European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00009.25H.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Mit Antrag vom 8. Juli 2024 begehrte die Antragstellerin, die Unterhaltspflicht ihres Vaters seit Februar 2022 mit 700 EUR monatlich festzusetzen.
[2] Der Antrag wurde dem Vater mit der Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG und dem Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Nichtäußerung wirksam zugestellt.
[3] Innerhalb der (vom Erstgericht erstreckten) Frist langte keine Äußerung des Vaters ein.
[4] Mit Beschluss vom 4. September 2024 verpflichtete das Erstgericht den Vater, der Antragstellerin antragsgemäß rückständigen Unterhalt für die Zeit von 1. Februar 2022 bis 31. Juli 2024 von 21.000 EUR (30 Monate zu je 700 EUR) sowie ab 1. August 2024 einen laufenden Unterhalt von 700 EUR monatlich zu zahlen. Zur Begründung verwies es insbesondere auf § 17 AußStrG.
[5] Am 9. September 2024 langte eine Stellungnahme des Vaters zum Unterhaltsantrag beim Erstgericht ein.
[6] Gegen den Beschluss des Erstgerichts erhob der Vater Rekurs. Darin führte er einleitend aus, seine Stellungnahme sei aufgrund eines Fehlers einer ansonsten sehr zuverlässigen Mitarbeiterin seines Rechtsvertreters irrtümlich zunächst nur an die Antragsgegnerin und nicht auch an das Erstgericht versendet worden. Das darin erstattete Vorbringen könne daher ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot im Rekursverfahren vorgetragen werden.
[7] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[8] Die dagegen erhobenene „außerordentliche Revision“ des Vaters legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof unmittelbar vor.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Aktenvorlage entspricht nicht der Rechtslage.
[10] 1. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert, über den das Rekursgericht entschieden hat, insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur einen Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass der Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (Zulassungsvorstellung gemäß § 63 Abs 1 und 2 AußStrG). Die Zulassungsvorstellung ist beim Erstgericht einzubringen und mit der Ausführung des ordentlichen Revisionsrekurses zu verbinden.
[11] 2. Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses hängt daher davon ab, ob das Rekursgericht über einen Entscheidungsgegenstand zu entscheiden hatte, der den Wert von 30.000 EUR überstieg. Das ist hier nicht der Fall.
[12] 3. Der hier zu behandelnde Anspruch des Kindes auf Unterhalt ist rein vermögensrechtlicher Natur iSd § 62 Abs 4 und 5 AußStrG (RS0007110 [T32]). Für die Bewertung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts in Unterhaltsbemessungsverfahren ist nach § 58 Abs 1 JN der 36‑fache Betrag des monatlichen (laufenden: RS0103147 [T26, T29]) Unterhaltsbeitrags maßgeblich, der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz zwischen den Parteien noch strittig war. Zusätzlich begehrte, bereits fällig gewordene Beträge sind nicht zu berücksichtigen (RS0122735 [insb T5, T8]; RS0114353).
[13] Unter Anwendung dieser Grundsätze betrug der Wert des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts hier 25.200 EUR (36 x 700 EUR), womit die Wertgrenze des § 62 Abs 3 AußStrG nicht überschritten wird.
[14] 4. Der Beschluss des Rekursgerichts ist daher nur im Wege einer Zulassungsvorstellung gemäß § 63 AußStrG anfechtbar. Wird dennoch ein (ordentlicher oder außerordentlicher) Revisionsrekurs erhoben, hat das Erstgericht dieses Rechtsmittel, auch wenn es an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist, dem Rekursgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel in der Regel als Anträge iSd § 63 AußStrG zu werten sind (RS0109623 [T13]).
[15] Dies wird das Erstgericht nachzuholen haben. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 63 Abs 1 AußStrG entspricht, oder ob es einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T14]).
[16] 5. Zusätzlich wird noch zu beachten sein, dass die Äußerungsfrist des § 17 AußStrG eine verfahrensrechtliche Frist ist (7 Ob 30/24y [Rz 17] ua), gegen deren Versäumung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 21 AußStrG zulässig ist (RS0120657).
[17] 5.1. Der Antragsgegner hat zwar nur einen Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichts erhoben. Allerdings hindert die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs nicht dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise (RS0036258), insbesondere wenn das Begehren deutlich erkennbar ist (RS0036410 [T1]). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall schon ausgesprochen, dass die in einem Rekurs enthaltene einleitende Erklärung, warum die Äußerungsfrist schuldlos nicht eingehalten worden sei, durchaus auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewertet werden könnte (5 Ob 86/24v Rz 20).
[18] 5.2. Die Beurteilung, ob der vorliegende Rekurs des Vaters unter Umständen einen Wiedereinsetzungsantrag enthält, obliegt jedoch dem Erstgericht, das diese Frage – allenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens – durch Auslegung des konkreten Vorbringens zu beantworten hat (RS0036258 [T12]).
6. Zusammenfassend wird das Erstgericht zweckmäßigerweise daher wie folgt vorzugehen haben:
[19] 6.1. Zunächst wird es zu beurteilen haben, ob das Vorbringen im Rekurs als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Äußerung zum Unterhaltsantrag zu werten ist (oben 5.2.).
[20] 6.2. Sofern es diese Frage verneint, wird es den Rechtsmittelschriftsatz dem Rekursgericht vorzulegen haben (oben 4.).
[21] 6.3. Sofern es diese Frage dagegen bejaht, wird es dem Antragsgegner die Möglichkeit einzuräumen haben, seine Anträge zu reihen.
[22] 6.3.1. Nimmt der Antragsgegner keine Reihung vor (vgl RS0129405) oder begehrt er die vorrangige Behandlung des Rechtsmittelschriftsatzes (vgl RS0007046; RS0036501 [insb T1]), wird das Erstgericht diesen wiederum dem Rekursgericht vorzulegen haben (oben 4.).
[23] 6.3.2. Strebt der Antragsgegner dagegen die vorrangige Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags an, wird zunächst darüber zu entscheiden sein.
[24] 6.4. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen durch unnötige Aktenvorlagen wird jedenfalls zu beachten sein, dass diese auch im Wirkungskreis des Rechtspflegers dem Richter vorbehalten ist (RS0125601).
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