OGH 4Ob24/24v

OGH4Ob24/24v21.10.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekurs- und Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Istjan, LL.M., Mag. Waldstätten, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner‑Helm in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. *, 2. *, 3. *, 4. * KG, *, alle vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch Dr. Nina Ollinger, Rechtsanwältin in Purkersdorf, wegen 1.) 845.710,12 EUR, 2.) 179.589,77 EUR, 3.) 136.742,26 EUR und 4.) 725.268,16 EUR jeweils sA, über die Revision der erst-, zweit- und viertklagenden Parteien (Revisionsinteresse 1.661.768,69 EUR) sowie den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse 88.799,36 EUR) gegen das Teilurteil bzw den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. November 2023, GZ 2 R 27/23i‑94.1, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Dezember 2022, GZ 47 Cg 93/18f‑69, teils mit Teilurteil bestätigt, teils aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00024.24V.1021.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das Verfahren ist hinsichtlich der zweitklagenden Partei gemäß § 159 ZPO, § 7 Abs 1 IO unterbrochen. Über die Rechtsmittel wird derzeit nicht entschieden, soweit sie ihre Ansprüche betreffen.

II. Die Revision der erst- und viertklagenden Parteien wird zurückgewiesen.

Die erst- und viertklagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 5.459,35 EUR (darin enthalten 909,89 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen anteilig (erstklagende Partei: 2.911,65 EUR, viertklagende Partei: 2.547,70 EUR) zu ersetzen.

Dem Rekurs der beklagten Partei wird – soweit er die Entscheidungen über Ansprüche der erst- und viertklagenden Partei betrifft – nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens – soweit es die Entscheidungen über Ansprüche der erst- und viertklagenden Partei betrifft – sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Zu I:

[1] Über das Vermögen der Zweitklägerin wurde mit Beschluss * vom 28. 4. 2025 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet.

[2] Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbricht einen Zivilprozess, in dem der Schuldner oder einer seiner Streitgenossen nach § 14 ZPO Kläger oder Beklagter ist, sofern der Zivilprozess Ansprüche betrifft, die zur Masse gehören. Da auch das Schuldenregulierungsverfahren gemäß §§ 181 ff IO ein Insolvenzverfahren ist, hat die Eröffnung eines solchen Verfahrens prozessunterbrechende Wirkung (RS0103501). Eine Entscheidung über die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingebrachte Revision der Zweitklägerin ist erst nach Fortsetzung des Verfahrens zulässig (vgl RS0036996). Der Akt wird dem Erstgericht daher insoweit unerledigt zurückgestellt (RS0036752).

[3] Die Unterbrechung des Rechtsstreites in Ansehung eines Gemeinschuldners berührt die Fortsetzung des Verfahrens mit seinen Streitgenossen aber nicht, wenn sie mit dem Gemeinschuldner keine einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO bilden (vgl RS0036752 [T6]). Über die Rechtsmittel der übrigen Parteien kann daher entschieden werden, soweit sie nicht die Ansprüche der Zweitklägerin betreffen.

Zu II:

[4] Die Beklagte vertreibt Backwaren, Getränke und Imbisse an 110 Bäckereistandorten, von denen sie 91 als Eigenfilialen selbst betreibt und 19 voll ausgestattet an Franchisenehmer unterverpachtet.

[5] Die Klägerinnen betrieben als Franchisenehmerinnen und Unterpächterinnen der Beklagten jeweils eine Bäckereifiliale in Wien. Dafür übergab die Beklagte den Klägerinnen jeweils eine ausgestattete Filiale für den Betrieb auf eigene Rechnung und eigenes Risiko. Die Ausstattung umfasste auch das elektronische Kassensystem.

[6] Die Franchiseverträge enthielten unter anderem folgende Regelungen:

[7] Die Klägerinnen waren verpflichtet, die systemtypischen Waren von der Beklagten bzw deren Konzernunternehmen zu vorgegebenen Preisen zu beziehen. Sie mussten eine Stunde nach dem Aufsperren und drei Stunden vor dem Zusperren ihrer Filiale ein bestimmtes Mindestsortiment zum Verkauf bereithalten, zB fünf verschiedene Brotsorten, von denen zwei konkret vorgegeben waren.

[8] Die Klägerinnen waren berechtigt, aber nicht verpflichtet, nicht verkaufte Ware an die Lieferanten aus dem Konzern der Beklagten zurückzustellen. Sie machten regelmäßig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Da ihnen maximal 10% des monatlichen Einkaufsvolumens ersetzt wurden und die Klägerinnen meist mehr zurückstellten, erhielten sie nicht die gesamte Retourware gutgeschrieben.

[9] Die Klägerinnen hatten zu Beginn der Vertragsverhältnisse jeweils eine Sicherheitsleistung zu erlegen.

[10] Das monatliche Entgelt, das die Klägerinnen zu zahlen hatten, setzte sich aus einem Fixbetrag und einem umsatzabhängigen Anteil zusammen. Eine Deckelung des Entgelts war nicht vorgesehen.

[11] Die ordentliche Kündigung der Franchiseverträge war für beide Vertragsteile jeweils unter Einhaltung einer 3‑monatigen Kündigungsfrist möglich.

[12] Im Sommer 2016 kündigte die Beklagte die Franchiseverhältnisse mit den Klägerinnen.

[13] Die Klägerinnen erstatteten Ende 2017 Anzeige gegen die Beklagte bei der Bundeswettbewerbsbehörde.

[14] Das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht verhängte über die Beklagte (rechtskräftig) eine Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG im Zeitraum von Jänner 2006 bis August 2017; konkret wegen vertikaler Abstimmungsmaßnahmen über Wiederverkaufspreise im Sinne von Fest- und Mindestpreisen mit Franchisenehmern (einschließlich der Klägerinnen) in Bezug auf die von diesen vertriebenen Produkte, insbesondere Backwaren, Imbisse und Getränke inklusive Kaffee, durch die zentrale Steuerung des von ihren Franchisenehmern verwendeten elektronischen Kassensystems. Die Franchisenehmer seien technisch nicht in der Lage gewesen, ihre Verkaufspreise ohne Mitwirkung der Beklagten abzuändern.

[15] Die Klägerinnen begehrten mit Klage vom 11. 10. 2018 Schadenersatz, jeweils näher aufgeschlüsselt in 1) zu viel bezahlte Franchisegebühr; 2) Schaden durch Preisnachteile beim Einkauf; 3) entgangenen Gewinn aufgrund fehlender Preisgestaltungsmöglichkeiten; 4) zu geringe Gutschriften für Retourwaren; und 5) nicht rückerstattete Kautionen. Ihre Franchiseverträge mit der Beklagten seien wegen des Kartellverstoßes (gesamt‑)nichtig. Die Beklagte habe es den Klägerinnen verunmöglicht, Waren zu anderen als den im elektronischen Kassensystem vorgesehenen Preisen zu verkaufen. Hätten die Klägerinnen Aktionstage durchführen können, hätten sie ihre Umsätze um 30 % und so ihre Gewinne um 20 % steigern können. Den Klägerinnen sei nicht einmal gestattet gewesen, kurz vor Ladenschluss ihre Restbestände verbilligt zu verkaufen, sodass sie ca 20 % ihrer Waren an die Beklagte hätten retournieren müssen, obwohl diese nur für maximal 10 % des monatlichen Einkaufsrahmens den Einkaufspreis erstattet habe. Obwohl eine Deckelung des Franchiseentgelts mit 15 % des Umsatzes vereinbart worden sei, hätten die Klägerinnen mehr an die Beklagte geleistet. Die Beklagte habe einen Marktanteil von 30 % und sei daher marktbeherrschend im Sinn der Vermutung laut § 4 Abs 2 Z 1 KartG. Sie habe diese Marktmacht missbraucht, indem sie den Klägerinnen fixe Wiederverkaufspreise vorgegeben habe. Die Beklagte wäre nicht bereit gewesen, mit den Klägerinnen Franchiseverträge ohne Preisbindung abzuschließen. Die im Franchisehandbuch vorgesehene Option zur Änderung der Preise im Kassensystem auf Wunsch eines Franchisenehmers binnen einer Woche sei völlig unpraktikabel. Die Schadenersatzansprüche seien jedenfalls nicht verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist erst mit rechtskräftiger Feststellung des Kartellverstoßes zu laufen beginne.

[16] Die Beklagte wendete unter anderem ein, dass die Franchiseverträge keine Preisbindung enthielten und tatsächlich gelebte Verhaltensweisenkeine Nichtigkeit des Vertrags bewirken könnten. Aus der Entscheidung des Kartellgerichts könne kein Schadenersatzanspruch abgeleitet werden, weil die Beklagte nur aus prozessökonomischen Gründen Tatsachen außer Streit gestellt habe, damit aber weder einen Kartellrechtsverstoß noch schuldhaftes oder gar grob schuldhaftes Verhalten, insbesondere gegenüber ihren Franchisenehmerinnen zugestanden habe. Selbst falls Verstöße gegen Kartellrecht vorlägen, wären die Klägerinnen als selbständige Unternehmerinnen Teilnehmerinnen des Kartells und daher nicht schützenswert. Die Klägerinnen hätten außerdem ihre Schadensminderungspflicht verletzt: Einerseits hätten sie ihre Franchiseverträge trotz nur zwei- bzw dreimonatiger Frist nicht gekündigt; andererseits seien Preisänderungen auf Wunsch von Franchisenehmern unter Mitwirkung der Beklagten sehr wohl möglich gewesen, von anderen Franchisenehmern auch erbeten worden und wären auch für die Klägerinnen von der Beklagten binnen maximal einer Woche in ihre Kassensysteme eingespielt worden. Auch von der Beklagten zur Verfügung gestellte Marketingmaterialien hätten die Klägerinnen leicht an ihre eigene Preispolitik anpassen können. Den Klägerinnen könne durch überhöhte Marktpreise außerdem kein Schaden entstanden sein, weil sie solche an die Endabnehmer weitergegeben hätten. Die Beklagte habe weder auf dem hier relevanten Markt der Franchisegeber noch auf dem Backwarenmarkt eine beherrschende Stellung. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Klägerinnen nach Auflösung ihrer Geschäftsbeziehungen mit der Beklagten ihre Standorte erfolgreich mit Waren von Drittanbietern betrieben hätten. Die Beklagte wendete weiters Verjährung aller Schadenersatzansprüche ein, die vor dem 26. 12. 2013 entstanden waren, zumal die Klägerinnen als Teilnehmerinnen an den vertikalen Preisabstimmungen von Anfang an Kenntnis von allen erforderlichen Sachverhaltselementen gehabt hätten. Schließlich erhob die Beklagte Gegenforderungen wegen offener Pacht und Entgelt für Warenlieferungen, Benützungsentgelt für verspätet geräumte Pachtgegenstände und Kosten der Räumungsverfahren.

[17] Das Verfahren über die Ansprüche der Drittklägerin wurde schon in erster Instanz unterbrochen.

[18] Das Erstgericht wies sämtliche Begehren der Erst-, Zweit- und Viertklägerinnen ab. Die Franchiseverträge sähen die von den Klägerinnen behauptete Deckelung der Franchisegebühren nicht vor. Eine Bezugsverpflichtung für bestimmte Waren sei nicht unzulässig, sondern einem Franchisesystem immanent. Mit dem Schaden wegen fehlender Preisgestaltungsmöglichkeiten machten die Klägerinnen einen Anspruch auf entgangenen Gewinn geltend. § 37d KartG idF BGBl I Nr 56/2017 sehe zwar grundsätzlich auch Ersatz für entgangenen Gewinn vor, jedoch nur für Schäden, die nach dem 26. 12. 2016 entstanden seien. Die Klägerinnen würden ausschließlich Schäden für Zeiträume davor geltend machen, sodass auch diese Begehren abzuweisen seien. Zur Retournierung von unverkaufter Ware seien die Klägerinnen nicht verpflichtet gewesen. Im Übrigen hätten die Klägerinnen ihre Franchiseverträge jederzeit kündigen und so finanzielle Nachteile aus dem Franchiseverhältnis abwenden können. Die Kautionen habe die Beklagte zurecht einbehalten, da sie (jeweils höhere) offene Forderungen gegen die Klägerinnen als ehemalige Franchisenehmerinnen gehabt habe.

[19] Das Berufungsgericht fällte ein Teilurteil über die Begehren 1) wegen Überzahlung von Franchisegebühren, 2) Preisnachteilen beim Einkauf, 4) Retourwaren und 5) Rückerstattung der Kautionen sowie Teile des Begehrens 3) wegen fehlender Preisgestaltungsmöglichkeiten. Dabei sah es nur die Forderungen auf 5) Rückstellung von Sicherheitsleistungen als berechtigt an, und zwar für die Erstklägerin mit 50.000 EUR, für die Zweitklägerin mit 40.000 EUR und für die Viertklägerin mit 30.000 EUR. Diesen stünden jedoch jeweils Gegenforderungen der Beklagten aus unbezahlter Pacht in dieser Höhe gegenüber. Im Ergebnis wies es daher die Zahlungsbegehren wegen 1), 2), 4) und 5) zur Gänze und Teile von Begehren 3) ab. Nicht die gesamten Franchiseverträge seien nichtig, sondern nur allfällige Absprachen über eine Bindung der Wiederverkaufspreise durch das Kassensystem. Eine Deckelung der Franchisegebühren sei nicht in den Verträgen vorgesehen. Es verneinte auch die Schadenersatzansprüche wegen Retourware und Bezugsverpflichtung.

[20] Hinsichtlich von Teilen des Begehrens 3) auf entgangenen Gewinn wegen fehlender Preisgestaltungsmöglichkeiten hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in die erste Instanz zurück; und zwar konkret betreffend 54.825,26 EUR entgangenen Gewinn der Erstklägerin in den Jahren 2014 bis 2016, betreffend 12.467,88 EUR entgangenen Gewinn der Zweitklägerin in den Jahren 2015 und 2016 sowie betreffend 21.506,22 EUR entgangenen Gewinn der Viertklägerin in den Jahren 2014 und 2015. Das Erstgericht habe richtig erkannt, dass § 37d KartG idF BGBl I Nr 56/2017 nur für Schäden anzuwenden sei, die nach dem 26. 12. 2016 entstanden seien. Jedoch sähen auch die davor relevanten allgemeinen schadenersatzrechtlichen Regeln einen Ersatz für entgangenen Gewinn vor, wenn ein Schutzgesetz zumindest grob fahrlässig verletzt werde. Die Beklagte habe mit einer vertikalen Preisbindung einen Kernverstoß gegen Kartellrecht begangen, der jedenfalls als grob fahrlässige Schutzgesetzverletzung zu qualifizieren sei. Auch der Mitverschuldenseinwand der Beklagten sei unberechtigt.

[21] Die von der Erst- und Viertklägerin geltend gemachten Ansprüche auf entgangenen Gewinn für die Jahre 2010 bis 2013 seien aber schon verjährt. Vor dem KaWeRÄG 2017 hätten – ausgenommen die hier nicht relevante Hemmungsnorm § 37a Abs 4 KartG – keine spezifischen Verjährungsvorschriften für einen Schadenersatzanspruch wegen eines Wettbewerbsverstoßes existiert, sodass § 1489 ABGB und die dazu ergangene Rechtsprechung gegolten habe bzw gelte. Die Verstöße der Beklagten gegen § 1 KartG in Form von vertikalen Abstimmungsmaßnahmen von Jänner 2006 bis August 2017 seien ein Fall einer sogenannten „fortgesetzten Schädigung“. In diesen Konstellationen beginne die Verjährung für den Ersatz des erstentstandenen Schadens mit der Kenntnis des Geschädigten von diesem zu laufen; für jede weitere Schädigung beginne eine neue Verjährung in dem Zeitpunkt, in welchem diese Schädigung dem Geschädigten zur Kenntnis gelange. Die Klägerinnen seien keine am Kartellverstoß unbeteiligten Dritten gewesen, die erst durch die Entscheidung des Kartellgerichts von Abstimmungsmaßnahmen der Kartellanten Kenntnis erlangt hätten. Vielmehr hätten sie als Franchisenehmer immer gewusst, dass sie von den Preisen im Kassensystem nicht ohne Mitwirkung der Beklagten abweichen könnten. Ansprüche für die Jahre 2010 bis 2013 seien daher bereits verjährt gewesen, als das KaWeRÄG 2017 in Kraft getreten sei, sodass die erstgerichtliche Abweisung der Begehren auf entgangenen Gewinn in den Jahren 2010 bis 2013 in Höhe von 42.720,31 EUR für der Erstklägerin und 40.677,75 EUR für die Viertklägerin zu bestätigen sei.

[22] Insgesamt wies das Berufungsgericht mit dem Teilurteil Ansprüche in Höhe von 1.661.768,69 EUR ab, wovon 167.121,89 EUR auf die Zweitklägerin entfielen. Die Aufhebung betraf Begehren in Höhe von 88.799,36 EUR, wovon 12.467,88 EUR auf die Zweitklägerin entfielen. Das Erstgericht werde im zweiten Rechtsgang Feststellungen zur Höhe des entgangenen Gewinns der Erst-, Zweit‑ und Viertklägerin in den Jahren ab 2014 zu treffen haben.

[23] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gegen das Teilurteil zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verjährung von Ansprüchen eines Franchisenehmers gegen seinen Franchisegeber aus Kartellverstößen in Hinblick auf die Übergangsbestimmungen zum KaWeRÄG 2017 fehle. Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss sei zulässig, weil der Frage, ob ein Franchisenehmer von seinem Franchisegeber entgangenen Gewinn wegen vertikaler Preisabsprachen fordern könne, erhebliche Bedeutung zukomme.

[24] Die Revision der Erst-, Zweit- und Viertklägerinnen will dieStattgebung des gesamten Klagebegehrens, hilfsweisedieAufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an die Vorinstanzen erreichen.

[25] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

[26] Der Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluss zielt auf die sofortige Abweisung auch der Klagebegehren wegen entgangenen Gewinns für die Jahre nach 2013 ab.

[27] Die Klägerinnen beantragen, den Rekurs der Beklagten abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[28] Die Revision der Klägerinnen ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

A. Zur Revision der Erst- und Viertklägerinnen

[29] 1. Die Erst- und die Viertklägerin zeigen in ihrer Revision keine Rechtsfragen iSd § 502 ZPO in Zusammenhang mit der Verjährung auf:

[30] 1.1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656).

[31] Dies trifft hier auf die Übergangsregelung zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen wegen Verstößen gegen das Kartellrecht zu: Nach dem Wortlaut von § 37h Abs 1 KartG in der geltenden Fassung verjährt das Recht, den Ersatz eines Schadens geltend zu machen, der durch eine Wettbewerbsrechtsverletzung verursacht wurde, in fünf Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Geschädigte von der Person des Schädigers, vom Schaden, von dem den Schaden verursachenden Verhalten sowie von der Tatsache, dass dieses Verhalten eine Wettbewerbsrechtsverletzung darstellt, Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen verjährt der Ersatzanspruch in zehn Jahren vom Schadenseintritt an. Die Fristen beginnen nicht, bevor die Wettbewerbsrechtsverletzung beendet ist.

[32] Die Verjährungsbestimmung des § 37h Abs 1 KartG ist aber erst am 27. 12. 2016 in Kraft getreten (§ 86 Abs 8 KartG). Sie ist nach der Übergangsregelung in § 86 Abs 9 KartG ausdrücklich nur auf Ansprüche anzuwenden, die am 26. 12. 2016 noch nicht verjährt sind, sofern nicht die Anwendung des bis dahin geltenden Rechts für den Geschädigten günstiger ist.

[33] Damit stellt der Gesetzestext selbst unmissverständlich klar, dass die fünfjährige Verjährungsfrist nicht für Ansprüche gilt, die am 26. 12. 2016 bereits verjährt waren. Dass auch andere Auslegungsergebnisse möglich wären, behaupten die Klägerinnen auch nicht.

[34] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat für die Rechtslage vor dem KaWeRÄG 2017 bereits klargestellt, dass keine spezifische Verjährungsvorschriften für einen Schadenersatzanspruch wegen Verstößen gegen innerstaatliches oder gemeinschaftsrechtliches Kartell- und Wettbewerbsrecht bestanden, weshalb für solche Ansprüche uneingeschränkt § 1489 ABGB und die dazu ergangene Rechtsprechung gelten (5 Ob 123/12t Pkt 2.3.1, vgl auch 4 Ob 46/12m Pkt 10.2, 6 Ob 186/12i [Pkt 2]).

[35] Die Klägerinnen stellen zwar in Frage, ob diese Bestimmung bei Kartellverstößen im Allgemeinen und bei Schadenersatzansprüchen von Franchisenehmern wegen Kartellverstößen im Besonderen zur Anwendung gelangen sollte. Eine Auseinandersetzung mit der fundiert begründeten Rechtsansicht des Berufungsgerichts und der ihr zugrundeliegenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfolgt jedoch nicht. Insbesondere legen die Rechtsmittelausführungen der Klägerinnen nicht dar, welche „Besonderheiten des Wettbewerbsrechts“ berücksichtigt werden sollten und zu welchem Verjährungsregime man dadurch käme. Eine erhebliche Rechtsfrage kann so nicht aufgezeigt werden.

[36] 1.3. Die Klägerinnen kritisieren weiters, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen keine Feststellungen enthalten, anhand derer die Verjährung der Ansprüche aus den Jahren 2010 bis 2013 am 26. 12. 2016 beurteilt werden könnte.

[37] Die Klägerinnen stützten ihre Ansprüche auf entgangenen Gewinn darauf, dass sie seit dem Jahr 2010 jede Woche 2,5 Aktionstage durchgeführt hätten, wenn die Beklagte ihnen die Möglichkeit zur freien Preisgestaltung eingeräumt hätte. Schon aus diesem Vorbringen ergibt sich zwangsläufig, dass die Klägerinnen seit 2010 Kenntnis davon hätten, dass sie ihre Preise nicht selbst festlegen könnten. Bevor die Klägerinnen nämlich erstmals vergeblich versucht hätten, selbst gewählte Aktionspreise anzubieten, könnte ihnen auch kein Gewinn dadurch entgangen sein, dass das Kassensystem der Beklagten dies nicht zugelassen haben soll.

[38] Die Revision kann damit keine sekundären Feststellungsmängel aufzeigen (§ 267 ZPO).

[39] 1.4. Die Klägerinnen argumentieren außerdem, dass dieVerjährung bei einer fortgesetzten Schädigung nicht schon mit Kenntnis von Schaden und Schädiger, sondern erst mit dem Ende des Kartellverstoßes als Dauerdelikt zu laufen beginne. Dazu fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung.

[40] Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass für die Rechtslage vor dem KaWeRÄG 2017 die ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen, die erst im Laufe der Zeit entstehen, heranzuziehen ist (4 Ob 46/12m).

[41] Diese unterscheidet zwischen sukzessiv auftretenden Folgeschäden aus einer einzelnen schädigenden Handlung (RS0034618) und fortgesetzter Schädigung (RS0034365). Für sämtliche Folgeschäden beginnt die Verjährungsfrist schon mit Kenntnis der ersten schädigenden Auswirkungen zu laufen (RS0034618, RS0087613). Dagegen beginnt bei Schädigung durch fortgesetztes oder wiederholtes Verhalten für jede (weitere) Schädigung eine neue Verjährungsfrist in dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem die jeweilige Schädigung dem Beschädigten zur Kenntnis gelangte (RS0034536).

[42] Diese Rechtsprechung stellte das Berufungsgericht ausführlich dar und wendete sie völlig korrekt auf den vorliegenden Fall an. Das Aufrechterhalten des kartellrechtswidrigen Kassensystems und fortlaufende Einspeisen von Preisen ist als fortgesetzte Schädigung einzuordnen, sodass nicht bereits mit erstmaliger Kenntnis von der fehlenden Preisgestaltungsmöglichkeit alle sich in Zukunft daraus ergebenden Ansprüche der Klägerinnen verjährten. Selbst unter diesem Verjährungsregime sind Teile der Forderungen der Klägerinnen, wie vom Berufungsgericht dargestellt, verjährt.

[43] Die von den Klägerinnen dagegen ins Treffen geführte Entscheidung 16 Ok 2/15b [Pkt 5.12] steht dazu nicht in Widerspruch, weil sie nicht einschlägig ist. Sie befasst sich nämlich nicht mit der Verjährungsregel des § 1489 ABGB für zivilrechtliche Ansprüche (wie zB Schadenersatzansprüchen von durch ein Kartell geschädigten Personen), sondern mit der Verfolgungsverjährung gemäß § 33 KartG, also der Verjährung des staatlichen Anspruchs auf Verhängung einer Geldbuße (Schwarz in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht [2022] § 33 KartG 2005 Rz 2).

[44] 3. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[45] 4. Die Revision der Klägerinnen enthält keine Ausführungen zu den Begehren wegen 1) Überzahlung von Franchisegebühren, 2) Preisnachteilen beim Einkauf, 4) Retourwaren und 5) Rückerstattung der Kautionen.

[46] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

[47] Das Revisionsinteresse betrug insgesamt 1.661.768,69 EUR, wovon 1.494.646,80 EUR (bzw rund 90 %) auf Ansprüche der Erst- und Viertklägerinnen entfallen. Wegen der Unterbrechung des Verfahrens hinsichtlich der Zweitklägerin ist derzeit nur über 90 % der Kosten der Revisionsbeantwortung zu entscheiden.

[48] Für diese 90 % der Kosten der Revisionsbeantwortung (auf Basis der richtigen Bemessungsgrundlage) haften die Erst- und Viertklägerin als formelle Streitgenossen nur nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung am Rechtsstreit (RS0125635 [T1]). Die revisionsgegegenständlichen Ansprüche der Erstklägerin betragen 790.884,86 EUR, machen also rund 48 % des Revisionsinteresses aus, jene der Viertklägerin 703.761,94 EUR (rund 42 %).

B. Zum Rekurs der Beklagten

[49] 1. Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass die Klägerinnen als Teilnehmerinnen an einer vertikalen Preisabstimmung keine Schadenersatzansprüche geltend machen können, weil sie nicht vom Schutzzweck des KartG erfasst würden.

[50] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat die Kartellverbote sowohl des nationalen als auch des Unionsrechts als Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB qualifiziert, deren Übertretung einen Schadenersatzanspruch begründen kann (4 Ob 46/12m, 5 Ob 39/11p).

[51] Er hat schon für die Rechtslage vor dem KaWeRÄG 2012 nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen folgende Anspruchsvoraussetzungen für Schadenersatz bei Verstößen gegen innerstaatliches oder gemeinschaftsrechtliches Wettbewerbsrecht herausgearbeitet: a) kartellrechtswidriges Verhalten; b) Anspruchsteller ist Betroffener der Zuwiderhandlung; c) Schaden; d) Kausalität und Zurechnungszusammenhang zwischen Verstoß und Schaden; e) Verschulden (4 Ob 46/12m).

[52] 2.2. Die im vorliegenden Fall zeitlich relevante Normfür Schadenersatzansprüche ist § 37a Abs 1 KartG idF KaWeRÄG 2012 (in Kraft von 1. 3. 2013 bis 26. 12. 2016). Sie lautet: „Wer schuldhaft eine Rechtsverletzung nach § 29 Z 1 begeht, ist zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.“ Wer zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aktivlegitimiert ist, wird im Gesetzestext nicht definiert.

[53] Wollmann vertritt dazu, dass der Kläger einen Schaden erlitten haben muss, der nach dem Schutzzweck der Norm gerade verhindert werden sollte (Wollmann in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 37a Rz 14).

[54] 2.3. Wie das Berufungsgericht bereits aufzeigte, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) für Verstöße gegen das unionsrechtliche Kartellverbot klargestellt, dass sich Kartellanten gegenüber Geschädigten nicht auf im nationalen Recht relevante haftungsbegrenzende Grundsätze des Schutzzwecks der verletzten Norm bzw des nur mittelbar verursachten Schadens berufen können (9 Ob 86/19s [Pkt 3] unter Verweis auf EuGH C‑435/18 , Otis, Rz 31).

[55] Ob diese mit dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts begründete Rechtsansicht des EuGH in dieser Allgemeinheit auch für Verstöße gegen rein nationale Kartellverbote Relevanz hat, kann aus folgenden Gründen dahinstehen:

[56] 2.4. Nach den Gesetzesmaterialien zum KaWeRÄG 2012 sollte diese Novelle den Ersatz des Schadens aus Kartellverstößen auch im österreichischen Recht erleichtern und in Anlehnung an § 33 dGWB gewisse Vereinfachungen für die Schadensermittlung, einen Zinsanspruch ab dem Schädigungsereignis, eine Unterbrechung von Zivilprozessen und eine Verjährungshemmung für die Dauer wettbewerblicher Verfahren sowie eine Bindungswirkung im Zusammenhang mit Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden bringen (RV 1804 BlgNR 24. GP , 11).

[57] Der Gesetzgeber bezog sich in den Materialien dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach grundsätzlich „jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch eine verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder durch ein entsprechendes einseitiges Verhalten entstanden ist (EuGH C‑453/99 , Courage und Crehan, Rz 26; wiederholt in C‑295/04 , Manfredi, Rz 60). In der ersteren Entscheidung bejahte der EuGH konkret Schadenersatzansprüche eines Gastwirts gegen seinen Bierlieferanten aufgrund eines Kartellverstoßes, obwohl der Gastwirt als Vertragspartei des Bierbezugsvertrags selbst auch Partei der vertikalen Preisabsprache war. Nach Ansicht des Gerichtshofs sind also insbesondere auch Beteiligte an einem Kartellverstoß berechtigt, Schadenersatzansprüche aus demselben geltend zu machen (Kodek, Kartellschadenersatz und allgemeines Schadenersatzrecht, in Gugler/Schuhmacher, Schadenersatz bei Kartellverstößen [2015] 15 [20]; sog „Jedermann-Doktrin“ des EuGH).

[58] Damit ist durch die Gesetzesmaterialien zum KaWeRÄG 2012 klargestellt, dass die Formulierung in § 37a Abs 1 KartG – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – nach dem Willen des Gesetzgebers nicht Schäden von Teilnehmern an kartellrechtswidrigem Verhalten kategorisch ausschließt, diese also nicht vom Schutzzweck der Norm ausnimmt.

[59] 2.5. Der EuGH räumt in der in den Gesetzesmaterialien zitierten Entscheidung C‑453/99 , Courage und Crehan den nationalen Gerichten selbst bei unionsrechtlichen Kartellverstößen einen Beurteilungsspielraum ein, um eine ungerechtfertigte Bereicherung von rechtswidrig Handelnden zu vermeiden. So dürfen nationale Gerichte beim Zuspruch von Schadenersatz insbesondere die wirtschaftliche Stärke der Verhandlungspositionen und das jeweilige Verhalten der beiden Vertragsparteien, ihre Unterlegenheit oder Freiheit, Vertragsbedingungen auszuhandeln, berücksichtigen (EuGH C‑453/99 , Courage und Crehan, Rz 32 f). Verstoße ein Vertrag etwa allein deshalb gegen das Kartellverbot, weil er zu einem Netz von ähnlichen Verträgen gehöre, die sich kumulativ auf den Wettbewerb auswirken, habe der Vertragspartner des „Netzinhaber“ keine erhebliche Verantwortung, wenn die Vertragsbedingungen vom „Netzinhaber“ vorgeschrieben werden (EuGH C‑453/99 , Courage und Crehan, Rz 34).

[60] Der EuGH hat demnach ein weiteres Verständnis vom Rechtswidrigkeitszusammenhang, als es in Österreich verbreitet ist: Es geht ihm scheinbar nur darum, ob eine Norm individuelle Rechte schützen soll, nicht in welchem Umfang (Kodek, Kartellschadenersatz und allgemeines Schadenersatzrecht, in Gugler/Schuhmacher, Schadenersatz bei Kartellverstößen [2015] 15 [23]; vgl auch Brand, Schadenersatz im Kartellrecht [2017], 160, wonach die Aktivlegitimation in der Rechtsprechung des EuGH weiter gefasst ist als nach nationalem Recht).

[61] 2.6. Auch in der deutschen Lehre ist es überwiegende Meinung, dass Beteiligte an wettbewerbsbeschränkenden Abstimmungen Schadenersatzansprüche gegen ihre Mitkartellanten aus Vertikalvereinbarungen erheben können (Bauer in Bauer/Rahlmeyer/Schöner, Vertriebskartellrecht² [2024] § 9 Rz 179; Krohs in Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht [2017], Rz 124; Roth in Jaeger ua, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht [92. Lfg 2018], § 33a, Rz 32; Stancke in Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadenersatz-klagen [2021], Rz 57 ff, insb 62).

[62] 2.7. Nach allen bisher referierten Kriterien ist entgegen der Rechtsansicht der Beklagten die Aktivlegitimation der Klägerinnen trotz Beteiligung an der Preisabstimmung jedenfalls im vorliegenden Fall zu bejahen:

[63] Das Verhältnis der Klägerinnen zur Beklagen ist von Asymmetrie geprägt: Die Beklagte steht einerseits eine Marktstufe über den Klägerinnen, soweit diese nach dem Franchisekonzept der Beklagten Imbisse und Backwaren verkaufen. Zugleich steht die Beklagte mit ihren Eigenfilialen auf derselben Marktstufe mit den Franchisenehmerinnen im Wettbewerb um Konsumenten von Gebäck und Snacks. In diesem dualen Distributionssystem vertreibt der Franchisenehmer Produkte des Franchisegebers, aber nicht umgekehrt. Außerdem ist der Franchisegeber Mitbewerber auf der untergeordneten Marktstufe, der Franchisenehmer aber nicht auf der übergeordneten (vgl Duhe/Enders in Bauer/Rahlmeyer/Schöner, Vertriebskartellrecht² [2024] § 18 Rz 30).

[64] Im Ergebnis bedeutet dies auch einen asymmetrischen Nutzen von abgestimmten Preisen: Die Klägerinnen könnten von einem höheren Preisniveau durch Unterbleiben des Preiswettbewerbs zwischen Franchisenehmern untereinander und auch zwischen Franchisenehmern und Eigenfilialen profitieren – sofern Kunden nicht zu anderen Anbietern substituierbarer Güter außerhalb des Franchisesystems abwandern. Dafür verlieren die Klägerinnen jedoch die Chance, ihren Umsatz (und Gewinn) durch Preiswettbewerb zulasten anderer Franchisenehmer, der Eigenfilialen der Beklagten und der Anbieter außerhalb des Franchisesystems zu steigern. Die Beklagte dagegen verringert die Gefahr, durch Franchisenehmer an Umsatz in ihren zahlreichen Eigenfilialen einzubüßen. Außerdem kann sie an einem höheren Preisniveau sowohl durch die Gewinne in ihren Eigenfilialen als auch durch die umsatzbasierten Franchisegebühren partizipieren.

[65] Schon aus diesem Ungleichgewicht folgt im konkreten Fall, dass Schadenersatzansprüche der Klägerinnen nicht schon daran scheitern, dass sie Teil des Franchisesystems und damit auch der Abstimmungsmaßnahmen waren.

[66] 2.8. Dies steht auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Einklang, wonach Schutzzweck der Kartellverbote neben der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gerade auch der Schutz der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite ist (4 Ob 46/12m, 5 Ob 39/11p). Der Oberste Gerichtshof hat neben Nachteilen vor allem in Form von höheren Preisen für Verbraucher auch die Verhinderung gesamtwirtschaftlicher Folgen und die Schädigung von Wettbewerbern am relevanten Markt als Schutzzweck des Kartellverbots identifiziert. Der persönliche Schutzbereich erstreckt sich daher auf all jene Anbieter und Nachfrager, die auf den von einem Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Märkten tätig sind (4 Ob 46/12m [Pkt 4.6]; 9 Ob 44/17m [Pkt 5.3]).

[67] Auch die Klägerinnen stehen als Franchisenehmerinnen auf einer anderen Marktstufe als die Beklagte als Franchisegeberin.

[68] 3. Richtig zeigt die Beklagte dagegen auf, dass das Verschulden der Parteien noch nicht abschließend beurteilt werden kann.

[69] 3.1. Die Beklagte meint zunächst, dass das Verfahren schon spruchreif im klagsabweisenden Sinn sei. Die Klägerinnen hätten ihre Schadensminderungspflichten verletzt, indem sie ihre Verträge nicht ordentlich unter Einhaltung der nur dreimonatigen Kündigungsfrist kündigten.

[70] Tatsächlich trifft jeden Geschädigten die Obliegenheit, zumutbare Handlungen zu setzen, die objektiv geeignet sind, den Schaden abzuwehren oder zu verringern (RS0023573). Unterlässt der Geschädigte solche Maßnahmen schuldhaft, kürzt dies seine Ansprüche (RS0027062).

[71] Wenn die Klägerinnen – wie die Beklagte nun fordert – ihre Franchiseverträge zu einem früheren Zeitpunkt gekündigt hätten, hätten sie dadurch aber nicht den nun als entgangenen Franchisegewinn eingeklagten Betrag erzielen können. Vielmehr hätten sie ab dem Ende des Franchiseverhältnisses überhaupt keinen Franchisegewinn mehr erzielt. Das von der Beklagten eingeforderte Verhalten war damit nicht geeignet, den Schadensposten entgangenen Gewinn abzuwehren oder zu vermindern.

[72] 3.2. Die Beklagte argumentiert weiters, dass ein Anspruch auf entgangenen Gewinn nicht bestehe, weil die Beklagte kein – schon garkein grobes – Verschulden gegenüber den Klägerinnen treffe.

[73] 3.2.1. Da das Kartellverbot ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB ist, gilt für das Verschulden eine Beweislastumkehr wie bei § 1298 ABGB (RS0112234). Sie umfasst jedoch nur das leichte Verschulden (RS0028091), während das Vorliegen grober Fahrlässigkeit immer von demjenigen zu beweisen ist, der sich darauf beruft (RS0028020 [T5]).

[74] Der Oberste Gerichtshof hat schon ausgesprochen, dass jeder Unternehmer wissen muss, dass eine auf dem Markt spürbare Preisabsprache zwischen Unternehmern verboten ist, ohne dass es dafür besonderen juristischen Rats bedürfte. Verschuldensausschließende Umstände sind bei einem Preiskartell kaum denkbar (4 Ob 46/12m [9.3.2.]). Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass die Beklagte ein Verschulden traf.

[75] 3.2.2. Jedoch enthält selbst eine strafgerichtliche Verurteilung nicht notwendig einen bindenden Ausspruch über das Vorhandensein eines groben Verschuldens. Vielmehr ist in jedem Einzelfall mit Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse und die allgemeinen Lebensverhältnisse zu prüfen, ob eine auffällige Sorglosigkeit vorliegt. Auch die Übertretung einer Schutzvorschrift muss an sich noch keine grobe Fahrlässigkeit darstellen. Diese ist erst anzunehmen, wenn sich jemand über grundlegende und leicht erkennbare Vorschriften hinwegsetzt und sein Handeln den Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich erkennen ließ (RS0031083).

[76] Umso weniger kann aus dem vom Erstgericht festgestellten Spruch des Kartellgerichts zu 25 Kt 1/19p, der keinen Ausspruch über einen bestimmten Grad des Verschuldens enthält, auf ein grobes Verschulden der Beklagten gegenüber den Klägerinnen geschlossen werden.

[77] 3.2.3. Selbst nach der im Sinn des Effektivitätsgrundsatzes schadenersatzfreundlichen Rechtsprechung des EuGH zu Schadenersatz für die Verletzung von unionsrechtlichen Kartellverboten darf einer Partei Schadenersatz verweigert werden, wenn sie selbst eine erhebliche (Mit-)Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt (EuGH C‑453/99 , Courage und Crehan, Rz 31).

[78] Die Beklagte hatte vorgebracht, dass sie ihren Franchisenehmern gegenüber nur ein Service erbracht habe, indem sie erfahrungsgemäß erfolgreiche Preise ins Computersystem eingespielt habe. Die Klägerinnen hätten von der ihnen vertraglich eingeräumten Möglichkeit, die eingespielten Preise zu ändern, keinen Gebrauch gemacht.

[79] Das Erstgericht traf – entsprechend seiner Rechtsmeinung, dass Ansprüche auf entgangenen Gewinn vor Inkrafttreten des KaWeRÄG 2012 schon dem Grunde nach nicht bestehen könnten – keine näheren Feststellungen zum Handlungsspielraum der Parteien, insbesondere zu Standpunkten und Verhandlungsspielraum bei Abschluss des Franchisevertrags, dem konkreten Inhalt des Franchisevertrags sowie der tatsächlichen Handhabung des Kassensystems und sonstiger Preisgestaltungsmöglichkeiten während des aufrechten Franchiseverhältnisses.

[80] Dies wird im zweiten Rechtsgang noch vor den vom Berufungsgericht aufgetragenen Ergänzungen zur Höhe des entgangenen Gewinns nachzutragen sein.

[81] 4. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es an den Klägerinnen gelegen ist, konkret vorzubringen, welche Preisstrategien sie aufgrund kartrellrechtswidrigen Verhaltens der Beklagten nicht umsetzen konnten. Die Behauptung, sie hätten „2,5 Aktionstage pro Woche“ durchführen wollen, ist kein ausreichendes Tatsachenvorbringen, aus dem ein bestimmter Betrag als entgangener Gewinn abgeleitet werden könnte. Noch weniger wird damit nachvollziehbar dargelegt, wieso offenbar gar keine eigenen Aktionen durchgeführt wurden, obwohl schon nach dem eigenen Vorbringen der Klägerinnen jede Franchisenehmerin mit einer Woche Vorlaufzeit Preise individuell gestalten konnte.

[82] 5. Das Erstgericht wird daher im zweiten Rechtsgang folgende Ergänzungen vorzunehmen haben:

[83] 5.1. Zunächst ist den Parteien Vorbringen zu ermöglichen, um ihrer Substanziierungspflicht zum entgangenen Franchisegewinn (vgl Pkt B.4) nachzukommen.

[84] 5.2. Dann werden nach allfälliger Ergänzung des Beweisverfahrens nähere Feststellungen (oder non-liquet-Feststellungen) zu den vertikalen Abstimmungsmaßnahmen über Wiederverkaufspreise zu treffen sein. Dabei wird anhand des wechselseitigen Vorbringens insbesondere festzustellen sein, ob die Abstimmung schon im Franchisevertrag vereinbart und/oder im Handbuch vorgesehen war; welchen Handlungsspielraum die Parteien des jeweiligen Franchisevertrags bei der Gestaltung einer allfälligen Abstimmungsvereinbarung und der tatsächlichen Handhabung der Verkaufspreise hatten (vgl Vorbringen zur Marktmacht der Beklagten); welche tatsächlichen Möglichkeiten die Parteien des jeweiligen Franchisevertrags bei der Änderung von Preisen im Kassensystem und/oder Marketingmaßnahmen hatten.

[85] Anhand dieser Feststellungen ist dann zu beurteilen, ob kartellrechtswidrige Vorgaben der Beklagten für den von den Klägerinnen behaupteten Gewinnentgang ursächlich waren und die Beklagte insoweit ein grobes Verschulden gegenüber den Klägerinnen trifft.

[86] 5.3. Wenn grobes Verschulden vorliegt, wird auch der Einwand zum Mitverschulden der Klägerinnen zu prüfen sein.

[87] 5.4. Außerdem werden bei Bejahung des groben Verschuldens auch Feststellungen zur Höhe des kausal entgangenen Gewinns zu treffen sein.

[88] 6. Auch wenn die vom Berufungsgericht überbundene Rechtsansicht betreffend das Verschulden zu korrigieren und die Entscheidung um weitere Ergänzungsaufträge für das Erstgericht zu erweitern ist, ist demRekurs der Beklagten im Ergebnis kein Erfolg beschieden, weil es bei der Aufhebung und Zurückverweisung in die erste Instanz bleibt.

[89] 7. Gemäß §§ 40, 50 ZPO ist die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorzubehalten.

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