European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00179.24P.0411.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 498,82 EUR (darin 83,14 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen der klagenden Verbraucherin und der beklagten Lieferantinbestand ein Stromliefervertrag. Diesem Vertraglagen die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen Strom“ (AGB Strom) der Beklagten zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauteten:
„4. Laufzeit, Kündigung
4.1. Unbeschadet abweichender Vereinbarungen im Einzelfall wird der Vertrag auf Belieferung des:der Kund:in auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. [...]
4.3. [Die Lieferantin]ist berechtigt, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von acht Wochen schriftlich oder per Telefax oder – sofern eine aufrechte Zustimmung des:der Kund:in zur elektronischen Kommunikation mit [der Lieferantin] vorliegt – per E-Mail an die von dem:der Kund:in zuletzt bekannt gegebene E-Mail-Adresse zu kündigen. […]
8. Änderungen von Entgelten
8.1. [Die Lieferantin] ist zu Änderungen der vertraglich vereinbarten Entgelte von Kund:innen, die Verbraucher:innen im Sinne des KSchG oder Kleinunternehmer:innen (§ 7 Abs 1 Z 33 ElWOG 2010) sind, ausschließlich gemäß den nachstehenden wörtlich angeführten gesetzlichen Bestimmungen des § 80 Abs 2, 2a und 2b ElWOG 2010 berechtigt. [Die Lieferantin]ist verpflichtet, sich bei Entgeltänderungen gegenüber Verbraucher:innen im Sinne des KSchG und Kleinunternehmer:innen an diese gesetzlichen Bestimmungen zu halten.
8.2. § 80 Abs 2 ElWOG 2010 lautet wörtlich: Änderungen der Geschäftsbedingungen und der vertraglich vereinbarten Entgelte sind dem Kunden schriftlich in einem persönlich an ihn gerichteten Schreiben oder auf dessen Wunsch elektronisch mitzuteilen. In diesem Schreiben sind die Änderungen der Allgemeinen Bedingungen nachvollziehbar wiederzugeben. Gleichzeitig ist der Kunde darauf hinzuweisen, dass er berechtigt ist, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären.
8.3. § 80 Abs 2a ElWOG 2010 lautet wörtlich: Änderungen der vertraglich vereinbarten Entgelte von Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmern mit unbefristeten Verträgen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen. Bei Änderung oder Wegfall des Umstands für eine Entgelterhöhung hat eine entsprechende Entgeltsenkung zu erfolgen. Verbraucher und Kleinunternehmer müssen über Anlass, Voraussetzung, Umfang und erstmalige Wirksamkeit der Entgeltänderungen auf transparente und verständliche Weise mindestens ein Monat vor erstmaliger Wirksamkeit der Änderungen schriftlich in einem persönlich an sie gerichteten Informationsschreiben oder auf ihren Wunsch elektronisch informiert werden. Gleichzeitig sind Verbraucher und Kleinunternehmer darauf hinzuweisen, dass sie berechtigt sind, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären. Versorger haben dabei von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellte Musterformulierungen zu verwenden.
8.4. § 80 Abs 2b ElWOG 2010 lautet wörtlich: Im Falle einer Kündigung gemäß Abs 2 oder 2a endet das Vertragsverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen bzw. Entgelten mit dem nach einer Frist von drei Monaten folgenden Monatsletzten ab Wirksamkeit der Änderungen, sofern der Kunde bzw. Verbraucher oder Kleinunternehmer nicht zu einem früheren Zeitpunkt einen neuen Lieferanten (Versorger) namhaft macht und von diesem beliefert wird. Der Versorger hat Verbraucher in einem gesonderten Schreiben über das Recht der Inanspruchnahme der Grundversorgung gemäß § 77 transparent und verständlich aufzuklären, wobei in diesem auch die Kontaktdaten der Anlauf- und Beratungsstellen gemäß § 82 Abs 7 sowie der Schlichtungsstelle der Regulierungsbehörde anzuführen sind. Für das Schreiben sind von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellte Musterformulierungen zu verwenden.
8.5. Entgeltänderungen gemäß Punkt 8 können gegenüber Verbraucher:innen im Sinne des KSchG frühestens nach Ablauf von zwei Monaten ab Vertragsabschluss erfolgen. Eine Entgeltänderung ist ausgeschlossen, solange eine Preisgarantie vereinbart ist.
8.6. Gegenüber Kund:innen, die keine Verbraucher:innen im Sinne des KSchG oder Kleinunternehmer:innen (§ 7 Abs 1 Z 33 ElWOG 2010) sind, ist [die Lieferantin]berechtigt, die Entgelte nach Maßgabe der Punkte 8.1 bis 8.4 sinngemäß anzupassen.“
[2] Mit Schreiben vom 16. 1. 2023 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie mit 1. 3. 2023 den Arbeitspreis von 13,16 Cent/kWh auf 28,68 Cent/kWh und den Grundpreis pro Monat von 1,88 EUR auf 2,02 EUR erhöhen werde. Es folgten (hier nicht wiedergegebene) Informationen über dieGründefür dieEntgelterhöhung.
[3] Mit E‑Mail vom 18. 5. 2023 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Entgelterhöhung unwirksam sei und sie das höhere Entgelt „nur vorbehaltlich rechtlicher Klärung und Rückforderung“ zahlen werde, und forderte sie auf, die Entgelterhöhung zurückzunehmen.
[4] Mit Schreiben vom 13. 6. 2023 erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Stromliefervertrags gemäß Punkt 4.3. der AGB Strom und § 76 Abs 1 ElWOG unter Einhaltung der Frist von zumindest acht Wochen. Die Belieferung der Klägerin endete mit 29. 8. 2023.
[5] Für die Zeit von 1. 3. 2023 bis 29. 8. 2023 verrechnete die Beklagte der Klägerin das höhere Entgelt, das die Klägerin auch zahlte. Ohne die Entgelterhöhung hätte die Klägerin 292,55 EUR weniger gezahlt.
[6] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die mit Schreiben vom 16. 1. 2023 erklärte Anhebung des Stromtarifs (Arbeits- und Grundpreis) mit 1. 3. 2023 unwirksam sei, und hilfsweise die (Rück‑)Zahlung der zu viel verrechneten 292,55 EUR. Weiters begehrte sie die Feststellung, dass die mit Schreiben vom 13. 6. 2023 erklärte Kündigung des Stromliefervertrags unwirksam sei und dass ihr die Beklagte für künftige Schäden aufgrund derEntgelterhöhung mit Schreiben vom 16. 1. 2023 und der Vertragskündigung mit Schreiben vom 13. 6. 2023 hafte. § 80 Abs 2a ElWOG regle kein gesetzliches Recht zur einseitigen Entgelterhöhung, sondern setze eine Vereinbarung voraus. Die Beklagte habe sich in den AGB Strom kein solches Recht vorbehalten. Ein allfälliger Vorbehalt in Punkt 8. der AGB Strom verstoße gegen § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG.
[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. § 80 Abs 2a ElWOG regle ein gesetzliches Entgeltanpassungsrecht. Die Tarifanhebung entspreche den gesetzlichen Vorgaben. Punkt 8. der AGB Strom sei weder gröblich benachteiligend noch intransparent.
[8] Das Erstgericht wies die Feststellungsbegehren ab und gab dem hilfsweise gestellten Zahlungsbegehren statt. Die Vertragskündigung sei rechtswirksam gewesen. Die Entgelterhöhungseifür einen abgeschlossenen Zeitraum schlagend geworden. Der Schaden der Klägerin durch die Entgelterhöhung sei abschließend bezifferbar. Es fehle daher am Feststellungsinteresse (§ 228 ZPO). Das Schreiben vom 16. 1. 2023 bildeweder die für die Entgelterhöhung relevante Berechnungsgrundlage der Beschaffungskosten noch die Auswirkungen auf das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung noch den Zeitpunkt ab, ab dem bei sinkenden Beschaffungskosten eine Entgeltsenkung schlagend werde. Die Entgelterhöhung sei daher unwirksam, weshalb die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch habe.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. § 80 Abs 2a ElWOG regle kein gesetzliches Entgeltänderungsrecht des Versorgers. Punkt 8. der AGB Strom bestimme nicht, welche konkreten Umstände für eine Tariferhöhung maßgeblich seien, und sei daher intransparent.
[10] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Weiters sprach es (nachträglich) aus, dass die Revision zulässig sei, weil „Sachverhalte wie der gegenständliche auch für viele Dritte von Bedeutung“ seien und sich der Oberste Gerichtshof „der neu vorgetragenen Rechtsargumente der Lehre zwecks der Rechtsentwicklung inhaltlich annehmen könnte“.
[11] Die Revision der Klägerin strebt die Abänderung des Berufungsurteils dahin an, dass den Hauptbegehren auf Feststellung stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Die Revision der Beklagten begehrt die Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass auch das hilfsweise gestellte Zahlungsbegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[13] Beide Parteien beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
I. Zur Revision der Klägerin:
[14] 1. Die Revision ist nicht zulässig.
[15] 2. Die Klägerin tritt der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen, dass sie kein Feststellungsinteresse (§ 228 ZPO) habe, wenn die Beklagte den Stromliefervertrag wirksam gekündigt habe, nicht entgegen. Sie wendet sich lediglich gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Beklagte den Stromliefervertrag wirksam gekündigt habe. Mit ihren auf § 80 Abs 2a, 2b ElWOG sowie § 879 Abs 1 ABGB gestützten Argumenten zeigt sie aber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) auf.
[16] 3.1. Nach der klaren gesetzlichen Regelung können Lieferanten Verträge mit Verbrauchern und Kleinunternehmen unter Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen kündigen (§ 76 Abs 1 ElWOG). Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt betont, dass eine solche ordentliche Kündigung schon begrifflich keine einseitige Änderung der vertraglichen Leistungen ist (RS0134845) und folglich die Anwendung des § 80 Abs 2a ElWOG auf eine unbedingte ordentliche Kündigung verneint (RS0134778). Die Urteile der Vorinstanzen folgen dieser Rechtsprechung.
[17] 3.2. Die Ansicht der Klägerin, die Beklagte habe eine bedingte und/oder außerordentliche Kündigung erklärt, ist nach den Feststellungen nicht haltbar: Die Beklagte hat die Kündigung weder von einem ungewissen Ereignis abhängig gemacht (vgl § 696 Abs 1, § 897 ABGB) noch ohne Rücksicht auf die gesetzliche Kündigungsfrist (§ 76 Abs 1 ElWOG) ausgesprochen (vgl RS0018305). Auch das Argument der Klägerin, die Beklagte habe § 80 Abs 2b ElWOG umgangen, wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil die Anwendung dieser klaren gesetzlichen Regelung eine „Kündigung gemäß Abs 2 oder 2a“ – also eine Kündigung des Verbrauchers oder Kleinunternehmers – voraussetzt.
[18] 4.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gilt § 879 Abs 1 ABGB auch für einseitige Rechtsgeschäfte wie eine Kündigung (RS0016534). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042881 [T3, T5, T6, T8]) und nur aufzugreifen, wenn das Berufungsgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hat (vgl RS0042881 [T3, T5, T8]).
[19] 4.2. Die Klägerin kritisiert zwar die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erklärte Vertragskündigung sei nicht sittenwidrig gewesen, behauptet aber nicht einmal, dass das Berufungsgericht seinen Ermessensspielraum überschritten hätte. Mit dem Verweis auf eine im Zusammenhang mit einem Darlehensvertrag ergangene Entscheidung betreffend eine „krass gegen den Grundgedanken des Gesetzes verstoßende“ Kündigung (3 Ob 548/77 = RS0082734) macht die Klägerin schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage geltend, weil die Kündigung der Beklagten, wie oben ausgeführt, im Einklang mit § 76 Abs 1 ElWOG erfolgt ist und im Lichte der Rechtsprechung nicht gegen § 80 Abs 2a, 2b ElWOG verstoßen hat.
[20] 5. Zusammengefasst zeigt die Revision der Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf. Sie ist daher zurückzuweisen.
II. Zur Revision der Beklagten:
[21] 1. Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
[22] 2.1. Nach der gesicherten Rechtsprechung regelte § 80 Abs 2 erster Satz ElWOG in der Stammfassung kein einseitiges Recht zur Entgelt- und Vertragsänderung. Ein die Prüfung einer AGB-Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB und/oder § 6 Abs 3 KSchG ausschließendes „Sonderprivatrecht im Energieversorgungssektor“ wurde verneint (3 Ob 139/19s, Pkt 2.1.; 5 Ob 103/21i, Rz 11; 9 Ob 46/21m, Rz 13).
[23] 2.2. Durch die Novellierung (ua) des ElWOG mit BGBl I 2022/7 entfiel der erste Satz des § 80 Abs 2 ElWOG, während die derzeit geltenden Absätze 2a, 2b und 5 in § 80 ElWOG eingefügt wurden.
[24] 3. Im Schrifttum ist umstritten, ob § 80 Abs 2a ElWOG seit dieser Novelle ein gesetzliches Preisänderungsrecht des Versorgers normiert.
[25] 3.1. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien – diese bestehen im Wesentlichen aus einem Abänderungsantrag im Plenum des Nationalrats (AA-217 BlgNR 27. GP , 7), in dessen Begründung wiederholt von einem „gesetzlichen Preisänderungsrecht“ die Rede ist – wird dies von Hauenschild (Preisanpassungen bei Stromlieferungen – erste Überlegungen zum neuen § 80 ElWOG, ecolex 2022/123, 189), Oberndorfer (Zum neuen AGB- und Preisänderungsrecht der Stromlieferanten im ElWOG, wbl 2022, 545 [548]), C. Schneider (Der Strompreis und das Recht [Editorial], RdW 2022/292, 373), Saria (ZTR 2022, 111 [Glosse zu 5 Ob 103/21i]; ZTR 2022, 171 [Glosse zu 9 Ob 46/21m]; ZTR 2022, 242 [Glosse zu 3 Ob 90/22i]) und Liewehr (Zur Rechtmäßigkeit von Preisänderungen in Energielieferverträgen, ecolex 2024/265, 482) bejaht. Der Gesetzgeber habe in bewusster Abkehr von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i) die Anwendung des KSchG ausschließen wollen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Zur Begründung dieser Ansicht wird auch darauf verwiesen, dass sich die Formulierung und der Aufbau des § 80 Abs 2a ElWOG an § 25 TKG 2003 (nunmehr: § 135 Abs 8 und 12 TKG 2021) orientiere, wo – von der Judikatur anerkannt (4 Ob 113/18y) – ebenfalls ein gesetzliches Preisanpassungsrecht normiert sei. Der in § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG enthaltene Hinweis auf die Geltung der Bestimmungen des ABGB könne auch beim Verständnis des Abs 2a leg cit als gesetzliches Preisänderungsrecht von Relevanz sein, wenn der Stromlieferant freiwillig – wie in den Gesetzesmaterialien erwähnt – „einzelne Elemente in den AGB konkretisiert“. Da dem Gesetz keine Differenzierung hinsichtlich der am Strommarkt verbreiteten Produktkategorien zu entnehmen sei, müsste es – wollte man ihm zusätzliche Schranken für gesondert zu vereinbarende Preisänderungsklauseln unterstellen – auch auf Stromlieferungsprodukte angewendet werden, denen monatliche oder noch kurzfristigere Preisbewegungen inhärent seien; die Anwendung von § 80 Abs 2a ElWOG auf solche Produkte sei aber absurd. Der VfGH (G 1102/2023 ua) gehe ebenfalls von einem gesetzlichen Preisänderungsrecht aus. Schließlich habe der EuGH (C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff) keine Bedenken gegen ein gesetzliches und durch Verordnung näher ausgestaltetes Preisänderungsrecht des Versorgers gehegt, sofern die vom Unionsrecht geforderte Information des Verbrauchers sichergestellt sei.
[26] 3.2. Dagegen vertreten Kemetmüller (Das neue Preisänderungsregime des ElWOG – Gesetzliches Preisänderungsrecht und Ausschluss des KSchG? VbR 2022/29, 52), Koch (Der Strompreis und das [Zivil-]Recht, RdW 2022/435, 533), Kemetmüller/Brennsteiner (Vom Begriff der „Änderung der vertraglich vereinbarten Entgelte“ im Energierecht, VbR 2023/118, 165), Schopper (Weiterhin Rechtsunsicherheit bei Strompreiserhöhungen, VbR 2023/112, 157; Zivilrechtliche Fragen von Strompreiserhöhungen nach § 80 Abs 2a ElWOG, in Gitschthaler/Pierer/Zöchling-Jud, FS Fischer-Czermak [2024], 763 [765 ff]) und Hahnenkamp (Die Preisfestsetzung im Energiesektor aus Sicht der Endkund*innen – Leistbarkeit in der Gewährleistungsverantwortung, ÖZW 2024, 19 [23]) die Auffassung, aus § 80 Abs 2a ElWOG lasse sich kein gesetzliches Preisänderungsrecht entnehmen. Die allfällige Absicht des historischen Gesetzgebers habe im beschlossenen Gesetzestext keine Entsprechung gefunden. Vielmehr normiere § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG ausdrücklich die Geltung des ABGB. Nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts bedürfe eine (nachträgliche) einseitige Preisfestlegung einer vertraglichen Grundlage. Daher werde kein gesetzliches Preisänderungsrecht begründet, sondern festgelegt, dass diesbezügliche Vertragsbestimmungen anstelle der Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG jenen nach § 80 Abs 2a ElWOG genügen müssten. Im Übrigen blieben jedoch das ABGB und das KSchG unberührt. Bei einer Auslegung als gesetzliches Preisänderungsrecht verbliebe dem Vorbehalt in § 80 Abs 5 zweiter Satz ElWOG kein Anwendungsbereich, weil gesetzliche Regelungen von Vornherein nicht am KSchG zu messen seien. § 25 TKG 2003 habe einen deutlich anderen Wortlaut und beruhe zudem auf gänzlich anderen unionsrechtlichen Grundlagen als § 80 ElWOG. Weiters stehe Art 10 Abs 4 EBRL 2019, den § 80 Abs 2a ElWOG umsetze, im Kapitel III über „Stärkung und Schutz der Verbraucher“. Bei Annahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts wäre der Verbraucherschutz aber empfindlich geschwächt.
4. Der Senat hat erwogen:
[27] 4.1. § 80 ElWOG betrifft nach seiner Überschrift weiterhin „Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung mit elektrischer Energie“. Dem Wortlaut des § 80 Abs 2a ElWOG ist eine gesetzliche Ermächtigung des Versorgers, die Tarife für bestehende Verträge zu ändern, nicht zu entnehmen. Vielmehr legt er nahe, dass eine bereits auf anderer Grundlage, also insbesondere den AGB des Versorgers, bestehende Ermächtigung zur Preisänderung vorausgesetzt wird, für die gesetzliche Vorgaben normiert werden.
[28] Dies wird durch § 80 Abs 5 erster Satz ElWOG bestätigt, wonach durch Abs 1 bis 4 leg cit die Bestimmungen des ABGB unberührt bleiben. Nach dem ABGB kommt ein einseitiges Preisänderungsrecht im Rahmen eines aufrechten Vertrags nur bei einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung in Betracht (§ 1056 ABGB; vgl RS0019994; RS0020079; RS0020089).
[29] Auch § 80 Abs 5 zweiter Satz ElWOG, wonach die Bestimmungen des KSchG nur „vorbehaltlich des Abs 2a“ unberührt bleiben, spricht gegen die Auslegung des § 80 Abs 2a ElWOG im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts: Wäre nämlich ein solches normiert, wäre es als gesetzliche Regelung von Vornherein nicht an den Bestimmungen des KSchG zu messen, sodass der Vorbehalt ins Leere ginge. Gesetze sind aber so auszulegen, dass sie einen Anwendungsbereich haben (RS0010053; RS0111143).
[30] 4.2. Es mag sein, dass die Absicht des historischen Gesetzgebers der Novelle BGBl I 2022/7 dahin ging, ein gesetzliches Preisänderungsrecht einzuführen. Angesichts der Wortmeldungen im Plenum des Nationalrats (StProt 139, 27. GP 270 [„gesetzliche Vorgaben für Preisanpassungen“] und 273 [„erstmals ein Symmetriegebot“]) zum diesbezüglichen Abänderungsantrag (AA-217 BlgNR 27. GP , 7; der in der Revision weiters zitierte Initiativantrag vom 21. 9. 2022 [IA 2773/A, 27. GP ] führte zu keiner Gesetzesänderung) ist das fraglich. Den Gesetzesmaterialien kann aber jedenfalls keine „Abkehr“ von der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i) entnommen werden, weil diese Rechtsprechung nicht einmal erwähnt wird. Auch eine Orientierung an § 25 TKG 2003 ist nicht erkennbar: Abgesehen davon, dass diese – in den Gesetzesmaterialien nicht genannte – Bestimmung bereits vor Einbringung des Abänderungsantrags zu § 80 ElWOG in der Sitzung des Nationalrats am 20. 1. 2022, nämlich mit Ablauf des 31. 10. 2021, außer Kraft getreten war, unterschied sich ihr Wortlaut deutlich von § 80 Abs 2a und 5 ElWOG, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zum ABGB.
[31] Wie dargestellt (ErwGr 4.1.), spiegelt sich eine allfällige Absicht, mit § 80 Abs 2a ElWOG ein gesetzliches Preisänderungsrecht zu normieren, jedenfalls nicht im Gesetzestext wider. Gesetzesmaterialien sind weder selbst Gesetz noch eine authentische Interpretation desselben (2 Ob 41/19x; 1 Ob 15/24y), sodass bei der Auslegung eines Gesetzes generell keine Bindung an die in den Gesetzesmaterialien geäußerte Ansicht besteht (RS0008799). Die historische Auslegung, die Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien, bedarf besonderer Vorsicht, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen. Die Norm steht mit ihrem Wortlaut, mit ihrer Systematik und in ihrem Zusammenhang mit anderen Normen über der Meinung der Redaktoren (RS0008776 [insb T1, T3, T4, T6]; vgl RS0008800). Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet ist und nur in den Materialien steht, kann nicht durch Auslegung Geltung erlangen (RS0008799). Die – aufgrund der Genese der gesetzlichen Bestimmungen inhaltlich besonders dürftigen – Gesetzesmaterialien tragen eine Interpretation des § 80 Abs 2a ElWOG im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts nicht.
[32] 4.3. Es trifft zwar zu, dass die Anwendung der Fristen des § 80 Abs 2a ElWOG bei Lieferverträgen, welche die Schwankungen der Großhandelspreise widerspiegeln (Spotmarkt-Produkt oder andere Produkte mit automatischer Preisänderung), dann nicht sinnvoll ist, wenn kürzere als monatliche Anpassungsintervalle vorgesehen sind. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof zu § 125 Abs 2 GWG 2011 bereits entschieden, dass diese Bestimmung auf Preisänderungen im Rahmen eines Floating‑Tarifs – unabhängig davon, ob es sich um ein gesetzliches Preisänderungsrecht handelt oder eine vertragliche Änderungsregel vorausgesetzt wird – gar nicht anwendbar ist (3 Ob 26/24f). Folgt man dieser Entscheidung auch für § 80 Abs 2 und 2a ElWOG, was insbesondere angesichts der Regelung des § 80 Abs 4a ElWOG naheliegend ist, so ist aus dem vom Unionsrecht anerkannten (Art 11 EBRL 2019) Bestehen von Floating-Tarifen für die hier geprüfte Thematik nichts abzuleiten.
[33] 4.4. Der VfGH hat in seiner in der Revision genannten Entscheidung (G 1102/2023 ua) nur auf das nach § 80 Abs 2a ElWOG bestehende Änderungsrecht hingewiesen, aber nichts darüber ausgesagt, ob es sich um ein gesetzliches Änderungsrecht handelt oder eine vertragliche Vereinbarung erforderlich ist.
[34] 4.5. Nach § 2 Z 1 ElWOG dient dieses Gesetz insbesondere der Umsetzung der EBRL 2009 (Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ), die die EBRL 2003 (Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG – Erklärungen zu Stilllegungen und Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen) ersetzte und ihrerseits durch die EBRL 2019 ersetzt wurde.
[35] Zur Judikatur des EuGH ist vorweg anzumerken, dass die Verbraucherschutzvorschriften der EBRL 2003 gleich lauteten wie jene der zeitgleich ergangenen Richtlinie zum Erdgasbinnenmarkt (Art 3 Abs 3 und Anhang A GBRL 2003 [Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ]), sodass Entscheidungen zur GBRL 2003 auch für die Auslegung der EBRL 2003 und damit der EBRL 2019 von Bedeutung sind (vgl EuGH C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff).
[36] Zutreffend ist zwar, dass der EuGH keine Bedenken gegen ein gesetzliches Änderungsrecht hegte, sofern die – nunmehr aus Art 10 Abs 4 EBRL 2019 folgenden – Informationspflichten gegenüber dem Kunden eingehalten wurden (C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff;vgl weiters C‑765/18 , Stadtwerke Neuwied). Er betonte jedoch die besonderen Umstände der (deutschen) Ausgangsverfahren, in denen es jeweils um die Grundversorgung ging und die Vertragsbedingungen durch Verordnung festgelegt waren.
[37] Im Gegensatz dazu gilt § 80 Abs 2a ElWOG generell für Stromlieferverträge; die Anwendung auf den Grundversorgungstarif ergibt sich erst aus der gesetzlichen Anordnung in § 77 Abs 1 ElWOG, wonach die Belieferung im Rahmen der Grundversorgung zu den AGB des Versorgers zu erfolgen hat.
[38] Einschlägig ist daher das Urteil des EuGH zu C‑92/11 , RWE Vertrieb AG,das als Grundsatz eine dem Versorger vertraglich eingeräumte Änderungsmöglichkeit voraussetzt. Nach dieser Entscheidung kommt die für den Fall der tatsächlichen Erhöhung der Tarife in der GBRL 2003 bestehende Informationspflicht zur aufgrund der KlauselRL bestehenden Verpflichtung hinzu, den Verbraucher vor Vertragsabschluss klar und verständlich über die grundlegenden Voraussetzungen der Ausübung eines solchen Rechts zur einseitigen Änderung zu informieren.
[39] Dass sich an dieser unionsrechtlichen Rechtslage durch die EBRL 2019 unzweifelhaft (vgl RS0082949) nichts geändert hat, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sich Art 10 EBRL 2019 im Kapitel III über „Stärkung und Schutz der Verbraucher“ befindet und mit „Grundlegende vertragliche Rechte“ überschrieben ist. Geregelt sind daher Rechte der Endkunden, wobei Art 10 Abs 2 EBRL 2019 klarstellt, dass diese durch die nachfolgenden Absätze gegenüber der KlauselRL nur erweitert werden sollen, ohne die Anwendung der KlauselRL einzuschränken oder zu beeinträchtigen. Auch die Bestimmung des Art 10 Abs 4 EBRL 2019 normiert in diesem Sinne zusätzliche Rechte der Endkunden und kann zweifelsfrei nicht in dem Sinne gedeutet werden, dass sie – entgegen der soeben zitierten Entscheidung des EuGH – ein auf dem Gesetz selbst beruhendes Preisänderungsrecht des Versorgers vorgeben würde. Ein solches würde den Verbraucherschutz gerade nicht stärken, sondern empfindlich schwächen und damit den Zielen der Richtlinie (ErwGr 30 EBRL 2019) zuwider laufen. Die EBRL 2019 normiert auch sonst keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem Versorger im Rahmen der Grundversorgung ein auf dem Gesetz selbst beruhendes Preisänderungsrecht einzuräumen. Ob und unter welchen Umständen Derartiges (entsprechend der bisherigen Judikatur: EuGH C‑359/11 und 400/11, Schulz und Egbringhoff;vgl weiters C‑765/18 , Stadtwerke Neuwied) auch nach der EBRL 2019 noch zulässig wäre, ist hier nicht entscheidungsrelevant, weil das österreichische Recht kein gesetzliches Preisänderungsrecht normiert und damit jedenfalls im Einklang mit der EBRL 2019 steht.
[40] 4.6. § 80 Abs 2a ElWOG ist damit als Umsetzungsmaßnahme der in Art 10 Abs 4 EBRL 2019 normierten Informationspflichten zu begreifen, die im Lichte der Entscheidung des EuGH zu C‑92/11 , RWE Vertrieb AG, zu den Anforderungen hinzukommen, die die KlauselRL an die AGB des Versorgers stellt. Daneben sollten durch die Novelle BGBl I 2022/7 einzelne Bestimmungen des KSchG (vgl unten ErwGr 5.2.) durch eigenständige Regelungen ersetzt werden, die auch gegenüber Kleinunternehmern zur Anwendung gelangen. Das Argument der Revision, der Zweck der Novelle sei ohne Annahme eines gesetzlichen Preisänderungsrechts nicht nachvollziehbar, trifft demnach nicht zu.
[41] 4.7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein vom ABGB abweichendes „Sonderprivatrecht im Energieversorgungssektor“ im Sinne eines gesetzlichen Preisänderungsrechts auch nach der Novelle BGBl I 2022/7 weiterhin (vgl 3 Ob 139/19s; 5 Ob 103/21i; 9 Ob 46/21m) nicht besteht. § 80 Abs 2a ElWOG setzt vielmehr einen vertraglichen Änderungsvorbehalt voraus.
[42] 5.1. Soweit die Revision argumentiert, bei der Regelung in Punkt 8. der AGB der Beklagten handle es sich um die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungen, sodass die Klausel nicht der im § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle unterliege, ist darauf zu verweisen, dass diese Ausnahme möglichst eng zu verstehen ist und auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben soll (RS0016908). Der Vorbehalt eines einseitigen Rechts zur Änderung des im Vertrag ziffernmäßig festgelegten Tarifs fällt nicht unter diese Ausnahme (10 Ob 125/05p; 10 Ob 145/05d mwN).
[43] Die Klausel unterliegt daher nicht nur der Geltungskontrolle nach § 864a ABGB, sondern auch der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB.
[44] 5.2. Die Bestimmungen des KSchG werden aufgrund des Vorbehalts in § 80 Abs 5 ElWOG durch § 80 Abs 2a ElWOG nur insoweit ersetzt, als dort eine eigenständige Regelung getroffen wird. Dies ist jedenfalls in Bezug auf das Sachlichkeitsgebot und das (auch als Symmetriegebot bezeichnete) Zweiseitigkeitsgebot des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (zu dessen einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Preisänderungsklauseln vgl 10 Ob 23/24s mwN) der Fall, weiters im Hinblick auf Zeitpunkt, Form und Inhalt der Verständigung über die tatsächliche Ausübung des vertraglich vorbehaltenen Preisänderungsrechts. Keine Regelung enthält § 80 Abs 2a ElWOG aber insbesondere zum Transparenzgebot nach § 6 Abs 3 KSchG in Bezug auf den vertraglichen Änderungsvorbehalt (Kemetmüller,VbR 2022/29, 52 [54]). Die gegenständliche Klausel, die einen solchen vertraglichen Änderungsvorbehalt enthält, ist daher auch anhand des § 6 Abs 3 KSchG zu prüfen.
[45] 6.1. Der EuGH (C‑92/11 , RWE Vertrieb AG) fordert für die Zulässigkeit eines einseitigen Preisänderungsrechts, dass schon in den AGB der Anlass für die Erhöhung des Entgelts und die Kriterien dafür klar und verständlich dargestellt sein müssen (vgl 3 Ob 139/19s). Er leitet dies insbesondere aus Art 3 und 5 KlauselRL ab, die in Österreich durch § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG umgesetzt wurden (8 Ob 105/20d mwN).
[46] 6.2. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0128865; [insb zu Stromlieferungsverträgen] 5 Ob 103/21i), wonach eine Klausel, die Änderungen des Vertrags über eine Zustimmungsfiktion nach Inhalt und Ausmaß unbeschränkt zulässt und nicht einmal ansatzweise irgendeine Beschränkung erkennen lässt, die den Verbraucher vor dem Eintritt unangemessener Nachteile schützen könnte, gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG verstößt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Klausel eine Änderung wesentlicher Pflichten der Parteien (Leistung und Gegenleistung) zu Gunsten des Verwenders der AGB in nahezu jede Richtung und in unbeschränktem Ausmaß zulässt. Aufgrund des aus dem Transparenzgebot abzuleitenden Vollständigkeitsgebots muss der Verbraucher von Anfang an auch über die Gründe und die maßgeblichen Indizes für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion informiert werden, andernfalls die Auswirkungen der Klausel für ihn unklar bleiben. Nur auf diese Weise kann dem Risiko der künftigen Passivität des Verbrauchers ausreichend Rechnung getragen werden. Die Parameter, die für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion eine Rolle spielen, müssen aus der Klausel selbst hervorgehen, damit diese dem Transparenzgebot entspricht (RS0132022).
[47] Eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB wird nach gesicherter Rechtsprechung dann angenommen, wenn die Klausel nicht einmal ansatzweise irgendeine Beschränkung erkennen lässt, die den Verbraucher vor dem Eintritt unangemessener Nachteile bei Änderungen des Vertrags mittels Zustimmungsfiktion schützen könnte. Dahinter steht, dass die vertragliche Zustimmungsfiktion in der Praxis trotz des formalen Widerspruchsrechts weitgehend auf eine einseitige Änderungsbefugnis des Unternehmers hinausläuft, weil sich Verbraucher erfahrungsgemäß mit Änderungsangeboten nicht auseinandersetzen, weswegen ihnen ein Schutzbedürfnis zuzubilligen ist (5 Ob 117/21y, Rz 80; 10 Ob 60/17x, Pkt I.3.3). Im Fall einer nicht näher konkretisierten und unbeschränkten Möglichkeit der Vertragsänderung mittels Erklärungsfiktion steht die dem Kunden zugedachte Rechtsposition im auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition der Beklagten, zumal sie ihr ermöglicht, das Äquivalenzverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen über die Zustimmungsfiktion erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und die Position des Vertragspartners zu entwerten (8 Ob 58/14h, Pkt 2.8.).
[48] 6.3. Da diese Judikatur zur Vereinbarkeit einer vertraglichen Zustimmungsfiktion mit § 6 Abs 3 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB gerade damit begründet wird, dass diese die Gefahr birgt, de facto ein einseitiges Änderungsrecht des Unternehmers zu begründen, ist sie erst recht auf eine Klausel zu übertragen, mit der ein solches Änderungsrecht unmittelbar eingeräumt wird.
[49] 7.1. Die Regelung in Punkt 8.1. iVm den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom konkretisiert nicht, welche Umstände als Anlass für die Preisänderung in Betracht kommen. Das wörtliche Zitat des § 80 Abs 2 bis 2b ElWOG in den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom kann daran nichts ändern, weil diese Bestimmungen selbst keine solchen Umstände definieren, sondern vielmehr eine diesbezügliche vertragliche Vereinbarung voraussetzen. Von einer Transparenz kraft vollständiger Wiedergabe der Rechtslage (vgl RS0132958) kann daher keine Rede sein.
[50] 7.2. Die Klausel überlässt die Bestimmung des Anlasses einer Entgeltänderung der Entscheidung der Beklagten, wobei über das Zitat des § 80 Abs 2, 2a und 2b ElWOG in den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom nur die Einschränkung besteht, dass die Preisänderung in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen muss. Durch die nicht einmal ansatzweise beschränkte Wahl dieses Umstands räumt die Klausel der Beklagten deshalb die Möglichkeit ein, die subjektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung zum Nachteil des Verbrauchers zu verändern, indem sie etwa unsachliche Bezugspunkte wie „die geplante Erhöhung ihres Gewinns“ (vgl Oberndorfer, wbl 2022, 545 [552]) wählt. Die Klausel erweist sich demnach im Sinne der zuvor (ErwGr 6.1. und 6.2.) genannten Judikatur als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.
[51] 7.3. Da sie bei der Wahl des maßgeblichen Umstands keine Einschränkungen enthält, ist sie auch intransparent (§ 6 Abs 3 KSchG). Für den Verbraucher ist nicht erkennbar, aus welchem Anlass eine Preisänderung erfolgen kann.
[52] 8. Sowohl der Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB (iVm Art 3 KlauselRL) als auch jener gegen § 6 Abs 3 KSchG führen zur gänzlichen Unwirksamkeit der Klausel (RS0128735 [insb T2]; RS0122168).
[53] Wenn die Revision argumentiert, ein Preisänderungsrecht der Beklagten ergebe sich auch aus Punkt 3.2. der AGB Strom, ist dies nicht nachvollziehbar. Der letzte Satz des Punkts 3.2. der AGB verweist bloß auf deren Punkt 8. Die Wiedergabe des Gesetzestextes in den Punkten 8.2. bis 8.4. der AGB Strom kann für sich allein nicht als Vereinbarung eines Preisänderungsrechts gewertet werden. Punkt 8.5. der AGB Strom enthält lediglich hier nicht relevante Einschränkungen der in den Absätzen davor geregelten Änderungsmöglichkeit und Punkt 8.6. der AGB Strom ist im Verhältnis zur Klägerin, einer Verbraucherin, nicht anwendbar.
[54] Aufgrund dessen mangelt es für die Entgelterhöhung an der erforderlichen vertraglichen Grundlage, sodass dahingestellt bleiben kann, ob das Schreiben vom 16. 1. 2023 den Anforderungen des § 80 Abs 2a ElWOG entsprach und welche Rechtsfolgen aus einer allfälligen unzutreffenden Information abzuleiten sind.
[55] 9. Der Revision der Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.
III. Kostenentscheidung:
[56] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Beide Parteien haben Anspruch auf Ersatz der richtig verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortungen; die Beklagte (auch) deshalb, weil sie auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin hingewiesen hat. Saldiert ergibt sich die spruchgemäße Kostenentscheidung.
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