OGH 11Os92/25a

OGH11Os92/25a9.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2025 durch dieVizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Schurich LL.M., LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 13. Mai 2025, GZ 17 Hv 30/25y-33, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertretersder Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Loos zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00092.25A.0909.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in der Subsumtion der vom Schuldspruch C umfassten Tat nach § 84 Abs 4 StGB, im Schuldspruch F und H 1 sowie in der zum Schuldspruch G (nach § 107b Abs 1 StGB) und H (nach § 125 StGB) jeweils gebildeten Subsumtionseinheit, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung im Schuldspruch F und in der zum Schuldspruch G (nach § 107b Abs 1 StGB) gebildeten Subsumtionseinheit wird in der Sache selbst erkannt:

* K* hat durch die zu F und zu G des Ersturteils näher beschriebenen Taten das Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB begangen.

Im Umfang der Aufhebung im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* jeweils eines Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB (C) sowie jeweils eines Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (A), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B), des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB (D), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (E), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (F), der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (G), der Sachbeschädigung nach §§ 125 und 15 StGB (H) und der falschen Beweisaussage nach (gemeint) §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und 4 StGB (I) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er (soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung) * H*

(A) am 25. Februar 2025 von ca 3:00 Uhr bis ca 6:00 Uhr (US 7 bis 8) widerrechtlich gefangengehalten oder auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, indem er sie jeweils durch Losfahren gegen ihren Willen (vgl US 8) zur Mitfahrt in einem von ihm gelenkten Pkw zunächst von L* nach W* und – nach einem Aufenthalt, auf dem er einen Teil der vom Schuldspruch C umfassten Verhaltensweisen setzte (US 7 f) – zurück Richtung L* und über An* nach A* zwang, weiters

(B) am 25. Februar 2025 in A* im Anschluss an das zu A beschriebene Geschehen – nachdem H* auf einem Parkplatz die Flucht gelungen war und sie sich hilfesuchend an eine Passantin gewandt hatte – mit Gewalt zur Duldung einer Ortsveränderung und zur Unterlassung genötigt, weiter mit der Passantin zu sprechen (US 9 und 15), indem er die Genannte ergriff, sie hochhob und trotz ihrer Gegenwehr in Richtung des Fahrzeugs trug, und

in der Zeit vom 24. Februar 2025, ca 22:30 Uhr, bis zum 25. Februar 2025, ca 6:00 Uhr (US 6 bis 8), in L* und in W*

(C) auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist, vorsätzlich am Körper verletzt, indem er seinen Daumen gegen ihren Kehlkopf drückte, sodass sie keine Luft mehr bekam, und sie bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit würgte (US 8), sie zudem wiederholt biss, ihren Kopf gegen einen Pkw schlug, ihr einen Kopfstoß und mehrere Ohrfeigen versetzte, sie an den Haaren riss und ihre Arme zusammendrückte, und dadurch eine „an sich schwer[e]“ Körperverletzung in Gestalt von Bissmalen, multiplen Prellungen und Hämatomen, einer Platzwunde am Kopf und einer Gehirnerschütterung sowie eine „länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung“ des Opfers herbeigeführt, ferner

(E) mit einer (weiteren) Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er äußerte: „Ich kann Dich ja töten. Ich kann Dich töten und dann mich selbst. Dann sterben wir gemeinsam an einem Ort“, sowie

in L* und andernorts

(F) am 8. Dezember 2024 vorsätzlich am Körper verletzt, indem er sie zumindest viermal bis zur Atemnot würgte, wodurch sie Einblutungen in den Augen und Schmerzen im Halsbereich erlitt, weiters „[dar]über hinausgehend“

(G) gegen die Genannte eine längere Zeit hindurch, nämlich von Ende Februar 2024 bis zum 24. Februar 2025, dadurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dass er sie

zumindest monatlich, teils auch mehrmals pro Woche (US 4) vorsätzlich am Körper

teils verletzte (§ 83 Abs 1 StGB), teils dies versuchte (§ 15 StGB), indem er ihr Schläge und Ohrfeigen versetzte, sie biss, ihr einen Gegenstand ins Gesicht schleuderte oder ihren Kopf gegen einen Pkw schlug, wodurch sie teils Bisswunden und Hämatome sowie (am 12. März 2024) einen Nasenbeinbruch und eine Platzwunde erlitt, sowie

misshandelte (§ 83 Abs 2 StGB), indem er sie an den Haaren riss und ihr dabei Haare ausriss, und

zweimal zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Abs 1 StGB), indem er ihr ankündigte, sie (und dann sich selbst) „umzubringen“ (US 5 f), ferner

(H) fremde Sachen beschädigt, und zwar

(1) am 19. Februar 2025 in L* den Pkw der Genannten, indem er dessen beide Außenrückspiegel durch Faustschläge zerbrach, und

(2) am 25. Februar 2025 in E* die Arrestzelle der dortigen Polizeiinspektion sowie eine darin befindliche Ledermatratze, indem er diese mehrmals mit voller Wucht zu Boden schleuderte und wiederholt mit den Füßen gegen die Zellenwand trat, wobei es infolge Unvermögens beim Versuch (§ 15 StGB) blieb.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Zum berechtigten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde:

[4] Soweit sich die Subsumtionsrüge (Z 10) gegen den Schuldspruch F wendet, zeigt sie (im Kern) zutreffend auf, dass die davon umfasste Tat – wie das Erstgericht selbst einräumt (US 16) – auf der Feststellungsbasis des angefochtenen Urteils (US 4 bis 6) nicht gesondert § 83 Abs 1 StGB zu unterstellen, sondern in die zum Schuldspruch G (nach § 107b Abs 1 StGB) gebildete Subsumtionseinheit aufzunehmen gewesen wäre (dazu RIS-Justiz RS0129716 [T3] und RS0128942).

[5] Mit Recht macht sie weiters geltend, dass die Urteilsfeststellungen zum Schuldspruch C die Subsumtion nach § 84 Abs 4 StGB nicht tragen:

[6] Die (im Rahmen der Feststellungen zur subjektiven Tatseite) konstatierten Tatfolgen in Gestalt von „Bissmalen, multiplen Prellungen, multiplen Hämatomen, eine[r] Platzwunde am Kopf sowie eine[r] Gehirnerschütterung“ (US 8) sind – ohne präzisierende Umstände, die auf entsprechende Folgenschwere schließen ließen (zu den dafür maßgeblichen Kriterien RIS‑Justiz RS0092473 und RS0092440 sowie Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 25 f und 28) – nicht als „an sich schwer[e]“ Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 dritter Fall StGB zu beurteilen. Die unter Verwendung von verba legalia des § 84 Abs 1 erster Fall StGB (disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung) getroffene Urteilsaussage, das Opfer habe „durch diese Übergriffe an einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung [ge]litt[en]“ (US 13), wiederum lässt keinerlei Sachverhaltsbezug erkennen (RIS‑Justiz RS0119090).

[7] Gleiches gilt für die Feststellungen zum Vorsatz des Beschwerdeführers, der sich überdies auf die Herbeiführung einer „24 Tage“ (und nicht, wie von der angesprochenen Tatbestandsvariante gefordert, länger als diesen Zeitraum) „dauernde Gesundheitsschädigung“ bezogen haben soll und auf die Herbeiführung (gerade) der festgestellten – somit das Kriterium des § 84 Abs 1 dritter Fall StGB per se nicht erfüllenden – Verletzungsfolgen gerichtet gewesen sei (US 8). Damit bleibt auch für die rechtliche Annahme der Verwirklichung des § 84 Abs 4 StGB in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB, vgl RIS‑Justiz RS0131591) – auf der Feststellungsbasis des Ersturteils – kein Raum.

 

Zur amtswegigen Maßnahme:

[8] Des Weiteren überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde, dass das angefochtene Urteil mit (nicht geltend gemachter) materieller Nichtigkeit (aus Z 9 lit b) behaftet ist, die zum Nachteil des Angeklagten wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[9] Den Urteilsfeststellungen (US 5) zufolge hat der Angeklagte den aus der vom Schuldspruch H 1 umfassten Tat entstandenen Schaden (durch Bezahlung der Reparaturkosten) gutgemacht.

[10] Ob dies nicht nur freiwillig, sondern auch rechtzeitig im Sinn des § 167 Abs 2 StGB (zu beidem Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 167 Rz 29 ff) geschehen ist, wurde nicht durch Feststellungen geklärt, obwohl die in der Hauptverhandlung vorgekommene (ON 28 S 35) Zeugenaussage des Opfers im Ermittlungsverfahren (ON 3.4, 2 [Reparatur und Bezahlung schon am folgenden Tag, als sie „das mit den Spiegeln“ gegenüber der Polizei noch nicht erwähnt hatte]) einen Sachverhalt indizierte, der insoweit den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue nach § 167 Abs 1 und 2 Z 1 StGB begründet hätte (vgl dazu bei Faktenmehrheit Kirchbacher/Ifsits in WK2 StGB § 167 Rz 65 ff).

[11] Der darin gelegene Feststellungsmangel (Z 9 lit b) und die geltend gemachten Subsumtionsfehler (Z 10) führten – im Einklang mit der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 288 Abs 2 StPO).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:

[12] Die Tatsachenrüge (Z 5a) bekämpft die zum Schuldspruch C getroffenen Feststellungen, soweit sie die Subsumtion nach § 84 Abs 5 Z 1 StGB tragen, nämlich in Betreff der Urteilsaussage, der Beschwerdeführer habe H*, indem er einen Daumen gegen ihren Kehlkopf drückte, sodass sie „keine Luft bekam“ und „sogar ‚falsche‘ Farben sah“, bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit gewürgt (US 7; zur Tatbildlichkeit im Sinn einer konkret lebensgefährlichen Begehungsweise siehe Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 83; Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB4 § 84 Rz 43).

[13] Das Schöffengericht hat diese Feststellungen aus der (den Beschwerdeführer im Sinn des Schuldspruchs belastenden) Zeugenaussage der H* in der polizeilichen Vernehmung erschlossen und eingehend begründet, weshalb es dieser mehr Überzeugungskraft beimaß als ihren – jene relativierenden – Angaben in der Hauptverhandlung (US 13, vgl auch US 12).

[14] Indem die Rüge dagegen – isoliert hervorgekehrte (teils überdies auf eine andere Tat bezogene) – Details der in der Hauptverhandlung abgelegten Aussage dieser Zeugin ins Treffen führt, versäumt sie es, das relevierte Beweisergebnis hinsichtlich seiner Eignung, erhebliche Bedenken hervorzurufen, an der Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen zu messen. Damit bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0118780 [insbesondere T1]).

[15] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) den Schuldspruch A, B und E mit dem Argument anficht, auch die davon umfassten Taten wären richtigerweise in die zum Schuldspruch G (nach § 107b Abs 1 StGB) gebildete Subsumtionseinheit aufzunehmen gewesen, hält sie nicht am festgestellten Sachverhalt fest (siehe aber RIS‑Justiz RS0099810). Dass der Beschwerdeführer – wie für die angestrebte rechtliche Konsequenz erforderlich (RIS‑Justiz RS0128942) – auch diese (in § 107b Abs 2 StGB bezeichnete Anknüpfungstatbestände erfüllenden) Taten mit dem Vorsatz begangen hätte, im Sinn des § 107b Abs 1 StGB „längere Zeit hindurch fortgesetzt“ Gewalt auszuüben, ergibt sich daraus (US 6 bis 9) nämlich keineswegs.

[16] Entsprechendes gilt für die vom Schuldspruch C umfasste – von den § 107b Abs 1 StGB unterstellten Taten (US 4 bis 6) jedenfalls verschiedene – Tat (vgl US 6 bis 8). Die weiters behauptete Verdrängung des § 107b Abs 1 StGB durch „§ 84 Abs 4 und 5 StGB“ im Wege von (ausdrücklicher) Subsidiarität, weil „die Tat“ nach letzteren Bestimmungen mit strengerer Strafe bedroht sei (§ 107b Abs 5 StGB), scheidet – fallkonkret – schon aus diesem Grund aus.

[17] Im dargestellten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

[18] Soweit es den (aufgehobenen) Schuldspruch F und G betrifft, war unter Zugrundelegung der vom Schöffengericht festgestellten Tatsachen vom Obersten Gerichtshof in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 1 Z 3 erster Satz StPO).

[19] Im Umfang der Aufhebung im Übrigen war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das – hierzu im zweiten Rechtsgang als Einzelrichter berufene (vgl RIS‑Justiz RS0100271 und RS0100318) – Landesgericht Steyr zu verweisen (§ 288 Abs 1 Z 3 zweiter Satz StPO).

[20] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.

[21] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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