European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00071.25W.0805.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht Linz zu.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * R* (teilweise) im zweiten Rechtsgang (zum ersten siehe 12 Os 60/24a) – soweit hier relevant – zweier Vergehen der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG (A und B), je eines Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 (zu ergänzen) erster Fall StGB (C/A) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (C/B) sowie mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (C/C) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – in W* und andernorts
(A) vom 31. Mai 2022 bis zum 23. Juli 2023 mit der Absicht, * M* dadurch in ihrem von § 1 Abs 1 DSG gewährleisteten Anspruch zu schädigen, personenbezogene Daten, die er sich widerrechtlich verschafft hat, nämlich sie selbst erkennen lassende (US 5) Screenshots, die er während eines Videotelefonats mit der Genannten ohne ihre Zustimmung angefertigt hatte und die deren Genitalien und Schamgegend zeigten,
1) in zwei Angriffen auf „Facebook“ veröffentlicht und
2) in zumindest drei Angriffen an deren Bruder gesendet und diesem zugänglich gemacht,
obwohl M* an diesen Daten ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse hatte, weiters
(C) am 9. Dezember 2024
A) den Polizeibeamten * S* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsaufklärung und Verhinderung eines Angriffs auf einen weiteren Polizeibeamten zu hindern versucht, indem er mit seiner linken Hand die rechte Gesichtshälfte des S* ergriff und zudrückte, sowie
B) durch die zu C/A beschriebene Tat eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) an einem Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben begangen, wodurch S* Rötungen im Bereich der Wange, Kratzspuren im Bereich des rechten Ohrs und eine Schürfwunde an der linken Hand erlitt, weiters
C) andere mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
1) vier im Urteil namentlich genannte Personen durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie schlagen, und
2) S* durch die Äußerung, „Ich schwöre bei Gott, bei Allah, du Hurensohn, dein Gesicht merke ich mir und bringe dich um, wenn ich dich wiedersehe“.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die vom Angeklagten auf Z 3, 9 lit a und 10 sowie von der Staatsanwaltschaft auf Z 11, jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
[4] Die von der Verfahrensrüge (Z 3) zum Schuldspruch C behauptete Abweichung der schriftlichen Urteilsausfertigung vom Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) im verkündeten Urteil liegt nicht vor. Denn nach dem unbeanstandet gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 76 S 31) verwies das Gericht bei der Verurteilung des Angeklagten auf den „einbezogenen Strafantrag ON 65.4“, womit dem Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO hinreichend Rechnung getragen wurde (Danek/Mann, WK-StPO § 268 Rz 7 mwN). Der eindeutige Verweis auf einen bestimmten Text stellt nämlich methodisch dessen Wiedergabe dar (RIS-Justiz RS0124017 [T2, T7], RS0132282).
[5] Soweit die Rüge (unter Hinweis auf 12 Os 108/22g) diesbezüglich auch Mängel des Protokolls über die Hauptverhandlung releviert, geht sie von vornherein ins Leere, weil Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 271 Abs 1 StPO nur dann gegeben ist, wenn überhaupt kein Protokoll erstellt wurde (Danek/Mann, WK-StPO § 271 Rz 4 f; RIS-Justiz RS0098552 [T5], RS0098665).
[6] Die gegen den Schuldspruch C/A gerichtete Beschwerde (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10 [siehe dazu RIS-Justiz RS0093283]) erachtet die Subsumtion der Tat als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Satz StGB als verfehlt, weil die konstatierte „Sachverhaltsaufklärung“ keine tatbestandsmäßige „Amtshandlung“ darstelle. Sie argumentiert prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) nicht auf der Basis des Urteilssachverhalts, wonach der Angeklagte den Polizeibeamten auch an der „Verhinderung eines Angriffs auf [einen weiteren] Polizeibeamten zu hindern versucht“ hat (US 4).
[7] Weshalb trotz dieser konkreten Dienstverrichtungen keine (aufrechte oder unmittelbar bevorstehende) Amtshandlung im Sinn des § 269 Abs 3 StGB vorgelegen haben soll (siehe dazu RIS-Justiz RS0095704, RS0095734, RS0095706 [T1]; Danek/Mann in WK2 StGB § 269 Rz 49) und darüber hinaus die Feststellung „dass die Beamten in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse tätig waren“ erforderlich wäre, legt die Rüge nicht dar (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).
[8] Indem die gegen den Schuldspruch C/C gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) kritisiert, die Intention des Angeklagten dahin, dass die Opfer die Drohungen „für realisierbar halten sollten“, könne nicht beurteilt werden, dabei aber die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 4) außer Acht lässt, verfehlt sie abermals die prozessordnungsgemäße Ausführung materiell-rechtlicher Nichtigkeit (erneut RIS‑Justiz RS0099810).
[9] Dass das Erstgericht – entgegen ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0092519 [insb T4], RS0093082 [insb T9]) – „zur Realisierbarkeit der angeblichen gefährlichen Drohung“ Feststellungen zu treffen gehabt hätte, behauptet die Rüge erneut ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565; so bereits 13 Os 101/22k [Rz 15], 14 Os 36/24m [Rz 25] ua).
[10] Die auf eine rechtliche Unterstellung des Urteilssachverhalts zum Schuldspruch C nach § 287 Abs 1 StGB abzielende Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst Konstatierungen zur Berauschung des Angeklagten. Mit den ins Treffen geführten Details (siehe aber RIS‑Justiz RS0118580 [T27]) der Aussage des Angeklagten, wonach er an diesem Tag fast neun Flaschen Bier getrunken habe, durcheinander gewesen sei und davon ausgehe, betrunken gewesen zu sein (ON 76 S 7 f, 11), sowie eines polizeilichen Aktenvermerks, wonach die einschreitenden Polizeibeamten starken Alkoholgeruch wahrgenommen haben (ON 65.2 S 5), nennt sie aber keine hinreichend ernst zu nehmenden Indizien für die Annahme eines die Zurechnungsfähigkeit zur Gänze ausschließenden Rausches des – dies im Übrigen in der Hauptverhandlung gar nicht behauptenden (ON 76 S 7 f) – Angeklagten zur Tatzeit (vgl RIS-Justiz RS0118580 [T21, T30]; 11 Os 145/19m). Das weitere Vorbringen (zum Alkoholisierungsgrad des Angeklagten) entzieht sich als bloße Spekulation einer meritorischen Behandlung (vgl RIS‑Justiz RS0099671 [T4, T6]).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[11] Die Rüge (nominell Z 11, der Sache nach Z 10) strebt in Bezug auf den Schuldspruch A die Subsumtion des davon umfassten Geschehens als mehrere Vergehen nach § 63 DSG (anstelle bloß einer solchen strafbaren Handlung) an, weil zufolge einer Mehrzahl festgestellter Angriffe mehrere rechtlich selbständige Taten vorlägen. Sie übersieht, dass die Konstatierungen zum Tatzeitraum (US 4 „Im Zeitraum von […] bis […]“) und zur wiederholten (US 4 „zumindest“) Verwirklichung des gleichen Tatbestands bei einheitlicher Motivationslage (US 5 „als Art Rache“) hinreichend deutlich den Feststellungswillen der Tatrichter in Richtung einer Tatbegehung in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit (zu dieser Rechtsfigur siehe 13 Os 1/07g [verst Senat], RIS‑Justiz RS0122006; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89) – mit der Konsequenz nur einmaliger Tatbestandsverwirklichung (RIS-Justiz RS0127374) – zum Ausdruck bringen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19; RIS‑Justiz RS0117228). Solcherart entwickelt die Rüge ihre Argumentation nicht auf der Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt damit den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Die Entscheidung über die Berufungen und die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde gegen den Beschluss nach § 494 Abs 1 StPO kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 dritter Satz StPO).
[14] Der Kostenausspruch, der die gänzlich erfolglose Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390 Rz 8), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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