European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00181.24K.0121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Beide außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Mit Beschluss des Erstgerichts vom März 2021 wurde der Vater verpflichtet, ab 1. 12. 2020 für seine zwischenzeitig volljährige Tochter 1.185 EUR und ab 1. 7. 2020 für seinen 2007 geborenen (älteren) Sohn 1.005 EUR und für seinen 2011 geborenen (jüngeren) Sohn 880 EUR monatlich an Unterhalt zu leisten. Diese Unterhaltsbeträge entsprachen dem jeweiligen 2,5‑fachen Durchschnittsbedarfssatz für Kinder der entsprechenden Altersgruppe.
[2] Am 23. 12. 2022 beantragten die Unterhaltsberechtigten die Neufestsetzung ihres Unterhalts rückwirkend ab 1. 4. 2021 in Höhe des 6‑fachen Regelbedarfs, hilfsweise unter Anwendung der Prozentwertmethode. Der ältere Sohn begehrte überdies den Zuspruch von Zahnbehandlungskosten als Sonderbedarf.
[3] Das Erstgericht verpflichtete den Vater,
1. seiner Tochter
a) für den Zeitraum 1. 7. 2021 bis 30. 9. 2021 weitere 35 EUR, monatlich daher 1.220 EUR, und
b) für den Zeitraum 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2022 weitere 240 EUR, monatlich daher 1.425 EUR zu zahlen,
2. seinem älteren Sohn
a) für den Zeitraum 1. 7. 2021 bis 30. 9. 2021 weitere 30 EUR, monatlich daher 1.035 EUR, und
b) für den Zeitraum 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2022 weitere 120 EUR, monatlich daher 1.125 EUR, sowie
c) einen Sonderbedarfsbeitrag von 8.930 EUR zu zahlen;
3. seinem jüngeren Sohn
a) für den Zeitraum 1. 7. 2021 bis 30. 9. 2021 weitere 155 EUR, monatlich daher 1.035 EUR, und
b) für den Zeitraum 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2022 weitere 245 EUR, monatlich daher 1.125 EUR zu zahlen.
[4] Das darüber hinausgehende Unterhaltsbegehren der Kinder wurde abgewiesen.
[5] Gegen diese Entscheidung erhob der Vater Rekurs mit dem Antrag, (auch) das Unterhaltserhöhungsbegehren für den Zeitraum 1. 7. 2021 bis 30. 9. 2021 und 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2022 sowie auf einmalige Leistung eines Sonderbedarfs von 8.930 EUR zur Gänze abzuweisen.
[6] Der Rekurs der drei Unterhaltsberechtigten zielte weiterhin auf die Festsetzung des monatlichen Unterhaltsbetrags in der Höhe des 6-fachen Regelbedarfs, hilfsweise unter Anwendung der Prozentwertmethode, ab.
[7] Das Rekursgericht gab beiden Rekursen in der Hauptsache nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[8] Dagegen richtet sich einerseits ein außerordentlicher Revisionsrekurs der beiden Söhne. Die Tochter bekämpfte die Rekursentscheidung nicht.
[9] Andererseits erhob der Vater eine Zulassungsvorstellung, verbunden mit „ordentlichem“ Revisionsrekurs. Auf deren Grundlage sprach das Rekursgericht nachträglich aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil sich der Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht entnehmen lasse, ob auch die erhebliche Änderung der Regelbedarfssätze aufgrund der Kinderkostenanalyse 2021 mit dem Ziel, die heutigen Verhältnisse bestmöglich abzubilden (10 Ob 5/23t), für sich alleine zu einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse führe.
Rechtliche Beurteilung
[10] Dieser Beschluss des Rekursgerichts steht mit dem Gesetz nicht in Einklang.
[11] Beim Unterhaltsanspruch eines Unterhaltsberechtigten handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, weshalb auch nur ein einheitlicher Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses möglich ist (RS0118275 [T2, T4, T5]). Wird allerdings in einem Beschluss über Unterhaltsansprüche für mehrere Unterhaltsberechtigte abgesprochen, ist der Wert des Entscheidungsgegenstands für jedes Kind einzeln zu beurteilen (RS0112656).
[12] Bei der Ermittlung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts in Unterhaltsverfahren kommt es dann, wenn – wie hier – (auch) laufende Ansprüche zu beurteilen sind, nach § 58 Abs 1 JN auf den 36-fachen Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags an, der zum Zeitpunkt der Entscheidung der zweiten Instanz zwischen den Parteien noch strittig war (RS0103147; RS0122735; RS0114353).
[13] Die vor dem Rekursgericht strittigen laufenden Unterhaltsbeiträge entsprachen bei allen Kindern der Differenz zwischen dem 2,5-fachen und 6-fachen Regelbedarf, also dem 3,5-fachen des jeweiligen Regelbedarfs. Davon ausgehend betrug der Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz für die Tochter und den älteren Sohn jeweils 83.160 EUR (660 [einfacher Regelbedarf für das Jahr 2024] x 3,5 x 36) und für den jüngeren Sohn 66.780 EUR (530 [einfacher Regelbedarf für das Jahr 2024] x 3,5 x 36), also auch unter Außerachtlassung der Unterhaltsrückstände und der Sonderbedarfskosten jedenfalls mehr als 30.000 EUR.
[14] Dann, wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Rekursgericht ausgesprochen hat, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist, kann dennoch ein – außerordentlicher – Revisionsrekurs erhoben werden (§ 62 Abs 5 AußStrG). Der vom Vater irrig mit einer Zulassungsvorstellung verbundene „ordentliche“ Revisionsrekurs ist in einen außerordentlichen Revisionsrekurs umzudeuten (RS0123405) und wäre unter Zurückweisung der Zulassungsvorstellung (vgl RS0122264) unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorzulegen gewesen. Der dennoch, ohne gesetzliche Grundlage, erfolgte rekursgerichtliche Beschluss über die Zulassungsvorstellung ist für den Obersten Gerichtshof unbeachtlich (RS0110049 [T23] = 4 Ob 153/23p mwN).
[15] I. Der (richtig) außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher zurückzuweisen.
[16] 1. Der Rechtsmittelwerber rügt, dass die Vorinstanzen die monatlichen Unterhaltsbeträge für das Jahr 2022 erhöht haben, obwohl weder eine „verbindliche“ (rückwirkende) Valorisierung der Regelbedarfssätze noch eine wesentliche Umstandsänderung eingetreten sei.
[17] 1.1. Gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden (RS0053297; RS0047398). Eine allgemein gültige Regel, ab wann von einer solchen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist oder nicht, lässt sich nicht aufstellen, weil die Umstände des Einzelfalls von wesentlicher Bedeutung sind (RS0007161 [T12]; RS0047529 [T15]).
[18] 1.2. Es trifft zu, dass nach dem Rechtssatz RS0106742 weder der Wechsel in der Altersgruppe noch die Änderung der Regelbedarfssätze „für sich allein“ eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bedeuten soll.
[19] Damit ist für den Vater aber nichts gewonnen: Vorab ist festzuhalten, dass sich aus der Prozentsatzmethode hier (unstrittig) ein höherer als der zugesprochene Unterhalt ergäbe. Der Unterhalt ist daher (nur) nach dem Bedarf der Kinder zu ermitteln, der mit der sogenannten Luxusgrenze nach oben hin gedeckelt ist. Die vom Vater herangezogene Entscheidung 3 Ob 41/23k ist damit aber schon von vornherein nicht einschlägig, weil dort eine Unterhaltsfestsetzung nach der Prozentwertmethode erfolgte. Gerade die Entscheidung 2 Ob 67/09f, die dem Beisatz T1 zu RS0106742 zugrunde liegt, wonach der Änderung der Regelbedarfssätze für sich genommen noch nicht die Bedeutung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zukomme, bringt zum Ausdruck, dass eine Steigerung der Lebenshaltungskosten sehr wohl durch eine angemessene Erhöhung des Unterhalts zu berücksichtigen ist. Auch in der Folgeentscheidung 6 Ob 127/10k wurde die Erhöhung der Lebenshaltungskosten als Begründung für eine Unterhaltserhöhung herangezogen. Den weiteren Entscheidungen dieses Rechtssatzes kann nichts anderes entnommen werden. Damit in Einklang steht, dass es der Oberste Gerichtshof als vertretbar beurteilt hat, ein Jahr nach Schaffung des Unterhaltstitels im Hinblick auf die während dieses Zeitraums eingetretene Geldentwertung (und einem sich offenbar daraus abgeleiteten höheren Bedarf) eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzunehmen (RS0039816; 9 Ob 44/14g).
[20] 1.3. Die zu Rechtssatz RS0106742 indizierten Entscheidungen stehen daher einer Neubemessung des – ausnahmsweise allein am Bedarf anknüpfenden – Unterhalts nicht entgegen, wenn eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten und ein damit einhergehender höherer Bedarf der Unterhaltsberechtigten vorliegt.
[21] Davon aber ist das Rekursgericht ausgegangen, sodass seine Entscheidung mit der einschlägigen Rechtsprechung keineswegs in Widerspruch steht:
[22] Der (für das Jahr 2022 inflationsbedingt grundsätzlich notorische) höhere Bedarf spiegelt sich in dem im März 2022 zu 43 Nc 5/22w ergangenen Schreiben des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien an die mit Pflegschaftssachen befassten Organe der Rechtspflege wider, das eine „Neue Empfehlung betreffend Durchschnittsbedarfssätze zum 1. 1. 2022“ enthielt. Die dort aufscheinenden Werte hat der Oberste Gerichtshof zwischenzeitig für geeignet erachtet, „den Regelbedarf realistisch darzustellen“ (10 Ob 5/23t). Dieses – bereits vom Rekursgericht herangezogene – Schreiben übergeht der Vater, wenn er im Rechtsmittel weiterhin behauptet, es wäre 2022 zu keiner Anpassung der Regelbedarfssätze gekommen.
[23] 2. Überdies wendet der Vater ein, dass die von ihm zusätzlich zum monatlichen Unterhalt erbrachten Naturalleistungen anzurechnen gewesen wären.
[24] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Entscheidung über einen (an sich berechtigten) Antrag auf rückwirkende Unterhaltserhöhung grundsätzlich alle vom Unterhaltspflichtigen in der Vergangenheit erbrachten, die (ursprünglich titulierte Unterhaltspflicht übersteigenden) Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter anspruchsmindernd anzurechnen (RS0047328), und zwar unabhängig von einer Zustimmung des anderen Elternteils (RS0047328 [T4]). Unterhaltscharakter haben vergangene Naturalleistungen in diesem Zusammenhang dann, wenn sie ohne Schenkungsabsicht, also in Alimentationsabsicht, die vermutet wird, erbracht wurden und zu einer ausgewogenen Deckung des angemessenen Lebensbedarfs des Kindes beigetragen haben (RS0047328 [T5]; 5 Ob 28/14z mwN). Ob und in welchem Ausmaß eine Reduktion des Geldunterhaltsanspruchs vorzunehmen ist, ist eine Entscheidung, der keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (2 Ob 64/13w).
[25] 2.2. Der Vater selbst hat – wie das Rekursgericht ausgeführt hat – vorgebracht, dass er die Naturalleistungen „aus reiner Freigiebigkeit“ erbringe. Dementsprechend stellte das Erstgericht (disloziert) fest, dass es sich um freiwillige Leistungen handle und der gesamten Aktenlage keine Alimentationsabsicht entnommen werden könne.
[26] 2.3. Der Revisionsrekurswerber beruft sich nunmehr auf die Entscheidung 10 Ob 34/12s, wonach auch in Schenkungsabsicht erbrachte Naturalleistungen nicht dazu führen, dass der bereits in natura gedeckte Bedarf quasi fiktiv aufrechterhalten wird und dem Unterhaltspflichtigen nochmals die Deckung des fiktiven Bedarfs in Geld auferlegt wird und es damit zu einer Doppelversorgung kommt, auf die der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch hat.
[27] Hierfür ist jedoch – wie in der Entscheidung klargestellt wird – immer Voraussetzung, dass es sich dabei um für das Kind brauchbare, zweckentsprechende, bedürfnisgerechte Naturalleistungen handelt.
[28] Der Vater hat weder konkret vorgebracht noch steht fest, dass und inwieweit durch die von ihm erbrachten freiwilligen Leistungen der Bedarf der Kinder (zumindest teilweise) bereits gedeckt worden wäre, sodass es bei Zuspruch des 2,5-fachen Regelbedarfs im angefochtenen Zeitraum zu einer ungerechtfertigten Doppelversorgung käme.Schon deswegen kann seinem Einwand kein Erfolg beschieden sein.
[29] 3. Letztlich bemängelt der Vater die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Zahnbehandlungskosten deckungspflichtiger Sonderbedarf seien.
[30] Ob ein durch die besonderen Lebensverhältnisse des Kindes begründeter, dem Unterhaltspflichtigen zumutbarer Sonderbedarf gegeben ist, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0007204 [T5]).
[31] Richtig ist, dass der Zuspruch des Sonderbedarfs strengen Anforderungen zu unterwerfen ist. Bestehen gleichwertige Alternativen, die einen Sonderbedarf erübrigen, so genießt immer die den Unterhaltspflichtigen weniger belastende Alternative den Vorzug (RS0111559). Dem Vater ist auch zuzugestehen, dass er in erster Instanz vorgebracht hat, dass die Möglichkeit bestanden hätte, die kieferorthopädische Behandlung bei einem Kassenarzt durchführen zu lassen. Allerdings lässt er außer Acht, dass die strittigen Kosten – wie festgestellt – für die zweite Phase einer bereits bei einem bestimmten Privatarzt begonnenen Behandlung angefallen sind, nachdem dem Kind die Kosten für die erste Behandlungsphase rechtskräftig mit Beschluss des Erstgerichts vom 10. 3. 2021 als Sonderbedarf zugesprochen worden waren.
[32] Davon ausgehend ist die Auffassung des Rekursgerichts vertretbar, es liege ein besonderer Rechtfertigungsgrund für die fortgesetzte Behandlung gerade bei diesem Privatarzt vor, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Leistungsfähigkeit des Vaters im konkreten Fall nicht ausgeschöpft wird.
[33] II. Auch der außerordentliche Revisionsrekurs der Söhne ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
[34] 1. Bei einem (hier vorliegenden) überdurchschnittlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist nach ständiger Rechtsprechung die Prozentkomponente nicht voll auszuschöpfen. Den Kindern sind (nur) Unterhaltsbeträge zuzusprechen, die zur Deckung ihrer – anden Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen orientierten – Lebensbedürfnisse erforderlich sind (RS0007138 [T3, T20]), wobei in der Regel der Unterhaltsanspruch mit dem Zwei- bis Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs begrenzt ist (RS0007138 [T12, T15, T18]). Maßgebend ist hierbei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung (RS0007138 [T20]). Wann und unter welchen Voraussetzungen im konkreten Fall ein „Unterhaltsstopp“ zur Vermeidung einer Überalimentierung anzunehmen ist, ist keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0007138 [T17]; RS0047447 [T3]).
[35] 2. Die Entscheidung der Vorinstanzen, einen „Unterhaltsstopp“ beim 2,5-fachen des Regelbedarfs einzuziehen, hält sich im Rahmen des ihnen zukommenden Ermessensspielraums. Die Ausführungen der Kinder laufen darauf hinaus, dass die betreuende Mutter in die Lage versetzt werden müsse, ihnen denselben Lebensstandard wie der geldunterhaltspflichtige Vater bieten zu können. Damit wecken sie aber keine Zweifel an der Beurteilung der Vorinstanzen, schon weil der Vater – wie festgestellt – für sie zusätzlich zum 2,5-fachen Regelbedarf und der Krankenzusatzversicherung weitere (freiwillige) Leistungen erbringt, die die Revisionsrekurswerber völlig ausblenden. Dass die Kinder insgesamt nicht angemessen an den Lebensverhältnissen des Vaters partizipieren würden, bringen sie vor diesem Hintergrund nicht zur Darstellung.
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