil die Anteile der Schädiger (klar) bestimmbar seien, gehen nicht von der hier anwendbaren Norm aus. Warum die Geltendmachung des Gesamtschadens gegen einen von mehreren Schädigern den verfassungsgesetzlich geschützten Verfahrensgarantien in Zivil‑ und Strafsachen nach Art 6 EMRK widersprechen soll, ist nicht nachvollziehbar.

[23] 3.8. Zusammengefasst besteht daher eine Solidarhaftung der Beklagten für den (gesamten) dem Kläger aufgrund der (unzulässigen) Serienberichterstattung entstandenen immateriellen Schaden.

[24] 4. Mit den Argumenten des Berufungsgerichts zur Bemessung der Höhe des Gesamtschadens gemäß § 273 ZPO setzt sich die Revision inhaltlich nicht auseinander, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist (RS0043312 [T13]).

[25] 5. Die Revision des Klägers ist daher erfolglos.

[26] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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