European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00014.25F.1007.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A*des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, § 12 dritter Fall StGB (I/) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (II/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W*
I/ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, nämlich eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses von mehr als zwei Personen (darunter er selbst und sechs weitere im Urteil namentlich genannte Personen), der darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz ausgeführt werden, von einem Zeitpunkt nach dem 5. Juli 2020 bis zum 6. März 2021 auf Basis eines einheitlichen, die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt umfassenden Vorsatzes (US 11 f) in 14 im Urteil näher bezeichneten Angriffen vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich insgesamt 116.370 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 11,18 % THCA und 0,85 % Delta-9-THC in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen oder zum Überlassen durch unbekannte Läufer der Tätergruppe beigetragen, indem er teilweise die Abholung des Suchtgifts für die kriminelle Vereinigung organisierte oder selbst übernahm und das Suchtgift dann an Läufer oder Abnehmer weiterverteilte;
II/ am 6. Juni 2024 vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 38,1 Gramm Cannabiskraut besessen, wobei er die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Zur Beschwerde:
[4] In der ursprünglichen Fassung lautete das Protokoll der Hauptverhandlung betreffend den Termin am 18. November 2024 (ON 39.3) auf dessen Seite 18:
„Gemäß § 252 Abs 2a StPO wird der gesamte Akteninhalt (ON 2.51, ON 2.56, ON 2.62, ON 11 ON 13; ausdrücklich nicht verlesen werden ON 10 und ON 38 zum Faktum 05.07.2020) mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten vorgetragen, wobei auf eine wortwörtliche Verlesung einverständlich verzichtet wird.“
[5] Mit dem angefochtenen Beschluss wurde als Berichtigung nach der offenen Klammer und vor „ON 2.51“ das Wort „insbesondere“ eingefügt.
[6] Die Beschwerde des Angeklagten kritisiert diese Einfügung und behauptet der Sache nach, dass lediglich die in der ursprünglichen Fassung genannten Aktenbestandteile vorgetragen worden seien, demnach – mit Blick auf die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) – nicht auch die ON 2.77.8, der „Anlassbericht … (ON 51)“, der „Abschlussbericht ON 56.2“ und das Gutachten des „Schrift-Sachverständigen … (ON 32, S 5)“.
[7] Dem ist zu erwidern, dass es sich beim im Urteil (US 12) angesprochenen „Anlassbericht … (ON 51)“ zweifelsfrei erkennbar um die ON 2.51 und beim „Abschlussbericht … ON 56.2“ um einen Bestandteil der ON 2.56 handelt, die nach beiden Protokollfassungen mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten vorgetragen wurden. Das Sachverständigengutachten (US 15) wurde zuvor schon unter Beteiligung des Verteidigers erörtert (ON 39.3, 8). Solcherart bestehen für den Obersten Gerichtshof keine Zweifel, dass vor dem Schluss des Beweisverfahrens mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten ein der Protokollierung entsprechender resümierender Vortrag des gesamten Akts – darunter auch der ON 2.77.8 (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 460) – erfolgte.
[8] Die Beschwerde blieb daher erfolglos.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
[9] Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Vorkommen (Z 3; vgl aber RIS-Justiz RS0119110 [insb T10, T11]) und die Verwertung der Sky ECC- und Anom‑Chatprotokolle wendet (der Sache nach Z 5 und 5a, nominell auch Z 10), ist zu erwidern, dass diese Verfahrensergebnisse mit seiner Zustimmung im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO in der Hauptverhandlung vorgetragen wurden (ON 39.3, 18).
[10] Bereits deshalb sind diese Vorgänge einer Anfechtung sowohl mit Verfahrensrüge (vgl 14 Os 130/23h [Rz 23]; 15 Os 43/25z [Rz 4]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 234) als auch mit (dazu subsidiärer) Mängel- oder Tatsachenrüge (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 66 ff) entzogen. Solcherart kann auch das weitere (erstmals auf Aktenbestandteile in anderen Strafverfahren rekurrierende – vgl aber RIS‑Justiz RS0098978) Rechtsmittelvorbringen, an einer gegen das Vorkommen gerichteten Antragstellung gehindert gewesen zu sein, auf sich beruhen.
[11] Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet, das Schöffengericht habe in Ansehung der Feststellungen zur Tatbegehung des Angeklagten und zu tatverfangenen Suchtgiftmengen folgende Verfahrensergebnisse berücksichtigt, obwohl sie nicht in der Hauptverhandlung vorgekommen seien (vgl §§ 12 Abs 2, 258 Abs 1 StPO), und zwar den Amtsvermerk ON 2.77.8, den „Anlassbericht … (ON 51)“, den „Abschlussbericht ON 56.2“, das Sachverständigengutachten (ON 32, 5), Inhalte der ON 38 sowie Inhalte der ON 25.2.
[12] Dieser Einwand trifft nicht zu:
[13] Das Vorkommen der ersten vier Aktenbestandteile durch zusammenfassenden Vortrag ist im bestandskräftigen Hauptverhandlungsprotokoll betreffend den Termin am 18. November 2024 dokumentiert (ON 39.3, 18).
[14] Jener Teil der ON 38, der das Chatprotokoll vom 5. Juli 2020 enthält – und worauf das Schöffengericht die Feststellungen zu I/1/ stützte (US 21) –, wurde in der Hauptverhandlung am 18. November 2024 bereits vor dem abschließenden Vortrag verlesen (ON 39.3, 9).
[15] Bei der ON 25.2 handelt es sich um das Protokoll des Hauptverhandlungstermins am 27. September 2024. Die darin festgehaltenen Deponate des Angeklagten und der vernommenen Zeugen kamen unmittelbar in der innerhalb der Frist nach § 276a StPO fortgesetzten, eine Einheit darstellenden (RIS-Justiz RS0129952) Hauptverhandlung vor und bedurften deshalb für die Verwertung im Urteil keiner zusätzlichen Verlesung (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 2, 7, 9 f; Danek/Mann, WK-StPO § 276a Rz 1).
[16] Weiters reklamiert die Rüge eine fehlende oder offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Zuordnung der Sky ECC Pin * zum Angeklagten.
[17] Dabei nimmt sie jedoch nicht Maß an den dazu angegebenen, insbesondere auf Lichtbilder und äußere Umstände gestützten, sehr wohl auch die Angaben der Zeugen N*, * B* und * D* berücksichtigenden Erwägungen der Tatrichter (US 12 f, 18 f – vgl RIS-Justiz RS0119370), sondern stellt diesen lediglich eine eigene Interpretation von Verfahrensergebnissen nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) – Schuldberufung gegenüber.
[18] Mit dieser im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholten eigenständigen Bewertung gelingt es auch nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen hervorzurufen (zu Anfechtungsgegenstand und Beurteilungsmaßstab vgl RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780).
[19] Die weitere Mängelrüge (Z 5) wendet gegen die mit dem Schöffengericht bekannten Durchschnittswerten begründeten Feststellungen zum Reinheitsgrad des Suchtgifts (vgl US 2, 9, 25, 32: 11,18 % THCA und 0,85 % Delta‑9‑THC) ein, es sei der (in einem Haftbeschwerdebeschluss angenommene [ON 5, 3]) Wirkstoffgehalt von 4 % Delta-9-THC als notorisch anzusehen.
[20] Ferner werden Begründungsmängel hinsichtlich der Konstatierungen zu (Brutto-)Mengen an überlassenem Cannabiskraut behauptet und davon abweichende Mengen ins Treffen geführt, unter anderem 5,1 Kilogramm (statt 6 Kilogramm) zu I/2/, 17 Kilogramm (statt 20 Kilogramm) zu I/6/, 2,5 Kilogramm (statt 4 Kilogramm) zu I/10/ und 1 Kilogramm (statt 5 Kilogramm) zu I/11/.
[21] Nach den Konstatierungen zum Handeln auf Basis eines einheitlichen Tatplans und zum Additionsvorsatz (US 11 f) verwirklichte der Angeklagte das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl RIS-Justiz RS0112225), also einer Tat im materiellen Sinn (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521). Einzelne Handlungsaspekte und Teilmengen sind daher der Anfechtung entzogen, soweit dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird (vgl RIS-Justiz RS0127374 [insb T1, T8]).
[22] Bereits auf Basis des bezeichneten Vorbringens ergibt sich eine überlassene Wirkstoffmenge von 1.024 Gramm Delta-9-THC (51,2 Grenzmengen), also mehr als das Doppelte der für die vorgenommene Subsumtion erforderlichen Menge. Solcherart lässt die Rüge nicht erkennen, welche Feststellung zu einer für die rechtliche Beurteilung entscheidenden Tatsache von einem Begründungsmangel betroffen sein sollte (vgl aber RIS-Justiz RS0106268, RS0130729).
[23] Die Subsumtionsrüge (Z 10) zu I/ richtet sich gegen die Bejahung der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG. Sie argumentiert, im Urteil sei nicht festgestellt, auf die Inverkehrsetzung welcher Mengen an Suchtgift die kriminelle Vereinigung ausgerichtet gewesen sei. Deshalb wäre die rechtliche Annahme einer kriminellen Zielsetzung in Form von „Verbrechen nach dem SMG“ nicht möglich.
[24] Dabei orientiert sie sich aber nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, worin die Tatrichter zum Ausdruck brachten, dass die kriminelle Vereinigung darauf ausgerichtet war, dass ihre Mitglieder professionellen Suchtgifthandel mit erheblichen Mengen „wie gegenständlich“ ausführen (US 2, 5 f, 20 f). Solcherart legt sie nicht prozessförmig dar (vgl RIS-Justiz RS0099810), warum diese Feststellungen die Bejahung der kriminellen Ausrichtung auf ein – sodann auch verwirklichtes – taugliches Vereinigungsdelikt in Form von (zumindest einem) „Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz“ (hier: nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG – vgl RIS-Justiz RS0088067 [T10]; Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 80) nicht tragen sollten.
[25] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[26] Bleibt mit Blick auf die Anregung in der Rechtsmittelausführung anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof in Bezug auf § 134 Z 3 und § 135 Abs 3 StPO zu einer Antragstellung im Sinn des Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B‑VG an den Verfassungsgerichtshof (vgl dessen Beschluss vom 16. Juni 2025, G 55/2025-16, in dieser Sache) nicht veranlasst sah (RIS-Justiz RS0053805 [T6, T7]).
[27] Solcherart bestand – hinsichtlich des „Antrags“ in der Äußerung des Nichtigkeitswerbers zur Stellungnahme der Generalprokuratur – auch kein Grund, bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über einen nicht in diesem Strafverfahren gestellten Parteiantrag auf Normenkontrolle zuzuwarten (vgl §§ 62 Abs 3, 62a Abs 6 VfGG).
[28] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[29] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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