European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00040.25A.0429.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.032,90 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist eine freiwillige Wassergenossenschaft (§ 74 Abs 1 lit a WRG) mit dem Zweck der Errichtung und Erhaltung von Quellfassungen und Wasserleitungsanlagen zur Versorgung der Liegenschaften und Anlagen ihrer Mitglieder mit Trink‑ und Nutzwasser. Sie schloss mit den Rechtsvorgängern des Beklagten am 9. 8. 1984 einen Vertrag, mit welchem ihr und ihren Rechtsnachfolgern hinsichtlich zweier (seit dem Jahr 2002 im Eigentum des Beklagten stehenden) Grundstücke die Dienstbarkeit des Wasserbezugs‑ und Wasserleitungsrechts eingeräumt wurde. Entsprechend dieser Vereinbarung errichtete die Klägerin eine Quellfassung und eine Wasserversorgungsanlage auf den (nunmehrigen) Grundstücken des Beklagten, die mit Bescheid vom 10. 10. 1984 wasserrechtlich bewilligt wurde und seit der Errichtung von ihr betrieben wird. Die Dienstbarkeit laut Vertrag wurde bislang nicht im Grundbuch einverleibt.
[2] Mit der am 15. 11. 2023 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zustimmung zur Einverleibung der Dienstbarkeit des Wasserbezugs‑ und Wasserleitungsrechts ob seiner Liegenschaft im Sinne des Vertrags vom 9. 8. 1984.
[3] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
[4] Da der Beklagte als Erwerber der belasteten Liegenschaft die zu verbüchernde, aber nicht verbücherte Dienstbarkeit gekannt habe, sei sie ihm gegenüber – unabhängig von einer vertraglichen Überbindung – wirksam. Der klagenden Wassergenossenschaft als juristischer Person öffentlichen Rechts komme die 40‑jährige Verjährungsfrist des § 1485 iVm § 1472 ABGB zugute.
[5] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil noch keine gesicherte neuere Rechtsprechung existiere, welche juristische Personen zu den „erlaubten Körpern“ gemäß § 1472 ABGB gehörten.
[6] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Beklagten, die auf eine Klageabweisung abzielt.
[7] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zur Klarstellung zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
[9] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur mehr) die Frage, ob das Recht der Klägerin aus dem Dienstbarkeitsbestellungsvertrag auf Einwilligung in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Wasserbezugs‑ und Wasserleitungsrecht der 30‑jährigen (§ 1478 ABGB) oder der 40‑jährigen Verjährungsfrist nach §§ 1472, 1485 ABGB unterliegt.
2. Zum Anwendungsbereich des § 1472 ABGB
[10] 2.1. Gemäß § 1472 ABGB reicht gegen den Fiskus, […], gegen die Verwalter der Güter der Kirchen, Gemeinden und anderer „erlaubten Körper“, die gemeine ordentliche Ersitzungszeit (bei unbeweglichen Sachen von 30 Jahren) nicht zu, sondern wird auf 40 Jahre ausgedehnt.
[11] 2.2. In der älteren Rechtsprechung wurde davon ausgegangen, dass zu den nach § 1472 ABGB begünstigten Personen alle juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts zählen (RS0034145).
[12] Die Anwendung der 40‑jährigen Verjährungsfrist auf (alle) juristischen Personen des Privatrechts wurde in der Literatur zuletzt vielfach kritisiert (vgl die Nachweise bei 6 Ob 74/21g Rz 41). In zwei jüngeren Entscheidungen ließ der Oberste Gerichtshof die Frage ausdrücklich offen: Zu 1 Ob 120/10v führte er aus, dass die lange 30‑jährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche auch für die in § 1472 ABGB genannten Personen gelte, sodass es nicht mehr darauf ankomme, ob eine GmbH als juristische Person des privaten Rechts zu den in § 1472 ABGB privilegierten Personen gehöre. Zu 6 Ob 74/21g ging er davon aus, dass auch unter Berücksichtigung der in der Literatur von Gusenleitner‑Helm (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2012] Vor §§ 1472–1477 ABGB Rz 3) und M. Auer (Sind Personen‑ und Kapitalgesellschaften „erlaubte Körper“ iS von §§ 1472, 1485 ABGB?, JBl 2015, 477 ff) vertretenen Auslegung des § 1472 ABGB kein Zweifel daran bestehe, dass einer aufgrund gesetzlicher Anordnung (konkret: § 29a BundesbahnG) gegründeten Gesellschaft die Privilegierung des § 1472 ABGB zugute komme.
[13] 2.3. Schließlich griff der 8. Senat in der Entscheidung 8 Ob 81/21a die in der Literatur geäußerten Bedenken auf und schränkte den Anwendungsbereich des § 1472 ABGB hinsichtlich juristischer Personen des Privatrechts dahin ein, dass jedenfalls eine unternehmerisch tätige GmbH, die weder durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes gegründet wurde, noch einer bereits für die Firmenbucheintragung vorausgesetzten öffentlich‑rechtlichen Konzessionspflicht unterliegt, nicht unter den Begriff der erlaubten Körperschaft im Sinne des § 1472 ABGB fällt (RS0133971). Dies wurde insbesondere im Anschluss an M. Auer (Sind Personen- und Kapitalgesellschaften „erlaubte Körper“ iS von §§ 1472, 1485 ABGB? JBl 2015, 477 ff) damit begründet, dass der historische Gesetzgeber unter „erlaubten Körpern“ (nur) Gesellschaften verstanden habe, deren Entstehung und Eintragung eines Gesetzes‑ oder Verwaltungsakts bedürfe. Die Beschränkung der Einbeziehung anderer Körperschaften auf jene, deren Entstehung und Eintragung eines Gesetzes‑ oder Verwaltungsakts bedürfe, belasse dem geltenden Gesetz einen klar umrissenen Anwendungsbereich. Dieser werde dem Zweck gerecht, solche – aber auch nur solche – juristische Personen durch eine längere Ersitzungs‑ und Verjährungsfrist zu schützen, denen eine sich in ihren Gründungsvoraussetzungen widerspiegelnde gesamtgesellschaftliche Bedeutung beigemessen werde und die wegen ihrer Größe und/oder komplexeren Organisationstruktur typischerweise schwerer als Einzelpersonen in der Lage seien, einen durch Ersitzung oder Verjährung drohenden Rechtsverlust wahrzunehmen und ihm rechtzeitig entgegenzutreten.
[14] 2.4. In der Folgeentscheidung 4 Ob 69/23k wurde nach Wiedergabe der tragenden Erwägungen zu 8 Ob 81/21a ausgesprochen, dass jedenfalls bei Errichtung einer Gesellschaft durch Gesetz oder aufgrund spezialgesetzlicher Ermächtigung sowie Alleingesellschafterstellung der öffentlichen Hand wertungsmäßig eine nach § 1472 ABGB privilegierte juristische Person vorliege, ohne dass es auf die weiteren in der Entscheidung des 8. Senats angeführten Voraussetzungen ankäme.
[15] 2.5. Während M. Auer die Entscheidung 8 Ob 81/21a (GesRZ 2022, 380 [Glosse]) ausdrücklich billigte, wurde sie in der Literatur teilweise insofern kritisiert, als die vorgenommene Einschränkung nicht weit genug ginge. So führt Kietaibl (in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4.01 [2024] § 1485 ABGB Rz 1) aus, die Fristverlängerung stelle ein Privileg für Rechtsträger dar, an deren Tätigkeit ein besonderes öffentliches Interesse bestehe. Dieses sei bei den durch ein Gesetz bzw aufgrund eines Gesetzes gegründeten Gesellschaften zu bejahen, worunter alle ausgegliederten Rechtsträger fallen würden. Die Konzessionspflicht stelle aber demgegenüber kein ausreichendes Indiz für ein entsprechendes öffentliches Interesse dar, weshalb eine Privilegierung sämtlicher konzessionspflichtiger Gesellschaften nicht gerechtfertigt sei. Schmit (Ersitzungs‑ und Verjährungsfristen bei juristischen Personen, ÖJZ 2024/28) plädiert im Ergebnis dafür, neben den ausgegliederten Rechtsträgern nur Konzessionäre zu begünstigen, die aufgrund gesetzlicher Vorgaben einen besonderen Beitrag an das Gemeinwohl erbringen würden.
[16] Ehgartner (Zur Anwendbarkeit des § 1472 ABGB auf juristische Personen des Privatrechts, RdW 2022, 522) meint überhaupt, dass es keinen Anwendungsfall mehr gäbe, auf den der Normzweck des § 1472 ABGB noch zutreffen würde. Daher schlägt er eine Totalreduktion der Norm nach der Maxime „cessante ratione legis cessat lex ipsa“ vor. Er räumt allerdings ein, dass es denkbar wäre, den Zweck der Bestimmung im Schutz des öffentlichen Vermögens zu sehen. Insofern könnte der Anwendungsbereich der Norm auf alle juristischen Personen beschränkt werden, die öffentliches Vermögen verwalten würden.
[17] R. Madl (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1485 Rz 1 [Stand 1. 1. 2022, rdb.at]) vertritt zwar auch die Ansicht, dass die Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen in den §§ 1472, 1485 ABGB vom Gesetzgeber beseitigt werden sollte, doch sei zu bedenken, dass vom Gesetzgeber im Bewusstsein um die Problematik dieses „veralteten Privilegs“ auf eine Reform verzichtet worden sei. Daher sei es dem Rechtsanwender nicht erlaubt, diese (bewusste) Entscheidung des Gesetzgebers zu korrigieren, insbesondere nicht durch eine unsachliche Differenzierung innerhalb der juristischen Personen.
3. Zu Wassergenossenschaften
[18] 3.1. Wassergenossenschaften – wie die Klägerin – sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 74 Abs 2 WRG). Ihr Entstehen setzt einen behördlichen Akt (Bescheid) voraus; das Verbandsverhältnis ist zu einem erheblichen Teil öffentlich‑rechtlich gestaltet (1 Ob 1/95 mwN; 1 Ob 30/11k [Pkt 2.]; Ecker/Hanz in Kerschner, WRG [2022] zu § 73 WRG 1959 Rz 3).
[19] Wassergenossenschaften können nach § 73 Abs 1 WRG zur Verfolgung wasserwirtschaftlich bedeutsamer Zielsetzungen gebildet werden, die in den lit a bis j leg cit demonstrativ aufgezählt sind. Darunter fällt insbesondere die Wasserversorgung, die wiederum zur Daseinsfürsorge zählt (Budischowsky, Das Bekenntnis zur Wasserversorgung als Staatsziel, RdU 2015/113 [Pkt 4.]). Wassergenossenschaften spielen dort eine wichtige gemeinwirtschaftliche Rolle, wo die Leistungserbringung in (abgelegenen) Gebieten mangels bestehender Gemeindewasserversorgung von einer lokalen Personenmehrheit übernommen wurde, aus der in der Folge vielfach Wassergemeinschaften entstanden sind (Wallnöfer, Wassergenossenschaften – moderne Organisationsform zur Wasserversorgung?, ecolex 2006, 435).
[20] 3.2. Bereits in der Entscheidung 5 Ob 277/66 (= RS0034151) wurde eine Wassergenossenschaft als privilegierte Person im Sinne des § 1472 ABGB angesehen.
[21] Auch nach der neueren (unter Pkt 2.3. f zitierten) Judikatur besteht kein Anlass, von dieser Beurteilung abzugehen:
[22] Juristische Personen des öffentlichen Rechts werden typischerweise durch Gesetz, Verordnung oder durch einen anderen Verwaltungsakt geschaffen; sie nehmen üblicherweise Staatsaufgaben oder zumindest öffentliche Interessen wahr (Benke/Steindl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2014], §§ 26, 27 ABGB Rz 33 ff), etwa Aufgaben der Daseinsfürsorge. Aufgrund der ihnen – im Gegensatz zu juristischen Personen des Privatrechts – inhärenten gesamtgesellschaftlichen Bedeutung kann ihnen ein besonderes Schutzbedürfnis nach einer längeren Ersitzungs‑ und Verjährungsfrist zugebilligt werden.
[23] Wenn der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 69/23k ausgeführt hat, dass jedenfalls bei ausgelagerten – von der öffentlichen Hand gegründeten und in deren Eigentum stehenden – Kapitalgesellschaften wertungsmäßig eine nach § 1472 ABGB privilegierte juristische Person vorliegt, muss dies daher umso mehr für – im Interesse des Gemeinwohls bestehende – juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten, ohne dass es im Einzelnen auf die zu 8 Ob 81/21a für juristische Personen des Privatrechts dargelegten Kriterien ankäme. Der Einwand des Revisionswerbers, Wassergenossenschaften seien überwiegend weder groß noch wiesen sie eine komplexe Organisationsstruktur auf, weckt somit keine Zweifel an der Begünstigung der Klägerin als juristischer Personen des öffentlichen Rechts durch § 1472 ABGB.
[24] 3.3. Eine „Totalreduktion“ der Norm, für die, soweit ersichtlich, nur Ehgartner (RdW 2022, 527)eintritt, ist abzulehnen, weil der Gesetzgeber – trotz entsprechender Forderungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur de lege ferenda (vgl etwa Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1485 ABGB Rz 1) – bislang eine Abschaffung der Bestimmung unterlassen hat und ihr im Sinne von 8 Ob 81/21a und 4 Ob 69/23k eben doch ein vernünftiger Zweck beigemessen werden kann.
4. Ergebnis
[25] Eine Wassergenossenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts fällt unter die Begünstigung des § 1472 iVm § 1485 ABGB.
[26] 5. Der Revision des Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.
[27] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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