European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00015.22K.0223.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Erstgericht erneuerte die gerichtliche Erwachsenenvertretung für die Betroffene, wobei der Revisionsrekurswerber weiterhin zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter ua für die Vertretung in gerichtlichen Verfahren bestellt blieb; sein Antrag, die Erwachsenenvertretung insoweit auf die Vertretung vor Zivilgerichten einzuschränken, wurde abgewiesen.
[2] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es dem Erwachsenenvertreter nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[4] 1. Es kann keine Rede davon sein, dass das Pflegschaftsgericht bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen gehindert wäre, den Erwachsenenvertreter zur Vertretung auch vor Strafgerichten zu bestellen. Wie der Revisionsrekurswerber selbst richtig ausführt, beinhaltet die ordentliche Gerichtsbarkeit iSd Art 82 B‑VG die Zivil‑ und Strafgerichtsbarkeit, sodass der in § 269 Abs 1 Z 2 ABGB (in Bezug auf den gesetzlichen Erwachsenenvertreter) angeführte mögliche Wirkungsbereich der „Vertretung in gerichtlichen Verfahren“ auch Strafprozesse beinhaltet. Dass die Regelung der Erwachsenenvertretung im ABGB keineswegs zur Folge hat, dass das Pflegschaftsgericht einen Erwachsenenvertreter nur zur Vertretung in zivilgerichtlichen Verfahren bestellen dürfte, ergibt sich außerdem zweifellos daraus, dass ein Erwachsenenvertreter sogar zur Vertretung in Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestellt werden kann (vgl § 269 Abs 1 Z 1 ABGB).
[5] 2. Es trifft zwar zu, dass die Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen in einem gegen ihn geführten Strafverfahren selbständig, also ohne Bindung an die Bestellung eines Erwachsenenvertreters durch das Pflegschaftsgericht, zu prüfen ist (vgl 12 Os 61/64 = RS0096160). Dennoch kann entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers nicht gesagt werden, dass für eine Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichts zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters (auch) zur Vertretung vor Strafgerichten kein Raum bleibe. Gemäß § 282 Abs 1 StPO und § 283 Abs 2 StPO kann nämlich der gesetzliche Vertreter zugunsten des Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung erheben, und § 61 Abs 3 StPO gibt dem gesetzlichen Vertreter in bestimmten Fällen das Recht, zugunsten des Angeklagten einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu stellen. Ein solches Antragsrecht des Erwachsenenvertreters setzt allerdings denknotwendig voraus, dass er auch zur Vertretung des Betroffenen in (straf-)gerichtlichen Verfahren bestellt ist (in diesem Sinn auch Böhm, Erwachsenenschutzrecht und Strafprozessrecht, in Barth/Ganner. Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 1014 [1045, 1049, 1083]; ebenso Nimmervoll, Der Sachwalter im Strafverfahren [Teil I], AnwBl 2012, 472).
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